Ein Mietverhältnis zwischen nahen Angehörigen entspricht nicht den Kriterien des Fremdvergleichs, wenn es in zahlreichen Punkten von den zwischen fremden Dritten üblichen Vertragsinhalten abweicht.
BFH Urteil vom 04.10.2016- IX R 8/16
Begründung:
II. Die Revision ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat im Rahmen einer unvollständigen und unzutreffenden Gesamtwürdigung rechtsfehlerhaft angenommen, dass das streitige Mietverhältnis zwischen dem Kläger und seiner Mutter einem Fremdvergleich standhält und der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die steuerliche Anerkennung von Vertragsverhältnissen zwischen nahe stehenden Personen ist u.a. davon abhängig, dass die Verträge bürgerlich-rechtlich wirksam vereinbart worden sind und sowohl die Gestaltung als auch die tatsächliche Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. zuletzt Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 21. November 2013 IX R 26/12, BFH/NV 2014, 529, unter II.1., und 16. Februar 2016 IX R 28/15, BFH/NV 2016, 1006, unter II.1.b, jeweils m.w.N.).
Die Anforderungen der Rechtsprechung an die Anerkennung von Verträgen zwischen nahe stehenden Personen gründen auf der Überlegung, dass es innerhalb eines Familienverbundes typischerweise an einem Interessengegensatz mangelt. Es ist daher geboten, an den Beweis des Abschlusses und an den Nachweis der Ernstlichkeit von Vertragsgestaltungen zwischen nahe stehenden Personen strenge Anforderungen zu stellen. Rechtsgrundlage des Fremdvergleichs sind die §§ 85, 88 AO und § 76 Abs. 1 FGO. Er ermöglicht aufgrund einer Würdigung von Beweisanzeichen den Schluss, aus welchen Gründen ein Leistungsaustausch –wie im Streitfall– unter Angehörigen stattgefunden hat, ob aufgrund eines den Tatbestand einer Einkunftsart erfüllenden Vertrags oder aus privaten, familiären Gründen. Erst das Ergebnis dieser der Tatsachenfeststellung zuzuordnenden Indizienwürdigung ermöglicht die nachfolgende rechtliche Subsumtion, ob es sich bei den Aufwendungen des Steuerpflichtigen um nicht abziehbare Privatausgaben oder aber um Werbungskosten oder Betriebsausgaben handelt (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 529, unter II.1., m.w.N.).
Die revisionsrechtliche Überprüfung der (hierfür notwendigen) Gesamtwürdigung des FG durch den BFH beschränkt sich darauf, ob das FG von zutreffenden Kriterien ausgegangen ist, alle maßgeblichen Beweisanzeichen (Indizien) einbezogen und dabei nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. BFH-Urteile vom 1. August 2012 IX R 18/11, juris, unter II.1.; in BFH/NV 2014, 529, unter II.1., und in BFH/NV 2016, 1006, unter II.1.b, jeweils m.w.N.). Maßgebliche Beweisanzeichen bei der im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu treffenden Entscheidung, ob die streitigen Aufwendungen in einem sachlichen Zusammenhang mit der Erzielung von Einkünften stehen oder dem nicht steuerbaren privaten Bereich (§ 12 des EStG) zugehörig sind, bilden insbesondere die Kriterien des Fremdvergleichs. Jedenfalls die Hauptpflichten der Vertragsparteien müssen klar und eindeutig vereinbart worden sein und entsprechend dem Vereinbarten durchgeführt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 529, unter II.1., m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen ist das FG im Rahmen einer unvollständigen und unzutreffenden Gesamtwürdigung der objektiven Umstände zu Unrecht davon ausgegangen, die vorliegende Gestaltung sei fremdüblich und werde wie vereinbart durchgeführt.
Das FG hat die bei Verträgen zwischen nahen Angehörigen gebotene Gesamtbetrachtung unvollständig durchgeführt. Im Rahmen der bei der Prüfung von Verträgen zwischen nahen Angehörigen nötigen Gesamtwürdigung aller Umstände (vgl. BFH-Urteil vom 1. August 2012 IX R 18/11, juris) hat es die in zeitlichem Zusammenhang mit dem Mietvertrag abgeschlossene Schenkungsabrede nicht ausreichend in seine Betrachtung einbezogen, sondern fehlerhaft allein auf den abgeschlossenen Mietvertrag abgestellt und dessen tatsächliche Durchführung überprüft. Das FG hat nicht gewürdigt, dass die wirtschaftliche und rechtliche Verbindung zwischen Schenkungsvertrag und Mietvertrag, wie sie mit dem Nachtrag zum Mietvertrag vom 6. Dezember 2002 erfolgt war, bereits nicht fremdüblich ist. Insoweit hat es den Umstand verkannt, dass ein fremder Mieter sich auf ein derartiges Vertragsgeflecht nicht eingelassen hätte. Ein fremder Mieter wird im Hinblick auf den Abschluss eines Mietverhältnisses dem Vermieter in zeitlichem Zusammenhang mit der beabsichtigten Nutzung der Immobilie gewöhnlich keinen Geldbetrag unter Widerrufsvorbehalt schenken. Eine derartige Kombination aus Mietvertrag und Schenkungsversprechen wird allenfalls zwischen Angehörigen vereinbart und umgesetzt. Sie ist Ausdruck eines den Gleichklang wirtschaftlicher Interessen indizierenden Näheverhältnisses und dokumentiert die private Veranlassung der gewählten Vertragsgestaltung (vgl. BFH-Urteil vom 1. August 2012 IX R 18/11, juris).
