Offenbare Unrichtigkeit bei unvollständig ausgefülltem Steuererklärungsvordruck und unvollständigem Beleg

Eine Unrichtigkeit i.S. von § 129 Satz 1 AO ist nur dann offenbar, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig erkennbar ist. Davon ist nicht auszugehen, wenn die einem unvollständig ausgefüllten Steuererklärungsformular beigefügte Bescheinigung einer privaten Rentenversicherung nicht das Vorliegen sämtlicher im Gesetz für den Abzug der Versicherungsbeiträge als Sonderausgaben genannter Voraussetzungen bestätigt.
Anknüpfungspunkte für die Annahme eines groben Verschuldens i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO können sowohl Versäumnisse bei der Erstellung der Steuererklärung als auch bei der Überprüfung des noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheids sein.
BFH Urteil vom 03.08.2016 – X R 20/15 BFH/NV 2017, 437
Sachverhalt:
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte im Streitjahr 2008 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen. In seiner ohne Mitwirkung eines steuerlichen Beraters erstellten, am 9. Juni 2009 bei dem damals für die Veranlagung zuständigen Finanzamt A-Stadt in Papierform eingereichten Einkommensteuererklärung für 2008 nahm er in Zeile 64 des Mantelbogens “Beiträge zu (…) eigenen kapital-gedeckten Rentenversicherungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b EStG) mit Laufzeitbeginn nach dem 31.12.2004” keine Eintragung vor. Allerdings enthielt die der Steuererklärung beigefügte Belegsammlung nach den –vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt –FA–) nicht angegriffenen– Feststellungen der Vorinstanz eine Bescheinigung der X-Versicherung vom 17. Februar 2009, die das Finanzgericht (FG) durch Bezugnahme zum Gegenstand seines Urteils gemacht hat. Die Bescheinigung hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
“Sehr geehrter Herr (…),
wir bescheinigen Ihnen für das Kalenderjahr 2008 folgende Versicherungsbeiträge:
(…) 2.460,00 EUR
Wir bestätigen, dass es sich um als Sonderausgaben abzugsfähige Beiträge zu einem Basisrentenvertrag (…) gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG handelt.
Der Vertrag sieht die Zahlung einer lebenslangen Leibrente vor, die nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahres erbracht wird.
Zu der in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG 2008) für den Sonderausgabenabzug zusätzlich normierten Voraussetzung, wonach “darüber hinaus kein Anspruch auf Auszahlungen” bestehen darf, enthielt die Bescheinigung keine Angaben.
Das Finanzamt A-Stadt setzte die Einkommensteuer des Klägers für das Jahr 2008 mit Bescheid vom 22. Juni 2009 erklärungsgemäß fest. Einen Sonderausgabenabzug gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 2008 gewährte es nicht, weil der zuständige Bearbeiter nach –vom FA ebenfalls nicht beanstandeter– Überzeugung der Vorinstanz bei “lebensnaher Betrachtung der Verhältnisse des Einzelfalls (…) die vorliegende Bescheinigung der X-Versicherung bei Durchführung der Einkommensteuerveranlagungen 2008 schlicht übersehen” habe. Der Einkommensteuerbescheid wurde bestandskräftig.
Begründung:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
Die Vorentscheidung ist bereits aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben, weil das FG zu Unrecht entschieden hat, im Streitfall gestatte § 129 AO eine Berichtigung des streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheids. Auf die vom FA erhobene Sachaufklärungsrüge kommt es folglich nicht mehr an. Die Sache ist indessen nicht spruchreif. Anhand der vom FG getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht endgültig beurteilen, ob die vom Kläger beantragte Berücksichtigung der Versicherungsbeiträge als Sonderausgaben auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO gestützt werden kann.
Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit (innerhalb der Verjährungsfrist) berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten ist zu berichtigen (§ 129 Satz 2 AO).
