Progressionsvorbehalt und passive außerordentliche Einkünfte

Negative Einkünfte aus sog. passiven Betriebsstätten sind nach Maßgabe des § 2a Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 und unter Berücksichtigung des sog. Günstigerprinzips auch dann mit dem Gesamtbetrag der positiven Einkünfte aus passiven Betriebsstätten zu verrechnen, wenn es sich hierbei um außerordentliche Einkünfte handelt. Angesichts des (prinzipiellen) Vorrangs von § 2a EStG 2002 gegenüber § 32b EStG ergibt sich aus der Fünftelregelung des § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 nichts anderes.

BFH Urteil vom 25.11.2014 – I R 84/13 BFH/NV 2015, 664

Sachverhalt:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde –zwischenzeitlich bestandskräftig– für das Streitjahr (2002) mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist nur noch der im Zuge des Einspruchs ergangene Änderungsbescheid vom 20. Mai 2008, mit dem auf den 31. Dezember 2002 die negativen passiven Einkünfte, soweit sie aus US-amerikanischen Betriebsstätten stammen und nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern von der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) steuerbefreit sind, auf 0 EUR festgestellt wurden (§ 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 5 i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 2002.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist nicht begründet. Das FA hat die verbleibenden negativen Einkünfte zu Recht mit 0 EUR festgestellt. Die negativen (passiven) Einkünfte des Klägers aus seinen US-amerikanischen Betriebsstätten sind mit dem Gesamtbetrag seiner dort erzielten positiven Einkünfte einschließlich der darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte zu verrechnen.

Nach § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 dürfen negative Einkünfte aus einer in einem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätte, die –wie im Streitfall– nicht die Aktivitätserfordernisse des § 2a Abs. 2 EStG 2002 erfüllt, nur mit positiven Einkünften (der jeweils selben Art) aus demselben Staat (hier: USA) ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG 2002 abgezogen werden. Vielmehr mindern sie gemäß § 2a Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 die positiven Einkünfte derselben Art, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus demselben Staat bezieht (hier: in den USA belegene Betriebsstätten). Die am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibenden negativen Einkünfte sind gemäß § 2a Abs. 1 Satz 5 EStG 2002 gesondert festzustellen; § 10d Abs. 4 EStG 2002 gilt hierbei sinngemäß.

Zwischen den Beteiligten besteht ferner zu Recht Einigkeit darüber, dass die nach Berücksichtigung der Abzugsbegrenzungen des § 2a Abs. 1 und 2 EStG 2002 verbleibenden negativen Einkünfte auch dann gegenüber dem Steuerpflichtigen gemäß § 2a Abs. 1 Satz 5 EStG 2002 gesondert festzustellen sind, wenn die in Frage stehenden (positiven oder negativen) Einkünfte nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 und 2 i.V.m. Art. 7 DBA-USA 1989 steuerbefreit sind und nur in den sog. Progressionsvorbehalt (d.h. die Höhe des Einkommensteuersatzes) nach § 32b EStG 2002 Eingang finden. Zwar ordnet § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 zur Berechnung dieses besonderen Einkommensteuersatzes im Wege der sog. Hinzurechnungsmethode an, dass das nach § 32a Abs. 1 EStG 2002 zu versteuernde Einkommen um die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung befreiten Einkünfte (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002) vermehrt oder vermindert wird, und hierbei die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte mit einem Fünftel zu berücksichtigen sind. Gleichwohl erübrigt sich hierdurch nicht die Durchführung des Feststellungsverfahrens gemäß § 2a Abs. 1 Satz 5 EStG 2002, weil § 2a EStG 2002 –auch nach Übergang von dem Prinzip der früheren Schattenveranlagung zur heutigen Hinzurechnungsmethode– die Ermittlung der Einkünfte „bereits im Vorfeld” regelt und deshalb die nach dieser Vorschrift zu beachtenden Verlustverwertungsbeschränkungen auch bei den für Zwecke des Progressionsvorbehalts anzusetzenden Einkünften zu berücksichtigen sind. Demnach sind –wie im Streitfall geschehen– die nach § 2a Abs. 1 EStG 2002 verbleibenden negativen Einkünfte auch für Zwecke des Progressionsvorbehalts festzustellen. Der Kläger ist durch die Feststellung dieser Einkünfte auf den 31. Dezember 2002 in Höhe von 0 EUR auch beschwert, da die Feststellung nach § 2a Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 i.V.m. § 10d Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 Bindungswirkung für die Feststellung auf das Ende des folgenden Veranlagungszeitraums entfaltet.

Dem FG ist ferner darin zuzustimmen, dass über die mit § 2a Abs. 1 EStG 2002 verbundenen Rechtsfolgen und damit auch über die Frage der Verrechnung der Einkünfte im Rahmen der gesonderten Feststellung nach § 2a Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 EStG 2002 zu entscheiden ist. Soweit dieser Streitfrage in Fällen der Beteiligung mehrerer im Inland einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtigen Personen an (aus- oder inländischen) Personengesellschaften die einheitlich und gesonderten Feststellungen gemäß § 180 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 der Abgabenordnung bezüglich Art, Herkunft und Höhe der von § 2a EStG 2002 betroffenen Einkünfte zugrunde zu legen, ist dem nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz im Streitfall entsprochen worden. Demgemäß besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit über die im anhängigen Verfahren in den Verrechnungskreis des § 2a EStG 2002 einzustellenden negativen und positiven Einkünfte.

