Kein eigener Hausstand im Haushalt der Eltern

Durch die Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass ein eigener Hausstand nicht unterhalten wird, wenn der nicht verheiratete Arbeitnehmer als nicht die Haushaltsführung wesentlich bestimmender bzw. mitbestimmender Teil in einen Hausstand eingegliedert ist, wie es regelmäßig bei jungen Arbeitnehmern der Fall ist, die nach Beendigung der Ausbildung –wenn auch gegen Kostenbeteiligung– im elterlichen Haushalt ihr Zimmer bewohnen.
Die Regelvermutung, dass ein Kind die Führung des Haushalts maßgeblich mitbestimmt, wird erst bei älteren, wirtschaftlich selbständigen, berufstätigen Kindern ausgelöst. Weder spielen das Eintreten der Volljährigkeit noch das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze eine Rolle.
BFH Beschluss vom 01.03.2017 – VI B 74/16 BFH/NV 2017, 1884
Begründung:
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) ließ in den gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheiden die geltend gemachten Kosten der doppelten Haushaltsführung (Kosten wegen Familienheimfahrten) unberücksichtigt. Die dagegen gerichtete Klage, mit der der Kläger den Abzug von Unterkunftskosten und Mehraufwendungen für die Verpflegung (2004) begehrte, hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des FG hat der Kläger keinen eigenen Hausstand in Y unterhalten. Ein solcher setze voraus, dass abgeschlossene Räumlichkeiten vorhanden seien, die ein eigenständiges Wirtschaften ermöglichten. Dazu sei erforderlich, dass wenigstens eine Kochgelegenheit und Sanitäreinrichtungen vorhanden seien. Daran fehle es hier. Zudem stehe dem Kläger kein eigenes Recht zur Nutzung des Kellerraums zu.
Die von dem Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Anwendung des in den Senatsurteilen aufgestellten Grundsatzes, wonach bei erwachsenen, berufstätigen Kindern, die zusammen mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einem gemeinsamen Haushalt wohnen, im Regelfall davon auszugehen ist, dass sie die Führung des Haushalts maßgeblich mitbestimmen (Regelvermutung), erst von einer bestimmten Altersgrenze abhängig sei oder ob es ausreiche, dass die Kinder volljährig, berufstätig und auf Grund ihres Einkommens wirtschaftlich selbständig seien, ist jedenfalls nicht klärungsbedürftig.
Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt. Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer ist entscheidend, dass er sich in dem Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die arbeits- und urlaubsbedingte Abwesenheit, aufhält; denn allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines Hausstands zu bewerten. Ebenfalls wird ein eigener Hausstand nicht unterhalten, wenn der nicht verheiratete Arbeitnehmer als nicht die Haushaltsführung wesentlich bestimmender bzw. mitbestimmender Teil in einen Hausstand eingegliedert ist, wie es regelmäßig bei jungen Arbeitnehmern der Fall ist, die nach Beendigung der Ausbildung weiterhin –wenn auch gegen Kostenbeteiligung– im elterlichen Haushalt ihr Zimmer bewohnen. Die elterliche Wohnung kann in einem dieser häufigen Fälle zwar, auch wenn das Kind am Beschäftigungsort eine Unterkunft bezogen hat, wie bisher der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen sein, sie ist aber nicht ein von dem Kind unterhaltener eigener Hausstand. Bei älteren, wirtschaftlich selbständigen, berufstätigen Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist hingegen davon auszugehen, dass sie die Führung des Haushalts maßgeblich mitbestimmen, so dass ihnen dieser Hausstand als “eigener” zugerechnet werden kann. Diese Regelvermutung gilt insbesondere, wenn die Wohnung am Beschäftigungsort dem Arbeitnehmer im Wesentlichen nur als Schlafstätte dient. Denn dort ist regelmäßig weder der Haupthausstand noch der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen zu verorten. Entspricht die Wohnsituation am Heimatort der Wohnung am Beschäftigungsort in Größe und Ausstattung oder übertrifft sie diese, ist dies vielmehr ein wesentliches Indiz dafür, dass der Mittelpunkt der Lebensführung nicht an den Beschäftigungsort verlegt worden ist, sondern der Haupthausstand dort fortgeführt wird. Dies gilt umso mehr, wenn der Steuerpflichtige dort sein Privatleben führt, weil zum Heimatort die engeren persönlichen Beziehungen bestehen, beispielsweise wegen der –mit steigender Lebenserwartung immer häufiger– alten, betreuungs- oder sogar pflegebedürftigen Eltern.
