Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftsteuer ist in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht in jeder Hinsicht mit der Verfassung vereinbar

Art. 3 Abs. 1 GG verleiht Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf verfassungsrechtliche Kontrolle steuerrechtlicher Regelungen, die Dritte gleichheitswidrig begünstigen, das eigene Steuerrechtsverhältnis aber nicht betreffen. Anderes gilt jedoch, wenn Steuervergünstigungen die gleichheitsgerechte Belastung durch die Steuer insgesamt in Frage stellen.

Im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG ist eine bundesgesetzliche Regelung nicht erst dann, wenn sie unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit ist. Es genügt vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber problematische Entwicklungen für die Rechts- und Wirtschaftseinheit erwarten darf. Ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gegeben sind, prüft das Bundesverfassungsgericht, wobei dem Gesetzgeber im Hinblick auf die zulässigen Zwecke einer bundesgesetzlichen Regelung und deren Erforderlichkeit im gesamtstaatlichen Interesse eine Einschätzungsprärogative zusteht.

Der Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber im Steuerrecht einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstands als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Abweichungen von der einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands). Sie bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes. Dabei steigen die Anforderungen an die Rechtfertigung mit Umfang und Ausmaß der Abweichung.

Die Verschonung von Erbschaftsteuer beim Übergang betrieblichen Vermögens in §§ 13a und 13b ErbStG ist angesichts ihres Ausmaßes und der eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

    1. Es liegt allerdings im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, kleine und mittelständische Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden, zur Sicherung ihres Bestands und damit auch zur Erhaltung der Arbeitsplätze von der Erbschaftsteuer weitgehend oder vollständig freizustellen. Für jedes Maß der Steuerverschonung benötigt der Gesetzgeber allerdings tragfähige Rechtfertigungsgründe.
    2. Die Privilegierung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens ist jedoch unverhältnismäßig, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen.
    3. Die Lohnsummenregelung ist im Grundsatz verfassungsgemäß; die Freistellung von der Mindestlohnsumme privilegiert aber den Erwerb von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten unverhältnismäßig.
    4. Die Regelung über das Verwaltungsvermögen ist nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, weil sie den Erwerb von begünstigtem Vermögen selbst dann uneingeschränkt verschont, wenn es bis zu 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht, ohne dass hierfür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliegt.

Ein Steuergesetz ist verfassungswidrig, wenn es Gestaltungen zulässt, mit denen Steuerentlastungen erzielt werden können, die es nicht bezweckt und die gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigen sind.

Bundesverfassungsgericht Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12

Begründung (Meldung Bundesverfassungsgericht):

Mit heute verkündetem Urteil hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts §§ 13a und 13b und § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer‑ und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) für verfassungswidrig erklärt. Die Vorschriften sind zunächst weiter anwendbar; der Gesetzgeber muss bis 30. Juni 2016 eine Neuregelung treffen. Zwar liegt es im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, kleine und mittlere Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden, zur Sicherung ihres Bestands und zur Erhaltung der Arbeitsplätze steuerlich zu begünstigen. Die Privilegierung betrieblichen Vermögens ist jedoch unverhältnismäßig, soweit sie über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen. Ebenfalls unverhältnismäßig sind die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Einhaltung einer Mindestlohnsumme und die Verschonung betrieblichen Vermögens mit einem Verwaltungsvermögensanteil bis zu 50 %. §§ 13a und 13b ErbStG sind auch insoweit verfassungswidrig, als sie Gestaltungen zulassen, die zu nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlungen führen. Die genannten Verfassungsverstöße haben zur Folge, dass die vorgelegten Regelungen insgesamt mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Die Entscheidung ist im Ergebnis und in der Begründung einstimmig ergangen; davon unberührt bleibt das von den Richtern Gaier und Masing sowie der Richterin Baer abgegebene Sondervotum.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist Miterbe des 2009 verstorbenen Erblassers. Der Nachlass setzte sich aus Guthaben bei Kreditinstituten und einem Steuererstattungsanspruch zusammen. Das Finanzamt setzte die Erbschaftsteuer mit einem Steuersatz von 30 % nach Steuerklasse II fest. Der Kläger macht geltend, die nur für das Jahr 2009 vorgesehene Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III sei verfassungswidrig. Einspruch und Klage, mit denen er eine Herabsetzung der Steuer erreichen wollte, blieben erfolglos. Im Revisionsverfahren hat der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 27. September 2012 dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 19 Abs. 1 ErbStG in der 2009 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist. Die Gleichstellung von Personen der Steuerklassen II und III in § 19 Abs. 1 ErbStG sei zwar verfassungsrechtlich hinzunehmen, jedoch sei diese Vorschrift in Verbindung mit den Steuervergünstigungen der §§ 13a und 13b ErbStG gleichheitswidrig. Ergänzend wird hierzu auf die Pressemitteilung Nr. 53/2014 vom 12. Juni 2014 verwiesen.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

