Abziehbarkeit von EU-Geldbußen

Der zur Bemessung von Geldbußen nach Art. 23 Abs. 3 EGV 1/2003 zu errechnende Grundbetrag enthält keinen Abschöpfungsteil.

Richtet sich die Bemessung einer von der Europäischen Kommission wegen eines Kartellrechtsverstoßes verhängten Geldbuße allein nach dem Grundbetrag, der ggf. anschließend auf den Höchstbetrag nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 EGV 1/2003 gekürzt wird, so ist die Geldbuße auch nicht teilweise nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG als Betriebsausgabe abziehbar.

BFH Urteil vom 7.11.2013, IV R 4/12

Begründung:

Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs sind u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Dieses Gebot stellt einen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch steuerrechtlich zu beachtenden handelsrechtlichen Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung dar. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des BFH auch für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen. Allerdings kann die Rückstellung einer Verbindlichkeit ebenso wenig wie der betreffende Betriebsausgabenabzug über die steuerlichen Abzugsverbote und -grenzen hinausgehen; beide unterliegen den gleichen tatbestandlichen Beschränkungen. Insoweit wird der entsprechende, gemäß § 5 Abs. 1 EStG auch für das Steuerrecht maßgebliche handelsrechtliche Passivposten durch außerbilanzielle Hinzurechnung im Ergebnis neutralisiert. Deshalb setzt die steuerbilanzielle Anerkennung einer Rückstellung für einen Teil der streitbefangenen Geldbuße voraus, dass (insoweit) die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG erfüllt sind, der eine Ausnahme von dem in Satz 1 der Vorschrift normierten Abzugsverbot bestimmt.

Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 1 EStG dürfen auch Betriebsausgaben –also durch den Betrieb veranlasste Aufwendungen (§ 4 Abs. 4 EStG)– in Gestalt der von Organen der Europäischen Gemeinschaften (hier der Kommission) festgesetzten Geldbußen den Gewinn nicht mindern. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG gilt das Abzugsverbot für Geldbußen nicht, soweit der wirtschaftliche Vorteil, der durch den Gesetzesverstoß erlangt wurde, abgeschöpft worden ist, wenn die Steuern vom Einkommen und Ertrag, die auf den wirtschaftlichen Vorteil entfallen, nicht abgezogen worden sind. Eine Ausnahme von dem in Satz 1 der Vorschrift normierten Abzugsverbot setzt folglich u.a. voraus, dass die Geldbuße einen sog. Abschöpfungsteil enthält.

Unter den im Streitfall vorliegenden Umständen kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die gegen die Klägerin verhängte Geldbuße auch einen Abschöpfungsteil umfasst. Dabei steht der Umstand, dass bei Geldbußen zur Ahndung von Wettbewerbsverstößen sowohl der Aspekt der Generalprävention als auch der Gesichtspunkt der Spezialprävention eine entscheidende Rolle spielen, der Annahme eines Abschöpfungsteils nicht entgegen. Zwar hat der I. Senat des BFH für von der Kommission ausgesprochene kartellrechtliche Sanktionen entschieden, dass diese nicht auf einen konkreten Mehrerlös bezogen und auf dessen Abschöpfung gerichtet sind, sondern vor allem der Ahndung des Verstoßes und der Abschreckung potenzieller Nachahmer dienen.

Dem schließt sich der erkennende Senat an, denn sowohl den vom I. Senat des BFH in seiner genannten Entscheidung angesprochenen Leitlinien der Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen (ABlEG 1998, Nr. C 9, 3) –im Folgenden Leitlinien 1998– als auch den nunmehr geltenden Leitlinien der Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen (ABlEU 2006, Nr. C 210, 2) –im Folgenden Leitlinien 2006– lässt sich entnehmen, dass die Kommission mit Geldbußen wegen kartellrechtlicher Verstöße das Ziel verfolgt, das Verhalten der Unternehmen im Sinne der im EG bzw. jetzt im AEUV festgelegten Grundsätze des Wettbewerbsrechts zu lenken, und deshalb entsprechende Maßnahmen der Kommission die hierzu notwendige Abschreckungswirkung entfalten sollen. Daher sollte nach den jüngeren Leitlinien der Kommission, die die älteren Leitlinien lediglich präzisieren und fortschreiben, ohne die Zweckbestimmung von Geldbußen anders zu gewichten, eine wegen Rechtsverstößen verhängte Geldbuße –worauf auch das FA zutreffend hingewiesen hat– so hoch festgesetzt werden, dass nicht nur die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen sanktioniert werden (Spezialprävention), sondern auch andere Unternehmen von der Aufnahme oder Fortsetzung einer Zuwiderhandlung gegen die Art. 81 oder 82 EG abgehalten werden (Generalprävention; vgl. Leitlinien 2006, unter Ziffer 4). Diese Zweckbestimmung und Lenkungsfunktion von Geldbußen schließt es indes nicht aus, dass mit derartigen Geldbußen auch durch die sanktionierten Wettbewerbsverstöße erlangte wirtschaftliche Vorteile i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 EStG jedenfalls teilweise abgeschöpft werden.

Die Annahme eines Abschöpfungsteils scheidet im Streitfall jedoch schon deshalb aus, weil die Bemessung der Geldbuße nach Maßgabe eines in Höhe von … EUR ermittelten sog. Grundbetrags erfolgt ist, der anschließend um … EUR auf einen Höchstbetrag in Höhe von … EUR gekürzt worden ist. Auf der Grundlage der EGV 1/2003 ist davon auszugehen, dass der nach Maßgabe der zu der genannten Verordnung veröffentlichten Leitlinien ermittelte Grundbetrag keinen Abschöpfungsteil enthält, sondern eine eventuelle Gewinnabschöpfung erst im Rahmen einer nach den Leitlinien möglichen, zur Erhöhung des Grundbetrags führenden Berücksichtigung "erschwerender Umstände" erfolgt. Im Streitfall liegt eine derartige Erhöhung des Grundbetrags indes nicht vor.