Ein Betriebsprüfer hat eine regelmäßige Arbeitsstätte, wenn ihm ein Arbeitsplatz vom Arbeitgeber zugeordnet und dieser regelmäßig aufesucht wird.
FG Münster Urteil vom 12.06.2015, 4 K 3395/13 E
Begründung FG:
Der Beklagte hat die Fahrten des Klägers zum Finanzamt zutreffend nicht mit den tatsächlichen Kosten angesetzt und für die Zeiten, die der Kläger im Finanzamt verbracht hat, zutreffend keine Verpflegungsmehraufwendungen berücksichtigt. Insoweit steht dem Kläger kein höherer Werbungskostenabzug zu.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Hierzu gehören auch Aufwendungen eines Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Diese können jedoch nicht mit den tatsächlichen Kosten berücksichtigt werden. Vielmehr ist zur Abgeltung der Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte von 0,30 EUR anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung- EStG a.F.).
Diese Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip ist dadurch gerechtfertigt, dass sich der Arbeitnehmer bei einer auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegten regelmäßigen Arbeitsstätte in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so aufeine Minderung der Wegekosten hinwirken kann (etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder gegebenenfalls durch entsprechende Wohnsitznahme). Liegt dagegen keine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte Arbeitsstätte vor, auf die sich der Arbeitnehmer einstellen kann, ist eine Beschränkung der abzugsfähigen Kosten sachlich nicht gerechtfertigt.
Als regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG a.F. ist jede ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers zu verstehen, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder aufsucht. Arbeitsstätte in diesem Sinne ist allerdings nicht jeder beliebige Tätigkeitsort, sondern der Ort, an dem der Arbeitnehmer typischerweise seine Arbeitsleistung im Schwerpunkt zu erbringen hat (BFH-Urteil vom 7.6.2002 VI R 53/01, BStBl II 2002, 878). Dies wird regelmäßig derBetrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers sein (BFH-Urteil vom 9.6.2011 VI R 58/09, BStBl II 2012, 34).
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der der Senat folgt, ist im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung entscheidend, wo sich der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers befindet. Dort liegt die eine regelmäßige Arbeitsstätte, die ein Arbeitnehmer nur haben kann. Dieser Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit bestimmt sich nach den qualitativen Merkmalen einer wie auch immer gearteten Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstätte im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat sowie nach dem konkreten Gewicht dieser dort verrichteten Tätigkeit. Angesichts dessen liegt die regelmäßige Arbeitsstätte am Betriebssitz des Arbeitgebers oder an einer sonstigen ortsfesten dauerhaften betrieblichen Einrichtung, welcher der Arbeitnehmer zugeordnet ist, wenn er diesen Ort nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder aufsucht und dort schwerpunktmäßig tätig wird. Dagegen genügt allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer den Betriebssitz oder sonstige Einrichtungen des Arbeitgebers mit einer gewissen Nachhaltigkeit aufsucht, für sich betrachtet nicht, um eine regelmäßige Arbeitsstätte zu begründen (BFH-Urteile vom 9.6.2011 VI R 58/09, BStBl II 2012, 34 und VI R 55/10, BStBl II 2012, 38).
Ob eine Einrichtung des Arbeitgebers als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen ist, ist stets nach den Gesamtumständen des Einzelfalles zu beurteilen. Wird ein Arbeitnehmer an verschiedenen Arbeitsstätten tätig, ist hierbei insbesondere zu berücksichtigen, welcher Tätigkeitsstätte der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugeordnet worden ist, welche Tätigkeit er an den verschiedenen Arbeitsstätten im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat und welches konkrete Gewicht diesen Tätigkeiten zukommt (BFH-Beschluss vom 15.1.2013 VI B 123/12, BFH/NV 2013, 585 m.w.N.). Der regelmäßigen Arbeitsstätte muss hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den weiteren Tätigkeitsorten zukommen (BFH-Urteile vom 19.1.2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503 und VI R 32/11, BFH/NV 2012, 936). Sucht ein Arbeitnehmer mehrere Tätigkeitsorte regelmäßig auf, bei denen ein qualitativer Schwerpunkt nicht erkennbar ist, hat der Arbeitnehmer keine regelmäßige Arbeitsstätte (FG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2014 2 K 278/14 Kg, EFG 2015, 486 zu einer Polizeianwärterin mit verschiedenen Ausbildungsstätten).Diese Maßstäbe gelten grundsätzlich auch für die Frage, ob der Arbeitsplatz eines Betriebsprüfers im Finanzamt dessen regelmäßige Arbeitsstätte darstellt (so auch Niedersächsisches FG, Urteil vom 21.2.2012 13 K 210/11, DStRE 2013, 1356, NZB zurückgewiesen durch BFH-Beschluss vom 15.1.2013 VI B 123/12, BFH/NV 2013, 585; a. A. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.6.2014 6 K 6241/12, EFG 2014, 2125, das ausdrücklich nicht auf den qualitativen Schwerpunkt abstellt).
Die Gesamtwürdigung der Umstände des Streitfalles führt dazu, dass der Arbeitsplatz des Klägers im Finanzamt A-Stadt seine regelmäßige Arbeitsstätte darstellt.