Offenbare Unrichtigkeiten i.S. von § 129 AO sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht. Die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO setzt grundsätzlich voraus, dass der offenbare Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist. Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist die Vorschrift aber auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt.
Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage beurteilt werden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterliegt.
Die Würdigung des FG, mit der es eine Berichtigung des Einkommensteuerbescheids 2008 dem Grunde nach zugelassen hat, hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Das FG hat in der Nichtberücksichtigung der Beiträge des Klägers zur Basisrenten-Versicherung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 2008 eine aus dem unvollständig ausgefüllten Mantelbogen übernommene offenbare Unrichtigkeit gesehen, weil die Angaben in der dem FA vorgelegten Bescheinigung der X-Versicherung einen offensichtlichen Widerspruch zu den fehlenden Eintragungen in Zeile 64 des Erklärungsvordrucks begründeten. Somit hat die Vorinstanz hinsichtlich der Offenbarkeit der von ihr angenommenen Unrichtigkeit wesentlich auf den Inhalt der –nach ihrer Überzeugung vom Veranlagungssachbearbeiter “schlicht übersehen(en)”– Versicherungsbescheinigung abgestellt.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Unrichtigkeit hingegen dann offenbar, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Bei Anwendung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung auf den Streitfall ist eine Berichtigung des Einkommensteuerbescheids 2008 gemäß § 129 AO nicht möglich.
Da von einer objektivierten Sichtweise auszugehen ist, ist bei dem (fiktiven) unvoreingenommenen Dritten grundsätzlich vom Akteninhalt –Steuererklärung, deren Anlagen sowie die Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr– auszugehen. Dies findet seine Begründung darin, dass eine Anknüpfung an aktenkundige Umstände bei objektiver Betrachtungsweise regelmäßig besonders naheliegt. Im Streitfall bedeutet dies, dass dem unvoreingenommenen Dritten aufgrund der beigefügten Bescheinigung der X-Versicherung deren Inhalte bekannt waren.
Die Bescheinigung äußerte sich indes nicht zu allen in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 2008 für den Sonderausgabenabzug aufgestellten Tatbestandsvoraussetzungen. Es fehlte an Angaben dazu, ob dem Kläger aufgrund des mit der X-Versicherung geschlossenen Vertrags über die Basisrenten-Versicherung neben dem Rentenauszahlungsanspruch weitere (“darüber hinaus”) wie auch immer geartete Auszahlungsansprüche zustanden. Nur wenn dem nicht so gewesen sein sollte, wäre eine Unrichtigkeit des streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheids aufgrund Nichtberücksichtigung der Versicherungsbeiträge als Sonderausgaben für jeden unvoreingenommenen Dritten anhand des Inhalts der Versicherungsbescheinigung klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar gewesen. Dem war hier jedoch nicht so. Vielmehr hätte es in diesem –die Sonderausgabenabzugsberechtigung dem Grunde nach betreffenden– Punkt einer weiteren Sachaufklärung durch das FA bedurft. In einer solchen Situation kann aber nicht mehr davon gesprochen werden, die Unrichtigkeit des betroffenen Verwaltungsaktes sei im genannten Sinne offenbar gewesen. Eine –in Abgrenzung dazu– denklogisch nicht ausgeschlossene, jedoch nach den Umständen des Einzelfalls weder “auf der Hand” liegende noch durchschaubare, eindeutige oder augenfällige Unrichtigkeit gestattet die Vornahme einer Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO gerade nicht.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die X-Versicherung in der genannten Bescheinigung bestätigte, “dass es sich um als Sonderausgaben abzugsfähige Beiträge (…) gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG handelt”. An dieses Vorbringen war das FA gemäß § 88 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 AO nicht gebunden. Dies gilt umso mehr, als in der Bescheinigung im Anschluss die in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b Halbsatz 4 EStG 2008 genannten Negativtatbestandsmerkmale in Spiegelstrichen aufgezählt wurden, wobei in dieser Aufzählung die zuletzt geforderte Abzugsvoraussetzung –“darüber hinaus kein Anspruch auf Auszahlungen”– augenscheinlich fehlte.
