Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung bei einem Mittelbetrieb

Die Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung für ein gewerbliches Einzelunternehmen, das im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Prüfungsanordnung als Mittelbetrieb eingestuft ist, bedarf grundsätzlich keiner über § 193 Abs. 1 AO hinausgehenden Begründung.

Eine derartige Prüfung ist ermessensgerecht, wenn keine Anhaltspunkte für eine willkürliche oder schikanöse Belastung bestehen und sie nicht gegen das Übermaßverbot verstößt. Sie ist nicht übermäßig, wenn das Unternehmen während des vorgesehenen Prüfungszeitraumes zeitweise als Großbetrieb eingeordnet war und sich aufgrund vorliegenden Kontrollmaterials aus Sicht des FA ein Prüfungsbedarf ergibt.

BFH Urteil vom 15.06.2016 – III R 8/15

Sachverhalt:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung.

Begründung:

Gegenstand des Verfahrens ist die Prüfungsanordnung vom 13. März 2014.

Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt nach § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens. Dies gilt auch bei Ermessensentscheidungen.

Die Prüfungsanordnung vom 13. März 2014 ist rechtmäßig.

Ob und in welchem Umfang bei einem Steuerpflichtigen nach § 193 AO eine Außenprüfung angeordnet wird, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur darauf zu prüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden und ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszwecks (§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt. Die Prüfungsanordnung vom 13. März 2014 entspricht diesen Vorgaben. Das FA hat die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet (dazu 1.) und frei von Ermessensfehlern entschieden.

Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens sind nicht überschritten.

Eine Außenprüfung ist nach § 193 Abs. 1 AO u.a. zulässig bei Steuerpflichtigen, die –wie der Kläger– einen gewerblichen Betrieb unterhalten. Weitere Anforderungen enthält die Norm nicht; es handelt sich um eine tatbestandlich voraussetzungslose Prüfungsermächtigung. Im Rahmen des § 193 Abs. 1 AO sind daher Außenprüfungen in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Willkürverbots grundsätzlich unbeschränkt zulässig). Weder der Abgabenordnung noch der Betriebsprüfungsordnung ist zu entnehmen, dass Außenprüfungen nur in einem bestimmten Turnus oder mit zeitlichen Abständen erfolgen dürfen.

Der Prüfungsanordnung stand § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO nicht entgegen.

Nach dieser Vorschrift ist eine Außenprüfung bei anderen als den in § 193 Abs. 1 AO bezeichneten Steuerpflichtigen zulässig, wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist. Demgegenüber enthält § 193 Abs. 1 AO keinen Vorrang der Prüfung an Amtsstelle. Betriebe i.S. dieser Vorschrift unterliegen kraft Gesetzes der Außenprüfung und sind daher verpflichtet, die damit verbundenen Eingriffe zu dulden. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die steuererheblichen Verhältnisse der dort genannten Steuerpflichtigen, zu denen auch der Kläger zählt, “durchweg” nur durch Außenprüfungen genau überprüft werden könnten. Dabei wird nicht zwischen erstmaligen Prüfungen und Anschlussprüfungen unterschieden.

Für die Anordnung einer Außenprüfung ist unerheblich, ob –was für den Senat nicht ersichtlich ist– hinsichtlich der betroffenen Steuerarten und Besteuerungszeiträume der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat besteht.

Das FA hat von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.

Die Anordnung der zweiten Anschlussprüfung verstößt nicht gegen den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung.

Die BpO bewirkt eine auch im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Selbstbindung der Finanzverwaltung bei der Anordnung von. Es handelt sich um eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift, so dass ihre Auslegung sich nicht nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Maßstäben richtet, sondern danach, wie die Verwaltung sie versteht und verstanden wissen will. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob die Auslegung durch die Behörde möglich.

Nach der BpO bestimmt die Finanzbehörde den Umfang der Außenprüfung nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 4 Abs. 1 BpO). Bei Großbetrieben und bestimmten anderen Unternehmen soll der Prüfungszeitraum an den vorhergehenden Prüfungszeitraum anschließen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 BpO). Bei anderen Betrieben soll der Prüfungszeitraum in der Regel nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Der Prüfungszeitraum kann insbesondere dann drei Besteuerungszeiträume übersteigen, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht; Anschlussprüfungen sind zulässig (§ 4 Abs. 3 BpO). Dabei ist grundsätzlich die Größenklasse (§ 3 BpO) maßgebend, in die der Betrieb im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung eingeordnet ist (§ 4 Abs. 4 BpO).

