Fahrtkosten eines nebenberuflich studierenden Kindes

Leitsatz

Fahrtkosten zwischen der Wohnung und der Universität eines nebenberuflich studierenden Kindes sind als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG a.F. zu qualifizieren und in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen.

BFH Urteil vom 05.02.2015 – IIIR 30/14;BFH/NV 2015. 980

Sachverhalt<.

Streitig ist, ob die Einkünfte des Sohnes des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) im Jahr 2008 den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) übersteigen.

Der 1985 geborene Sohn des Klägers (S) studierte im Streitjahr an der Universität … und war nebenbei für einen Rundfunk nichtselbständig tätig. Die Einkünfte hieraus betrugen abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge und der Werbungskosten 7.822,21 EUR. Zusätzlich vereinnahmte er Honorare für Hörfunk- und Fernsehbeiträge in Höhe von 732,75 EUR. Als Betriebsausgaben fielen 658,80 EUR an.

An besonderen Ausbildungskosten entstanden S nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils an 208 Tagen Fahrtkosten zur 2 km von seiner Wohnung entfernten Universität sowie Absetzungen für Abnutzung (AfA) seines Computers in Höhe von 16,24 EUR.

Begründung:

Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Zwar sind bei der Berechnung der Einkünfte des Kindes die tatsächlichen Kosten für die Fahrten zur Universität und nicht nur die Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG anzusetzen. Der Senat kann aber anhand der bisherigen Feststellungen des FG nicht entscheiden, ob dadurch die Einkünfte des Kindes den im Streitjahr maßgeblichen Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG (7.680 EUR) überschreiten.

Für ein Kind, das –wie S im Streitzeitraum– das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und sich in Ausbildung befindet, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld nur, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 EUR im Kalenderjahr hat. Der Begriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten und darüber hinaus die Sozialversicherungsbeiträge.

Nach § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG bleiben bei der Ermittlung der Grenze von 7.680 EUR Bezüge außer Ansatz, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind, ebenso Einkünfte, die für solche Zwecke verwendet werden. Solche besonderen Ausbildungskosten sind alle über die Lebensführung hinausgehenden ausbildungsbedingten Mehraufwendungen. Ausbildungsbedingte Mehraufwendungen, die nicht bereits als Werbungskosten (§ 9 EStG) im Rahmen einer Einkunftsart des Kindes berücksichtigt werden, sind gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG von der Summe der Einkünfte und Bezüge abzuziehen. Dabei erfolgt die Abgrenzung zwischen Kosten der Lebensführung und dem ausbildungsbedingten Mehrbedarf in der Weise, wie dies im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses zwischen den Kosten der Lebensführung und den durch den Beruf veranlassten Kosten (Werbungskosten) geschieht. Es sind die den Abzug der jeweiligen Aufwendung betreffenden steuerlichen Vorschriften dem Grunde und der Höhe nach zu beachten.

Nach diesen Grundsätzen sind die Fahrtkosten zwischen der Wohnung und der Universität als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG zu qualifizieren. In entsprechender Anwendung der für den Werbungskostenbegriff geltenden Grundsätze ist die Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG nicht anzuwenden. Die Fahrtkosten sind vielmehr gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen. Denn die von S besuchte Universität stellt nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des BFH keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung dar, da der Begriff der „regelmäßigen Arbeitsstätte” i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG voraussetzt, dass die Leistung des Arbeitnehmers in einer ortsfesten dauerhaften betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers erbracht wird und auch nur im Rahmen bezahlter Arbeit in Betracht kommt. Kosten für Fahrten zur Universität im Rahmen einer Bildungsmaßnahme sind somit uneingeschränkt in tatsächlicher Höhe nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abziehbar.

Da die Fahrtkosten zu der Universität ausbildungsbedingte Mehraufwendungen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG darstellen, kann dahinstehen, ob diese Aufwendungen als vorweggenommene Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu berücksichtigen wären.

Das FG hat die Fahrtkosten des S zwischen der Wohnung und der Universität nur mit der Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG angesetzt. Dies ist –wie ausgeführt– nicht zutreffend.

Zwar hat das FG im Tatbestand ausgeführt, dass S an 208 Tagen zur Universität gefahren sei. Diese Feststellung ist für den Senat jedoch nicht bindend i.S. des § 118 Abs. 2 FGO, weil die Familienkasse als Revisionsbeklagte bezüglich dieser Feststellung eine zulässige und begründete Verfahrensgegenrüge erhoben hat.

Das Institut der Gegenrüge ermöglicht es einem Revisionsbeklagten, der aufgrund seines Obsiegens in der Vorinstanz dazu bislang keinen Anlass und keine Möglichkeit hatte, Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz anzugreifen, um zu verhindern, dass die Revisionsinstanz bei einer für ihn ungünstigen rechtlichen Beurteilung des Streitfalls auf der Grundlage der von der Vorinstanz getroffenen, aus seiner Sicht aber unzutreffenden Tatsachenfeststellungen eine ihm nachteilige Revisionsentscheidung trifft. Mit diesem Inhalt ist die Gegenrüge, die unbefristet bis zum Schluss der Revisionsinstanz erhoben werden kann, allgemein. Sind die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung im Urteil falsch dargestellt, so ist dieser Mangel zwar grundsätzlich nicht mit der Verfahrensrüge geltend zu machen, sondern mit dem Antrag auf Tatbestandsberichtigung. Eine Ausnahme gilt jedoch für ein Urteil, das –wie hier– ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, weil bei diesem § 108 FGO nicht anwendbar ist.

Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge liegt vor. Die Familienkasse hat geltend gemacht, dass entgegen der Feststellung im Tatbestand des angegriffenen Urteils die Beteiligten sowohl in der Klagebegründung als auch in der Klageerwiderung von 168 Fahrttagen ausgegangen sind. Es ist nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Tatsachen das FG zu dem Schluss gelangte, S sei an 208 Tagen zur Universität gefahren.

Die Familienkasse hat auch in ausreichender Weise dargelegt, dass der Sachverhalt, sofern man bei den Fahrten zur Universität nicht die Entfernungspauschale, sondern gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG die tatsächlichen Kosten ansetzen würde, weiterer Aufklärung bedarf und dass sich bei einer weiteren Sachaufklärung eine Anzahl der Fahrten ergeben könnte, die zur Klageabweisung führen könnte.

Der Senat kann im vorliegenden Fall auch nicht von den von den Beteiligten in den erstinstanzlichen Schriftsätzen übereinstimmend genannten 168 Tagen ausgehen. Diese Zahl wurde vom FG als dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Tatgericht nicht festgestellt.