  1. Die Vorlage des Bundesfinanzhofs ist im Wesentlichen zulässig. Art. 3 Abs. 1 GG verleiht Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf verfassungsrechtliche Kontrolle steuerrechtlicher Regelungen, die Dritte gleichheitswidrig begünstigen, das eigene Steuerrechtsverhältnis aber nicht betreffen. Anderes gilt jedoch, wenn Steuervergünstigungen die gleichheitsgerechte Belastung durch die Steuer insgesamt in Frage stellen. Für das Ausgangsverfahren kommt es zwar nicht unmittelbar auf die Auslegung und Anwendung der §§ 13a und 13b ErbStG an. Dennoch durfte der Bundesfinanzhof von ihrer Entscheidungserheblichkeit für das Ausgangsverfahren ausgehen. Die vom Bundesfinanzhof geltend gemachten Gleichheitsverstöße sind so erheblich, dass sie die erbschaftsteuerrechtliche Begünstigung für betriebliches Vermögen insgesamt erfassen; zudem ist die Privilegierung betrieblichen Vermögens in der Summe von solchem Gewicht, dass im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit die Besteuerung nichtbetrieblichen Vermögens davon nicht unberührt bleiben könnte.
  2. Für die vorgelegten Normen besteht eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG. Im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG ist eine bundesgesetzliche Regelung nicht erst dann, wenn sie unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit ist. Es genügt vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber problematische Entwicklungen für die Rechts- und Wirtschaftseinheit erwarten darf. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, prüft das Bundesverfassungsgericht, wobei dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative im Hinblick auf diese Bedingungen einer bundesgesetzlichen Regelung und deren Erforderlichkeit im gesamtstaatlichen Interesse zusteht. Im vorliegenden Fall durfte der Bundesgesetzgeber davon ausgehen, dass ohne bundesgesetzliche Regelung eine Rechtszersplitterung mit nicht unerheblichen Nachteilen für Erblasser und Erwerber betrieblichen Vermögens wie auch für die Finanzverwaltung zu befürchten wäre.
  3. Die erbschaftsteuerliche Begünstigung des Übergangs betrieblichen Vermögens verstößt in Teilen gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
  4. a) Der Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber im Steuerrecht einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstands als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Abweichungen von der einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich ebenfalls am Gleichheitssatz messen lassen. Sie bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, für den die Anforderungen an die Rechtfertigung mit Umfang und Ausmaß der Abweichung steigen.

Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, mit Hilfe des Steuerrechts außerfiskalische Förderziele zu verfolgen. Er verfügt über einen großen Spielraum bei der Einschätzung, welche Ziele er für förderungswürdig hält und welche Verschonungen von der Steuer er zur Erreichung dieser Ziele vorsieht. Allerdings bleibt er auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Je nach Intensität der Ungleichbehandlung kann dies zu einer strengeren Kontrolle der Förderziele durch das Bundesverfassungsgericht führen.

  1. b) Die Verschonungsregelung als solche ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, bedarf beim Übergang großer Unternehmensvermögen aber der Korrektur.
  2. aa) Die Verschonungsregelung führt zu Ungleichbehandlungen der Erwerber betrieblichen und nichtbetrieblichen Vermögens, die ein enormes Ausmaß erreichen können. Nach §§ 13a und 13b ErbStG bleiben 85 % oder 100 % des Wertes von Betriebsvermögen, von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und von bestimmten Anteilen an Kapitalgesellschaften außer Ansatz, wenn die im Gesetz hierfür vorgesehenen weiteren Voraussetzungen erfüllt werden. Hinzu kommen Abschläge gemäß § 13a Abs. 2 ErbStG sowie die generelle Anwendung der günstigeren Steuerklasse gemäß § 19a ErbStG.
  3. bb) Der Gesetzgeber unterliegt einer strengeren Kontrolle am Maßstab der Verhältnismäßigkeit, weil die Unterscheidung zwischen begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen nicht nur einen Randbereich erfasst, denn mehr als ein Drittel des in den Jahren 2009 bis 2012 unentgeltlich übertragenen Vermögens wurde über §§ 13a und 13b ErbStG von der Erbschaftsteuer befreit. Außerdem haben die Erwerber vielfach nur geringen Einfluss darauf, ob das ihnen geschenkte oder von ihnen ererbte Vermögen dem förderungswürdigen Vermögen zuzuordnen ist.
  4. cc) Die Verschonungsregelung soll vor allem Unternehmen schützen, die durch einen besonderen personalen Bezug des Erblassers oder des Erben zum Unternehmen geprägt sind, wie es für Familienunternehmen typisch ist. Steuerlich begünstigt werden soll ihr produktives Vermögen, um den Bestand des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze nicht durch steuerbedingte Liquiditätsprobleme zu gefährden. An der Legitimität dieser Zielsetzung bestehen aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Zweifel.
  5. dd) Die §§ 13a und 13b ErbStG sind geeignet und im Grundsatz auch erforderlich, um die mit ihnen verfolgten Ziele zu erreichen. Der Gesetzgeber verfügt insoweit über einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum. Vor diesem Hintergrund ist es ausreichend, dass er eine ernsthafte Gefahr von Liquiditätsproblemen bei der Besteuerung des unentgeltlichen Übergangs von Unternehmen vertretbar und plausibel diagnostiziert hat; eines empirischen Nachweises von Unternehmensgefährdungen nicht nur im Ausnahmefall bedarf es nicht. Die Verschonung von einer Bedürfnisprüfung abhängig zu machen, wäre schon deswegen nicht als milderes Mittel anzusehen, weil sie – insbesondere aufgrund von Bewertungsfragen – Erschwernisse bei der Erhebung der Erbschaftsteuer mit sich brächte. Auch die Stundung erwiese sich nicht als gleich wirksames milderes Mittel.
  6. ee) Die durch die Verschonungsregelung bewirkte Ungleichbehandlung ist im Grundsatz verhältnismäßig im engeren Sinne, auch soweit sie eine Steuerverschonung von 100% ermöglicht. Der Gesetzgeber ist weitgehend frei in seiner Entscheidung, welche Instrumente er dafür einsetzt, eine zielgenaue Förderung sicherzustellen. In Anbetracht des erheblichen Ausmaßes der Ungleichbehandlung stünde es nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang, eine umfassende Verschonung ohne jegliche Bedingungen zu gewähren.