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf der Tatsachenebene eingewendet hat, der streitgegenständliche Basisrentenvertrag sei durch das BZSt zertifiziert gewesen, handelt es sich dabei –ungeachtet dessen, dass diese Zertifizierung erst im Jahr 2010, also nach Ausstellung der Versicherungsbescheinigung, erfolgt sein soll– um einen außerhalb der Feststellungen des FG liegenden Umstand. Damit kann er im Revisionsverfahren nicht gehört werden (§ 118 Abs. 2 FGO).
Dies unterscheidet den Streitfall von der Konstellation im Senatsbeschluss, in der die nachträgliche Erfassung von Renteneinkünften keiner weiteren Prüfung durch das FA mehr unterzogen werden musste. Aus dem Rentenbescheid ergaben sich sämtliche für die Besteuerung maßgeblichen Informationen.
Aus der vom Kläger zitierten Entscheidung geht ebenfalls nichts Abweichendes hervor. In jenem Fall waren die bei der Ermittlung der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen bei der Einkommensteuerfestsetzung unberücksichtigt geblieben, obwohl sich diese aus den zeitgleich eingereichten Umsatzsteuererklärungen ergaben und die Umsatzsteuer jeweils erklärungsgemäß vom FA festgesetzt worden war. Demnach war auch dort die Unrichtigkeit (Nichtabzug der gezahlten Vorsteuer als Betriebsausgabe) offenbar i.S. von § 129 Satz 1 AO. Zur Zurückverweisung dieser Sache an die Vorinstanz kam es allein aus prozessualen Gründen, weil die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht ausreichten, um den VIII. Senat in die Lage zu versetzen, die Höhe des Betriebsausgabenabzugs selbst zu bestimmen. Die für ein “Durchentscheiden” i.S. von § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO erforderlichen Tatsachen kann das Revisionsgericht –im Gegensatz zum FG– nicht feststellen.
Auch vorliegend ist die Sache nicht spruchreif. Das FG hat sich –unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung konsequent– nicht mit dem Vorliegen der Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO befasst und dementsprechend auch keine darauf bezogenen spezifischen Feststellungen getroffen. Diese sind nunmehr nachzuholen.
Sollte sich im zweiten Rechtsgang herausstellen, dass dem Kläger aufgrund des Basisrentenvertrags mit der X-Versicherung tatsächlich kein über den Rentenauszahlungsanspruch hinausgehender Auszahlungsanspruch zustand, wird das FG insbesondere aufklären und tatrichterlich bewerten müssen, ob den Kläger am nachträglichen Bekanntwerden dieser –für eine eventuelle Bescheidsänderung letztlich entscheidenden– Tatsache ein grobes Verschulden trifft. Anknüpfungspunkte dieser Verschuldensprüfung können sowohl Versäumnisse bei der Erstellung der Steuererklärung als auch bei der Überprüfung des noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheids sein. Der dabei anzulegende Sorgfaltsmaßstab wird sich u.a. an der Überschaubarkeit der steuerlichen Verhältnisse des Klägers, d.h. dem Umfang und der Komplexität der von ihm sonst im Erklärungsvordruck vorgenommenen Eintragungen, und der –dazu ins Verhältnis zu setzenden– wirtschaftlichen Bedeutung des nicht berücksichtigten Sonderausgabenabzugsbetrags auszurichten haben. Ein die Änderung ausschließendes grobes Verschulden läge danach dann vor, wenn das FG zu der Überzeugung gelangte, der nicht erfolgte Übertrag bzw. die Nichtberücksichtigung der Versicherungsbeiträge im Steuerbescheid hätten sich bereits bei einer nur flüchtigen Kontrolle des Mantelbogens bzw. Steuerbescheids durch den Kläger unschwer feststellen lassen.
Zu dem vom Kläger in diesem Zusammenhang zitierten BFH-Urteil ist abschließend zu bemerken, dass der Begriff des Verschuldens i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei schriftlich und elektronisch gefertigten Steuererklärungen identisch auszulegen ist. Danach ist es im Wesentlichen Tatfrage, ob ein Beteiligter grob fahrlässig gehandelt hat.

