Anforderungen an zum Vorsteuerabzug berechtigende Anschrift des Leistungsempfängers

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Enthält eine zur Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL erforderliche Rechnung die “vollständige Anschrift” i.S. von Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu erreichen ist, wo er jedoch keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt?

Steht Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL unter Beachtung des Effektivitätsgebots einer nationalen Praxis entgegen, die einen guten Glauben des Leistungsempfängers an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nur außerhalb des Steuerfestsetzungsverfahrens im Rahmen eines gesonderten Billigkeitsverfahrens berücksichtigt? Ist Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL insoweit berufbar?

BUNDESFINANZHOF Beschluss (EuGH-Vorlage) vom 6.4.2016, XI R 20/14

Begründung:

In der Sache geht es um die Frage, ob die von einem Unternehmer geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus Rechnungen auch dann abziehbar sind, wenn es sich unter der in den Rechnungen angegebenen Anschrift des Lieferers lediglich um einen “Briefkastensitz” gehandelt hat, oder ob nur die Angabe derjenigen Anschrift des leistenden Unternehmers zum Vorsteuerabzug berechtigt, unter der der leistende Unternehmer seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet.

Im Fall des V. Senats erwarb der Kläger, ein KFZ-Händler, von Z, der seinerseits Fahrzeuge im Online-handel vertrieb, PKWs. In den Rechnungen des Z war eine Anschrift angegeben, an der Z zwar Räumlichkeiten angemietet hatte, die aber nicht geeignet waren, um dort geschäftliche Aktivitäten zu entfalten.

Beide Senate sehen als klärungsbedürftig an, ob eine zum Vorsteuerabzug erforderliche Rechnung die “vollständige Anschrift” bereits dann enthält, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu erreichen ist, oder ob der Vorsteuerabzug die Angabe einer Anschrift des Steuerpflichtigen voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet.

Die Vorlagen sind erforderlich geworden, weil das Urteil des EuGH vom 22. Oktober 2015 C-277/14 (PPUH Stehcemp, EU:C:2015:719, UR 2015, 917) möglicherweise den Schluss zulässt, dass es für den Vorsteuerabzug nicht auf das Vorliegen aller formellen Rechnungsvoraussetzungen ankommt oder zumindest die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen keine Anschrift voraussetzt, unter der wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet wurden. Der V. Senat hat Zweifel, ob seine bisherige ständige Rechtsprechung, nach der die formellen Rechnungsvoraussetzungen die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet, mit dieser Rechtsprechung des EuGH in Einklang steht. Nach Ansicht des XI. Senats des BFH ist nach der Entscheidung des EuGH im Hinblick auf das Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers möglicherweise nicht entscheidend, ob unter der in der Rechnung angegebenen Adresse i.S. von Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem eine wirtschaftliche Tätigkeit des Leistenden ausgeübt wird.

Fehlen formelle Rechnungsvoraussetzungen, kann nach der Rechtsprechung des BFH der Vorsteuerabzug unter bestimmten Voraussetzungen in einem gesonderten Billigkeitsverfahren aus Vertrauensschutzgesichtspunkten gewährt werden. Beide Senate haben den EuGH in ihren Vorabentscheidungsersuchen insoweit um Klärung der Voraussetzungen für effektiven Vertrauensschutz gebeten.