Unverhältnismäßig ist die Privilegierung betrieblichen Vermögens, soweit sie über kleine und mittlere Unternehmen ohne eine Bedürfnisprüfung hinausgreift. Hier erreicht die Ungleichbehandlung schon wegen der Höhe der steuerbefreiten Beträge ein Maß, das ohne die konkrete Feststellung der Verschonungsbedürftigkeit des erworbenen Unternehmens mit einer gleichheitsgerechten Besteuerung nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, präzise und handhabbare Kriterien zur Bestimmung der Unternehmen festzulegen, für die eine Verschonung ohne Bedürfnisprüfung nicht mehr in Betracht kommt.

  1. c) Die Verschonungsregelung der §§ 13a und 13b ErbStG verstößt auch in Teilen ihrer Ausgestaltung gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
  2. aa) Nicht zu beanstanden ist allerdings die Festlegung der begünstigten Vermögensarten. Die Mindestbeteiligung von über 25 % bei Kapitalgesellschaften scheidet bloße Geldanlagen aus. Bei einer Beteiligung von über 25 % durfte der Gesetzgeber von einer unternehmerischen Einbindung des Anteilseigners in den Betrieb ausgehen; im Übrigen ist die Festlegung einer Mindestbeteiligung durch die Typisierungs- und Vereinfachungsbefugnis des Gesetzgebers gedeckt. Sie ist auch nicht verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, weil das Gesetz auf die Verhältnisse beim Erblasser abstellt und auf Erwerberseite kein personaler Einfluss auf das Unternehmen mehr vorhanden sein muss. Der Gesetzgeber darf an einer übergreifenden Systematik, die insgesamt gute Gründe hat, auch dort festhalten, wo auf andere Weise bessere Lösungen möglich sind.

Die generelle Begünstigung des Erwerbs von Anteilen an Personengesellschaften ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar. Sie findet ihre Grundlage in der unterschiedlichen zivilrechtlichen Behandlung des Vermögens von Personen- und Kapitalgesellschaften; der Gesetzgeber bewegt sich insoweit im Rahmen seines Einschätzungs- und Typisierungsspielraums. Auch bei land- und forstwirtschaftlichen Betrieben durfte der Gesetzgeber von einer unternehmerischen Einbindung jeglicher Beteiligung ausgehen; diese Betriebe werden zudem in besonders hohem Maße als Familienbetriebe ohne größere Kapitaldecke geführt.

  1. bb) Die Lohnsummenregelung ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, nicht jedoch die Freistellung von Betrieben mit nicht mehr als 20 Beschäftigten. Sie verfolgt das legitime Ziel, Arbeitsplätze zu erhalten. Die Entscheidung des Gesetzgebers für die Lohnsummenregelung anstelle einer strikten Bindung an den Erhalt der konkreten Arbeitsplätze liegt innerhalb seines Gestaltungsspielraums.

Die Freistellung von Betrieben mit nicht mehr als 20 Beschäftigten verstößt jedoch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Regelung verfolgt insbesondere das Ziel der Verwaltungsvereinfachung. Erwerber von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten werden jedoch unverhältnismäßig privilegiert. Nach den Ausführungen des Bundesfinanzhofs weisen weit über 90 % aller Betriebe in Deutschland nicht mehr als 20 Beschäftigte auf. Betriebe können daher fast flächendeckend die steuerliche Begünstigung ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen beanspruchen, obwohl der mit dem Nachweis und der Kontrolle der Mindestlohnsumme verbundene Verwaltungsaufwand nicht so hoch ist wie teilweise geltend gemacht wird. Die Grenze einer zulässigen Typisierung wird überschritten, da das Regel-Ausnahme-Verhältnis der gesetzgeberischen Entlastungsentscheidung faktisch in sein Gegenteil verkehrt wird. Sofern der Gesetzgeber an dem gegenwärtigen Verschonungskonzept festhält, wird er die Freistellung von der Lohnsummenpflicht auf Betriebe mit einigen wenigen Beschäftigten begrenzen müssen.

  1. cc) Die Behaltensfrist von fünf oder sieben Jahren ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, zumal sie durch Lohnsummenregelung und Verwaltungsvermögenstest angemessen ergänzt wird.
  2. dd) Die Regelung über das Verwaltungsvermögen ist nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Ziele des Gesetzgebers, nur produktives Vermögen zu fördern und Umgehungen durch steuerliche Gestaltung zu unterbinden, sind zwar legitim und auch angemessen. Dies gilt jedoch nicht, soweit begünstigtes Vermögen mit einem Anteil von bis zu 50 % Verwaltungsvermögen insgesamt in den Genuss der steuerlichen Privilegierung gelangt. Ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund für eine derart umfangreiche Einbeziehung von Vermögensbestandteilen, die das Gesetz eigentlich nicht als förderungswürdig ansieht, ist nicht erkennbar. Das Ziel, steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zu unterbinden, kann die Regelung kaum erreichen; im Gegenteil dürfte sie die Verlagerung von privatem in betriebliches Vermögen eher begünstigen. Auch ein spürbarer Verwaltungsvereinfachungseffekt ist nicht erkennbar, denn der Anteil des Verwaltungsvermögens ist auch für die Anwendung der 50 %-Regel zu ermitteln. Schließlich ist die Regelung nicht mit der Typisierung des § 13b Abs. 4 ErbStG in Einklang zu bringen, nach der jedes Unternehmen über nicht begünstigungsfähiges Verwaltungsvermögen im Umfang von 15 % des gesamten Betriebsvermögens verfügen soll.
  3. ee) Ein Steuergesetz ist verfassungswidrig, wenn es – über den atypischen Einzelfall hinaus – Gestaltungen zulässt, mit denen Steuerentlastungen erzielt werden können, die es nicht bezweckt und die gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigen sind. Dies ist der Fall bei Gestaltungen, welche die Lohnsummenpflicht durch Betriebsaufspaltungen umgehen, welche die 50 %-Regel in Konzernstrukturen nutzen und bei sogenannten Cash-Gesellschaften.

