Zivilprozesskosten in Zusammenhang mit der Erbenstellung berühren grundsätzlich keinen existenziell wichtigen Bereich und auch nicht den Kernbereich menschlichen Lebens und sind daher regelmäßig auch nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.
BFH Urteil vom 20.01.2016 – VI R 20/14 (NV) BFH/NV 2016, 1000
Begründung:
Das FG hat zu Unrecht die vom Kläger aufgewandten Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd berücksichtigt.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes –EStG–). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind.
Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig. Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen.
Dagegen nahm der Senat in seiner Entscheidung die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Diese Auffassung hat auch das FG dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt. Der Senat hält an seiner in dem Urteil vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung des BFH zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück.
Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.
Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen in der Sache selbst entscheiden. Die vom Kläger getragenen Prozesskosten seiner Ehefrau sind nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen. Denn der Zivilprozess in Zusammenhang mit der Erbenstellung berührt keinen existenziell wichtigen Bereich und auch nicht den Kernbereich menschlichen Lebens im Sinne der oben genannten Rechtsprechung zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses. Mit der Durchsetzung ihrer Erbenstellung verfolgte die Ehefrau des Klägers das Ziel, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Das Ziel der Mehrung des Vermögens durch eine Erbschaft ist allerdings nicht mit einem existenziell wichtigen Bereich, etwa dem drohenden Verlust einer schon vorhandenen Existenzgrundlage und deren Bewahrung, Absicherung oder Zurückerlangung im Rahmen eines Zivilprozesses gleichzustellen.