Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten bei gerichtlich geltend gemachten Schadenersatzforderungen

Bei der Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist zwischen der Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit und der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme hieraus zu unterscheiden, da die beiden Voraussetzungen innewohnenden Risiken unterschiedlich hoch zu bewerten sein können.

Der Steuerpflichtige kann nach den Umständen des Einzelfalls nicht verpflichtet sein, eine Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit wegen eines gegen ihn geführten Klageverfahrens zu bilden, wenn nach einem von fachkundiger dritter Seite erstellten Gutachten sein Unterliegen im Prozess am Bilanzstichtag nicht überwiegend wahrscheinlich ist.

Der Grundsatz der Gesamtgewinngleichheit gebietet, dass eine Personengesellschaft, die gemäß § 4 Abs. 1 UmwStG an einen unzutreffenden Bilanzansatz in einer steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft gemäß § 3 Satz 1 UmwStG gebunden ist, diesen Bilanzierungsfehler beim Wechsel der Gewinnermittlungsart gewinnneutral korrigieren kann, wenn er sich bislang steuerlich nicht ausgewirkt hat.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 16.12.2014, VIII R 45/12

Begründung:

Entscheidungsgründe

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die O-AG zur Bildung einer Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten in der steuerlichen Übertragungsbilanz zum 31. Dezember 2003 verpflichtet gewesen ist (s. hierzu unter II.1.). Im Rahmen der Überleitungsrechnung wegen des Wechsels der Gewinnermittlungsart im Streitjahr 2004 ist daher für die Klägerin in der Gewinnfeststellung kein gewinnerhöhender Korrekturposten zu berücksichtigen

Die O-AG musste in ihrer steuerlichen Schlussbilanz i.S. des § 3 UmwStG zum 31. Dezember 2003 wegen des gegen sie geführten Klageverfahrens entgegen der Auffassung des FG keine Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit gegenüber der C-AG bilden. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) gehört zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG für die Steuerbilanz.

Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach –deren Höhe zudem ungewiss sein kann– sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Zudem darf es sich bei den Aufwendungen nicht um (nachträgliche) Herstellungs- oder Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts handeln.

Es steht nicht im Ermessen des Kaufmanns, ob er eine Belastung annimmt und dafür eine Rückstellung bildet. Eine bloß subjektive Einschätzung liefe dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zuwider. Deshalb muss das Vorhandensein der Belastung nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt werden.

Ob das Bestehen oder Entstehen der Verbindlichkeit wahrscheinlich und die Inanspruchnahme hieraus zu erwarten ist, richtet sich somit nach den objektiven Verhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtags unter Berücksichtigung der bis zur Bilanzaufstellung –oder spätestens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Bilanz im ordnungsgemäßen Geschäftsgang (§§ 243 Abs. 3, 264 Abs. 1 HGB) aufzustellen gewesen wäre– bekannt werdenden wertaufhellenden Umstände Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind als “wertaufhellend” jedoch nur die Umstände zu berücksichtigen, die zum Bilanzstichtag bereits objektiv vorlagen und nach dem Bilanzstichtag, aber vor dem Tag der Bilanzerstellung lediglich bekannt oder erkennbar wurden.

Nicht wertaufhellend, sondern wertbegründend und damit nicht zu berücksichtigen, sind solche Umstände, die am Bilanzstichtag objektiv noch nicht vorlagen. Hierzu gehören z.B. prozessbeendende Maßnahmen, die erst nach dem Bilanzstichtag erfolgen, wie etwa ein nach dem Bilanzstichtag ergangenes, das Verfahren beendendes Urteil, eine Klagerücknahme, ein Rechtsmittelverzicht oder der Abschluss eines Prozessvergleiches. Denn eine nach dem Bilanzstichtag getroffene Disposition oder (endgültige) Entscheidung über den Streitgegenstand vermag nicht rückwirkend oder “wertaufhellend” das tatsächlich zum Bilanzstichtag fortbestehende Risiko zu beseitigen. Die Umstände beruhen vielmehr auf Entschließungen oder Entscheidungen, die erst nach dem Bilanzstichtag getroffen wurden.