Der Umstand, dass der Arbeitnehmer dabei am Heimatort nicht über eine abgeschlossene Wohnung verfügt, steht dieser Vermutung nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs können die durch das Leben am Beschäftigungsort zusätzlich entstehenden notwendigen Aufwendungen grundsätzlich auch dann zu Werbungskosten führen, wenn die Wohnverhältnisse des Steuerpflichtigen am Ort seines Lebensmittelpunktes vergleichsweise einfach oder beengt sein sollten. Insbesondere müssen die dem Arbeitnehmer zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Räumlichkeiten nicht den bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung gerecht werden. Vielmehr kann ein eigener Hausstand auch dann unterhalten werden, wenn der Erst- oder Haupthausstand gemeinsam mit den Eltern oder einem Elternteil geführt wird.
Auch bedarf es der Übernahme einer besonderen finanziellen Verantwortung für den (gemeinsamen) Hausstand durch die gleichmäßige Beteiligung an den laufenden Haushalts- und Lebenshaltungskosten durch den Steuerpflichtigen nicht. Denn eine finanzielle Beteiligung, aus der auf eine gemeinsame Haushaltsführung von Eltern und Kindern geschlossen werden kann, kann auch vorliegen, wenn etwa eine Aufteilung nach laufenden und einmaligen Kosten oder nach gewöhnlichem und außergewöhnlichem Aufwand vorgenommen wird. Im Übrigen ist dem Merkmal der Entgeltlichkeit lediglich –eine gewichtige– Indizfunktion beizumessen. Denn die Entgeltlichkeit ist keine unerlässliche Voraussetzung (conditio sine qua non) einer steuererheblichen doppelten Haushaltsführung. Dies gilt sowohl für die Überlassung der Wohnung selbst als auch für die Kostentragung im Übrigen. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass ein alleinstehender Steuerpflichtiger auch dann einen eigenen Haushalt unterhält, wenn nicht er selbst, sondern Dritte für diese Kosten aufkommen. Denn eine eigene Haushaltsführung des auswärts Beschäftigten ist nicht zwingend ausgeschlossen, wenn sich dessen finanzielle Beteiligung am Haushalt nicht feststellen lässt, wie auch umgekehrt aus einem finanziellen Beitrag allein nicht zwingend auf das Unterhalten eines eigenen Haushalts zu schließen ist.
Die Entscheidung des FG entspricht diesen Grundsätzen nicht. Das FG hat vor allem verkannt, dass bei einem erwachsenen, wirtschaftlich selbständigen Kind –wie dem Kläger– regelmäßig vermutet werden kann, dass es nicht als Gast in den elterlichen Haushalt eingegliedert ist, sondern jedenfalls dann, wenn es dort lediglich unterbrochen durch Arbeits- und Urlaubsaufenthalte gemeinsam mit den Eltern oder einem Elternteil wohnt, auch die gemeinsame Haushaltsführung wesentlich mitbestimmt. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der vorgenannten Rechtsgrundsätze entsprechende weitere Feststellungen zu dem behaupteten Haupthausstand zu treffen und auf dieser Grundlage erneut zu würdigen haben, ob der Kläger in den fraglichen Räumlichkeiten einen eigenen Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG, möglicherweise im Rahmen eines Mehrgenerationenhaushalts, unterhalten hat. Sodann hat das FG festzustellen, ob sich der Lebensmittelpunkt des Klägers noch in seinem Heimatort befand. Sollte das FG danach vom Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung dem Grunde nach überzeugt sein, sind § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 6 EStG und § 177 Abs. 1 AO zu beachten. Dabei geht der Senat davon aus, dass das FA zur Korrektur der Bescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigt war.