Kein Lohnsteuer-Haftungsbescheid gegen den Arbeitgeber bei Festsetzungsverjährung des Arbeitnehmers

Kein Lohnsteuer-Haftungsbescheid gegen den Arbeitgeber bei Festsetzungsverjährung der Lohnsteuerschuld gegenüber dem Arbeitnehmer

BFH Beschluss vom 17.3.2016, VI R 3/15

Begründung:

Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat.

Da die Klägerin unstreitig keine Lohnsteuer auf die den Arbeitnehmern gewährten geldwerten Vorteile (Incentivereisen und -veranstaltungen, Privatanteile bei gemischt veranlassten Veranstaltungen wie Geschäftsführertreffen und Tagungen, Eintrittskarten für VIP-Logen, Belohnungsessen und sonstige Geschenke) einbehalten und abgeführt hat, ist der Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG hinsichtlich dieser im Dienstverhältnis gründenden Zuwendungen der Klägerin an ihre Arbeitnehmer erfüllt.

Gleichwohl durfte die Klägerin vorliegend nicht für die sich aus der haftungsbegründenden Pflichtverletzung ergebende Lohnsteuer der Arbeitnehmer mit Bescheid vom 27. Dezember 2012 als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen werden.

Wer kraft Gesetzes für eine Steuerschuld haftet, kann zwar durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden (§ 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung). Ein solcher darf nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO allerdings nicht mehr ergehen, soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der (steuerlichen) Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann. Bei der Berechnung der steuerlichen Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ist auf die Steuer abzustellen, für die der Arbeitgeber in Haftung genommen wird, und damit im Streitfall die pflichtwidrig nicht erhobene und abgeführte Lohnsteuer des Jahres 2006.

Werden Lohnsteuer-Anmeldungen entsprechend § 41a Abs. 1 Satz 1 EStG am zehnten Tag des Folgemonats abgegeben, beginnt hinsichtlich der Lohnsteuer die Festsetzungsfrist für Lohnzuflüsse der Monate Januar bis November mit Ablauf des Zuflussjahres und für Dezember mit Ablauf des Folgejahres. Insoweit deckt sich dann der Beginn der Festsetzungsfrist für die Steuer mit dem Beginn der Festsetzungsfrist für die Haftungsschuld. In diesem Fall gilt –wie grundsätzlich für den Haftungsbescheid (§ 191 Abs. 3 Satz 2 AO)– eine steuerliche Festsetzungsfrist von vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO).

Durch den Beginn der Lohnsteuer-Außenprüfung beim Haftungsschuldner wird der Ablauf der Steuerfestsetzungsfrist gegenüber den Arbeitnehmern als Steuerschuldner (bis zur Einführung des § 171 Abs. 15 AO durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz –AmtshilfeRLUmsG–) nicht gehemmt. Die Außenprüfung richtet sich unmittelbar und allein gegen den Arbeitgeber. Nur ihm gegenüber ergeht die Prüfungsanordnung (§§ 196 ff. AO), die neben den tatsächlichen Prüfungshandlungen den sachlichen Umfang der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO bestimmt. Die Lohnsteuer-Außenprüfung erstreckt sich auf die zutreffende Einbehaltung oder Übernahme und die richtige Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber (§ 42f Abs. 1 EStG). Sie dient der Überwachung der dem Arbeitgeber im Rahmen der Lohnbesteuerung gesetzlich auferlegten Pflichten. Werden bei einer solchen Prüfung –ihrer Natur nach zwangsläufig– auch die steuerlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer (mit) überprüft, so geschieht dies nur insoweit, als die Entrichtungs-, Einbehaltungs- und Abführungspflicht des Arbeitgebers reicht.

Das Verfahren der Lohnsteuer-Außenprüfung beim Arbeitgeber und das Einkommensteuerveranlagungs- ebenso wie das Lohnsteuernachforderungsverfahren beim Steuerschuldner verfolgen unterschiedliche Ziele und betreffen jeweils andere Steuerrechtsverhältnisse. Ebenso wie das Veranlagungsverfahren hat auch das Lohnsteuer-Nachforderungsverfahren gegenüber dem Arbeitnehmer grundsätzlich von der materiell zutreffenden Steuer auszugehen. So kann der Arbeitnehmer gegen die Nachforderung einwenden, die Steuerschuld bestehe nicht oder nicht in der vom FA angenommenen Höhe. Er kann dazu alle bisher nicht berücksichtigten Ermäßigungsgründe, insbesondere Verluste aus anderen Einkunftsquellen, geltend machen.

