Entstehung eines Auflösungsverlusts gemäß § 17 Abs. 4 EStG bei nachträglichen Anschaffungskosten

Für die Ermittlung des maßgeblichen Zeitpunkts hinsichtlich des Entstehens eines Auflösungsverlusts ist maßgeblich, dass der gemeine Wert des dem Gesellschafter zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens einerseits und die Liquidations- und (nachträglichen) Anschaffungskosten des Gesellschafters andererseits im Wesentlichen feststehen.

Bei Auflösung der Gesellschaft infolge Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens kann die Möglichkeit einer Zuteilung oder Zurückzahlung von Restvermögen an die Gesellschafter im Zeitpunkt der Eröffnung regelmäßig noch nicht ausgeschlossen werden.

Dies ist bei Durchführung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens regelmäßig erst bei dessen Beendigung der Fall.

BFH Urteil vom 10.05.2016 –IX R 16/15

Sachverhalt:

Die Beteiligten streiten um den Zeitpunkt der Berücksichtigung eines Auflösungsverlusts nach § 17 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Begründng:

Zu Unrecht hat das FG den vom Kläger geltend gemachten Verlust aus der Auflösung der GmbH im Streitjahr unberücksichtigt gelassen. Es hat jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, in welcher Höhe die Verluste entstanden und steuerlich zu berücksichtigen sind.

Das FG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Höhe des Auflösungsverlusts habe für den Kläger bereits bei Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens im Jahr 1995 festgestanden. Der Kläger habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr mit Zuteilungen oder Rückzahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen rechnen können. Zudem habe auch der ihm entstandene Auflösungsverlust bereits im Jahr 1995 dem Grunde und der Höhe nach im Wesentlichen festgestanden.

  1. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn oder Verlust aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft, wenn der Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt war (§ 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG). Im Streitfall steht fest, dass der Kläger zu mehr als 1 % an der GmbH beteiligt war. Die GmbH war mit der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über ihr Vermögen aufgelöst (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung –GmbHG–, § 1 Abs. 4 Satz 1 der Gesamtvollstreckungsordnung –GesO–).

Die Ermittlung des Gewinns oder Verlusts aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft erfordert eine Stichtagsbewertung, die auf den Zeitpunkt der Entstehung des Gewinns oder Verlusts vorzunehmen ist. Maßgebend ist der Zeitpunkt, zu dem bei einer Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung der Gewinn oder Verlust realisiert wäre. Ein Gewinn ist erst in dem Jahr zu erfassen, in dem das auf die Beteiligung entfallende Vermögen der Gesellschaft verteilt wurde und mit einer wesentlichen Änderung des bereits feststehenden Verlusts nicht mehr zu rechnen ist.

Ein Auflösungsverlust steht fest, wenn der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens einerseits (§ 17 Abs. 4 Satz 2 EStG) und die Liquidations- und Anschaffungskosten des Gesellschafters andererseits (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG) feststehen. Gleiches gilt, wenn sicher ist, dass eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter ausscheidet und wenn die durch die Beteiligung veranlassten Aufwendungen feststehen. Die Frage ist aus der Sicht ex ante zu beurteilen; nachträgliche Ereignisse wie der tatsächliche Ausgang eines Insolvenzverfahrens sind nicht zu berücksichtigen.

Im Fall der Liquidation der Gesellschaft schließt der BFH eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter regelmäßig erst dann aus, wenn die Liquidation abgeschlossen ist. Nur ausnahmsweise kann dafür auf einen früheren Zeitpunkt abgestellt werden, etwa wenn die Eröffnung des Konkurs- oder Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist oder wenn aus anderen Gründen feststeht, dass die Gesellschaft bereits im Zeitpunkt des Auflösungsbeschlusses vermögenslos war. In diesen Fällen kann die Möglichkeit einer Zuteilung oder Zurückzahlung von Restvermögen an die Gesellschafter ausgeschlossen werden.

