. Feststellung der fehlenden Freizügigkeit von Unionsbürgern nur durch die Ausländerbehörden

Die Feststellung der fehlenden Freizügigkeit obliegt –auch hinsichtlich der Kindergeldfestsetzung– allein den Ausländerbehörden und den Verwaltungsgerichten, nicht jedoch den Familienkassen. Erst nach einer Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlustes des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU benötigt der Unionsbürger gemäß § 11 Abs. 2 FreizügG/EU einen Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz, will er sich weiterhin legal in Deutschland aufhalten und Kindergeld beanspruchen.

BFH Urteil vom 15.3.2017, III R 32/15

Begründung (BFH):
Bei der Gewährung von Kindergeld haben die Familienkassen die hierfür erforderliche Freizügigkeit ausländischer Unionsbürger zu unterstellen. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 15. März 2017 III R 32/15 entschieden hat, obliegt die Feststellung der fehlenden Freizügigkeit, die den Kindergeldanspruch ausschließen kann, nur den Ausländerbehörden. Die Familienkassen haben insoweit kein eigenes Prüfungsrecht.
Nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer erhalten Kindergeld nur, wenn sie über bestimmte Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz verfügen. Da die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Bürgern “neuer” Mitgliedstaaten wie etwa im Fall von Bulgarien und Rumänien für eine Übergangszeit beschränkt war, war zu entscheiden, ob Zweifel an der Freizügigkeitsberechtigung den Kindergeldanspruch ausschließen.
Der Kläger, bulgarischer Staatsbürger, wohnt seit März 2010 mit seiner Tochter in Berlin. In seinem Antrag auf Gewährung von Kindergeld teilte er mit, er sei nicht erwerbstätig und auch nicht in der Bundesrepublik Deutschland sozialversichert, sondern werde von seiner Schwiegermutter unterhalten. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab und setzte Kindergeld erst ab Mai 2012 fest, nachdem der Kläger eine Freizügigkeitsbescheinigung erhalten hatte.
Das Finanzgericht wies die Klage ab, weil das Freizügigkeitsrecht des Klägers im Hinblick auf den Kindergeldanspruch nicht unterstellt werden könne.
Der BFH gab dagegen der Klage statt. Er entschied, dass bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen unabhängig von der für sie bis zum 31. Dezember 2013 eingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit ein allein aus der Unionsbürgerschaft folgendes Freizügigkeitsrecht zusteht. Dieses Recht entfällt nur durch eine Feststellung der fehlenden Freizügigkeit durch die zuständige Ausländerbehörde (§ 5 Abs. 5, § 6 und § 7 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern). Die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit besteht zudem auch nach deutschem Recht nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für niedergelassene selbständige Erwerbstätige, Empfänger von Dienstleistungen, Familienangehörige usw. Die förmliche Feststellung der fehlenden Freizügigkeit obliegt dabei allein den Ausländerbehörden.

Masterstudium als Teil der Erstausbildung

Ein Masterstudium ist jedenfalls dann Teil einer einheitlichen Erstausbildung, wenn es zeitlich und inhaltlich auf den vorangegangenen Bachelorstudiengang abgestimmt ist und das –von den Eltern und dem Kind– bestimmte Berufsziel erst darüber erreicht werden kann.

BFH Urteil vom 3.9.2015, VI R 9/15

Begründung:

Mit Urteil vom 3. September 2015 VI R 9/15 hat der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) entschieden, dass ein Masterstudium jedenfalls dann Teil einer einheitlichen Erstausbildung ist, wenn es zeitlich und inhaltlich auf den vorangegangenen Bachelorstudiengang abgestimmt ist (sog. konsekutives Masterstudium). Damit besteht unter diesen Voraussetzungen auch nach Abschluss eines Bachelorstudienganges ein Anspruch auf Kindergeld.

Der Sohn der Klägerin beendete im April 2013 den Studiengang Wirtschaftsmathematik an einer Universität mit dem Bachelor-Abschluss. Seit dem Wintersemester 2012/2013 war er dort bereits für den Masterstudiengang ebenfalls im Bereich Wirtschaftsmathematik eingeschrieben und führte diesen Studiengang nach Erlangung des Bachelor-Abschlusses fort. Daneben war er 21,5 Stunden wöchentlich als studentische Hilfskraft und als Nachhilfelehrer tätig.

