Zur Gewährung des Vorsteuerabzugs aus Billigkeitsgründen und zu den Grenzen einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung

Die Gewährung des Vorsteuerabzugs unter dem Gesichtspunkt einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung setzt, auch im Wege einer Billigkeitsmaßnahme, voraus, dass die zu berichtigende Rechnung falsche oder unvollständige Angaben enthält, die einer Berichtigung zugänglich wären.

Die für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, dass die Vorsteuer erst in dem Besteuerungszeitraum abgezogen werden kann, in dem ihm auch die Rechnung vorliegt, beruht auf einer bewussten Anordnung des Gesetzgebers, die nicht durch eine Billigkeitsmaßnahme unterlaufen werden darf.

BFH Urteil vom 19.6.2013, XI R 41/10

Begründung:

Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne die Steuer erhöhende Besteuerungsgrundlagen unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen unbillig wäre.

Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme.

Die Klägerin hat unter dem Gesichtspunkt einer Rechnungsberichtigung keinen Anspruch darauf, den aus den Rechnungen vom 4. Juni 2007 geltend gemachten Vorsteuerabzug in Höhe von insgesamt … EUR aus sachlichen Billigkeitsgründen statt im Veranlagungszeitraum 2007 rückwirkend in den Besteuerungszeiträumen 1999 bis 2005 vornehmen zu können.

Sie trägt hierzu zwar vor, diese Möglichkeit habe sich erst aufgrund des EuGH-Urteils –Pannon Gép– (Slg. 2010, I-7467, UR 2010, 693) ergeben und es sei ihr daher im Zeitpunkt der Antragstellung nicht zumutbar gewesen, ihre Rechtsauffassung im Rahmen des Festsetzungsverfahrens zu verfolgen. Sie kann den Vorsteuerabzug aber unter dem Gesichtspunkt einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung bereits deshalb nicht –auch nicht im Wege einer Billigkeitsmaßnahme– in den Streitjahren 1999 bis 2005 geltend machen, weil die in diesen Jahren laufend ausgestellten Rechnungen keine falschen oder unvollständigen Angaben enthalten, die einer Berichtigung zugänglich wären.

Der Sachverhalt unterscheidet sich insoweit von dem in dem EuGH-Urteil –Pannon Gép– (Slg. 2010, I-7467, UR 2010, 693), in dem die zunächst ausgestellten Rechnungen unrichtige Daten des Abschlusses der Dienstleistungen aufwiesen. Der EuGH hat dazu entschieden, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung oder Praxis entgegenstehe, "nach der die nationalen Behörden einem Steuerpflichtigen das Recht, den für ihm erbrachte Dienstleistungen geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuerbetrag von der von ihm geschuldeten Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen, mit der Begründung absprechen, dass die ursprüngliche Rechnung, die zum Zeitpunkt der Vornahme des Vorsteuerabzugs in seinem Besitz war, ein falsches Datum des Abschlusses der Dienstleistung aufgewiesen habe und dass die später berichtigte Rechnung und die die ursprüngliche Rechnung aufhebende Gutschrift nicht fortlaufend nummeriert gewesen seien (…), wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind und der Steuerpflichtige der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet hat, in der das zutreffende Datum des Abschlusses der genannten Dienstleistung vermerkt war, auch wenn diese Rechnung und die die ursprüngliche Rechnung aufhebende Gutschrift keine fortlaufende Nummerierung aufweisen".