(1) Da bereits die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Pflicht zur Einhaltung der Mindestlohnsumme eine unverhältnismäßige Privilegierung darstellt, gilt dies erst recht für Gestaltungen, die die unentgeltliche Übertragung von Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten ohne Einhaltung der Lohnsummenvorschrift ermöglichen. Der Bundesfinanzhof führt als Gestaltungsbeispiel an, dass ein Betrieb mit mehr als 20 Beschäftigten in eine Besitzgesellschaft und eine Betriebsgesellschaft aufgespalten wird. Indem § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG es zulässt, dass die Bindung an die Lohnsumme auf diese Weise umgangen wird, verstößt er gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

(2) Da der Verwaltungsvermögenstest dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ folgt, ist die Beteiligung an einer Gesellschaft insgesamt nicht dem Verwaltungsvermögen zuzuordnen, wenn ihr Anteil an Verwaltungsvermögen 50 % oder weniger beträgt. Bei mehrstufigen Konzernstrukturen kann dies zu einem Kaskadeneffekt führen. Bei einer Beteiligung auf unterer Stufe mit einem Verwaltungsvermögen von bis zu 50 % entsteht dort insgesamt begünstigtes Vermögen, das auf der nächsthöheren Beteiligungsstufe vollständig als begünstigtes Vermögen gewertet wird, obwohl bei einer Gesamtbetrachtung des Konzerns der Verwaltungsvermögensanteil überwiegt. Indem die Vorschrift des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG solche Konzerngestaltungen zulässt, verstärkt sie den ohnehin bereits im Hinblick auf die Grundform der 50 %-Regel festgestellten Gleichheitsverstoß.

(3) Eine „Cash-GmbH“ ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Vermögen ausschließlich aus Geldforderungen besteht. Bis zum 7. Juni 2013 rechneten Geldforderungen nicht zum Verwaltungsvermögen. Für die steuerliche Privilegierung von Geldvermögen in einer ausschließlich vermögensverwaltenden „Cash-Gesellschaft“ sprechen offensichtlich keine Gründe von solchem Gewicht, dass sie eine vollständige und in der Höhe unbegrenzte Besserstellung gegenüber sonstigem nicht betrieblichem Geldvermögen oder sonstigem Verwaltungsvermögen tragen könnten.

  1. Die festgestellten Gleichheitsverstöße erfassen die §§ 13a und 13b ErbStG insgesamt; dies gilt für die Ursprungsfassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008 und alle Folgefassungen. Aufgrund der festgestellten Gleichheitsverstöße erweisen sich wichtige Elemente der §§ 13a und 13b ErbStG als verfassungswidrig. Ohne sie können die restlichen ‑ nicht beanstandeten ‑ Bestandteile nicht mehr sinnvoll angewandt werden. Auch § 19 Abs. 1 ErbStG, der die Besteuerung begünstigten wie nicht begünstigten Vermögens gleichermaßen betrifft, ist in der Verbindung mit §§ 13a und 13b ErbStG für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG zu erklären. Die genannten Normen gelten bis 30. Juni 2016 fort; der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Neuregelung zu treffen. Die Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen begründet keinen Vertrauensschutz gegenüber einer bis zur Urteilsverkündung rückwirkenden Neuregelung, die einer exzessiven Ausnutzung der gleichheitswidrigen §§ 13a und 13b ErbStG die Anerkennung versagt.

Abweichende Meinung der Richter Gaier und Masing sowie der Richterin Baer:

Wir stimmen der Entscheidung zu, sind aber der Ansicht, dass zu ihrer Begründung ein weiteres Element gehört: das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Es sichert die Entscheidung weiter ab und macht ihre Gerechtigkeitsdimension erst voll sichtbar. Die Erbschaftsteuer dient nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst. Dass hier auch in Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eine Herausforderung liegt, zeigt die Entwicklung der tatsächlichen Vermögensverteilung. Verwies schon Böckenförde in seinem Sondervotum zur Vermögensteuer für das Jahr 1993 darauf, dass 18,4 % der privaten Haushalte über 60 % des gesamten Nettogeldvermögens verfügten, lag dieser Anteil bereits im Jahr 2007 in den Händen von nur noch 10 %. Die Schaffung eines Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik ‑ nicht aber in ihrem Belieben. Wie der Senat schon für die Gleichheitsprüfung betont, belässt die Verfassung dem Gesetzgeber dabei einen weiten Spielraum. Aufgrund seiner Bindung an Art. 20 Abs. 1 GG ist er aber besonderen Rechtfertigungsanforderungen unterworfen, je mehr von dieser Belastung jene ausgenommen werden, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen leistungsfähiger sind als andere. Die in der Entscheidung entwickelten Maßgaben tragen dazu bei, dass Verschonungsregelungen nicht zur Anhäufung und Konzentration größter Vermögen in den Händen Weniger führen.