Offenbare Unrichtigkeit bei manuelle Erfassung der Steuererklärung nach gescheiterter elektronischer Übermittlung (ELSTER)

Hat das FA die Daten aus der komprimierten und unterschriebenen Steuererklärung manuell erfasst, weil die elektronische Datenübermittlung nicht erfolgreich gewesen ist, kommt ein Berichtigung nach § 129 AO in Betracht.

Zur Klärung dieser tatsächlichen Vorfrage sind sämtliche Beweismittel zugelassen; nicht dieser Sachverhalt, sondern die bei der manuellen Eingabe der Daten vorgekommene Unrichtigkeit muss offenbar sein.

BFH Beschluss vom 04.03.2016 – IX B 113/15

Sachverhalt:

Das Finanzgericht (FG) hat festgestellt, dass die Einkommensteuererklärung 2008 der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht als elektronische Datei an den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt –FA–) übermittelt worden ist. Vielmehr haben die Kläger die von ihrem Steuerberater nach der fehlgeschlagenen elektronischen Übermittlung ausgedruckte komprimierte Steuererklärung unterschrieben und in Papierform an das FA gesandt. Die Veranlagungsstelle des FA hat sodann die Angaben aus dieser komprimierten Steuerklärung von Hand erfasst. Dabei sind die in der komprimierten Steuererklärung enthaltenen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zwar von der Bearbeiterin abgehakt (Kennziffer 120), dann jedoch nicht übernommen worden (Einkommensteuerbescheid vom 22. November 2010). Daraus hat das FG geschlossen, dass ein mechanischer Fehler (Übertragungsfehler) beim Erlass des Steuerbescheids in Betracht kam und vorlag, weil dem FA die elektronischen Erklärungsdaten bei der Veranlagung nicht vorlagen. Gegen diese tatsächlichen Feststellungen des FG haben die Kläger keine Verfahrensrügen erhoben. An sie wäre der Bundesfinanzhof (BFH) deshalb im Revisionsverfahren ebenso gebunden wie an die tatsächliche Würdigung des FG (§ 118 der Finanzgerichtsordnung –FGO–), da sie zumindest möglich ist.

Mit nach § 129 der Abgabenordnung (AO) berichtigtem Bescheid erfasste das FA am 19. April 2011 die unstreitig von den Klägern erzielten und auch erklärten Vermietungseinkünfte und änderte die Einkommensteuer entsprechend.

Die Kläger meinen, das FA sei zur Berichtigung nicht befugt gewesen. Ein Fehler bei der Auslegung und Anwendung des Rechts könne nicht ausgeschlossen werden. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG hat im Wesentlichen ausgeführt, die Sachbearbeiterin habe mit dem Haken bei Kennziffer 120 in der komprimierten Steuerklärung unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass die von den Klägern erklärten Einkünfte der Besteuerung hätten zugrunde gelegt werden sollen. Ein Rechtsanwendungsfehler sei danach auszuschließen. Deshalb sei die Berichtigung nach § 129 AO gerechtfertigt. Auf die Verletzung von Dienstvorschriften könnten sich die Kläger nicht mit Erfolg berufen; auch sei nicht zu fragen, ob der Fehler hätte vermieden werden können.

Begründung:

Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die hier allein streitige Frage, ob im konkreten Fall bei der Veranlagung ein Rechtsanwendungsfehler auszuschließen ist, hat das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der BFH darf die tatsächliche Würdigung nur eingeschränkt überprüfen. Im Rahmen der Revision kontrolliert der BFH insbesondere, ob die Denkgesetze oder ob allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind. Solche Fehler bei der Tatsachenwürdigung führen nach ständiger Rechtsprechung des BFH jedoch grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision, da es sich insofern grundsätzlich um (schlichte) Fehler bei der Rechtsanwendung handelt, die vom numerus clausus der Zulassungsgründe nicht erfasst werden. Nicht jeder Fehler bei der Rechtsanwendung kann die Zulassung der Revision rechtfertigen, weil das Zulassungsverfahren sonst die ihm zugedachte Filterwirkung nicht entfalten und nicht zur Entlastung des BFH beitragen könnte.

Etwas anderes gilt, wenn der Rechtsfehler besonders schwerwiegend und deshalb geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Anhaltspunkte dafür liegen im Streitfall nicht vor. Ob darüber hinaus die Revision auch dann zugelassen werden sollte, wenn ein Finanzgericht einen neuen allgemeinen Erfahrungssatz aufgestellt hat, der im Interesse gleichmäßiger Rechtsanwendung Gegenstand einer revisionsrechtlichen Prüfung sein kann (dazu Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 96 Rz 135 ff.), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, denn das FG hat einen solchen allgemeinen Erfahrungssatz nicht aufgestellt.