Zwischen der Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit (“Ungewissheit” i.S. des § 249 HGB) und der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme ist zu unterscheiden, da die beiden Voraussetzungen innewohnenden Risiken unterschiedlich hoch zu bewerten sein können. Das Bestehen der Verbindlichkeit ist nur anhand der rechtlichen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage zu prüfen. Auch hier kann sich indes ergeben, dass es nicht nur ungewiss, sondern unwahrscheinlich ist, ob die Anspruchsgrundlage erfüllt ist. So kann gerade bei gesetzlichen Schadenersatzansprüchen oder bei Rückforderungsansprüchen wie im Streitfall zu unterscheiden sein zwischen dem Risiko bzw. der Wahrscheinlichkeit des rechtlichen Bestehens einer Schadenersatz- oder Rückzahlungsverpflichtung dem Grunde nach und dem Risiko, ob der Gläubiger den Steuerpflichtigen –auch bei sicherer oder wahrscheinlich bestehender Verpflichtung– tatsächlich in Anspruch nehmen wird.

Die für die Rückstellungsbildung erforderliche Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme des Kaufmanns muss einzelfallbezogen im Wege einer Prognose anhand der erkennbaren tatsächlichen Verhältnisse beurteilt werden. Es müssen aus der Sicht des Bilanzstichtages mehr objektive Gründe für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme als dagegen sprechen. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der vermeintliche Gläubiger am Bilanzstichtag bereits im Klagewege gegen den Steuerpflichtigen vorgeht. Die “Gefahr” der Inanspruchnahme besteht dann solange fort, bis der Anspruch nicht rechtskräftig abgewiesen ist. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige als Beklagter zunächst in einer Instanz obsiegt hat. Denn für den Steuerpflichtigen besteht im maßgeblichen Zeitpunkt der Bilanzaufstellung (s. oben unter II.1.b bb) das Risiko, aufgrund einer Entscheidung der nachfolgenden Instanz in Anspruch genommen zu werden, jedenfalls dann weiter, wenn der Prozessgegner ein (nach den objektiven Erkenntnismöglichkeiten am Bilanzstichtag) nicht offensichtlich unzulässiges Rechtsmittel eingelegt hat oder noch einlegen kann.

Die darüber hinaus erforderliche Prognose, ob das Bestehen der gerichtlich geltend gemachten Forderung überwiegend wahrscheinlich ist, bezieht sich –wie dargelegt– auf ein von der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme zu unterscheidendes Risiko. Es ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob die Verpflichtung dem Grunde nach rechtlich besteht. Dieses rechtliche Bestehen ist überwiegend wahrscheinlich, wenn nach allen am Bilanzstichtag objektiv gegebenen (und bis zur Aufstellung der Bilanz subjektiv erkennbaren) Umständen mehr Gründe für als gegen das Bestehen der Verbindlichkeit sprechen. Eine Verbindlichkeit, auch eine ungewisse, muss bereits eine wirtschaftliche Belastung darstellen

Danach kann es –worauf das FG maßgeblich abstellt– zwar für die Bildung einer Rückstellung nach den Umständen des Einzelfalls ausreichend sein, dass der Steuerpflichtige bei bereits gegen ihn gerichtlich geltend gemachten Ansprüchen in seiner Prognoseentscheidung zum Bilanzstichtag grundsätzlich von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit ausgeht, wenn die Klage oder das Rechtsmittel nicht offensichtlich unzulässig, dem Grunde oder der Höhe nach willkürlich oder erkennbar nur zum Schein angestrengt worden ist und zum Bilanzstichtag keine weiteren objektiven Anhaltspunkte vorliegen, die eine genauere Prognose ermöglichen. Denn regelmäßig sind für den Ausgang des anhängigen Gerichtsverfahrens mehrere nicht zuverlässig zu prognostizierende Prozessereignisse entscheidend, wie etwa das Ergebnis einer Beweisaufnahme, das Verhalten des Prozessgegners (z.B. durch die Abgabe von überraschenden Prozesserklärungen) oder wie das Gericht über komplexe oder umstrittene Rechtsfragen entscheiden wird.