Wahlrecht auf rückwirkende Anwendung des ErbStG 2009

Das Wahlrecht nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG auf rückwirkende Anwendung des ErbStG 2009 auf Erwerbe von Todes wegen, für die die Steuer nach dem 31. Dezember 2006 und vor dem 1. Januar 2009 entstanden ist, konnte bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung, längstens bis einschließlich 30. Juni 2009 ausgeübt werden.

BFH  Beschluss vom 21.11.2012, II B 78/12

Begründung:

Nach diesen Maßstäben ist die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob es mit dem Sinn und Zweck des ErbStRG vereinbar ist, dass das Außerkrafttreten des Art. 3 ErbStRG am 1. Juli 2009 das Erlöschen des nach Abs. 1 dieser Vorschrift entstandenen Wahlrechts zur Folge haben kann, nicht klärungsbedürftig. Das in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG begründete Wahlrecht konnte, wovon auch das FG in dem angefochtenen Urteil ausgegangen ist, nur bis einschließlich 30. Juni 2009 ausgeübt werden. Dies ergibt sich aus dem Inhalt und dem Zweck der Regelung sowie der Gesetzesbegründung.

Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG kann ein Erwerber bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung beantragen, dass die durch dieses Gesetz geänderten Vorschriften des ErbStG 2009, mit Ausnahme des § 16 ErbStG 2009, und des Bewertungsgesetzes auf Erwerbe von Todes wegen anzuwenden sind, für die die Steuer nach dem 31. Dezember 2006 und vor dem 1. Januar 2009 entstanden ist. Ist die Steuer, die auf einen Erwerb von Todes wegen nach dem 31. Dezember 2006 und vor dem 1. Januar 2009 entstanden ist, vor dem 1. Januar 2009 festgesetzt worden, kann der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes gestellt werden; in diesem Fall kann die Steuerfestsetzung entsprechend geändert werden (Art. 3 Abs. 2 ErbStRG). Das Gesetz ist am 1. Januar 2009 in Kraft getreten (Art. 6 Abs. 1 ErbStRG). Art. 3 ErbStRG trat am 1. Juli 2009 außer Kraft (Art. 6 Abs. 3 ErbStRG).

Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass für das in Art. 3 Abs. 2 ErbStRG eingeräumte Antragsrecht, das Steuerfestsetzungen "vor" dem 1. Januar 2009 betrifft, die Antragsfrist von sechs Monaten nach Inkrafttreten des ErbStRG ausdrücklich in der Vorschrift aufgenommen ist, während für das Antragsrecht nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG eine entsprechende Bestimmung fehlt. Dennoch ergibt sich aus der von vornherein beschränkten zeitlichen Geltung des Art. 3 ErbStRG und der Gesetzesbegründung klar, dass auch die Ausübung des Antragsrechts nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG nur für den Zeitraum von sechs Monaten vom Inkrafttreten des ErbStRG bis zum Außerkrafttreten des Art. 3 ErbStRG ermöglicht werden sollte.

 

Bundesfinanzhof legt das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vor

Der BFH hält § 19 Abs. 1 i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG in der im Jahr 2009 geltenden Fassung wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) für verfassungswidrig, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen nicht durch ausreichende Sach- und Gemeinwohlgründe gerechtfertigt sind und einen verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang aufweisen. Die Verfassungsverstöße führen teils für sich allein, teils in ihrer Kumulation zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung, durch die Steuerpflichtige, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen können, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt werden.   

Die Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III im Jahr 2009 ist nicht verfassungswidrig.

BFH Entscheidung vom 27.9.2012, II R 9/11

Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 27. September 2012 II R 9/11 dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der im Jahr 2009 geltenden Fassung (ErbStG) i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG -) verfassungswidrig ist.

Dem Verfahren liegt die Besteuerung eines Erbanfalls im Jahre 2009 zugrunde. Der Kläger war zu 1/4 Miterbe seines Onkels. Im Nachlass befanden sich Guthaben bei Kreditinstituten und ein Steuererstattungsanspruch. Der Wert des auf den Kläger entfallenden Anteils am Nachlass belief sich auf 51.266 EUR. Unter Berücksichtigung eines Freibetrags von 20.000 EUR und eines Steuersatzes von 30 % setzte das Finanzamt Erbschaftsteuer in Höhe von 9.360 EUR fest.

Der BFH teilt nicht die Ansicht des Klägers, die auf Steuerentstehungszeitpunkte im Jahr 2009 beschränkte Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II (u.a. Geschwister, Neffen und Nichten) mit Personen der Steuerklasse III (fremde Dritte) sei verfassungswidrig (Rz. 69 bis 77). Nach Auffassung des BFH ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, Erwerber der Steuerklasse II besser zu stellen als Erwerber der Steuerklasse III. Art. 6 Abs. 1 GG beziehe sich nur auf die Familie als Gemeinschaft von Eltern und Kindern, nicht aber auf Familienmitglieder im weiteren Sinn wie etwa Geschwister oder Abkömmlinge von Geschwistern (Rz. 72).

Der BFH ist jedoch der Auffassung, dass § 19 Abs. 1 i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG in der auf den 1. Januar 2009 zurückwirkenden Fassung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22. Dezember 2009 deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoße, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgingen.

Im Einzelnen stützt der BFH seine Vorlage auf folgende Gesichtspunkte:

1. Die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften oder Anteilen daran stelle eine nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigte und damit verfassungswidrige Überprivilegierung dar (Rz. 82 bis 94). Es könne nicht unterstellt werden, dass die Erbschaftsteuer typischerweise die Betriebsfortführung gefährde (siehe Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim BMF 01/2012; Rz. 89 ff.); es gehe weit über das verfassungsrechtlich Gebotene und Zulässige hinaus, Betriebsvermögen ohne Rücksicht auf den Wert des Erwerbs und die Leistungsfähigkeit des Erwerbers freizustellen, und zwar auch dann, wenn die für eine Erbschaftsteuerzahlung erforderlichen liquiden Mittel vorhanden seien oder – ggf. im Rahmen einer Stundung der Steuer – ohne weiteres beschafft werden könnten (Rz. 87).