Da die Beurteilung der Streitfrage mithin allein von der tatsächlichen Würdigung der Einzelfallumstände abhängt, hat die Rechtssache keine grundsätzliche, d.h. über den Einzelfall hinausweisende, Bedeutung. Zwar hat das FG Sachsen-Anhalt den Leitsatz aufgestellt, solange die Akten in Papierform geführt würden, liege eine offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 129 AO nicht vor, wenn zur Feststellung eines eventuellen Erfassungsfehlers ein Abgleich des Akteninhalts mit dem EDV-Speicher der Finanzverwaltung erforderlich werde (FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6. Mai 2010 5 K 98/08, Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1757). Die Kläger meinen, im Streitfall sei das FG von dieser Entscheidung abgewichen, indem es zur Feststellung des Erfassungsfehlers (sachverständige) Zeugen vernommen und den Inhalt des Datenspeichers der Finanzverwaltung ermittelt habe.

Letzteres trifft zwar zu, betrifft aber zunächst nur die Frage, ob überhaupt ein Erfassungsfehler in Betracht kommt. Das wäre nicht der Fall, wenn dem FA bei der Veranlagung die Daten aus der Steuerklärung auch in elektronischer Form vorgelegen hätten, so dass eine manuelle Erfassung nicht erforderlich gewesen wäre. Diese Frage hat indes noch nichts mit dem Fehler selbst und seiner Ursache zu tun, sondern betrifft nur die Umstände, unter denen die Veranlagung stattgefunden hat. Ob der Fehler dann tatsächlich auf einem mechanischen Versehen beruht oder durch einen die Berichtigung nach § 129 AO ausschließenden Denkprozess beeinflusst gewesen sein kann, wird dadurch nicht präjudiziert.

Im Übrigen hat der BFH das zitierte Urteil des FG Sachsen-Anhalt zwar im Ergebnis bestätigt. Er hat damit aber nicht den vom FG in seinem Leitsatz herausgestellten Rechtsgrundsatz gebilligt, sondern lediglich ausgeführt, dass er an die tatsächliche Würdigung des FG gebunden sei.

Im Streitfall fehlt es bereits deshalb an einer Abweichung im Grundsätzlichen (Divergenz), weil das FG keine Grundsätze aufgestellt, sondern lediglich die von ihm festgestellten Umstände gewürdigt hat. Ob das FG Sachsen-Anhalt von der Rechtsprechung des BFH abgewichen ist, könnte auch in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden.

Ein Verfahrensmangel ist schon nicht hinreichend dargelegt. Es kann dahinstehen, ob und in welchen Fällen das Gericht einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen nicht nachgelassenen Schriftsatz überhaupt berücksichtigen muss. Soweit die Kläger inzident auch rügen, dass sie sich auf die vom FG in der mündlichen Verhandlung erstmals erwähnte Rechtsprechung nicht spontan hätten erklären können, hätten sie in der mündlichen Verhandlung die Vertagung oder zumindest einen Schriftsatznachlass beantragen müssen. Im Übrigen haben die Kläger auch nicht dargelegt, was die unterbliebene Sachverhaltsermittlung ihres Erachtens hätte zu Tage fördern sollen und weshalb bei Berücksichtigung dessen das Urteil anders hätte ausfallen können

Offenbare Unrichtigkeit

Eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 Satz 1 AO ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Veranlagungsbeamte einen automatisierten Prüfhinweis unbeachtet lässt.

BFH Beschluss vom 28.05.2015 – VI R BFH/NV 2015, 1078

Sachverhalt:

Streitig ist, ob ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid wegen offenbarer Unrichtigkeit geändert werden durfte.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), Eheleute, begehrten im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2009) für haushaltsnahe Dienstleistungen in Höhe von 278 EUR die Steuervergünstigung nach § 35a des Einkommensteuergesetzes. Bei der Steuerveranlagung verminderte der Veranlagungsbeamte die anzuerkennenden haushaltsnahen Dienstleistungen auf 252 EUR, weil 26 EUR bereits im Vorjahr berücksichtigt worden waren. Dementsprechend hatte er im Mantelbogen den erklärten Betrag (278 EUR) von Hand durchgestrichen und den korrigierten Betrag (252 EUR) dem gestrichenen Betrag handschriftlich vorangestellt. In dem darauf ergangenen Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 6. April 2011 ermäßigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) die Einkommensteuer allerdings nicht auf der Grundlage des korrigierten Betrags von 252 EUR, sondern um 4.000 EUR; in den Erläuterungen wies das FA darauf hin, dass die Schornsteinfegerrechnung vom 3. Dezember 2008 (26 EUR) bereits in der Veranlagung 2008 berücksichtigt worden sei.