Zudem setzt die Entstehung eines Auflösungsverlusts weiter voraus, dass die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten feststeht. Es muss daher absehbar sein, ob und in welcher Höhe dem Gesellschafter noch nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG berücksichtigungsfähige Veräußerungs- oder Aufgabekosten entstehen. Insofern dürfen keine wesentlichen Änderungen mehr eintreten. Zu der Beurteilung der Vermögenslage auf der Ebene der Gesellschaft muss also die Beurteilung der Vermögenslage auf der Ebene des Gesellschafters hinzutreten. Hat der Gesamtvollstreckungsverwalter gegen den Gesellschafter eine zivilrechtliche Klage erhoben, die für den Gesellschafter im Fall seines Unterliegens zu weiteren nachträglichen Anschaffungskosten führt, ist sein Auflösungsverlust jedenfalls nicht vor Beendigung des Klageverfahrens realisiert.

Nach diesen Grundsätzen sind die vom Kläger geltend gemachten Verluste aus der Auflösung der GmbH im Streitjahr zu berücksichtigen. Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen nicht seine Entscheidung, der Auflösungsverlust sei bereits im Jahr 1995 entstanden. Die Voraussetzungen, unter denen ein Auflösungsverlust i.S. des § 17 Abs. 4 EStG ausnahmsweise bereits vor Beendigung des Gesamtvollstreckungsverfahrens entstanden ist, liegen nicht vor.

Dabei kann offenbleiben, ob das FG trotz Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangen konnte, dass bereits im Jahr 1995 festgestanden habe, dass mit einer Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an den Gesellschafter nicht mehr zu rechnen war.

Denn das FG geht auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen rechtsfehlerhaft davon aus, dass im Jahr 1995 bereits absehbar gewesen sei, ob und welcher Höhe dem Kläger in den Jahren danach noch nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige berücksichtigende Veräußerungs- oder Aufgabekosten entstehen werden. Der Sequester hatte das Verfahren ausdrücklich mit der Begründung eröffnet, Ansprüche gegen die Gesellschafter wegen fehlender Erbringung des Nennkapitals geltend zu machen. Zudem war aufgrund der Auseinandersetzungen über die Bürgschaftsinanspruchnahme die Höhe der daraus folgenden finanziellen Verpflichtungen für den Kläger unklar. Im Hinblick auf den Umstand, dass der Kläger beide Ansprüche nicht anerkannt hatte und daher seitens der Gläubiger der Rechtsweg beschritten werden musste, war im Jahr 1995 noch nicht endgültig absehbar, ob und ggf. in welcher Höhe noch weitere nachträgliche Anschaffungskosten anfallen würden. Somit kann ein Auflösungsverlust des Klägers jedenfalls nicht entstanden sein, solange über die Klagen des Gesamtvollstreckungsverwalters und des Fremdgläubigers und damit über die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten nicht entschieden war. Vielmehr stand erst im Jahr 2005 mit dem Abschlussbericht des Gesamtvollstreckungsverwalters fest, wie hoch die Aufwendungen des Klägers für die Beteiligung und damit die Höhe seiner nachträglichen Anschaffungskosten waren. Darüber hinaus war erst in diesem Zeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass keine sonstigen im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG berücksichtigungsfähige Aufgabekosten mehr entstehen würden.

Die Rechtsprechung des Senats, nach der Aufwendungen, die dem Gesellschafter nach Auflösung der Gesellschaft entstehen, rückwirkende Ereignisse i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) sein können, führt zu keinem anderen Ergebnis. Sie betrifft Aufwendungen, die bei der Ermittlung des Auflösungsverlusts noch nicht berücksichtigt werden konnten und deshalb in das Jahr der Entstehung dieses Verlusts zurückzubeziehen sind. Sie setzt voraus, dass der Stichtag, zu dem dieser Verlust nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung realisiert ist, bereits feststeht.

Da die Schlussfolgerungen des FG in seinen tatsächlichen Feststellungen keine Stütze finden, ist sein Urteil aufzuheben.

Die Sache ist nicht spruchreif. Von seinem Standpunkt aus zu Recht hat das FG keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Bürgschaftsverpflichtungen eigenkapitalersetzend waren sowie ob und wann und in welcher Höhe der Kläger Zahlungen auf die Bürgschaftsverpflichtungen geleistet hat. Zudem ist noch zu prüfen, ob der Kläger hinsichtlich der Bürgschaftsverpflichtungen mit der Gläubigerin eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder ggf. einen Teilerlass erreicht hat. Dies hat das FG nachzuholen.