EuGH-Vorlage zur Sollbesteuerung

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 63 MwStSystRL unter Berücksichtigung der dem Steuerpflichtigen zukommenden Aufgabe als Steuereinnehmer für den Fiskus einschränkend dahingehend auszulegen, dass der für die Leistung zu vereinnahmende Betrag
a) fällig ist oder
b) zumindest unbedingt geschuldet wird?

2. Bei Verneinung der ersten Frage: Ist der Steuerpflichtige verpflichtet, die für die Leistung geschuldete Steuer für einen Zeitraum von zwei Jahren vorzufinanzieren, wenn er die Vergütung für seine Leistung (teilweise) erst zwei Jahre nach Entstehung des Steuertatbestands erhalten kann?

3. Bei Bejahung der zweiten Frage: Sind die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der ihnen nach Artikel 90 Absatz 2 MwStSystRL zustehenden Befugnisse berechtigt, bereits für den Besteuerungszeitraum der Steuerentstehung von einer Berichtigung nach Artikel 90 Absatz 1 MwStSystRL auszugehen, wenn der Steuerpflichtige den zu vereinnahmenden Betrag mangels Fälligkeit erst zwei Jahre nach Eintritt des Steuertatbestands vereinnahmen kann?
BFH Beschluss (EuGH-Vorlage) vom 21.6.2017, V R 51/16

Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) zweifelt an der bislang uneingeschränkt angenommenen Pflicht zur Vorfinanzierung der Umsatzsteuer durch den zur Sollbesteuerung verpflichteten Unternehmer und am Ausschluss des ermäßigten Steuersatzes bei der Überlassung von Ferienwohnungen im Rahmen der sog. Margenbesteuerung. Er hat daher in zwei Revisionsverfahren durch Beschlüsse vom 21. Juni 2017 V R 51/16 und vom 3. August 2017 V R 60/16 Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet.
Im ersten Verfahren (V R 51/16) geht es um eine Klägerin, die im bezahlten Fußball als Spielervermittlerin tätig war. Sie unterlag der sog. Sollbesteuerung, bei der der Unternehmer die Umsatzsteuer bereits mit der Leistungserbringung unabhängig von der Entgeltvereinnahmung zu versteuern hat. Bei der Vermittlung von Profifußballspielern erhielt sie Provisionszahlungen von den aufnehmenden Fußballvereinen. Der Vergütungsanspruch für die Vermittlung setzte dem Grunde nach voraus, dass der Spieler beim neuen Verein einen Arbeitsvertrag unterschrieb und die DFL-GmbH als Lizenzgeber dem Spieler eine Spielerlaubnis erteilte. Die Provisionszahlungen waren in Raten verteilt auf die Laufzeit des Arbeitsvertrages zu leisten, wobei die Fälligkeit und das Bestehen der einzelnen Ratenansprüche unter der Bedingung des Fortbestehens des Arbeitsvertrages zwischen Verein und Spieler standen. Das Finanzamt (FA) ging davon aus, dass die Klägerin ihre im Streitjahr 2012 erbrachten Vermittlungsleistungen auch insoweit bereits in 2012 zu versteuern habe, als sie Entgeltbestandteile für die Vermittlungen vertragsgemäß erst im Jahr 2015 beanspruchen konnte.

Die Sichtweise des FA entspricht einer jahrzehntelang geübten Besteuerungspraxis. Der BFH bezweifelt jetzt aber, ob dies mit den bindenden Vorgaben des Unionsrechts, der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, vereinbar ist. Auf seine Vorlage soll der EuGH insbesondere entscheiden, ob der Steuerpflichtige verpflichtet ist, die für die Leistung geschuldete Steuer für einen Zeitraum von zwei Jahren vorzufinanzieren, wenn er die Vergütung für seine Leistung (teilweise) erst zwei Jahre nach Entstehung des Steuertatbestands erhalten kann.
Die dem EuGH in dieser Rechtssache vorgelegten Fragen sind von erheblicher Praxisbedeutung. Sie beziehen sich in erster Linie auf bedingte Vergütungsansprüche, können aber auch bei befristeten Zahlungsansprüchen wie etwa beim Ratenverkauf im Einzelhandel oder bei einzelnen Formen des Leasings von Bedeutung sein. Auch hier besteht nach gegenwärtiger Praxis für den der Sollbesteuerung unterliegenden Unternehmer die Pflicht, die Umsatzsteuer für die Warenlieferung bereits mit der Übergabe der Ware vollständig abführen zu müssen. Dies gilt nach bisheriger Praxis auch dann, wenn er einzelne Ratenzahlungen erst über eine Laufzeit von mehreren Jahren vereinnahmen kann.