Sind jedoch weitere gewichtige objektive Umstände ersichtlich, die gegen ein Unterliegen im Prozess sprechen, sind auch diese im Rahmen der Prognoseentscheidung zu berücksichtigen, sofern es sich nicht um erst nach dem Bilanzstichtag eingetretene wertbegründende Tatsachen handelt. Zu diesen objektiven Umständen, die Eingang in die Prognose über den Ausgang des Verfahrens finden können, kann –wie im Streitfall– auch ein im Wertaufhellungszeitraum von fachkundiger dritter Seite erstelltes Gutachten gehören, welches zu dem Ergebnis kommt, das Unterliegen im Verfahren sei zum Bilanzstichtag nicht überwiegend wahrscheinlich. Die darauf gestützte Prognoseentscheidung des Steuerpflichtigen, die Klage werde als unbegründet abgewiesen, ist jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn das eingeholte Gutachten sich mit allen vom Prozessgegner geltend gemachten Ansprüchen und den Fragen der prozessual notwendigen Beweiserhebung auseinandersetzt und der Ausgang des Rechtsstreits von der Entscheidung mehrerer ungeklärter Rechtsfragen sowie von einer noch nicht durchgeführten Beweisaufnahme abhängt

Zwar ist die O-AG vor dem 31. Dezember 2003 als steuerlichem Übertragungsstichtag gerichtlich in Anspruch genommen worden. Sie durfte jedoch im Rahmen ihrer Prognoseentscheidung auf das innerhalb des Wertaufhellungszeitraumes zur Erstellung der Bilanz zum 31. Dezember 2003 eingeholte Rechtsgutachten der Rechtsanwaltskanzlei W vertrauen und deshalb davon ausgehen, das Obsiegen der C-AG im Prozess und damit das Bestehen der Verbindlichkeit sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Im Streitfall tritt hinzu, dass das besagte Gutachten auf Betreiben der finanzierenden Bank, eines fremden Dritten, eingeholt wurde.

Der erst im Mai 2004 zwischen den Parteien des Rechtsstreits geschlossene Vergleich war hingegen als wertbegründende Tatsache bei der Prognoseentscheidung zum 31. Dezember 2003 nicht zu berücksichtigen, wovon das FG zutreffend ausgegangen ist. Zwar hat die O-AG erst danach auf Grundlage des Verschmelzungsvertrages vom … August 2004 die Bilanz der O-AG vom 31. Dezember 2003 zur jeweils handels- und steuerrechtlichen Übertragungsbilanz bestimmt. Beide Bilanzen sind jedoch nach den Regelungen über die Aufstellung des Jahresabschlusses aufzustellen (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG), sodass im Streitfall der erst im Rückwirkungszeitraum abgeschlossene Vergleich als wertbegründender Umstand nicht zum Ansatz einer Rückstellung in der steuerlichen Übertragungsbilanz führt

Stichtagsbezogene Anpassung des Ansammlungszeitraums

Auch beim Ausweis von Rückstellungen, für deren Entstehen im wirtschaftlichen Sinne der laufende Betrieb ursächlich ist (sog. Ansammlungsrückstellung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d EStG 2002), ist das Stichtagsprinzip zu beachten. Wird deshalb das einer Beseitigungspflicht für Bauten auf fremdem Grund und Boden zugrunde liegende Rechtsverhältnis (hier: Miet- und Pachtvertrag) über das zunächst festgelegte Vertragsende hinaus –sei es durch Änderung des bisherigen Vertrags, sei es durch Begründung eines neuen Rechtsverhältnisses– (wirtschaftlich) fortgesetzt, ist dieser verlängerte Nutzungszeitraum auch dem Rückstellungausweis zugrunde zu legen.

