Telefoninterviewer als Arbeitnehmer

Die Frage, ob eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausgeübt wird, ist anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. In diese Gesamtwürdigung ist auch einzubeziehen, wie das der Beschäftigung zugrunde liegende Vertragsverhältnis ausgestaltet worden ist, sofern die Vereinbarungen ernsthaft gewollt und tatsächlich durchgeführt worden .

Diese Gesamtwürdigung ist als eine im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Allerdings ist die Gesamtwürdigung materiell-rechtlich fehlerhaft, wenn die Tatsacheninstanz die maßgeblichen Umstände nicht vollständig oder ihrer Bedeutung entsprechend in ihre Überzeugungsbildung einbezieht.

BFH Urteil vom 18.6.2015, VI R 77/12

Begründung:

Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 38 Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten und abzuführen hat. Zum Arbeitslohn rechnen nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Gemäß § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG), die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) den Arbeitnehmerbegriff zutreffend auslegen, liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Angestellte (Beschäftigte) dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist.

Unter Beachtung dieser Bestimmung beurteilt sich die Frage, wer Arbeitnehmer ist, nach dem Gesamtbild der Verhältnisse. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil in BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661 zahlreiche Kriterien (Indizien) beispielhaft aufgeführt, die im Rahmen dieser Würdigung nach dem Gesamtbild der Verhältnisse für die Abgrenzung Bedeutung haben können und im konkreten Einzelfall jeweils zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind. Diese Indizien stehen allerdings nicht für sich allein. Denn in die Würdigung ist insbesondere auch einzubeziehen, wie das der Beschäftigung zugrunde liegende Vertragsverhältnis ausgestaltet worden ist, sofern die Vereinbarungen ernsthaft gewollt und tatsächlich durchgeführt worden sind.

Vereinbaren die Vertragsparteien eine Vergütung auf der Basis von Erfolgshonoraren, ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass kein lohnsteuerrechtlich erhebliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt, sofern diese Vereinbarung den tatsächlichen Verhältnissen nicht widerspricht. Diesen Umstand hat das FG nur unzureichend berücksichtigt. Das FG hat ein Unternehmerrisiko der Interviewer damit verneint, dass die Klägerin faktisch “ein begrenzt variables Stundenhonorar” gezahlt habe. Eine solche Würdigung verkennt indessen bereits, dass Stundenhonorare auch im Rahmen von selbständigen und gewerblichen Tätigkeiten durchaus üblich sind. So rechnen etwa selbständig tätige Handwerker ihre Leistungen regelmäßig auf Stundenbasis ab und auch selbständig tätige Rechtsanwälte stellen Honorare auf Stundenbasis in Rechnung. Die Erwägung des FG, ein maßgebliches Unternehmerrisiko sei nicht darin zu sehen, dass es die jeweiligen Interviewer nach Maßgabe des Rahmenhonorars in der Hand gehabt hätten, durch mehr Befragungen pro Zeiteinheit ihr Honorar zu steigern, berücksichtigt nicht hinreichend, dass auch andere zweifelsohne selbständig Tätige ihre Einkünfte ebenfalls nur durch entsprechend zügigere oder zusätzliche Arbeit steigern können, etwa wenn es branchen- oder ortsübliche Stundenhonorarsätze gibt.

Nicht nachvollziehbar ist die Würdigung des FG, nach der das festgestellte Risiko eines möglichen Honorarausfalls bei einem Interviewabbruch kein Unternehmerrisiko darstelle. Denn ein möglicher Honorarausfall entspricht der typischen wirtschaftlichen Situation eines selbständig Tätigen, findet sich dagegen praktisch nicht bei Arbeitnehmern. Das mithin gegebene Unternehmerrisiko entfällt auch nicht dadurch, dass nach den Feststellungen der Vorinstanz in rund 90 % der Fälle die Interviews zu Ende geführt worden waren. Denn dies bedeutet zugleich, dass in 10 % der Fälle das Honorar ausgefallen war und es damit zu einem für Arbeitnehmer untypischen Vergütungsausfall kam.

 

Rechtsfehlerhaft hat das FG im Rahmen seiner Würdigung des Merkmals Unternehmerrisiko auch nicht die Rechtsprechung des erkennenden Senats berücksichtigt, dass dann, wenn –wie im hier gegebenen Streitfall– Auftragnehmer im Falle einer Erkrankung oder Urlaubsabwesenheit keine Aufträge ausführen und keine Einnahmen erzielen können, typischerweise keine Arbeitnehmertätigkeit vorliegt. Entsprechendes gilt, wenn die Mitarbeiter –wie im Streitfall– darüber hinaus sogar die Möglichkeit hatten, Aufträge abzulehnen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die betreffenden Mitarbeiter von dieser Möglichkeit in großem Umfang Gebrauch gemacht haben. Entscheidend ist vielmehr, ob sich dies aus den getroffenen Vereinbarungen ergibt und diese so tatsächlich auch vollzogen werden.

Des Weiteren lässt sich ein fehlendes Unternehmerrisiko entgegen der Auffassung des FG nicht daraus ableiten, dass die Interviewer nach der Rahmenvereinbarung ausschließlich im Rahmen einer Nebentätigkeit, also in nur geringem zeitlichen Umfang arbeiten sollten. Denn der Umfang des wirtschaftlichen Risikos richtet sich nicht nach dem Verhältnis der tatsächlichen zu der maximal möglichen gesamten Wochen- oder Monatsarbeitszeit; dementsprechend trägt auch ein ganztägig Beschäftigter nicht allein deshalb ein Unternehmerrisiko, weil er in Vollzeit tätig ist. Es ist im Streitfall auch nichts dazu festgestellt, dass die Klägerin arbeitgeberähnlich ein wirtschaftliches Risiko der Interviewer aufgefangen hätte. Zudem spricht ein geringer zeitlicher Umfang einer Tätigkeit nach der Rechtsprechung des Senats eher für eine selbständige als für eine nichtselbständige Tätigkeit, weil in den Fällen, in denen der Auftragnehmer jeweils nur kurz mit dem Betrieb des Auftragsgebers in Berührung kommt, die Eingliederung in den Betrieb fehlen kann.

Auch die Würdigung, dass die Nichtgewährung von Sozialleistungen, insbesondere die Nichtgewährung von Lohnfortzahlungen im Urlaubs- und im Krankheitsfall nicht für die Selbständigkeit der Interviewer spreche, weil die Interviewer nur in Teilzeit im Rahmen einer Nebentätigkeit beschäftigt gewesen seien, findet in der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats keine Grundlage. Vielmehr hat der erkennende Senat die Merkmale Urlaubsanspruch, Anspruch auf sonstige Sozialleistungen und Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall als Merkmale, die für eine Arbeitnehmereigenschaft sprechen, beurteilt.