Nachdem das FA bemerkt hatte, dass die Steuerermäßigung für die haushaltsnahe Dienstleistung um 3.949 EUR zu hoch angesetzt worden war, erließ es ohne vorherige Anhörung der Kläger den hier streitigen geänderten Einkommensteuerbescheid vom 11. Mai 2012. Gestützt auf § 129 der Abgabenordnung (AO) reduzierte das FA die Steuerermäßigung von 4.000 EUR auf 51 EUR (20 % von 252 EUR) und erhöhte dementsprechend die festzusetzende Einkommensteuer für 2009 um 3.949 EUR. In den Erläuterungen zur Festsetzung war ausgeführt, dass aufgrund eines Eingabefehlers ein zu hoher Betrag angerechnet worden sei. Die Aufwendungen hätten nicht mit 278 EUR, sondern mit 252 EUR angesetzt werden sollen, es sei aber die Zahl 278252 eingegeben worden.

Begründung:

Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Solche offenbare Unrichtigkeiten sind insbesondere mechanische Versehen, beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen zählen zu solchen offenbaren Unrichtigkeiten nicht Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts. Dabei ist § 129 AO schon dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache auf einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler gründet oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht.

Gemessen daran begegnet die Entscheidung und Würdigung des FG, dass im Streitfall ein mechanisches Versehen i.S. des § 129 AO vorliegt und ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum ausgeschlossen werden kann, keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Eingabe des Betrags „252” ohne vorherige Streichung des Betrags „278” eine solche offenbare Unrichtigkeit im Sinne eines Schreibfehlers ist. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig; denn auch die Kläger räumen ein, dass dieser Eintrag als Schreibfehler zu behandeln sei, da es nicht darauf ankomme, ob dieser Fehler per Hand oder durch Eingabe in einen Rechner erfolge. Dem ist zuzustimmen.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass das Übersehen eines Prüfhinweises oder eine besonders oberflächliche Behandlung des Steuerfalls durch die Behörde unabhängig von Verschuldenserwägungen eine Berichtigung des Steuerbescheids nicht ausschließt, solange die diesbezügliche Überprüfung nicht zu einer neuen Willensbildung des zuständigen Veranlagungsbeamten im Tatsachen- oder Rechtsbereich geführt. Bleibt ein Prüfhinweis unbeachtet, perpetuiert sich lediglich der Eingabefehler des Sachbearbeiters. Die Frage, ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls, insbesondere nach der Aktenlage, ist mithin im Wesentlichen eine Tatfrage und unterliegt damit der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang.

Das FG hat seine Überzeugung, dass auch nach Ergehen des Prüfhinweises keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Willensbildung durch den Veranlagungsbeamten vorlägen, im Wesentlichen darauf gestützt, dass ein geschulter Veranlagungsbeamter nicht die unzutreffende Rechtsansicht entwickeln könnte, bei einem für haushaltsnahe Dienstleistungen geltend gemachten Betrag von 278 EUR seien mindestens 20.000 EUR als haushaltsnahe Dienstleistungen steuermindernd zu berücksichtigen; dies läge außerhalb des Vorstellbaren. Angesichts dessen sei die tatsächlich gewährte Steuerermäßigung in Höhe von 4.000 EUR nur erklärlich, wenn man davon ausgehe, dass der Veranlagungsbeamte entgegen dem Prüfhinweis die inhaltliche Kontrolle der haushaltsnahen Dienstleistungen pflichtwidrig unterlassen habe. Ein solches pflichtwidriges Unterlassen bedeute aber nicht, dass der Veranlagungsbeamte die fehlerhafte Gewährung auch rechtlich gebilligt hätte. Vielmehr liege lediglich ein besonders nachlässiges Verhalten vor, das aber nicht die Annahme rechtfertige, der Veranlagungsbeamte sei einem Rechtsirrtum unterlegen. Diese Würdigung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; sie ist angesichts der konkreten Tatumstände jedenfalls möglich, wenn nicht sogar naheliegend.