BFH Urteil vom 2.7.2014, I R 46/12

 

Bildung einer Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands

Die Bildung einer Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands –hier für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen– setzt u.a. voraus, dass der Steuerpflichtige zur Betreuung der Versicherungen rechtlich verpflichtet ist. Bei einem Versicherungsmakler kommt als möglicher Rechtsgrund hierfür der Maklervertrag in Betracht.

Einen für einen Versicherungsmakler tätigen Handelsvertreter, der nicht selbst Vertragspartner der Maklerverträge wird, trifft aus diesen Maklerverträgen keine solche Nachbetreuungsverpflichtung.

BFH Urteil vom 27.2.2014, III R 14/11

Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen

Die Abzinsung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen richtet sich gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG nach dem Zeitraum bis zur erstmaligen Erfüllung der Bestandspflegepflicht. Diesen hat der Steuerpflichtige darzulegen und mit Stichproben zu belegen (Fortentwicklung der Rechtsprechung in den Senatsurteilen vom 19. Juli 2011 X R 26/10, BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856; X R 48/08, BFH/NV 2011, 2032, und X R 8/10, BFH/NV 2011, 2035).

Steht fest, dass der Steuerpflichtige vertraglich zur weiteren Betreuung der von ihm vermittelten Versicherungsverträge verpflichtet ist und auch tatsächlich entsprechende Nachbetreuungsleistungen erbracht hat, scheitert die Bildung der Rückstellung zwar nicht daran, dass er keine der Rechtsprechung entsprechenden Aufzeichnungen über den Umfang der Betreuungsleistungen vorlegen kann. Da den Steuerpflichtigen aber die Darlegungs- und Beweislast trifft, muss sich die dann vorzunehmende Schätzung des Betreuungsaufwandes im unteren Rahmen bewegen.

BFH  Urteil vom 12.12.2013, X R 25/11

Rückstellung für Pensionszusage

Ein Dienstverhältnis i.S. von § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 2 und 3 EStG 2002 hat mit dem tatsächlichen Dienstantritt beim Dienstberechtigten begonnen. Wird vor Erteilung der Pensionszusage der mit dem zusagenden Unternehmen geschlossene Anstellungsvertrag beendet und ein neuer Dienstvertrag geschlossen, so sind die Dienstzeiten aus dem ersten Rechtsverhältnis als sog. Vordienstzeiten zu berücksichtigen, wenn deren Anrechnung für die im Verlauf des zweiten Dienstverhältnisses erteilte Pensionszusage vereinbart wird. Letzteres gilt auch, wenn es sich bei dem (ersten) Anstellungsvertrag mangels Vergütungsanspruchs um einen Auftrag i.S. von § 662 BGB gehandelt hat.

Pensionszusagen an beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer unterliegen dem sog. Nachzahlungsverbot; sie sind insoweit durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst, als die für die Unverfallbarkeit von Pensionsansprüchen geltenden Fristen nicht an den Zeitpunkt der Erteilung der Pensionszusage, sondern an den früheren Zeitpunkt der Betriebszugehörigkeit anknüpfen. Demgemäß ist die auf der Vereinbarung von Vordienstzeiten beruhende Rückstellungsbewertung nach § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 2 und 3 EStG 2002 durch den Ansatz einer vGA außerbilanziell zu korrigieren.

BFH Urteil vom 26.6.2013, I R 39/12

 

Rückstellungen für Kostenüberdeckungen eines kommunalen Zweckverbandes

Ist eine sog. Kostenüberdeckung nach Maßgabe öffentlich-rechtlicher Vorschriften in der folgenden Kalkulationsperiode auszugleichen (Rückgabe der Kostenüberdeckung durch entsprechende Preiskalkulation der Folgeperiode), liegt eine rückstellungsfähige ungewisse Verbindlichkeit vor.