Weiter hat das FG auch den Inhalt der abgeschlossenen Schenkungsabrede nur unvollständig in seine rechtliche Würdigung einbezogen. Das FG hat den Schenkungsvertrag weder am Inhalt fremdüblicher Schenkungsvereinbarungen noch an den einschlägigen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gemessen. Danach sind Schenkungen regelmäßig nicht widerruflich ausgestattet. Zudem wird der Widerruf nach § 530 Abs. 1 BGB grundsätzlich von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht. Der Kläger hatte hingegen mit seiner Mutter einen voraussetzungslosen Widerruf vereinbart, was bereits ein erhebliches Indiz gegen die Ernsthaftigkeit und Fremdüblichkeit der getroffenen Schenkungsvereinbarung darstellt.
Das FG hat auch rechtsfehlerhaft die zahlreichen Abweichungen im abgeschlossenen Mietvertrag von den zwischen fremden Dritten üblichen Vereinbarungen nicht als Indiz gegen eine ernsthafte und damit fremdübliche Vereinbarung eingeordnet.
Dies gilt zunächst für dem Umstand, dass die Mietzahlungen nur einmal jährlich im Nachhinein geleistet und auch die Nebenkosten ohne Vorauszahlungen nur einmal jährlich abgerechnet und mit erheblicher Verzögerung beglichen werden. Mietzahlungen über Wohnraum werden regelmäßig und üblicherweise –wie § 556b BGB dispositiv vorgibt– monatlich im Voraus geleistet. Nebenkostenvorauszahlungen werden ebenfalls üblicherweise monatlich im Voraus geleistet. Ein fremder Vermieter würde sich auf eine nur jährliche Zahlung und die damit verbundene erhebliche Vorleistung seinerseits hinsichtlich der Wohnraumüberlassung und der Nebenkosten nicht einlassen. Eine nur einmal jährliche erfolgende Zahlung ist daher als unüblich und damit auch als nicht fremdüblich einzustufen. Dies wird durch den Umstand verstärkt, dass der Kläger die Nebenkosten bereits im Mai des jeweiligen Jahres abgerechnet, eine Begleichung der Forderung aber erst im Dezember des jeweiligen Jahres im Wege der Aufrechnung erfolgte. Entgegen der Auffassung des FG handelt es sich dabei auch nicht um eine geringfügige und damit unbeachtliche Abweichung. Beide Pflichten betreffen die Hauptpflichten aus einem Mietvertrag (§ 535 BGB), nämlich die Zahlung von Miete und Nebenkosten.
Zudem betrug nach dem vom FG in seinen Feststellungen in Bezug genommenen Mietvertrag die Kündigungsfrist für die Mieterin zwölf Monate, obwohl es sich bei der Fristenregelung in § 573c BGB um unter den Parteien eines Mietvertrags zwingendes, nicht abdingbares Recht handelt. Eine Anpassung der Kaltmiete an die Vergleichsmiete war nach den getroffenen Vereinbarungen jederzeit mit einer Frist von einem Monat möglich, ohne dass auf die (ebenfalls nicht abdingbaren) Beschränkungen des § 558 BGB Rücksicht genommen wurde. Zudem war –trotz der erheblichen Vorleistungen des Klägers– eine Mietsicherheit (§ 566a BGB) nicht vereinbart.
Das FG hat ebenfalls nicht berücksichtigt, dass das Mietverhältnis auch nicht wie zwischen fremden Dritten durchgeführt wurde. Dies zeigt sich daran, dass nach den Feststellungen des FG die Mutter des Klägers Teilbeträge der Miete ab 2005 wegen Mängeln der Wohnung einbehalten hatte und der Kläger zunächst keine Anstalten machte, die Mängel zu beseitigen und wieder die volle Mietzahlung zu erhalten. Vielmehr wird seitens der Mutter im Nachhinein die Miete ohne Erläuterung und ohne rechtliche Verpflichtung nachentrichtet. Unter fremden Dritten hätte sich der Mieter auf Minderansprüche berufen und wegen Mängeln der Mietsache von einer Nachentrichtung der offenen Beträge abgesehen.
Schließlich hat das FG auch nicht hinreichend gewürdigt, dass die abgeschlossenen Vereinbarungen nicht wie vereinbart tatsächlich durchgeführt worden sind. So war die jährliche Widerrufsmöglichkeit im Schenkungsvertrag auf einen Betrag in Höhe von 10.000 EUR jährlich begrenzt. Sowohl in 2007 als auch in 2008 wurden jedoch deutlich höhere Widerrufe erklärt, ohne dass dies von den Vertragsparteien beanstandet wurde.
Die Sache ist spruchreif. Nach den nicht mit Verfahrensrügen und daher bindenden Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) steht fest, dass nach dem Gesamtbild der Verhältnisse das Mietverhältnis des Klägers mit seiner Mutter nicht den Kriterien des Fremdvergleichs entspricht. Es kann daher in den Streitjahren 2006 und 2007 nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden. Der Senat kann die im Streitfall erforderliche Würdigung auf der Grundlage der vom FG hinreichend getroffenen Feststellungen selbst vornehmen (vgl. BFH-Urteil vom 22. Januar 2013 IX R 70/10, BFH/NV 2013, 1057, unter II.3.).