 

Offenbare Unrichtigkeiten

Eine die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO eröffnende offenbare Unrichtigkeit bei der Übernahme von Angaben des Steuerpflichtigen als eigene seitens des FA erfordert es, dass der zuständige Sachbearbeiter die Unrichtigkeit ohne weitere Prüfung erkennen konnte.

BFH Urteil vom 01.08.2012 – IX R 4/12 BFHNV 2013 S. 1

Begründung

Nach § 129 AO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus.

§ 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht. Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist § 129 AO auch dann anwendbar, wenn das FA offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt. Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist jeweils nach den Verhältnissen des Einzelfalls vom FG als Tatsacheninstanz zu beurteilen.

Im Streitfall liegt zwar eine Unrichtigkeit in Gestalt der Nichtberücksichtigung der von der Klägerin verauslagten, nicht als Werbungskosten geltend gemachten umlagefähigen Kosten vor.

 

 

Kein Vertrauensschutz bei offenbarer Unrichtigkeit

Teilt das Finanzamt dem Steuerpflichtigen schriftlich mit, sein Steuerfall sei abschließend geprüft, ist das Finanzamt deswegen nicht nach Treu und Glauben gehindert, offenkundige Fehler bei der Veranlagung auch weiterhin zu Lasten des Steuerpflichtigen zu korrigieren.

BFH Beschluss vom 13.12.2011 – VIII B 136/11 BFHNV 2012 Seite 550

Begründung:

Soweit der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend macht, der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) sei nach Treu und Glauben gehindert gewesen, den Einkommensteuerbescheid für 2002 gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern, wirft er weder eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch ist insofern eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH verhindert der Vorbehalt der Nachprüfung grundsätzlich das Entstehen eines schutzwürdigen Vertrauenstatbestands. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn das FA eine bindende Zusage erteilt oder durch sein früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.  

Davon ist das Finanzgericht (FG) im Streitfall zu Recht nicht ausgegangen. Zwar hat das FA mit Schreiben vom 30. Juni 2008 mitgeteilt, dass es den Vorbehalt der Nachprüfung anlässlich der bevorstehenden Änderung des Bescheides aufheben werde, da der Streitfall nun abschließend geprüft sei. Bis zum Zeitpunkt dieser Mitteilung war dem FA noch nicht aufgefallen, dass es den Arbeitslohn des Klägers versehentlich um 10.000 EUR zu niedrig angesetzt hatte. Soweit das FG in dieser Mitteilung einen Vertrauen begründenden Vorgang nicht erkannt hat, ist dies von Rechts wegen jedoch nicht zu beanstanden. Zum einen hat sich das FA in der Mitteilung die Änderung des Bescheides gerade vorbehalten und nur für den Zeitpunkt der Änderung die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung angekündigt. Der Kläger hatte danach keinen Anlass davon auszugehen, dass der Bescheid nicht mehr geändert werden würde. Zum anderen kann dem Schreiben vom 30. Juni 2008 und der Mitteilung, der Steuerfall sei nun abschließend geprüft, zwar entnommen werden, dass nur die in diesem Schreiben angekündigten Änderungen beabsichtigt waren. Dies schließt es jedoch nicht aus, offenkundige Fehler bei der Veranlagung in der abschließenden Änderung zu berücksichtigen und jederzeit ebenfalls zu korrigieren. Wie § 129 AO zeigt, ist das Vertrauen in den Bestand offenbarer Unrichtigkeiten nicht geschützt. So liegt der Streitfall. Für den Ansatz eines um 10.000 EUR zu niedrigen Arbeitslohnes gab es keine sachliche Begründung. Es handelte sich mithin um ein mechanisches Versehen, das jederzeit korrigiert werden darf. Unter den gegebenen Umständen bedarf es deshalb keiner weiteren Klärung durch den BFH, wann ein Vertrauenstatbestand vorliegen kann, der eine Bescheidänderung nach § 164 Abs. 2 AO ausschließt.

 

Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung im Wege einer Änderung nach § 129 AO

Eine Unrichtigkeit ist "offenbar", wenn der Fehler bei Offenlegung des aktenkundigen Sachverhalts für einen unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar war. In den objektivierten Erkenntnishorizont dieses Dritten sind neben dem Akteninhalt regelmäßig auch im konkreten Fall einschlägige interne Arbeits- und Dienstanweisungen einzubeziehen.