 

Demgegenüber erstreckt sich die Lohnsteuer-Außenprüfung nur auf die zutreffende Einbehaltung oder Übernahme und richtige Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber (§ 42f Abs. 1 EStG). Hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer entsprechend den Lohnsteuerabzugsmerkmalen und nach den für das Streitjahr gültigen Lohnsteuertabellen zutreffend berechnet, hat er seinen steuerlichen Pflichten genügt und die Lohnsteuer vorschriftsmäßig einbehalten. Umstände, die die individuelle Steuerschuld des einzelnen Arbeitnehmers beeinflussen, hat er unberücksichtigt zu lassen, soweit diese auf der Lohnsteuerkarte oder bei der maschinellen Eingabe der Lohnsteuerabzugsmerkmale nicht erfasst worden sind. Dies gilt sowohl für Umstände, die zu Gunsten, wie für solche, die zu Lasten des Arbeitnehmers wirken. Aus den unterschiedlichen Zielen und verschiedenen Steuerrechtsverhältnissen des Lohnsteueranmeldungs- und Lohnsteuernachforderungsverfahrens folgt, dass die allein das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Finanzamt betreffende Lohnsteuer-Außenprüfung nur die Verjährung der aus diesem Rechtsverhältnis begründeten Haftungsansprüche gegen den Arbeitgeber hemmt, nicht hingegen die Verjährung des individuellen (Lohn)Steueranspruchs gegen den Arbeitnehmer.

Den von der Revision geforderten Gleichlauf der Festsetzungsfristen beim Steuerschuldner und dem Steuerentrichtungspflichtigen kennt die AO erst seit der Einführung des § 171 Abs. 15 AO durch das AmtshilfeRLUmsG. Die Vorschrift ist die rechtsprechungsbrechende Antwort des Gesetzgebers auf die (bis dahin unumstrittene) Rechtslage, dass der Ablauf der Steuerfestsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner nicht durch den Beginn einer Außenprüfung beim Entrichtungspflichtigen gehemmt wird (Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO Rz 107). Danach führen nunmehr auch Außenprüfungen beim Arbeitgeber zu einer Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist beim Steuerschuldner. Die Neuregelung geht auf einen Vorschlag des Finanzausschusses zum Jahressteuergesetz 2013 (BTDrucks 17/11190, 3) zurück. Sie gilt gemäß Art. 97 § 10 Abs. 11 des Einführungsgesetzes zur AO für alle am 30. Juni 2013 noch nicht abgelaufenen Festsetzungsfristen.

Nach diesen Maßstäben hat das FG zu Recht entschieden, dass die Klägerin gemäß § 191 Abs. 5 AO nicht mehr mit Bescheid vom 27. Dezember 2012 für Lohnsteuer des Jahres 2006 als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen werden konnte. Im Streitfall hat die Klägerin die Lohnsteuer-Anmeldungen für das Jahr 2006 –wenn auch ohne die geldwerten Vorteile für die Arbeitnehmer zu erfassen– fristgerecht am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums abgegeben. Die Festsetzungsfrist für die Lohnsteuer begann daher gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO für die Monate Januar bis November 2006 am 31. Dezember 2006 und für den Monat Dezember 2006 am 31. Dezember 2007 zu laufen. Sie endete nach Ablauf von vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) und damit am 31. Dezember 2010 bzw. 2011.

Werbungskosten des Arbeitnehmers aus Bürgschaftsverlusten

Erwerbsaufwand ist den Einkünften zuzurechnen, zu denen der engere und wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang besteht; dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass auch im Fall einer gegenwärtig ausgeübten Erwerbstätigkeit ein Erwerbsaufwand wirtschaftlich vorrangig durch eine zunächst nur angestrebte andere Erwerbstätigkeit veranlasst und dementsprechend dieser zuzurechnen ist (Klarstellung des BFH-Urteils vom 16. November 2011 VI R 97/10, BFHE 236, 61, BStBl II 2012, 343).

Eine solche Zurechnung setzt allerdings voraus, dass diese künftige Erwerbstätigkeit schon hinreichend konkret feststeht; nur dann kann zwischen dieser und dem Erwerbsaufwand auch ein hinreichend konkreter und objektiv feststellbarer Veranlassungszusammenhang bestehen, der eine entsprechende Zurechnung rechtfertigt.