Das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG 2002 setzt voraus, dass sich der Anspruch des Gläubigers nur auf künftiges Vermögen (nicht: auf am Bilanzstichtag vorhandenes Vermögen) des Schuldners bezieht. An einer aktuellen wirtschaftlichen Belastung des Vermögens des Schuldners bestehen bei einer Rückgabe der Kostenüberdeckung durch entsprechende Preiskalkulation der Folgeperiode keine begründeten Zweifel, wenn der Betrieb, der die zukünftigen Einnahmen und Gewinne erwirtschaftet, mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit für die Dauer der Ausgleichsperiode aufrechterhalten und damit die Erfüllung der Ausgleichsverpflichtung realisiert wird.

BFH Urteil vom 6.2.2013, I R 62/11

 

Ansammlungszeitraum bei der Berechnung einer Rückstellung für eine Mieter-Abbruchverpflichtung bei Verlängerung des Mietvertrags

Ein neuer Miet- oder Pachtvertrag über ein Grundstück, für das bereits eine Ansammlungsrückstellung gebildet wurde, führt nicht zu einer Neuberechnung des Ansammlungszeitraums

Niedersächsisches Finanzgericht 6. Senat, Urteil vom 10.05.2012, 6 K 108/10

Begründung:

Errichtet ein Mieter auf fremden Grund und Boden bauliche Anlagen, so ist er – sofern mit dem Vermieter keine anders lautende Vereinbarung getroffen worden ist – zivilrechtlich verpflichtet, die Anlagen bei Ende des Mietverhältnisses zu beseitigen (§ 556 Abs. 1 BGB; BFH-Urteil vom 28.03.2000 VIII R 13/99, BStBl. II 2000, 612 unter 1.a der Entscheidungsgründe). Besteht für den Mieter eine Entfernungsverpflichtung, muss er für die anfallenden Abbruchkosten in der Handelsbilanz (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) und der Steuerbilanz (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) eine Rückstellung ausweisen ). Es handelt sich dabei um eine Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit. Die Rückstellung ist in der Steuerbilanz (nur) in Höhe der am jeweiligen Bilanzstichtag zu erwartenden Abbruchkosten zu bilden . Zu erwartende Preissteigerungen bis zum Erfüllungszeitpunkt sind steuerrechtlich nicht zu berücksichtigen, wie der Gesetzgeber zwischenzeitlich in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. f EStG 2009 ausdrücklich geregelt hat.

Rückstellungen für Verpflichtungen, für deren Entstehen im wirtschaftlichen Sinne der laufende Betrieb ursächlich ist, sind zeitanteilig in gleichen Raten anzusammeln (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d Satz 1 EStG). Diese Regelung bezieht sich nur auf echte Ansammlungsrückstellungen (vgl. BT-Drucks 14/443, S. 18). Solche Rückstellungen sind für Verpflichtungen zu bilden, die am Bilanzstichtag bereits feststehen, aber unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten auf die für ihr Entstehen ursächlichen Geschäftsjahre verteilt werden müssen.

Nach diesen Maßstäben war die Klägerin zunächst verpflichtet, eine Rückstellung für die Verbindlichkeit zum Abriss der von ihrer Rechtsvorgängerin auf dem Pachtgrundstück errichteten Gebäude bis zum 30.09.1991 anzusammeln. Zu diesem Zeitpunkt endeten der ursprüngliche Pachtvertrag der Fa. X mit Y und der Unterpachtvertrag der Klägerin mit X, in dem die Klägerin sich dazu verpflichtete, die entsprechende Beseitigungspflicht der X aus deren Pachtvertrag mit Y zu übernehmen.

Soweit ersichtlich, wurde die Frage, welche Auswirkungen es auf die Höhe einer Ansammlungsrückstellung hat, wenn nach Ablauf des ursprünglich vereinbarten Miet- bzw. Pachtzeitraums eine weitere Nutzung des Miet- bzw. Pachtgegenstands vereinbart wird, in der Rechtsprechung noch nicht entschieden.

Rückstellung wegen Erfüllungsrückstand

Ob ein Versicherungsvertreter, der von der Versicherung nicht nur eine Abschlussprovision, sondern auch eine Bestandspflegeprovision erhält, wegen der Bestandspflege eine Rückstellung bilden darf, hängt davon ab, ob die Abschlussprovision von der Versicherung in rechtlicher Hinsicht auch wegen der noch zu erbringenden Bestandspflege geleistet wird und aus diesem Grund eine Vorleistung gegeben ist.