Der Betrieb des Klägers war danach bei Erlass der streitgegenständlichen Prüfungsanordnung als Mittelbetrieb eingestuft, so dass er nicht schon nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BpO der Anschlussprüfung unterlag. Die BpO lässt jedoch Anschlussprüfungen auch bei Mittelbetrieben ausdrücklich zu und macht sie auch nicht von besonderen Voraussetzungen abhängig (§ 4 Abs. 3 Satz 3 BpO). Im Übrigen wird im sog. Rationalisierungserlass die Bedeutung der Unvorhersehbarkeit der Außenprüfung hervorgehoben. Diese Unvorhersehbarkeit spricht somit aus Sicht der Verwaltung gegen eine Bindung von Außenprüfungen an einen bestimmten Turnus oder einen Anspruch auf prüfungsfreie Jahre.

Andere Ermessensfehler sind nicht erkennbar.

Die Finanzbehörden sind verpflichtet, für eine steuerliche Belastungsgleichheit zu sorgen und diese auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges zu gewährleisten (Urteil des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 27. Juni 1991  2 BvR 1493/89, BStBl II 1991, 654, 665). Die Herstellung der steuerlichen Lastengleichheit spricht für eine möglichst lückenlose Prüfung; die Verwaltung kann daher grundsätzlich alle Veranlagungszeiträume durch eine Außenprüfung kontrollieren. Da eine umfassende Prüfung der unter § 193 Abs. 1 AO fallenden Steuerpflichtigen nicht realisierbar ist, kann sich die Finanzbehörde zumindest die prophylaktische Wirkung nutzbar machen, die in der Unberechenbarkeit eines prüfungsfreien Zeitraums zwischen den turnusmäßigen Prüfungen liegt s Individualinteresses auf Verschonung von den durch eine Außenprüfung ausgelösten Belastungen vorbehaltlich des Übermaß- sowie des Willkür- und Schikaneverbots grundsätzlich kein Raum.

Anhaltspunkte für eine willkürliche oder schikanöse Belastung des Klägers  sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Der Kläger wurde durch die Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung auch nicht in ermessensfehlerhafter Weise übermäßig belastet.

Ob ein Ermessensfehler gegeben ist, beurteilt sich grundsätzlich nach Begründung der Prüfungsanordnung durch das FA. Da die Anordnung einer Prüfung grundsätzlich ermessensgerecht ist, wenn sie nicht gegen das Übermaß-, das Willkür- oder das Schikaneverbot verstößt, bedarf sie indessen regelmäßig keiner über die Angabe der gesetzlichen Grundlage –hier § 193 Abs. 1 AO– hinausgehenden Begründung. Dies gilt nicht nur für die erste Anschlussprüfung bei einem Mittelbetrieb, sondern auch –wie hier– für die zweite Anschlussprüfung.

Der Kläger wurde durch die Prüfungsanordnung nicht übermäßig belastet. Denn das Unternehmen des Klägers war, worauf sich das FA auch berufen hat, zwar zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 4 Abs. 4 BpO) als Mittelbetrieb eingestuft, aber zuvor –zum 1. Januar 2010 und damit innerhalb des vorgesehenen Prüfungszeitraums– als Großbetrieb eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Kriterium, das es als ermessensfehlerfrei erscheinen lässt, den Prüfungsabstand kürzer als bei anderen Mittelbetrieben zu bemessen.

Gegen eine übermäßige Belastung des Klägers spricht zudem das dem FA vorliegende Kontrollmaterial, das vom FG –für den BFH bindend (§ 118 Abs. 2 FGO)– dahin gewürdigt wurde, dass es einen Prüfungsbedarf indiziere.

Der Senat braucht insoweit nicht zu entscheiden, ob das FA durch die erstmalige Bezugnahme auf das Kontrollmaterial in der Prüfungsanordnung vom 13. März 2014 seine vorherigen Ermessenserwägungen in zulässiger Weise ergänzte (§ 102 Satz 2 FGO) oder ob es dadurch unzulässig Ermessenserwägungen erstmals anstellte, die Ermessensgründe auswechselte oder vollständig. Denn Umstände, die für oder gegen einen Verstoß gegen das Übermaß-, Willkür- oder Schikaneverbot sprechen, sind unabhängig davon zu berücksichtigen, ob sie sich aus der Begründung der Prüfungsanordnung.