Urteil vom 8.7.2015, VI R 77/14

Begründung:

Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Nach ständiger Rechtsprechung liegen solche Werbungskosten vor, wenn die Aufwendungen durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Das ist der Fall, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dies gilt, wie der Senat in einem vergleichbaren Fall mit Urteil vom 16. November 2011 VI R 97/10 (BFHE 236, 61, BStBl II 2012, 343) entschieden hat, auch für nachträgliche Werbungskosten. Diese können entstehen, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses Aufwendungen im Zusammenhang mit demselben erbringen muss. Dann muss schon in dem Zeitpunkt, in dem der Grund für die Aufwendungen gelegt wurde, der dargestellte berufliche Zusammenhang bestehen.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG sind Werbungskosten bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind. Stehen die Aufwendungen zu mehreren Einkunftsarten in einem wirtschaftlichen Zusammenhang, entscheidet nach ständiger Rechtsprechung der engere und wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang. Danach sind Aufwendungen der Einkunftsart zuzuordnen, die im Vordergrund steht und die die Beziehungen zu den anderen Einkünften verdrängt. Das entspricht den Rechtsgrundsätzen, die auch für die Frage heranzuziehen sind, ob eine Zuwendung des Arbeitgebers auf dem Arbeitsverhältnis oder auf anderen Rechtsbeziehungen gründet.

Diese Rechtsgrundsätze hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung in Bezug auf die Frage, ob Bürgschaftsverluste durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sind, konkretisiert. Danach spricht umso mehr für eine innere wirtschaftliche Verbindung zu den Einkünften aus Kapitalvermögen und damit für nachträgliche Anschaffungskosten der GmbH-Beteiligung, je höher die Beteiligung des Gesellschafter-Geschäftsführers ist. Denn ein fremder, nicht mit dem Arbeitgeber durch eine Kapitalbeteiligung verbundener Arbeitnehmer wird nur in Ausnahmefällen bereit sein, zugunsten seines offenbar gefährdeten Arbeitsplatzes das Risiko einer Bürgschaft zu übernehmen. Umgekehrt bedeutet dies zugleich, dass bei einem an der Gesellschaft in nur sehr geringem Umfang beteiligten Arbeitnehmer, der eine Bürgschaft für seinen Arbeitgeber übernimmt, dies als Indiz dafür gilt, dass diese Bürgschaftsübernahme durch das Arbeitsverhältnis veranlasst ist. Dies gilt erst recht, wenn der Arbeitnehmer an der Gesellschaft überhaupt nicht beteiligt ist und durch die Bürgschaftsübernahme –anders als etwa bei einem dem Arbeitgeber gewährten verzinslichen Darlehen– keine weiteren Einkünfte erzielt und dementsprechend damit ausschließlich seine Lohneinkünfte zu sichern und zu erhalten sucht.

Nichts anderes gilt im Grundsatz auch dann, wenn der Arbeitnehmer an seinem Arbeitgeber noch nicht gesellschaftsrechtlich beteiligt ist, aber eine solche Beteiligung anstrebt. Denn es ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass ein Erwerbsaufwand nicht durch eine schon tatsächlich gegebene und gegenwärtig ausgeübte Tätigkeit, sondern durch eine zunächst nur angestrebte andere Erwerbstätigkeit überwiegend veranlasst ist; solche Aufwendungen können als vorab entstandene (vorweggenommene) Werbungskosten abziehbar sein. Das setzt allerdings stets voraus, dass diese künftige Erwerbstätigkeit schon hinreichend konkret feststeht. Denn nur dann kann zwischen dieser Erwerbstätigkeit und den geltend gemachten Aufwendungen auch ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang bestehen und objektiv feststellbar sein, der den Werbungskostenabzug bei diesen künftigen Einkünften rechtfertigt. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Lohneinkünfte, sondern für alle Überschuss- und Gewinneinkunftsarten gleichermaßen.

Lässt sich ein solcher konkreter Veranlassungszusammenhang zu der erst künftigen Erwerbstätigkeit nicht feststellen, überwiegt indessen der wirtschaftliche Zusammenhang mit der gegenwärtigen tatsächlich ausgeübten Erwerbstätigkeit, sofern die Aufwendungen oder Besicherungsmaßnahmen des Steuerpflichtigen nicht ausnahmsweise privat motiviert sind. Danach führt der Umstand, dass die Aufwendungen bei der Einkunftsart, mit der sie in einem engeren Zusammenhang stehen, aus Rechtsgründen nicht abgezogen werden können, zu keiner davon abweichenden Beurteilung des Veranlassungszusammenhangs und davon abweichenden Zurechnung. Wenn allerdings die Übernahme der Bürgschaft –wie im dort entschiedenen Streitfall– im engeren Zusammenhang mit dem Beruf und der Arbeitnehmerstellung des Klägers steht, wird dieser von dem weiteren Veranlassungszusammenhang einer erst geplanten, aber nicht verwirklichten Gesellschafterstellung nicht verdrängt.