Kein Abzug von Aufwendungen für Kfz-Motorschaden eines Behinderten als außergewöhnliche Belastung

Reparaturaufwendungen als Folge eines verschleißbedingten Pkw-Motorschadens eines außergewöhnlich gehbehinderten Steuerpflichtigen sind keine außergewöhnlichen Belastungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG. Sie sind bereits mit dem zusätzlichen Pauschbetrag für private Pkw-Aufwendungen abgegolten.
BFH Beschluss vom 19.01.2017 – VI R 60/14 BFH/NV 2017, 571
Sachverhalt:
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und wurden im Streitjahr (2012) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger ist behindert. Der Grad der Behinderung betrug zunächst 50 und erhöhte sich ab April 2012 auf 80. Zusätzlich enthält der Schwerbehindertenausweis die Merkzeichen “G” und “aG” (außergewöhnliche Gehbehinderung). Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Im Streitjahr fuhr der Kläger einen X…, den er auch für die insgesamt 144 Fahrten zu der von seiner Wohnung fünf Kilometer entfernt liegenden Arbeitsstätte nutzte. Am Freitag, den 27. April 2012, hatte das Fahrzeug bei einem Kilometerstand von 76 453 während einer privat veranlassten Fahrt einen Motorschaden. Der Schaden wurde 2012 für insgesamt 10.737,58 EUR repariert. Die Herstellerfirma X erstattete dem Kläger dabei im Kulanzwege insgesamt 4.125,22 EUR der Reparaturaufwendungen.
Die ihm verbliebenen Aufwendungen in Höhe von 6.612,36 EUR machten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung zunächst als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) berücksichtigte die Aufwendungen nicht.
Begründung:
Außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 3 EStG sind anzunehmen, wenn dem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen erwachsen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands. Diese Aufwendungen sind, soweit sie die zumutbare Belastung übersteigen, auf Antrag vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen. Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Nach ständiger Rechtsprechung können außergewöhnlich gehbehinderte (Merkzeichen aG) Steuerpflichtige neben den Pauschbeträgen für Behinderte auch die Kfz-Aufwendungen für Privatfahrten in angemessenem Rahmen als außergewöhnliche Belastung geltend machen. Angemessen i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG sind Aufwendungen für Fahrten bis zu 15 000 km im Jahr und nur bis zur Höhe der Kilometerpauschbeträge, die in den Einkommensteuer-Richtlinien und Lohnsteuer-Richtlinien für den Abzug von Kfz-Kosten als Werbungskosten oder Betriebsausgaben festgelegt sind Damit sind sämtliche Mehraufwendungen eines Behinderten für Fahrten, die der allgemeinen Lebensführung einschließlich Freizeit- und Erholungszwecken dienen.
Etwaige Reparaturkosten für das Fahrzeug eines Behinderten sind demnach bereits mit diesem zusätzlichen Pauschbetrag im Rahmen der angemessenen Aufwendungen abgegolten.
Hiernach sind Reparaturkosten für das Fahrzeug eines Behinderten nicht zusätzlich neben den Kilometerpauschbeträgen abziehbar. Sie sind vielmehr in den Kilometerpauschbeträgen enthalten. Zwar hat die Rechtsprechung in “krassen Ausnahmefällen” einen höheren Abzug erwogen. Derartige außergewöhnliche Umstände hat die Rechtsprechung in Betracht gezogen, wenn der Behinderte wegen der Art seiner Behinderung auf ein besonderes Fahrzeug angewiesen ist, für das überdurchschnittlich hohe Aufwendungen erforderlich sind, oder er sein Kfz in außergewöhnlich geringem Umfang nutzt und deshalb pro gefahrenem Kilometer relativ hohe Aufwendungen zu tragen hat In einer älteren Entscheidung hat der BFH auch Unfallkosten als i.S. von § 33 EStG berü,cksichtigungsfähig angesehen, wenn die Unfallfahrt an sich angemessen war. Reparaturkosten auch größerer Art sind jedoch grundsätzlich nicht so außergewöhnlich, dass sie eine abweichende Schätzung der angemessenen behinderungsbedingten Kfz-Kosten für private Fahrten erfordern.
Überdies haben sich, , die gesellschaftlichen Verhältnisse seit Begründung der Rechtsprechung zum Abzug von Kfz-Aufwendungen gewandelt. Während im Jahr 1965 nur 9 267 000 PKW angemeldet waren, waren dies zum 1. Januar 2016 45,1 Mio. (Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt). Mittlerweile halten demnach die meisten Einkommensbezieher, auch die weniger verdienenden, ein privates Kfz und tragen die Aufwendungen dafür aus versteuertem Einkommen. Da bei außergewöhnlich Gehbehinderten sämtliche Kfz-Kosten bis zu einer Fahrleistung von 15 000 km, soweit sie nicht Werbungskosten oder Betriebsausgaben darstellen, als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen sind, werden bei diesem Personenkreis Fahrtaufwendungen steuermindernd berücksichtigt, die Nichtbehinderten ebenfalls entstehen, ohne sich aber steuerlich auszuwirken. Angesichts dessen ist überdies nicht ersichtlich, dass im Streitfall die als außergewöhnliche Belastung berücksichtigten Kfz-Kosten den an sich nur anzuerkennenden behinderungsbedingten Mehraufwand des Klägers nicht zutreffend erfassen. Ein krasser Ausnahmefall im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung liegt bei Reparaturaufwendungen als Folge eines verschleißbedingten Motorschadens nicht vor.