Die Familienkasse hob die zugunsten der Klägerin erfolgte Kindergeldfestsetzung ab dem Erreichen des Bachelor-Abschlusses auf. Sie ging dabei davon aus, dass die Erstausbildung des Sohnes mit diesem Abschluss beendet sei. Eine grundsätzlich mögliche Weitergewährung bis zum Abschluss des Masterstudiums sei nicht möglich, da das Kind während des Studiums mehr als 20 Stunden pro Woche gearbeitet habe. Das Finanzgericht schloss sich der Auffassung der Familienkasse an.

Dem ist der BFH nicht gefolgt. Zwar ist nach der ab 2012 geltenden Fassung des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes Kindergeld auch weiterhin für ein in Ausbildung befindliches Kind zu gewähren, solange das Kind nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat. Es kommt dabei grundsätzlich nicht darauf an, ob es sich um eine Erst-, Zweit- oder Drittausbildung handelt. Allerdings entfällt der Kindergeldanspruch, wenn das Kind nach seiner Erstausbildung neben einer weiteren Ausbildung regelmäßig mehr als 20 Stunden pro Woche arbeitet. Der BFH entschied nun, dass im Streitfall das im Anschluss an das Bachelorstudium durchgeführte Masterstudium nicht als weitere, sondern noch als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu werten ist. Er stellte insoweit darauf ab, dass Bachelor- und Masterstudium in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang durchgeführt wurden (sog. konsekutives Masterstudium) und sich daher als integrative Teile einer einheitlichen Erstausbildung darstellten. Da die Erstausbildung im Streitfall mit der Erlangung des Bachelor-Abschlusses noch nicht beendet war, kam es nicht darauf an, dass der Sohn der Klägerin bis zur Erlangung des Masterabschlusses mehr als 20 Stunden pro Woche gearbeitet hatte.

Ausbildung für einen Beruf und Ausbildungsdienstverhältnis bei verwendungsbezogenen Lehrgängen eines Unteroffiziers

Ein Kind, das sich in einem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit befindet, wird nur dann i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet, wenn die Erlangung beruflicher Qualifikationen, d.h. der Ausbildungscharakter, und nicht die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen, d.h. der Erwerbscharakter, im Vordergrund des Dienstverhältnisses steht.

Im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände können für einen im Vordergrund stehenden Ausbildungscharakter u.a. das Vorhandensein eines Ausbildungsplanes, die Unterweisung in Tätigkeiten, welche qualifizierte Kenntnisse und/oder Fertigkeiten erfordern, die Erlangung eines die angestrebte Berufstätigkeit ermöglichenden Abschlusses und ein gegenüber einem normalen Arbeitsverhältnis geringeres Entgelt sprechen.

Für die Annahme eines Ausbildungsdienstverhältnisses i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG genügt es nicht, dass verwendungsbezogene Lehrgänge Gegenstand des Dienstverhältnisses eines Zeitsoldaten sind, wenn sie nicht zugleich auch das Ziel und den wesentlichen Inhalt des Dienstverhältnisses ausmachen.

BFH Urteil vom 16.9.2015, III R 6/15

Begründung:

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist unter Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind, und zwar unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungsordnung oder Studienordnung vorgeschrieben sind. Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen.

Dementsprechend hat der BFH sowohl das Referendariat im Anschluss an die erste juristische Staatsprüfung als auch die Ausbildung eines Soldaten auf Zeit zum Offizier des Truppendienstes (und die Ausbildung eines Soldaten auf Zeit zum Fachunteroffizier, wenn dieser nicht lediglich im Mannschaftsdienstgrad Dienst leistet, als Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG angesehen.

Sollte das FG von einem Ausbildungsziel des Material-Dispositions-Unteroffiziers ausgegangen sein, das S im August 2013 erreicht hat, so fand nach den Feststellungen des FG innerhalb des 19 Monate umfassenden Streitzeitraums nur eine Lehrgangsteilnahme statt, die einen Zeitraum von dreieinhalb Wochen umfasste (5. bis 28. Oktober 2011). Dass vor dem Streitzeitraum weitere Lehrgänge stattgefunden haben, ist den Entscheidungsgründen ebenso wenig zu entnehmen wie irgendwelche sonstigen, außerhalb eines Lehrgangs durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen.

 

Kindergeld bei der Übergangszeit bei freiwilligem Wehrdienst

Die Übergangszeit gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b EStG findet auch bei freiwilligem Wehrdienst entsprechende Anwendung.