Der Kläger wurde von seinem Dienstherrn dem Finanzamt A-Stadt zugeordnet. Er hatte dort einen vollständig eingerichteten Arbeitsplatz, den er nachhaltig aufgesucht hat. Nach seinen eigenen Angaben in der Einkommensteuererklärung und seinen eingereichten Aufstellungen hat er das Finanzamt A-Stadt im Streitjahr 2012 an 185 Tagen aufgesucht und hier rund zwei Drittel seiner gesamten Arbeitszeit des Jahres verbracht. Gegenüber den anderen Tätigkeitsorten des Klägers kommt dem Arbeitsplatz imFinanzamt eine zentrale Bedeutung zu. Die zu prüfenden Betriebe bzw. Steuerberaterbüros hat der Kläger im Regelfall nach der von ihm selbst erstellten Aufstellung immer nur an einer überschaubaren Anzahl von Tagen aufgesucht, so dass keine dieserTätigkeitsstätten als regelmäßige Arbeitsstätte in Betracht kommt. Demgegenüberwurde der Kläger an seinem Arbeitsplatz im Finanzamt A-Stadt an 185 Tagen tätig.Diese herausragende Stellung der Tätigkeitsstätte führt zu dem Ergebnis, dass derKläger nicht während des ganzen Jahres einer Einsatzwechseltätigkeit nachgegangen ist, sondern eine regelmäßige Arbeitsstätte hatte und im Rahmen der Außenprüfungstätigkeit einzelne Dienstreisen unternommen hat.
Der Streitfall ist anders gelagert als solche Fälle, in denen ein Arbeitnehmer verschiedene Tätigkeitsorte regelmäßig aufsucht, von denen bei keiner ein Schwerpunkt erkennbar ist. Vielmehr konnte sich der Kläger dauerhaft darauf einstellen, das Finanzamt A-Stadt regelmäßig aufzusuchen und hatte die Möglichkeit, durch Wohnsitzwahl,Bildung von Fahrgemeinschaften oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel seine Wegekosten zu minimieren.
Unabhängig hiervon wäre auch der qualitative Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers im Streitjahr 2012 im Finanzamt A-Stadt anzusiedeln. Die Frage, welches konkrete Gewicht einer Tätigkeit zukommt, ist – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht aus Sicht des betroffenen Steuerbürgers, der gegebenenfalls Grundrechtseingriffe hinzunehmen hat, zu beurteilen. Für die Beurteilung des Schwerpunkts der Tätigkeit ist vielmehr das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber (bzw. im Fall eines Beamten das Verhältnis zu seinem Dienstherrn) ausschlaggebend. Im Verhältnis zum Dienstherrn hatte der Kläger die Betriebsprüfungen nicht nur am Geschäftssitz des Steuerpflichtigen (Regelfall, vgl. § 200 Abs. 2 der Abgabenordnung, AO) durchzuführen. Vielmehr gehört zu den Tätigkeiten eines Außenprüfers auch eine intensive Vorbereitung der Prüfung, um festzustellen, ob ein Betrieb überhaupt prüfungswürdig ist und Prüfungsschwerpunkte festzulegen. Daneben hat der Kläger gegenüber seinem Dienstherrn auch die Pflicht, einen Prüfungsbericht abzufassen, in dem seine Prüfungsergebnisse zusammengefasst werden. Diese vor- und nachbereitenden Tätigkeiten sind nicht als qualitativ unbedeutende Hilfstätigkeiten anzusehen. Hierbei handelt es sich auch nicht lediglich um Besuche zu Kontrollzwecken, die eine regelmäßige Arbeitsstätte ausschließen (BFH-Urteil vom 9.6.2011 VI R 58/09, BStBl II 2012, 34). Insoweit unterscheidet sich der Streitfall auch vom Urteilsfall des Niedersächsischen FG (Urteil vom 21.2.2012 13 K 210/11, DStRE 2013, 1356), in dem eine Großbetriebsprüferin ihrenArbeitsplatz im Finanzamt lediglich in geringem Umfang zur Durchführung von Verwaltungstätigkeiten aufgesucht hat, während sie ansonsten im Außendienst oder von ihrem genehmigten Heimarbeitsplatz aus tätig wurde.
Im Streitfall ist schließlich auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einen nicht unerheblichen Teil seiner Prüfungen insgesamt an Amtsstelle durchgeführt hat und insoweit gar nicht im Außendienst tätig geworden ist. Diese Vorgehensweise ist gesetzlich vorgesehen (§ 200 Abs. 2 Satz 1 AO) und wird typischerweise dann vorgenommen, wenn geeignete Geschäftsräume im Betrieb des Steuerpflichtigen nicht (mehr) vorhanden sind. Dass es sich hierbei nicht lediglich um seltene Ausnahmefälle handelt, zeigt sich am Umfang der im Innendienst durchgeführten Prüfungen. Nach der zwischen den Beteiligten unstreitigen Stundenaufstellung hat der Kläger an reiner Prüfungstätigkeit 471 Stunden im Außendienst und 284 Stunden im Innendienst verbracht. Der Innendienst macht damit ca. 37,5 % der gesamten reinen Prüfungszeit aus.
Aus denselben Gründen ist auch der Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen ausgeschlossen, da diese eine Abwesenheit sowohl von der Wohnung als auch von derregelmäßigen Arbeitsstätte voraussetzen. (§ 9 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG).