Abgrenzung des Erwerbs einer Vertragsarztpraxis vom Erwerb nur des wirtschaftlichen Vorteils aus einer Vertragsarztzulassung

Wird vom Erwerber einer Vertragsarztpraxis ein Zuschlag zum Verkehrswert (Überpreis) gezahlt, spricht dies wie eine Zahlung, die sich ausschließlich am Verkehrswert orientiert, dafür, dass Gegenstand der Übertragung die Praxis des Auch in diesem Fall ist in einem durch den Kaufpreis abgegoltenen Praxiswert der Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt untrennbar enthalten.

Der Erwerb einer Praxis als Chancenpaket im Sinne des BFH-Urteils in BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875 kann auch vorliegen, wenn eine Gemeinschaftspraxis (Personengesellschaft) eine Einzelpraxis erwirbt und die Vertragsarztzulassung des Einzelpraxisinhabers vom Zulassungsausschuss einem Gesellschafter der Personengesellschaft erteilt wird. Dies kann auch dann gelten, wenn die Gemeinschaftspraxis nicht beabsichtigt, die ärztliche Tätigkeit in den bisherigen Räumen des Einzelpraxisinhabers fortzusetzen.

BFH Urteil vom 21,02.2917 VIII R 7/14

Begründung:

Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Entgegen der Würdigung des FG hat die GbR die Anschaffungskosten in Höhe von… EUR zum Erwerb der materiellen Wirtschaftsgüter der Praxis des S und eines Praxiswerts aufgewendet. Sie kann daher in den Streitjahren Betriebsausgaben in Form von AfA für diese in Anspruch nehmen.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist für die Ermittlung der AfA nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG zwischen dem Erwerb des Betriebs einer Vertragsarztpraxis als Sachgesamtheit (mit sämtlichen materiellen Wirtschaftsgütern und einem Praxiswert) und dem Erwerb nur des immateriellen Wirtschaftsguts des “mit einer Vertragsarztzulassung verbundenen wirtschaftlichen Vorteils” zu unterscheiden,

Erwirbt der Käufer eine Vertragsarztpraxis (den “Betrieb”) als einheitliches Chancenpaket, lassen sich die Anschaffungskosten –soweit sie nicht auf die erworbenen materiellen Wirtschaftsgüter zu verteilen sind– nicht in solche für den Erwerb des immateriellen Wirtschaftsguts “Praxiswert” und andere immaterielle Wirtschaftsgüter (wie den “Vorteil aus einer Vertragsarztzulassung” oder einen Patientenstamm) aufteilen. Das mit der Praxis erworbene Chancenpaket setzt sich aus den verschiedenen wertbildenden Einzelbestandteilen zusammen (Patientenstamm, Standort, Umsatz, Facharztgruppe etc.) und wird –neben den einzeln bewertbaren materiellen Wirtschaftsgütern der Praxiseinrichtung– in der Regel hauptsächlich durch den als immaterielles Wirtschaftsgut abschreibbaren Praxiswert repräsentiert. In dem erworbenen immateriellen Wirtschaftsgut “Praxiswert” sind somit insbesondere der “Vorteil aus der Vertragsarztzulassung” und der Patientenstamm “mitenthalten”.

Wie beim Geschäftswert des Betriebs eines Gewerbetreibenden handelt es sich auch beim Praxiswert um einen Inbegriff einer Anzahl von im Einzelnen nicht messbaren Faktoren. Eine gesonderte Bewertung des Vorteils aus der Zulassung neben oder statt des Praxiswerts kommt aus Gründen der Praktikabilität nicht in Betracht, weil ein sachlich begründbarer Aufteilungs- und Bewertungsmaßstab nicht ersichtlich ist.
Zahlt der Erwerber einen Preis in Höhe des Verkehrswerts der Vertragsarztpraxis, indiziert dies, dass die Praxis als Chancenpaket Gegenstand der Übertragung ist, da sich der Kaufpreis in diesem Fall maßgeblich nach der Patientenstruktur und der damit verbundenen Ertragskraft der Praxis richtet.

Wird vom Erwerber sogar ein Zuschlag zum Verkehrswert (Überpreis) gezahlt, kann –entgegen der Ansicht des FG– nichts anderes gelten. Die Zahlung eines solchen Zuschlags zum Verkehrswert indiziert erst recht, dass Gegenstand der Übertragung die Praxis als Chancenpaket ist. Denn der Erwerber vergütet neben der Ertragskraft des Patientenstamms dann noch weitere wertbildende Faktoren der Praxis, die durch das Wirtschaftsgut Praxiswert verkörpert werden. Auch bei Zahlung eines Zuschlags zum Verkehrswert ist die Vertragsarztzulassung untrennbarer Bestandteil des veräußerten und erworbenen Wirtschaftsguts “Praxiswert”.

Wird der erfolgreiche Übergang der Vertragsarztzulassung auf den Praxiserwerber im Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 4 SGB V von den Parteien zur Bedingung oder Geschäftsgrundlage für das Zustandekommen des Praxisübernahmevertrags gemacht, hat diese vertragliche Gestaltung keine Indizwirkung dafür, dass es dem Erwerber um den Erwerb nur des wirtschaftlichen Vorteils aus der Zulassung geht. Eine vertragliche Verzahnung zwischen der Bindungswirkung des zivilrechtlichen Kaufvertrags und dem Ausgang des Nachbesetzungsverfahrens ist Ausfluss der Regelung des § 103 Abs. 4 SGB V und des Umstands, dass das öffentlich-rechtliche Nachbesetzungsverfahren und die zivilrechtliche Praxisübernahme voneinander unabhängige Rechtsakte sind.

Der Erwerb einer Praxis als Chancenpaket im Sinne des BFH- kann entgegen der Auffassung des FG auch vorliegen, wenn eine Gemeinschaftspraxis (Personengesellschaft) eine Einzelpraxis samt der wertbildenden Faktoren erwirbt und die Vertragsarztzulassung des Übergebers vom Zulassungsausschuss einem Gesellschafter der Personengesellschaft neu erteilt wird. Dass als Folge dieser Entscheidung des Zulassungsausschusses eine “Praxis vom Markt genommen” und der Kreis der Anbieter für die betroffenen ärztlichen Leistungen eingeengt wird, ist für sich betrachtet kein Indiz dafür, dass es den Parteien des Praxisübergabevertrags ausschließlich um die Überleitung der wirtschaftlichen Vorteile aus einer Zulassung im Zulassungsbereich geht.
Für den beabsichtigten Erwerb der Vertragsarztpraxis des S mit den wertbildenden Faktoren spricht im Streitfall bereits maßgeblich die Zahlung eines Kaufpreises in Höhe eines Zuschlags zum Verkehrswert, von dem das FG im Streitfall ausgegangen ist (s. unter II.2.a). Auch in diesem Fall orientiert sich der Kaufpreis an der Ertragskraft und Patientenstruktur der Praxis des Veräußerers. Die vom FA in der mündlichen Verhandlung betonte Auffassung, bei einem auf Überweisungen beruhenden Patientenzulauf in einer Facharztpraxis könne kein Patientenstamm veräußert und erworben werden, weshalb quasi zwingend nur die Zulassung Übertragungsgegenstand sei, teilt der Senat nicht. Entscheidend ist, ob die Parteien des Übertragungsvertrags die Praxis als solche übertragen wollen und deshalb einen Kaufpreis in Höhe des Verkehrswerts oder darüber vereinbaren. Ob sich der Verkehrswert nach der Ertragskraft eines dauerhaften Patientenstamms oder überzuleitender sog. Zuweiserbindungen bemisst, spielt für die Beurteilung des Vertragsgegenstands keine Rolle.

Nach alledem steht fest, dass die GbR die Praxis des S als Chancenpaket erworben hat und die Anschaffungskosten in Höhe von… EUR auf die erworbenen materiellen Wirtschaftsgüter der Praxis und einen Praxiswert aufzuteilen sind.