FG Schleswig Holtstein Urteil vom 28. Januar 2015 (Az. 2 K 39/14)

Begründung:

Der Kläger begehrte Kindergeld für seinen Sohn für den Zeitraum August bis September 2013 als Übergangszeit nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. Der Sohn des Klägers hat die Abiturprüfung am 29.5.2013 abgelegt. Am 1.10.2013 trat er seinen freiwilligen Wehrdienst von zehn Monaten an.

Der Klage wurde stattgegeben. Aufgrund der Regelung in § 58 f SG sind die freiwillig

Wehrdienstleistenden mit den nach § 5 WPflG Grundwehrdienst Leistenden gleichzustellen, so dass für die Monate August und September 2013 als Übergangszeit nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 b EStG Kindergeld zu gewähren ist. Nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 4 Nr. 2 b EStG steht dem Kläger für die Monate August und September 2013 zwar kein Kindergeld zu, da die Ableistung eines freiwilligen Wehrdienstes hierin nicht erwähnt ist.

Jedoch ergibt sich die Anspruchsberechtigung des Klägers aus § 58 f SG. Nach § 58 f SG sind Regelungen „in anderen Gesetzen“ oder Rechtsverordnungen, die u.a. an die Ableistung des Grundwehrdienstes (§ 5 WPflG) anknüpfen, auf Personen, die freiwilligen Wehrdienst nach § 58 b SG leisten, entsprechend anzuwenden. Nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 b EStG wird für eine Übergangszeit von höchstens vier Monaten Kindergeld gewährt, die u.a. zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Grundwehrdienstes liegt. Damit wird in „einem anderen Gesetz“ an die Ableistung des gesetzlichen Grundwehrdienstes angeknüpft. Es ist nicht ersichtlich, warum das EStG nicht unter die Voraussetzung „anderes Gesetz“ zu subsumieren sein sollte. Die Regelung in § 58 f

SG enthält insoweit keinerlei Einschränkungen. Unter Anwendung des § 58 f SG hat der freiwillig Wehrdienstleistende den entsprechenden Status eines gesetzlich Grundwehrdienstleistenden und danach Anspruch auf Kindergeld für die geltend gemachte Übergangszeit. Darüber hinaus ist nach einer anderen Verwaltungsanweisung zu § 32

EStG – der Anleitung zur Einkommensteuererklärung 2013 – bei der Frage einer steuerlichen Berücksichtigung von über 18 Jahre alten Kindern die Übergangszeit bis zum „Beginn des freiwilligen Wehrdienstes“ begünstigt.

Kindergeld für nicht verheiratete Tochter mit eigenem Kind

Nach der ab dem Jahr 2012 geltenden Rechtslage ist ein Unterhaltsanspruch, welcher der nicht verheirateten Tochter des Kindergeldberechtigten gegen den Vater ihres Kindes zusteht (§ 1615l BGB), für die Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG ohne Bedeutung.

BFH Urteil vom 3.7.2014, III R 37/13

EuGH-Vorlage zur Kindergeldberechtigung in Fällen mit EU-Auslandsbezug

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist in einem Fall, in dem eine in einem Mitgliedstaat (Inland) lebende Person Anspruch auf Kindergeld für Kinder hat, die in einem anderen Mitgliedstaat (Ausland) beim anderen, von ihm getrennt lebenden Ehegatten wohnen, Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 anzuwenden mit der Folge, dass die Fiktion, wonach bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004 die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle Beteiligten –insbesondere was das Recht zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt– unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen, dazu führt, dass der Anspruch auf Kindergeld ausschließlich dem im anderen Mitgliedstaat (Ausland) lebenden Elternteil zusteht, weil das nationale Recht des ersten Mitgliedstaats (Inland) vorsieht, dass bei mehreren Kindergeldberechtigten der Elternteil anspruchsberechtigt ist, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat?

Für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen sein sollte:

Ist bei dem unter 1. dargelegten Sachverhalt Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 dahin auszulegen, dass dem in einem Mitgliedstaat (Inland) lebenden Elternteil der Anspruch auf Kindergeld nach inländischem Recht zusteht, weil der im anderen Mitgliedstaat (Ausland) lebende andere Elternteil keinen Antrag auf Kindergeld gestellt hat?

 

Für den Fall, dass die zweite Frage bei dem unter 1. dargelegten Sachverhalt dahin zu beantworten sein sollte, dass die unterbliebene Antragstellung des im EU-Ausland lebenden Elternteils zum Übergang des Anspruchs auf Kindergeld auf den im Inland lebenden Elternteil führt:

Nach welchem Zeitraum ist davon auszugehen, dass ein im EU-Ausland lebender Elternteil das Recht auf Kindergeld nicht i.S. von Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 “wahrnimmt” mit der Folge, dass es dem im Inland lebenden Elternteil zusteht?