BFH Beschluss vom 08.11.2011 – X B 221/10 (NV) BFH NV 2012 S. 217 f.

Begründung:

Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass eine Rückstellung gebildet werden kann, wenn im Rahmen schwebender Geschäfte, zu denen auch Dauerschuldverhältnisse gehören können, ein Erfüllungsrückstand besteht. Das Bestehen eines solchen Erfüllungsrückstands bestimmt sich danach, ob die noch zu erbringende Leistung nicht nur an Vergangenes anknüpft, sondern durch Vergangenes abgegolten wird. Der so definierte Erfüllungsrückstand setzt eine Verpflichtung voraus, die sich als vom Vertragspartner durch dessen erbrachte Vorleistung erdient und eine am Bilanzstichtag des Steuerpflichtigen somit rückständige Gegenleistung darstellt.

In Anwendung dieser Grundsätze hat der BFH entschieden, dass eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands zu bilden ist, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält. Ob eine solche Rückstellung auch gebildet werden kann, wenn der Versicherungsvertreter von der Versicherung nicht nur eine Abschlussprovision, sondern auch eine Bestandspflegeprovision erhält, hat der BFH zwar nicht entschieden. Diese Rechtsfrage bedarf indessen nicht der grundsätzlichen Klärung, weil sie in Anwendung der allgemeinen Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage des Erfüllungsrückstands zu beantworten ist.

Danach genügt es für die Bildung einer solchen Rückstellung nicht, dass die Versicherung zur Pflege des Versicherungsbestands verpflichtet ist. Vielmehr muss sich auch feststellen lassen, dass die Abschlussprovision von der Versicherung in rechtlicher Hinsicht auch wegen der noch zu erbringenden Bestandspflege geleistet wird, sich also im Hinblick hierauf als Vorleistung darstellt. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den gegebenen vertraglichen Bestimmungen.

Da es um das Vorliegen eines Verpflichtungsüberhangs geht, kann die erlangte Abschlussprovision nicht allein mit der Begründung als Vorleistung für die zu erbringende Bestandspflege angesehen werden, die vertraglich vereinbarten Bestandspflegeprovisionen seien nicht kostendeckend. Von diesen Grundsätzen geht ersichtlich auch die finanzgerichtliche Rechtsprechung aus.

 

Rückstellungen für Mietrückzahlungen aus der Vermietung von Kraftfahrzeugen

Verpflichtet sich der Vermieter von Kraftfahrzeugen gegenüber den Mietern, das Fahrzeug zum Ende der Mietzeit zu veräußern und den Veräußerungserlös insoweit an den Mieter auszuzahlen, als er einen vertraglich vereinbarten, unter dem Buchwert der Fahrzeuge zum Vertragsende liegenden Restwert übersteigt, kann er für diese Pflicht ratierlich eine Rückstellung in der Höhe bilden, in der der vereinbarte Restwert unter dem Buchwert der Fahrzeuge liegt.

Verpflichtungen aus einem Erfüllungsrückstand sind abzuzinsen.

BFH Urteil vom 21.9.2011, I R 50/10

Begründung:

Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH entweder –erstens– das Bestehen einer dem Betrage nach ungewissen, dem Grunde nach aber bestehenden Verbindlichkeit oder –zweitens– die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer –ggf. zugleich auch ihrer Höhe nach noch ungewissen– Verbindlichkeit .

Diese Voraussetzungen sind im Einzelfall auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen. Dieser muss darüber hinaus ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen müssen. Des Weiteren ist ein wirtschaftlicher Bezug der Verbindlichkeit zum Zeitraum vor dem jeweiligen Bilanzstichtag erforderlich.

Beruht die ungewisse Verbindlichkeit auf einem so genannten schwebenden Geschäft aus einem gegenseitigen Vertrag, der von der zur Sach- oder Dienstleistung verpflichteten Partei noch nicht voll erfüllt ist, hat die Passivierung regelmäßig zu unterbleiben. Anders ist dies nur zu beurteilen, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehung durch schuldrechtliche Vorleistungen oder einen Erfüllungsrückstand gestört ist.

Die Klägerin schuldet ihren Vertragspartnern zum einen die Überlassung der Fahrzeuge während der Mietzeit entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen. Zum anderen ist sie jedoch auch verpflichtet, am Ende der Mietzeit die Fahrzeuge jeweils zu veräußern und den Erlös abzüglich des vereinbarten Restwerts an die Mieter herauszugeben. Die Verpflichtung zur Auskehrung des Veräußerungserlöses ist ohne Abschluss der Mietverträge nicht denkbar. Sie ist rechtlich und wirtschaftlich mit den Mietverträgen über die Fahrzeuge verknüpft. Denn die Klägerin erleidet hierdurch bei isolierter Betrachtung einen Verlust in Höhe der Differenz zwischen dem kalkulierten Restwert der Fahrzeuge und dem Buchwert zum Zeitpunkt des Ausscheidens der Fahrzeuge aus der Bilanz, ohne dass sie hierfür vertraglich eine gesonderte Gegenleistung erhält. Diese Vereinbarung lässt sich nur durch die Höhe der Mietraten erklären, die so bemessen werden, dass sie auch den Fall einer außergewöhnlichen Abnutzung des Fahrzeugs auf den kalkulierten Restwert abdecken. Es handelt sich –wirtschaftlich betrachtet– um eine Mietrückzahlung, die unter der Bedingung steht, dass sich das Fahrzeug zum Ende der Mietzeit noch im Betriebsvermögen der Klägerin befindet und der Veräußerungserlös den kalkulierten Restwert übersteigt. Für diese Pflicht, die die Klägerin am Ende der Laufzeit der Mietverträge trifft, vereinnahmt sie die Gegenleistung bereits während der Mietzeit in Form "überhöhter" Mietraten. Da diese Erlöse mit der Vergütungspflicht zum Ende des Vertrags belastet sind, befindet sich die Klägerin insoweit in einem Erfüllungsrückstand (Verpflichtungsüberhang), dem zur Vermeidung eines überhöhten Gewinnausweises durch die Bildung einer Rückstellung bilanziell Rechnung getragen werden muss.

Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen

Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen.

BFH Urteil vom 19.7.2011, X R 26/10

Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in mehreren Urteilen vom 19. Juli 2011 (Az. X R 26/10 sowie X R 8/10, X R 9/10 und X R 48/08) entschieden, dass ein Versicherungsvertreter Rückstellungen für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen zu bilden hat.

In dem Streitfall X R 26/10 hatte der Versicherungsvertreter in seiner Gewinnermittlung für das Jahr 2004 erstmals eine Rückstellung für Bestandspflege passiviert. Das Finanzamt lehnte den Ansatz einer Rückstellung ab, das Finanzgericht gab der Klage teilweise statt. Die Rückstellung sei dem Grunde nach berechtigt; allerdings sei nur ein Aufwand von 0,5 Stunden pro Vertrag und Jahr anzusetzen, der zu einer Rückstellung von 40.911 € führe.

Der BFH hielt im Anschluss an die bisherige Rechtsprechung die Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen grundsätzlich für geboten. Den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Regelungen des Einkommensteuergesetzes lasse sich keine Beschränkung der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen auf wesentliche Verpflichtungen entnehmen. Der BFH hob das angefochtene Urteil aber auf, da die rechtliche Pflicht zur Nachbetreuung nicht hinreichend geklärt sei. Zur Höhe der Rückstellung werden in der Entscheidung umfangreiche Hinweise gegeben; der BFH verlangt, dass insoweit konkrete Aufzeichnungen geführt und vorgelegt werden, die eine angemessene Schätzung der Höhe der zu erwartenden Betreuungsaufwendungen ermöglichen.