Zurückbehaltungsrecht des Steuerberaters

Der Steuerberater hat kein Zurückbehaltungsrecht in der Betriebsprüfung.

FG Schleswig Holstein Beschluss vom 02.10.2015, 2 V 95/15

Begründung:

Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Bescheides auf Antrag ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 FGO liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Da das Aussetzungsverfahren wegen seiner Eilbedürftigkeit und seines vorläufigen Charakters ein summarisches Verfahren ist, beschränkt sich die Überprüfung des Prozessstoffes auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen (insbesondere die Akten der Finanzbehörde) sowie auf die präsenten Beweismittel. Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Gericht sind nicht erforderlich.

Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen. Glaubhaftmachung ist eine Beweisführung, die dem Richter nicht die volle Überzeugung, sondern nur einen geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit vermitteln soll. Die im Hauptsacheverfahren geltenden Regeln zur Feststellungslast gelten auch für das Aussetzungsverfahren. Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend geprüft zu werden. Bei der notwendigen Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Irgendeine vage Erfolgsaussicht genügt jedoch nicht. Andererseits ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen.

Derartige Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Herausgabeverlangens des Antragsgegners im Bescheid vom 22. Mai 2015 sind nicht gegeben.

Der Antragsgegner kann gemäß §§ 147 Abs. 6 Satz 2, 97 i. V. m. § 104 Abs. 2 AO von der Antragstellerin die Herausgabe eines dem GDPdU-Standard entsprechenden Datenträgers mit den Buchführungsdaten zur Durchführung einer Betriebsprüfung für die Jahre 2010 bis 2012 (Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer) verlangen. Die entsprechende Ermessensentscheidung des Antragsgegners ist rechtmäßig (§ 102 FGO).

Die Antragstellerin ist als sog. „andere Person“ im Sinne von § 97 Abs. 1 Satz 1 AO mit Auskunftsverweigerungsrecht als Steuerberater und Rechtsanwalt (§ 102 Abs. 1 Nr. 3 b AO) in dem Umfang herausgabepflichtig wie es Herr A als „Beteiligter“ im Sinne dieser Vorschrift wäre, wenn sich die betreffenden Unterlagen in seinem Besitz befänden (§ 104 Abs. 2 AO). Zweck der Bestimmung des § 104 Abs. 2 AO ist es, zu verhindern, dass der Steuerpflichtige an sich vorlagepflichtige Unterlagen dem Zugriff des Finanzamtes dadurch entziehen kann, dass er sie in die Obhut eines auskunftsverweigerungsberechtigten sog. Berufsträgers i. S. von § 102 AO gibt. Das Herausgabeverlangen kann der Antragsgegner gegenüber Herrn A als Steuerpflichtigem auch auf § 200 Abs. 1 Satz 2 AO stützen, weil im Rahmen dieser Vorschrift derselbe Urkundenbegriff wie in § 97 Abs. 1 AO verwendet wird.

Für Herrn A als Steuerpflichtigen ergäbe sich eine Herausgabepflicht hinsichtlich vom Antragsgegner angeforderter schriftlicher Unterlagen aus § 97 Abs. 1 Satz 1 AO. Danach hat der Steuerpflichtige auf Verlangen des Finanzamts „Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden“ zur Einsicht und zur Prüfung vorzulegen. Der Begriff „Urkunde“ ist dabei der Oberbegriff. Bücher, Aufzeichnungen und Geschäftspapiere sind beispielhaft aufgeführte Unterarten. Damit kommt zum Ausdruck, dass nicht nur notarielle Urkunden und nicht nur nach § 147 Abs. 5 AO aufbewahrungspflichtige Unterlagen von § 97 AO erfasst sind. „Urkunden“ in diesem Sinne sind vielmehr schriftlich oder auf Daten- und Bildträgern festgehaltene Gedankenerklärungen. Eine Gedankenerklärung liegt nur dann vor, wenn das Schriftstück eine eigene Aussage enthält. In diesem Sinne stellen die Ausdrucke der Konten der Finanzbuchführung, die Journale, die Primanoten und die Summen- und Saldenlisten allesamt „Urkunden“ im Sinne von § 97 Abs. 1 AO dar.