BFH Entscheidung vom 8.5.2014, III R 17/13

Begründung (BFH):

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat durch Beschluss vom 8. Mai 2014 III R 17/13 den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Wege des Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union um die Beantwortung von Rechtsfragen gebeten, die sich in Fällen mit Bezug zum EU-Ausland bei der Bestimmung des Kindergeldberechtigten ergeben können.

Der in Deutschland wohnende Kläger ist von seiner früheren Ehefrau, die zusammen mit dem gemeinsamen Kind in Polen lebt, geschieden. Er war zeitweise nichtselbständig beschäftigt und zu anderen Zeiten arbeitslos. Seine Ehefrau war in Polen erwerbstätig, hatte jedoch wegen der nach polnischem Recht bestehenden Einkommensgrenze keinen Anspruch auf polnische Familienleistungen. Der Kläger beantragte in Deutschland Kindergeld für das in Polen lebende Kind. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab, weil sie der Ansicht war, dass die Kindsmutter anspruchsberechtigt sei.

Das Finanzgericht (FG) gab dem Kläger Recht und verpflichtete die Familienkasse zur Kindergeldzahlung. Es war der Ansicht, die Kindergeldberechtigung des Klägers ergebe sich aus deutschem Recht. Die ab Mai 2010 geltende EU-Verordnung Nr. 883/2004, durch welche die Systeme der sozialen Sicherheit koordiniert werden sollen, sowie die dazu ergangene Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 begründen nach Ansicht des FG keinen Kindergeldanspruch der in Polen lebenden Mutter. Das FG setzte sich in seiner Entscheidung mit Art. 60 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 auseinander. Die Vorschrift fingiert, dass „alle beteiligten Personen“ in dem Land leben, in dem der Anspruch auf Kindergeld erhoben wird. Wäre zu unterstellen, dass die vom Kläger geschiedene Kindsmutter mit dem gemeinsamen Kind in einer eigenen Wohnung in Deutschland lebt, so stünde ihr das Kindergeld zu, weil nach deutschem Recht bei getrennt lebenden Eltern derjenige Elternteil kindergeldberechtigt ist, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Das FG war jedoch der Ansicht, Art. 60 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 lasse den Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach deutschem Recht nicht entfallen. Es vertrat damit die gleiche Rechtsmeinung wie die überwiegende Mehrzahl der deutschen Finanzgerichte, die sich bereits mit dieser Streitfrage befasst hatten.

Im anschließenden Revisionsverfahren, das von der Familienkasse angestrengt wurde, hat der III. Senat des BFH das Verfahren ausgesetzt und den EuGH um Beantwortung der Frage gebeten, ob die in Art. 60 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 enthaltene Fiktion des gemeinsamen Wohnlandes dazu führt, dass das in Deutschland vorgesehene Kindergeld an den im Ausland getrennt lebenden Elternteil, bei dem das gemeinsame Kind wohnt, zu zahlen ist. Weiterhin hat er angefragt, ob für den Fall, dass der im Ausland lebende Elternteil nach Art. 60 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 kindergeldberechtigt sein sollte, der im Inland lebende Elternteil dann doch anspruchsberechtigt ist, wenn der andere Elternteil keinen Antrag auf Kindergeld gestellt hat, und nach welchem Zeitraum von einer unterbliebenen Antragstellung auszugehen wäre.

 

 

Reserveoffiziersanwärterausbildung ist Berufsausbildung

Ein Reserveoffiziersanwärter wird auch dann für einen Beruf ausgebildet, wenn nicht abzusehen ist, ob er einen Antrag auf Verlängerung der Dienstzeit oder die Übernahme als Berufssoldat stellen oder am Ende seiner Dienstzeit aus der Bundeswehr ausscheiden und sodann einen anderen Beruf ergreifen wird.

BFH Urteil vom 8.5.2014, III R 41/13

Begründung:

Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG Anspruch auf Kindergeld, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Der Begriff der Berufsausbildung wird vom EStG mehrfach verwendet (z.B. auch in § 10 Abs. 1 Nr. 7, § 12 Nr. 5, § 33a Abs. 2 EStG), aber nicht näher beschrieben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) befindet sich in Berufsausbildung, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind .

Das FG hat –für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend– festgestellt, dass die vom Sohn des Klägers betriebene Ausbildung zum Reserveoffizier der Ausbildung der aktiven Offiziersanwärter des Truppendienstes ohne Studium entspricht, die nach dem eine Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ist.

Das FG hat weiter festgestellt, dass Reserveoffiziersanwärter wie der Sohn des Klägers als Offiziersanwärter übernommen oder Reserveoffiziere nach bestandener Offiziersprüfung zu Berufsoffizieren ernannt werden können. Daher eignet sich die Ausbildung zum Reserveoffiziersanwärter auch als Grundlage für die Ausübung des Offiziersberufs.

Wer sich ernsthaft und nachhaltig Fähigkeiten aneignet, die sich als Grundlage für die Ausübung eines Berufs eignen, befindet sich auch dann in Berufsausbildung, wenn er diesen Beruf später tatsächlich nicht ausüben will. Nimmt ein Kind an einem regulären, typischen Ausbildungsgang teil, so bedarf es keiner weiteren Prüfung, wie die dort erlangten Kenntnisse in Zukunft beruflich verwertet werden sollen.

Dies gilt umso mehr, wenn die durch die Ausbildung vermittelten Kenntnisse, Fähigkeiten oder Abschlüsse bzw. Titel auch für andere Berufe nützlich sind, was für die Reserveoffiziersausbildung z.B. wegen der dabei vermittelten fachlichen- und Führungsfähigkeiten oder im Hinblick auf die Anstellung bei einem für die Bundeswehr tätigen Unternehmen zutrifft.

Die Rechtsprechung hat –worauf die Familienkasse zutreffend hinweist– unter Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG die Erlangung der für die Ausübung des angestrebten Berufs geeigneten Grundlagen verstanden. Dabei wurde indessen eine Berücksichtigung in keinem Falle abgelehnt, weil das Kind nicht einen der Ausbildung entsprechenden Beruf anstrebte. Die gründliche und systematische Erlangung von berufsnützlichen Kenntnissen wurde vielmehr auch dann als Ausbildung angesehen, wenn das Kind noch keine oder andersartige berufliche Pläne hatte.

Keine Verlängerung des Kindergeldanspruchs wegen Leistung eines freiwilligen sozialen Jahres

Keine Verlängerung des Kindergeldanspruchs wegen Leistung eines freiwilligen sozialen Jahres anstatt des Zivildienstes

BFH  Beschluss vom 31.3.2014, III B 147/13

Begründung:

Eine Rechtsfrage ist grundsätzlich bedeutsam, wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die im Streitfall entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 21. April 2010 IV B 32/09, BFH/NV 2010, 1469). Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder wenn sie bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den BFH erforderlich machen.

Die Klägerin hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob die in § 32 Abs. 5 EStG geregelte Verlängerung der Kindergeldzahlung auch bei Leistung eines freiwilligen Jahres anstatt des Zivildienstes möglich ist.

Diese Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, da sie sich ohne Weiteres aus dem Wortlaut und dem Sinngehalt des Gesetzes beantworten lässt. Zwar ist die streitige Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich entschieden, sie ist aber offensichtlich so zu beantworten, wie es das FG getan hat. Die in § 32 Abs. 5 EStG aufgeführten Verlängerungstatbestände sind abschließend. Das freiwillige soziale Jahr wird im Gesetz nicht genannt.

Nach diesen Grundsätzen liegt im Streitfall keine Regelungslücke vor. Mit dem in § 32 Abs. 5 EStG genannten Verlängerungstatbestand wollte der Gesetzgeber einen Ausgleich dafür schaffen, dass Kinder während der Ableistung ihres Wehr- oder Zivildienstes steuerlich nicht berücksichtigt werden (BTDrucks 13/1558, S. 155 f.). In dem Zeitraum, in dem S sein freiwilliges Jahr absolvierte (2005/2006), wurde ein Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG für die Gewährung von Kindergeld berücksichtigt, wenn es ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres in der Bekanntmachung der Neufassung vom 15. Juli 2002 (BGBl I 2002, 2596), ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres in der Bekanntmachung der Neufassung vom 15. Juli 2002 (BGBl I 2002, 2600), einen Freiwilligendienst im Sinne des Beschlusses Nr. 1031/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2000 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2000 Nr. L 117, 1) oder einen anderen Dienst im Ausland i.S. von § 14b ZDG ableistete. Der Gesetzgeber hat sich damit ausdrücklich und bewusst für eine Förderung während der Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres und gegen eine Verlängerung der Kindergeldbezugsdauer entschieden. Er sah diese Dienste als –an Lernzielen ausgerichtete– Bildungsdienste an (vgl. BTDrucks 16/6519, S. 1, 12 ff.) und ordnete sie deshalb den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG geregelten Tatbeständen der Ausbildung des Kindes zu.