Der Begünstigungsgrund „Arbeitsplatzerhalt“ erweise sich als nicht tragfähig, weil weit mehr als 90 % aller Betriebe nicht mehr als 20 Beschäftigte hätten (Rz. 48) und schon deshalb nicht unter die „Arbeitsplatzklausel“ fielen und ferner das Gesetz Gestaltungen zulasse, die es in vielen Fällen auf einfache Art und Weise ermöglichten, dass es für die Gewährung des Verschonungsabschlags auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten im Ergebnis nicht auf die Entwicklung der Lohnsummen und somit auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen in dem Zeitraum nach dem Erwerb ankomme (Rz. 143 bis 148 mit Beispielen).

2. §§ 13a und 13b ErbStG wiesen ferner einen verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang auf (Rz. 95 bis 142). Sie ermöglichten es Steuerpflichtigen, durch rechtliche Gestaltungen nicht betriebsnotwendiges Vermögen, das den Begünstigungszweck nicht erfülle, in unbegrenzter Höhe ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung zu erwerben. Es unterliege weitgehend der Dispositionsfreiheit des Erblassers oder Schenkers, Vermögensgegenstände, die ihrer Natur nach im Rahmen der privaten Vermögensverwaltung gehalten würden, zu steuerbegünstigtem Betriebsvermögen zu machen (Rz. 97, 98). Die Bestimmungen hinsichtlich des sog. Verwaltungsvermögens (§ 13b Abs. 2 ErbStG) seien nicht geeignet, risikobehaftetes und deshalb zu begünstigendes Betriebsvermögen von weitgehend risikolosem und daher nicht begünstigungswürdigem Betriebsvermögen abzugrenzen, und widersprächen auch dem Folgerichtigkeitsgebot. So könne bei entsprechender Gestaltung der unschädliche Anteil des nicht begünstigungswürdigen Verwaltungsvermögens sowohl bei der Regelverschonung (85 % Befreiung) als auch bei der Optionsverschonung (100 % Befreiung) deutlich über 90 % des gesamten Betriebsvermögens betragen (Rz. 104 bis 116 mit Beispielen in Rz. 105 ff. und Rz. 113 ff.). Ferner gehörten Geldforderungen wie etwa Sichteinlagen, Sparanlagen und Festgeldkonten bei Kreditinstituten nicht zum Verwaltungsvermögen, sodass ein Anteil an einer GmbH oder GmbH und Co. KG, deren Vermögen ausschließlich aus solchen Forderungen bestehe (z.B. sog. "Cash-GmbH), durch freigebige Zuwendung oder von Todes wegen erworben werden könne, ohne dass Erbschaftsteuer anfalle (Rz. 117 bis 130).

3. Die zusätzlich zu den Freibeträgen des § 16 ErbStG anwendbaren Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG zusammen mit zahlreichen anderen Verschonungen führten dazu, dass die Steuerbefreiung die Regel und die tatsächliche Besteuerung die Ausnahme sei (Rz. 149 bis 156).

Die Verfassungsverstöße führten – so der BFH – teils für sich allein, teils in ihrer Kumulation zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung, durch die diejenigen Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen könnten, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt würden.

Erbschaftsteuer; Berechnung des Zehnjahreszeitraums des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG

Der für die Berücksichtigung von Vorerwerben maßgebliche Zehnjahreszeitraum des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist rückwärts zu berechnen. Dabei ist der Tag des letzten Erwerbs mitzuzählen.

Bei der Berechnung des Zehnjahreszeitraums des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist § 108 Abs. 3 AO nicht anzuwenden.

BFH Urteil vom 28.3.2012, II R 43/11

Begründung:

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG werden mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile in der Weise zusammengerechnet, dass dem letzten Erwerb die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert zugerechnet werden. Durch diese Regelung soll gewährleistet werden, dass die Freibeträge innerhalb des zehnjährigen Zusammenrechnungszeitraums nur einmal angewendet werden und sich für mehrere Erwerbe gegenüber einer einheitlichen Zuwendung in gleicher Höhe kein Progressionsvorteil ergibt. Die einzelnen Erwerbe bleiben jedoch selbständige steuerpflichtige Vorgänge, die jeweils für sich der Steuer unterliegen. Dabei ordnet § 14 Abs. 1 ErbStG für den jeweils letzten Erwerb innerhalb des Zehnjahreszeitraums eine besondere Steuerberechnung an.

Der Zehnjahreszeitraum des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist ausgehend vom letzten Erwerb rückwärts zu berechnen. § 14 ErbStG regelt die Besteuerung des Letzterwerbs, wenn der Erwerber mehrere Vermögensvorteile "innerhalb von zehn Jahren" erlangt hat. Dieser Zeitraum ist entsprechend § 187 Abs. 2 und § 188 Abs. 2 Alternative 2 BGB zu berechnen. Der Letzterwerb ist nach dem Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG kein Ereignis i.S. des § 187 Abs. 1 BGB. Die Einstufung als Ereignis würde dazu führen, den Tag des Letzterwerbs bei der Fristberechnung außer Betracht zu lassen. Dem würde aber widersprechen, dass die Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG voraussetzt, dass Letzterwerb und Vorerwerb "innerhalb" des Zehnjahreszeitraums liegen. Deshalb umfasst die Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG den Tag der Steuerentstehung des letzten Erwerbs. Bei der Berechnung des Zehnjahreszeitraums kommt es nicht auf die genaue Uhrzeit der Erwerbe an; abzustellen ist vielmehr auf volle Kalendertage. Der Zehnjahreszeitraum beginnt demnach –wegen der Rückwärtsberechnung– mit dem Ende des Tages, an dem der letzte Erwerb erfolgt ist.