Die Ermächtigungsgrundlage für das Verlangen des Antragsgegners auf Herausgabe eines Datenträgers mit den entsprechenden Werten für den Betrieb des Steuerpflichtigen ergibt sich aus § 147 Abs. 6 Satz 2 AO. Danach hat die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen, wenn die Unterlagen nach Absatz 1 mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden sind. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung auch verlangen, dass die Daten nach ihren Vorgaben maschinell ausgewertet oder ihr die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt werden.

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin bewahrt sie die Unterlagen auch „für“ den Steuerpflichtigen auf. Der Umstand, dass es zwischen ihr und dem Steuerpflichtigen zivilrechtliche Streitigkeiten über die jeweilige Erfüllung der Vertragspflichten gibt und ggf. die Antragstellerin auch eine Betrugsanzeige gegen den Steuerpflichtigen erhebt, ändert nichts daran, dass im Verhältnis zum Antragsgegner die Unterlagen „für“ den Steuerpflichtigen aufbewahrt werden. Denn dies ist die Folge der – nach eigener Auffassung der Antragstellerin – bestehenden vertraglichen Verbindungen zwischen ihr und dem Steuerpflichtigen. Die Antragstellerin hatte – nach ihrer Darstellung – den Auftrag, die Buchführung „für“ den Steuerpflichtigen zu fertigen. Die Verwendbarkeit der erstellten Buchführung als Beweismittel in anderen Verfahren hat insoweit keine Auswirkung.

Dem Herausgabeverlangen des Antragsgegners steht auch nicht ein Zurückbehaltungsrecht entgegen. Nach § 66 Abs. 2 StBerG kann der Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte seinem Auftraggeber die Herausgabe der Handakten verweigern, bis er wegen seiner Gebühren und Auslagen befriedigt ist. Dies gilt nicht, soweit die Vorenthaltung der Handakten und der einzelnen Schriftstücke nach den Umständen unangemessen ist. Ob und inwieweit danach die Antragstellerin gegenüber dem Steuerpflichtigen im Streitfall die Herausgabe verweigern darf, kann vorliegend offen bleiben. Denn der Steuerberater ist nicht berechtigt, sich gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Vorlageanspruch der Finanzverwaltung auf sein Zurückbehaltungsrecht zu berufen. Insoweit fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.

Gleiches gilt auch für das von der Antragstellerin geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB. Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein schuldrechtliches Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Mandanten als Auftraggeber. Die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Antragstellerin sind jedoch im Verhältnis zum Antragsgegner irrelevant.

Angesichts der geringen Belastung der Antragstellerin durch die Herausgabe des angeforderten Datenspeichersticks bzw. der vom Antragsgegner wahlweise geforderten Freigabeerklärung gegenüber der DATEV bestehen auch keine Bedenken gegenüber dem angefochtenen Verwaltungsakt im Hinblick auf den insbesondere auch im Rahmen einer Außenprüfung von der Finanzverwaltung zu beachtenden verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Das Herausgabeverlangen ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil der Steuerpflichtige in dem Zivilverfahren gegenüber der Antragstellerin eine nicht oder nicht ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglichen Pflichten behauptet und deshalb die Leistung verweigert sowie bereits geleistete Zahlungen zurückfordert. Denn die Antragstellerin trägt selber hier nicht vor, dass sie die Buchführung für den Steuerpflichtigen nicht erstellt habe. Insoweit verlangt der Antragsgegner also nach eigenem Vorbringen der Antragstellerin nichts Unmögliches. Inwieweit zivilrechtlich Erfüllungsansprüche bestehen oder nicht bestehen und eine Leistung ordnungsgemäß erbracht ist oder nicht, spielt für das vorliegend streitige öffentlich-rechtliche Verlangen des Antragsgegners keine Rolle. Die Antragstellerin hat das herauszugeben, was an Unterlagen vorhanden ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Schließlich ist das Herausgabeverlangen auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil durch dessen Erfüllung das Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Steuerpflichtigen konterkariert werden würde. Denn wie der Antragsgegner zu Recht ausführt, würde der Datenspeicherstick nicht an den Steuerpflichtigen herausgegeben und nach Abschluss der Prüfung vielmehr wieder an die Antragstellerin zurückgegeben. Die Möglichkeit, dass der Steuerpflichtige durch Akteneinsicht Teile der – möglicherweise dann ausgedruckten – Buchführung einsehen kann, um zu Feststellungen der Betriebsprüfung Stellung nehmen zu können, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn damit erhält der Steuerpflichtige nicht den gesamten Datenbestand in digitalisierter Form.