Für die Aufnahme dieser in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG geregelten Tätigkeiten in den Verlängerungstatbestand nach § 32 Abs. 5 EStG bestand offensichtlich kein Grund, da eine solche Aufnahme zwangsläufig eine ungerechtfertigte Doppelberücksichtigung nach sich gezogen hätte. Der Gesetzgeber hat daher bewusst in die Regelung des § 32 Abs. 5 EStG nicht alle Dienste solcher anerkannter Kriegsdienstverweigerer aufgenommen, die nicht der Erfüllung der Wehrpflicht dienen, sondern lediglich zur Folge haben (§ 14c ZDG), dass der anerkannte Kriegsdienstverweigerer nicht zum Zivildienst herangezogen wird.

Fahrtaufwendungen im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses

Ist ein Auszubildender im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses, aus dem er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, dem Ausbildungsbetrieb zugeordnet und sucht er diesen fortdauernd auf, um dort seine für den Ausbildungszweck zentralen Tätigkeiten zu erbringen, so ist der Ausbildungsbetrieb regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG in der bis Ende 2013 geltenden Fassung.

Allein der Umstand, dass ein Ausbildungsdienstverhältnis regelmäßig zeitlich befristet ist, reicht nicht aus, um dem Ausbildungsbetrieb die Qualifikation als regelmäßige Arbeitsstätte zu versagen.

Fahrtkosten von Auszubildenden zu einem derartigen Ausbildungsbetrieb sind daher nur mit der Entfernungspauschale des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG in der bis Ende 2013 geltenden Fassung als Werbungskosten zu berücksichtigen.

BFH Urteil vom 27.2.2014, III R 60/13

Begründung:

Für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und sich in Ausbildung befindet, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld nur, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 8.004 EUR im Kalenderjahr hat. Der Begriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen

Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Aufwendungen, die objektiv durch die berufliche Tätigkeit veranlasst sind und die subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Diese Voraussetzungen können auch bei berufsbezogenen Bildungsmaßnahmen erfüllt sein. Zu den Werbungskosten können auch Fahrtkosten gehören. Sie sind grundsätzlich in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen, soweit der Arbeitnehmer nicht von der in H 9.5 des Amtlichen Lohnsteuerhandbuchs 2011 vorgesehenen Pauschale (0,30 EUR je Fahrtkilometer) Gebrauch macht.

Fahrtkosten sind jedoch nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nur nach den Regeln über die Entfernungspauschale zu berücksichtigen, soweit es sich um Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte handelt. In diesem Fall sind pro Entfernungskilometer zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte grundsätzlich 0,30 EUR anzusetzen.

Regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne dieser Vorschrift ist (nur) der (ortsgebundene) Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht.

Eine vom Arbeitnehmer besuchte arbeitgeberfremde Bildungseinrichtung stellt keine regelmäßige Arbeitsstätte in diesem Sinne dar. Entsprechend kann auch eine Ausbildungsstätte im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei beruflichen Lehrgängen, Ausbildungsverhältnissen, Abordnungen oder Fortbildungsmaßnahmen den Charakter einer regelmäßigen Arbeitsstätte haben, wenn es sich um eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers handelt und der Arbeitnehmer diese dauerhaft, d.h. über einen längeren Zeitraum, aufsucht. Eine andere Beurteilung kommt nur in Betracht, wenn eine beruflich veranlasste Bildungsmaßnahme außerhalb eines Dienstverhältnisses durchgeführt wird.

Doppelte Festsetzung und Auszahlung von Kindergeld durch eine Familienkasse und einen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber

Wechselt ein Kindergeldberechtigter seinen Arbeitgeber, geht infolgedessen die sachliche Zuständigkeit für die Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes von der Familienkasse auf einen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber über und zahlt neben diesem auch die Familienkasse das von ihr festgesetzte Kindergeld aus, ist die Familienkasse zur Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung des von ihr gezahlten Kindergeldes befugt.

In diesen Fällen beginnt die Zahlungsverjährung nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Aufhebung wirksam geworden ist.

BFH Urteil vom 11.12.2013, XI R 42/11