Das Ende des Zehnjahreszeitraums bestimmt sich analog § 188 Abs. 2 Alternative 2 BGB. Danach endet die Frist in den Fällen des § 187 Abs. 2 BGB mit dem Beginn desjenigen Tages des letzten Monats der Frist, welcher dem Tage nachfolgt, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht. Im Streitfall ist der Wert des Erwerbs vom 31. Dezember 1998 bei der Berechnung der Schenkungsteuer für den Erwerb vom 31. Dezember 2008 nicht zu berücksichtigen.

 

BFH prüft Verfassungsmäßigkeit der ab 1. Januar 2009 geltenden Erbschaftsteuer

Das BMF wird aufgefordert, dem Verfahren beizutreten. Im Streitfall geht es um die Fragen,

ob die auf Steuerentstehungszeitpunkte im Jahr 2009 beschränkte Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III verfassungsgemäß ist und

ob § 19 Abs. 1 i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt, weil die §§ 13a und 13b ErbStG es ermöglichen, durch bloße Wahl bestimmter Gestaltungen die Steuerfreiheit des Erwerbs von Vermögen gleich welcher Art und unabhängig von dessen Zusammensetzung und Bedeutung für das Gemeinwohl zu erreichen.

BFH Beschluss vom 5.10.2011, II R 9/11

 Erläuterung (BFH):

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 5. Oktober 2011 das Bundesministerium der Finanzen aufgefordert, dem Verfahren II R 9/11 beizutreten.

Dem Verfahren liegt die Besteuerung eines Erbanfalls im Jahre 2009 zugrunde. Der Kläger war zu 1/4 Miterbe seines Onkels. Im Nachlass befanden sich Guthaben bei Kreditinstituten und ein Steuererstattungsanspruch. Der Wert des auf den Kläger entfallenden Anteils am Nachlass belief sich auf 51.266 EUR. Unter Berücksichtigung eines Freibetrags von 20.000 EUR und eines Steuersatzes von 30 % setzte das Finanzamt Erbschaftsteuer in Höhe von 9.360 EUR fest.

In dem Verfahren muss entschieden werden,

ob die auf Steuerentstehungszeitpunkte im Jahr 2009 beschränkte Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II (u.a. Geschwister, Neffen und Nichten) mit Personen der Steuerklasse III (fremde Dritte) verfassungsgemäß ist und

ob § 19 Abs. 1 i.V.m. §§ 13a und 13b des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in der auf den 1. Januar 2009 zurückwirkenden Fassung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22. Dezember 2009 deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt, weil die §§ 13a und 13b ErbStG es ermöglichen, durch bloße Wahl bestimmter Gestaltungen (gewerblich geprägte Personengesellschaft; Kapitalgesellschaft) die Steuerfreiheit des Erwerbs von Vermögen gleich welcher Art und unabhängig von dessen Zusammensetzung und Bedeutung für das Gemeinwohl zu erreichen.

Auswirkungen der Kapitalverkehrsfreiheit auf die Erbschaftsteuer beim Erwerb eines Anteils an einer kanadischen Kapitalgesellschaft

Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 56 Abs. 1 EG i.V.m. Art. 58 EG dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaates entgegensteht, die für die Berechnung der Erbschaftsteuer auf einen Nachlass vorsieht, dass die zum Privatvermögen gehörende Beteiligung als Alleingesellschafter an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Kanada mit dem vollen Wert angesetzt wird, während beim Erwerb eines derartigen Anteils an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland ein gegenstandsbezogener Freibetrag gewährt und der verbliebene Wert lediglich in Höhe von 65 v.H. berücksichtigt wird?

BFH Entscheidung vom 15.12.2010, II R 63/09

Erläuterungen:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 15. Dezember 2010 II R 63/09 den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Klärung gemeinschaftsrechtlicher Fragen angerufen, die den Ausschluss des in einem Drittstaat befindlichen Betriebsvermögens von erbschaftsteuerrechtlichen Begünstigungen für inländisches Betriebsvermögen betreffen.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist die Alleinerbin ihres 2007 verstorbenen Vaters. Zum Nachlass gehörte u.a. eine Beteiligung des Vaters als Alleingesellschafter an einer kanadischen Kapitalgesellschaft. Das Finanzamt (FA) setzte Erbschaftsteuer ohne Berücksichtigung der für Anteile an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland in § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 des Erbschaftsteuergesetzes (Fassung 2007) ErbStG vorgesehenen Begünstigungen (Freibetrag 225.000 € und verminderter Wertansatz von 65%) fest.

Die steuerliche Behandlung von Erbschaften fällt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH unabhängig von der Art und Zusammensetzung des übergehenden Vermögens unter die Vertragsbestimmungen über den Kapitalverkehr. Danach liegt ein Verstoß gegen die Freiheit des Kapitalverkehrs vor, wenn Steuervergünstigungen auf Erbschaften nur für Inlands-, nicht jedoch für Auslandsvermögen gewährt werden. Im Hinblick darauf sprechen nach Ansicht des BFH gute Gründe dafür, dass eine Erbschaft auch insoweit in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fällt, als sich darin Anteile an einer ausländischen Kapitalgesellschaft befinden. Dies ist auf Ersuchen des BFH vom EuGH bereits für Betriebsvermögen im EU-Ausland so entschieden worden (EuGH-Urteil vom 17. Januar 2008 C 256/06, Jäger, Slg. 2008, I 123, BFH/NV Beilage 2 2008, 120). Dem hat der Gesetzgeber im Rahmen der Neuregelung der erbschaftsteuerrechtlichen Betriebsvermögensbegünstigungen ab 2009 Rechnung getragen. Anteile an einer Kapitalgesellschaft, die Sitz oder Geschäftsleitung weder im Inland noch in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums hat, gehören aber weiterhin nicht zum begünstigten (Betriebs-)Vermögen.

Der BFH ist nunmehr der Auffassung, dass Art. 56 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) in gleicher Weise auch für Betriebsvermögen in Drittstaaten gelten müsse. Denn nach Art. 56 Abs. 1 EG sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.

Ob dieser Rechtsstandpunkt zutrifft, kann aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des EuGH nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilt werden und bedarf daher der Klärung durch den EuGH.

 

Erbschaftsteuerrechtliche Folgen einer Pensionszusage an eine Gesellschafter-Witwe – Sondervergütungen einer Personengesellschaft

Der Pensionsanspruch, den die Witwe des persönlich haftenden Gesellschafters einer Personenhandelsgesellschaft mit dessen Ableben aufgrund einer dem Gesellschafter erteilten Pensionszusage der Gesellschaft erwarb, war erbschaftsteuerrechtlich als Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter-Witwe mit dem Steuerbilanzwert nach § 109 Abs. 1 BewG vor 2009 anzusetzen .

Maßgebend war der Steuerbilanzwert, der in einer auf den Zeitpunkt des Todes des Gesellschafters erstellten Sonderbilanz der Gesellschafter-Witwe korrespondierend zu einer ertragsteuerrechtlich zulässigen Rückstellung in der Zwischenbilanz der Gesellschaft auf den gleichen Stichtag enthalten war oder in einer Sonderbilanz auszuweisen gewesen wäre .

Bei der Berechnung der fiktiven Zugewinnausgleichsforderung nach § 5 Abs. 1 ErbStG vor 2009 war der Pensionsanspruch als ein zivilrechtlich dem Versorgungsausgleich unterliegender Anspruch nicht zu berücksichtigen

BFH Urteil vom 5.5.2010, II R 16/08

Kein Erlass der Erbschaftsteuer bei Veräußerung oder Aufgabe des steuerbegünstigt erworbenen Betriebsvermögens im Falle einer Insolvenz

Der Wegfall der Vergünstigungen nach § 13a Abs. 5 ErbStG a.F. infolge einer insolvenzbedingten Veräußerung des Betriebsvermögens ist kein sachlicher Grund für einen Erlass gemäß § 227 AO.

BFH Urteil vom 4. Februar 2010 II R 25/08

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 4. Februar 2010 II R 25/08 entschieden, dass Erbschaftsteuer nicht zu erlassen ist, wenn geerbtes Betriebsvermögen, für das dem Erben beim Erbfall ein Freibetrag und ein verminderter Wertansatz gewährt wurden, innerhalb von fünf Jahren nach dem Erbfall aufgrund einer Insolvenz veräußert oder aufgegeben wird. Die erbschaftsteuerrechtlichen Vergünstigungen bleiben dem Erben nur dann erhalten, wenn er den Betrieb mindestens fünf Jahre fortführt. Kann der Erbe dies nicht, weil über das Betriebsvermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet und in der Folge der Betrieb veräußert oder aufgegeben wird, muss er die für seinen Erwerb anfallende Erbschaftsteuer zahlen. Der Erbe kann sich nicht darauf berufen, dass die Insolvenz den Wegfall der erbschaftsteuerrechtlichen Vergünstigungen verursacht hat.

Eintragung in das Handelsregister als Voraussetzung für die Beurteilung einer GmbH

Eine in Gründung befindliche GmbH & Co. KG, an der eine natürliche Person beteiligt ist und die kein Handelsgewerbe betreibt, kann bei der Anwendung des § 13a ErbStG nicht vor ihrer Eintragung in das Handelsregister als gewerblich geprägte Personengesellschaft beurteilt werden.,

BFH Urteil vom 4. Februar 2009 II R 41/07,

Begründung:

Als Gewerbebetrieb gilt nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG in vollem Umfang auch die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit einer Personengesellschaft, die keine Tätigkeit i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ausübt und bei der ausschließlich eine oder mehrere Kapitalgesellschaften persönlich haftende Gesellschafter sind und nur diese oder Personen, die nicht Gesellschafter sind, zur Geschäftsführung befugt sind (gewerblich geprägte Personengesellschaft). Ist an einer Personengesellschaft auch eine natürliche Person beteiligt, die für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich, d.h. nicht nur mit ihrer Beteiligung am Gesellschaftsvermögen bzw. bis zur Höhe der vereinbarten Einlage, sondern auch mit ihrem übrigen Vermögen haftet, liegt keine gewerblich geprägte Personengesellschaft vor.

Die M GmbH & Co. KG war bei der mit dem Tode der Erblasserin eingetretenen Entstehung der Steuer (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) als dem maßgeblichen Stichtag (§ 11 ErbStG) keine gewerblich geprägte Personengesellschaft, da zu diesem Zeitpunkt sowohl die GmbH als auch die KG noch nicht in das Handelsregister eingetragen waren und deshalb die Erblasserin für die Verbindlichkeiten der KG persönlich haftete.