Das FG hat schließlich auch in der Sache zu Recht angenommen, dass die negativen Einkünfte des Klägers mit dem Gesamtbetrag seiner Einkünfte aus US-amerikanischen (passiven) Betriebsstätten zu verrechnen und hiervon die im Zusammenhang mit der Beteiligung an der T erzielten außerordentlichen Einkünfte nicht auszunehmen sind.

Dies folgt bereits daraus, dass § 2a EStG 2002 die Ermittlung der Einkünfte eigenständig und gegenüber § 32b EStG 2002 vorrangig regelt und der in § 2a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 4 EStG 2002 angeordnete Verlustausgleich sowohl nach seinem unmissverständlichen Wortlaut als auch nach seinem Zweck, Fehlentwicklungen im Bereich der Verlustverwertung zu begegnen, keinerlei Anhalt dafür gibt, die aus passiven Betriebsstätten i.S. von § 2a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 erzielten Verluste nicht mit den außerordentlichen Einkünften derselben Art zu verrechnen.

Soweit der Kläger hiergegen einwendet, dass nach dem Wortlaut des § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 die außerordentlichen Einkünfte für Zwecke des Progressionsvorhalts nur zu einem Fünftel anzusetzen seien, kann diese Erwägung bereits aus systematischen Gründen, nämlich mit Rücksicht auf die gegenüber § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 vorrangige Einkünfteermittlung nach den Grundsätzen des § 2a Abs. 1 EStG 2002, nicht durchgreifen. Aber selbst dann, wenn man eine Modifikation der Verlustverwertungsregeln des § 2a EStG 2002 für möglich erachten wollte, ist mit Rücksicht auf die im Streitfall zu entscheidende Frage, ob die außerordentlichen Einkünfte zur Bestimmung des Einkommensteuersatzes zunächst mit negativen Einkünften auszugleichen sind, für eine solche korrigierende Gesetzesauslegung keine Veranlassung ersichtlich.

Zum einen unterwirft § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerbefreiten außerordentlichen Einkünfte (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002) nicht isoliert zu einem Fünftel dem Progressionsvorbehalt, sondern ordnet –so der Wortlaut der Vorschrift– diese Rechtsfolge im Hinblick auf die in den nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002 steuerbefreiten Einkünften „enthaltenen außerordentlichen Einkünfte” an. Diese Gesetzesformulierung lässt zumindest auch die Deutung zu, dass die Fünftelregelung nur für den nach vorheriger Verrechnung mit den laufenden negativen Betriebsstätteneinkünften verbleibenden Teil der außerordentlichen Einkünfte zum Tragen kommt. Zum anderen steht nur letzteres Gesetzesverständnis im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers. Die durch das Steuersenkungsgesetz eingeführte Fünftelregelung will einerseits dem Umstand Rechnung tragen, dass auch außerordentliche Einkünfte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen erhöhen; andererseits sollte ihre nur teilweise Berücksichtigung eine nicht sachgerecht erachtete übermäßige Progressionsverschärfung verhindern; die Vorschrift ist nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich an die Fünftelung der außerordentlichen im Inland steuerpflichtigen Einkünfte in § 34 Abs. 1 EStG 2002 angeglichen worden.

Berücksichtigt man deshalb, dass die außerordentlichen Einkünfte in die nach § 34 Abs. 1 EStG 2002 begünstigte Besteuerung nur insoweit Eingang finden, als sie „im zu versteuernden Einkommen enthalten sind”, und sie deshalb nach dem sog. Günstigkeitsprinzip einem Verlustausgleich mit den laufenden negativen Einkünften unterworfen werden, so ist nicht nachvollziehbar, weshalb die entsprechende Verrechnung gemäß § 2a Abs. 1 EStG 2002 (hier: bezüglich Verluste aus passiven steuerbefreiten ausländischen Betriebsstätten mit außerordentlichen Gewinnen derselben Art) dem vom Gesetzgeber mit der Fünftelregelung des § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 verfolgten Anliegen widerstreiten und eine Durchbrechung des Vorrangs der Einkunftsermittlung gemäß § 2a EStG 2002 rechtfertigen sollte. Vielmehr führt umgekehrt die vom Senat vertretene Auffassung dazu, dass –im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers– der Einkommensteuersatz des Klägers entsprechend dem Gedanken der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nach dem positiven Unterschiedsbetrag der von ihm tatsächlich erzielten ausländischen Betriebsstätteneinkünfte ermittelt und dieser Betrag, soweit in ihm noch außerordentliche Einkünfte enthalten sind, zur Vermeidung eines übermäßigen Einflusses auf den Steuersatz nur zu einem Fünftel angesetzt wird.