EuGH hat über Steuerfreiheit der Portfolioverwaltung zu entscheiden

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG vorgelegt :

Ist die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren (Portfolioverwaltung), bei der ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt aufgrund eigenen Ermessens über den Kauf und Verkauf von Wertpapieren entscheidet und diese Entscheidung durch den Kauf und Verkauf der Wertpapiere vollzieht,

– nur als Verwaltung von Sondervermögen für mehrere Anleger gemeinsam nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG oder auch

– als individuelle Portfolioverwaltung für einzelne Anleger nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG (Umsatz, der sich auf Wertpapiere bezieht, oder als Vermittlung eines derartigen Umsatzes) steuerfrei?

Welche Bedeutung kommt bei der Bestimmung von Hauptleistung und Nebenleistung dem Kriterium, dass die Nebenleistung für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, im Verhältnis zur gesonderten Berechnung der Nebenleistung und der Erbringbarkeit der Nebenleistung durch Dritte zu?

Erfasst Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG nur die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g der Richtlinie 2006/112/EG genannten Leistungen oder auch die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren (Portfolioverwaltung), selbst wenn dieser Umsatz nicht der zuletzt genannten Bestimmung unterliegt?

BFH Entscheidung vom 28.10.2010, V R 9/10

Erläuterung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 V R 9/10 dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob Banken und andere Vermögensverwalter, die für einzelne Anleger Wertpapiervermögen verwalten (sog. individuelle Portfolioverwaltung), mit diesen Leistungen der Umsatzsteuer unterliegen. Die Finanzverwaltung bejaht dies, so dass der Portfolioverwalter seine Leistung gegenüber dem Anleger mit dem Regelsteuersatz von 19 % zu versteuern hat. Der BFH ist demgegenüber in einem Einzelfall von der Steuerfreiheit derartiger Leistungen ausgegangen. Auf dieses Urteil hat die Finanzverwaltung mit einem sog. Nichtanwendungserlass reagiert.

Die Beantwortung der dem EuGH vorgelegten Frage hängt maßgeblich davon ab, welche Bedeutung der EuGH dem sog. Grundsatz der steuerlichen Neutralität bei Leistungen zur Vermögensanlage beimisst. Dabei ist zu klären, ob es unter Wettbewerbsgesichtspunkten sachlich gerechtfertigt ist, dass für die sog. kollektive Wertpapieranlage durch Anleger, die sich an Wertpapierfonds beteiligen, eine Steuerbefreiung besteht, während die sog. individuelle Portfolioverwaltung, bei der z.B. eine Bank für einzelne Anleger Wertpapiere kauft und verkauft, nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung der Umsatzsteuer unterliegen soll.

Die dem EuGH vorgelegte Streitfrage betrifft die gesamte Branche der individuellen Portfolioverwaltung für einzelne Anleger in und außerhalb von Banken und hat dementsprechend erhebliche steuerliche Auswirkungen. Die Beantwortung der Frage durch den EuGH ist nicht nur für die Besteuerung des Vermögensverwalters selbst, sondern auch für das zivilrechtliche Verhältnis zum Anleger von Bedeutung. Sollte der EuGH die Steuerfreiheit der individuellen Portfolioverwaltung bejahen, kann für den Anleger je nach Ausgestaltung der zivilrechtlichen Preisvereinbarung ein Rückforderungsanspruch hinsichtlich eines im Preis für die Verwaltungsleistung enthaltenen Steueranteils bestehen, wenn der Vermögensverwalter dem Anleger bisher Umsatzsteuer in Rechnung gestellt hat.