Unionsrecht und Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter im Drittstaatenfall

Leitsatz
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 57 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 64 Abs. 1 AEUV) dahin auszulegen, dass eine zum 31. Dezember 1993 im Zusammenhang mit Direktinvestitionen bestehende Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern durch einen Mitgliedstaat auch dann nicht von Art. 56 EG (jetzt: Art. 63 AEUV) berührt wird, wenn die zum Stichtag bestehende, den Kapitalverkehr mit dritten Ländern beschränkende einzelstaatliche Rechtsvorschrift im Wesentlichen nur für Direktinvestitionen galt, aber nach dem Stichtag dahin erweitert worden ist, dass sie auch Portfoliobeteiligungen an ausländischen Gesellschaften unterhalb der Beteiligungsschwelle von 10 % erfasst?

Falls die erste Frage zu bejahen ist: Ist Art. 57 Abs. 1 EG dahin auszulegen, dass es als Anwendung einer am Stichtag 31. Dezember 1993 bestehenden einzelstaatlichen Rechtsvorschrift zur Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern in Zusammenhang mit Direktinvestitionen anzusehen ist, wenn eine der am Stichtag bestehenden Beschränkung im Wesentlichen entsprechende spätere Rechtsvorschrift zur Anwendung kommt, die zum Stichtag bestehende Beschränkung jedoch nach dem Stichtag aufgrund eines Gesetzes kurzzeitig wesentlich verändert worden ist, welches zwar rechtlich in Kraft getreten, in der Praxis aber nie zur Anwendung gekommen ist, weil es noch vor dem Zeitpunkt seiner erstmaligen Anwendbarkeit auf einen Einzelfall durch die jetzt zur Anwendung kommende Rechtsvorschrift ersetzt worden ist?

Falls eine der ersten beiden Fragen zu verneinen ist: Steht Art. 56 EG einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der in die Steuerbemessungsgrundlage eines in jenem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen, der an einer in einem anderen Staat (hier: Schweiz) ansässigen Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt ist, die von dieser Gesellschaft erzielten positiven Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter anteilig in Höhe der jeweiligen Beteiligungsquote einbezogen werden, wenn diese Einkünfte einem niedrigeren Besteuerungsniveau als im erstgenannten Staat unterliegen?

BFH Beschluss vom 12.10.2016 I R 80/14

Begründung:
Der Bundesfinanzhof (BFH) sieht es als zweifelhaft an, ob die sog. Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter in Drittstaatensachverhalten vollständig mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Der BFH hat daher in einem Verfahren zu einer Zwischengesellschaft mit Sitz in der Schweiz den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) angerufen (Beschluss vom 12. Oktober 2016 I R 80/14). Die nunmehr vom EuGH zu klärende Streitfrage kann allgemein für Beteiligungen an Gesellschaften mit Sitz außerhalb der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) von Bedeutung sein.

Mithilfe der Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz (AStG) versucht der deutsche Fiskus, Gewinnverlagerungen in das niedriger besteuernde Ausland entgegenzuwirken. Bestimmte Einkünfte (“Zwischeneinkünfte”) von Auslandsgesellschaften (“Zwischengesellschaften”), an denen in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) unbeschränkt Steuerpflichtige beteiligt sind und die in ihren Sitzstaaten mit geringeren Ertragsteuersätzen als 25 % besteuert werden, werden unter bestimmten Voraussetzungen den in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern anteilig zugerechnet und bei diesen ähnlich Gewinnausschüttungen besteuert, ohne dass es darauf ankommt, ob die Gesellschafter tatsächlich Gewinnausschüttungen erhalten haben oder nicht.
In dem vom BFH zu entscheidenden Fall war eine deutsche GmbH zu 30 % an einer Schweizer AG beteiligt. Diese erzielte Einkünfte aus abgetretenen Geldforderungen, die vom Finanzamt zu Lasten der GmbH als Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfen wurden.
Der EuGH hat hinsichtlich einer vergleichbaren britischen Regelung im Jahr 2006 entschieden, dass eine Hinzurechnungsbesteuerung nur dann mit der unionsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, wenn der Steuerpflichtige die Besteuerung durch den Nachweis abwenden kann, dass es sich bei der Beteiligung an der Zwischengesellschaft nicht um eine rein künstliche Gestaltung handelt, die nur dazu dient, den höheren inländischen Steuersätzen zu entgehen (sog. Motivtest). Den deutschen Gesetzgeber hat die EuGH-Rechtsprechung dazu bewogen, für Beteiligungen an Zwischengesellschaften aus EU- und EWR-Staaten ab dem Jahr 2008 eine Entlastungsmöglichkeit durch einen Motivtest gesetzlich zu verankern (§ 8 Abs. 2 AStG).
Für in Drittstaaten wie der Schweiz ansässige Zwischengesellschaften gibt es jedoch keine vergleichbare Entlastungsmöglichkeit. Dies könnte nach Auffassung des BFH gegen die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen, die – anders als die Niederlassungsfreiheit – grundsätzlich auch im Verkehr mit Drittstaaten geschützt ist.