Ist die Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung versehentlich unterblieben und liegen insoweit die Voraussetzungen des § 129 Satz 1 AO vor, kann das FA den Bescheid unmittelbar nach § 164 Abs. 2 AO ändern.

BFH Urteil vom 01.07.2010 – IV R 56/07 BFH NV 2010 S. 2010 s. 2004 ff

Begründung:

Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.

"Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" sind einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche mechanische Versehen. Sie können beispielsweise bei Eingabe- oder Übertragungsfehlern vorliegen. So können Fehler bei Eintragungen in Eingabewertbögen für die automatische Datenverarbeitung als rein mechanische Versehen ähnliche offenbare Unrichtigkeiten sein, etwa bei einem unbeabsichtigten, unrichtigen Ausfüllen des Eingabebogens oder bei Irrtümern über den tatsächlichen Ablauf des maschinellen Verfahrens bzw. bei der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisung, bei Verwendung falscher Schlüsselzahlen oder beim Übersehen notwendiger Eintragungen.

Auch das versehentliche Unterbleiben eines Vorbehaltsvermerks –etwa in Folge der Unterlassung der Übernahme dieses Vermerks aus der Aktenverfügung in den Bescheid oder der Nichterfassung der erforderlichen Kennziffer– stellt eine gemäß § 129 AO jederzeit zu berichtigende offenbare Unrichtigkeit dar.

Ist in einem Steuerbescheid die Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung versehentlich unterblieben und liegen insoweit die Voraussetzungen des § 129 Satz 1 AO vor, so muss das FA den Bescheid nicht zunächst nach § 129 AO berichtigen, um ihn anschließend nach § 164 Abs. 2 AO ändern zu können. Vielmehr kann der Bescheid in diesem Fall unmittelbar nach § 164 Abs. 2 AO geändert werden; diese Änderung schließt dann die Wahrnehmung der Berichtigungsmöglichkeit ein.

Offenbare Unrichtigkeit bei einer gesonderten Veranlagung von Ehegatten.

Offenbare Unrichtigkeit bei einer gesonderten Veranlagung von Ehegatten.

BFH Urteil vom 21.1.2010, III R 22/08

Begründung:

Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit (innerhalb der Verjährungsfrist) berichtigen. Offenbar ist eine Unrichtigkeit, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist, der Fehler auf bloßes mechanisches Versehen zurückzuführen und die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen ist. Ob jede Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder einer unvollständigen Sachaufklärung bzw. fehlerhaften Tatsachenwürdigung auszuschließen ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles, vor allem nach Aktenlage.

Eine oberflächliche Behandlung des Steuerfalles durch die Finanzbehörde hindert eine Berichtigung nach § 129 AO nicht. Denn die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist nicht von Verschuldenserwägungen abhängig und damit auch nicht von einem eventuellen Organisationsverschulden. Das FG ist aufgrund der Vermerke auf der Einkommensteuererklärung zu der Überzeugung gelangt, dass der Sachbearbeiter das Kreuz übersehen hat, mit dem die Klägerin eine besondere Veranlagung für das Jahr der Eheschließung beantragt hatte. Es hat dieses Übersehen als eine nicht auf rechtlichen Überlegungen oder Schlussfolgerungen beruhende bloße Unachtsamkeit beurteilt. Anhaltspunkte dafür, dass andere Gründe für die Nichtbeachtung des Kreuzes ausschlaggebend gewesen sein könnten, lagen nach Auffassung des FG nicht vor.

Zu Unrecht hat das FG eine Korrektur des Bescheids nach § 129 AO deshalb abgelehnt, weil die fehlerhafte Festsetzung auch darauf beruhe, dass der Bearbeiter darüber hinaus seine Sorgfaltspflichten bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung verletzt habe. Insoweit übersieht das FG, dass § 129 AO nicht von Verschuldenserwägungen abhängig ist und es für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht darauf ankommt, ob der Bearbeiter bei gehöriger Sorgfalt sein Versehen hätte erkennen und die offenbare Unrichtigkeit bei der Steuerfestsetzung hätte vermeiden können.