Regelmäßige Arbeitsstätte eines Beamten der Wasserschutzpolizei

Ein überwiegend im Außendienst zur Gefahrgutkontrolle an den jeweiligen Schiffsanlegeplätzen tätiger Beamter der Wasserschutzpolizei verfügt in der Inspektion der Wasserschutzpolizei, die er arbeitstäglich aufsucht, um dort u.a. die Kontrollen vorzuplanen, nicht über eine regelmäßige Arbeitsstätte.
Allein der Umstand, dass sich im Hafengebiet mit der Inspektion der Wasserschutzpolizei eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers befindet, reicht nicht aus, um das Hafengebiet als eine großräumige regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen.
BFH Urteil vom 29.11.2016 – VIR 39/15
Sachverhalt:
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten, die für das Streitjahr (2011) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Der Kläger erzielte als Beamter der Wasserschutzpolizei Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Der Kläger war in den X-Häfen als Gefahrgutkontrolleur im See- und Landverkehr eingesetzt. Die Inspektion der Wasserschutzpolizei, die der Kläger arbeitstäglich von seiner Wohnung aus anfuhr, befand sich in den X-Häfen. Den überwiegenden Teil seiner Kontrolltätigkeit verrichtete der Kläger im Außendienst auf einem Fahrzeug. Der Außendienst betrug im Regelfall sechs bis sieben Stunden täglich. Der Kläger nahm die Gefahrgutkontrollen an den jeweiligen Schiffsliegeplätzen vor. Dort erledigte er auch verschiedene Verwaltungstätigkeiten, z.B. die Anordnung von Sicherheitsleistungen und Auslaufverboten, die Ausstellung von Bescheinigungen über Gefahrgutkontrollen, die Anordnung von Maßnahmen zur Gefahrbeseitigung, die Überwachung der Durchführung entsprechender Maßnahmen und die Erhebung von Verwarnungsgeldern. In der Inspektion der Wasserschutzpolizei plante der Kläger die anstehenden Gefahrgutkontrollen, bearbeitete umfangreiche Anzeigen und erfasste zur Schichtübergabe schriftlich die Kontrollergebnisse.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Aufwendungen für die Fahrten zwischen seiner Wohnung und der Inspektion der Wasserschutzpolizei nach Dienstreisegrundsätzen geltend (223 Tage x 26 km x 0,30 EUR/km = 1.739,40 EUR). Außerdem begehrte er für 223 Arbeitstage den Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 6 EUR pro Tag, insgesamt 1.388 EUR.
Begründung:
Die Entscheidung des FG, dass die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten von seiner Wohnung zu der Inspektion der Wasserschutzpolizei in tatsächlicher Höhe sowie die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen sind, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen. Erwerbsaufwendungen sind grundsätzlich auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Allerdings sind die Aufwendungen dafür nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nur begrenzt nach Maßgabe einer Entfernungspauschale als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Mehraufwendungen für die Verpflegung des Steuerpflichtigen sind nach § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 EStG grundsätzlich nicht als Werbungskosten abziehbar. Wird der Steuerpflichtige jedoch vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt beruflich tätig, so ist nach Satz 2 der Vorschrift für jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflichtige wegen dieser vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt über eine bestimmte Dauer abwesend ist, ein nach dieser Dauer gestaffelter Pauschbetrag abzuziehen.
Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG und (regelmäßige) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist die dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig, fortdauernd und immer wieder aufsucht. Das ist regelmäßig der Betrieb, Zweigbetrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers.
Eine (regelmäßige) Arbeitsstätte ist allerdings nicht jeder beliebige Tätigkeitsort, sondern der Ort, an dem der Arbeitnehmer typischerweise seine Arbeitsleistung im Schwerpunkt zu erbringen hat. Insoweit ist entscheidend, wo sich der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers befindet. Dort liegt die eine regelmäßige Arbeitsstätte, die ein Arbeitnehmer nur haben kann. Dieser Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit bestimmt sich nach den qualitativen Merkmalen der Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstätte im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat, sowie nach dem konkreten Gewicht dieser dort verrichteten Tätigkeit.
Nach ständiger Senatsrechtsprechung kommt auch ein größeres, räumlich geschlossenes Gebiet als regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (und damit beim Verpflegungsmehraufwand als Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG) in Betracht, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt, auf dem der Arbeitnehmer auf Dauer und mit einer gewissen Nachhaltigkeit tätig wird. Unter diesen Voraussetzungen kann z.B. auch ein Werksgelände eine großräumige (regelmäßige) Arbeitsstätte bzw. einen Tätigkeitsmittelpunkt darstellen.
Die Vorentscheidung entspricht diesen Rechtsgrundsätzen. Nach dem vom FG –für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO)– festgestellten Sachverhalt befand sich der qualitative Schwerpunkt der vom Kläger ausgeübten Berufstätigkeit als Gefahrgutkontrolleur bei der Wasserschutzpolizei nicht in der Polizeiinspektion. Der Kläger war vielmehr schwerpunktmäßig an den jeweiligen Schiffsliegeplätzen tätig. Dort nahm er die Kontrollen der Schiffe vor und überwachte die Einhaltung der Gefahrguttransportbestimmungen. Die berufliche Tätigkeit des Klägers an den Schiffsliegeplätzen beinhaltete auch verschiedene Verwaltungstätigkeiten, die mit den Gefahrgutkontrollen zusammenhingen, wie z.B. die Erteilung von Durchsuchungsbescheinigungen, die Verhängung von Sanktionen bei festgestellten Verstößen, die Anordnung von Maßnahmen zur Beseitigung von Gefahren und die Überwachung der Durchführung entsprechender Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Demgegenüber beschränkte sich die in der Inspektion der Wasserschutzpolizei ausgeübte Berufstätigkeit des Klägers im Wesentlichen auf die Vorplanung der jeweiligen Kontrollen, Schichtübergaben und die Bearbeitung umfangreicher Anzeigen.
Das Einsatzgebiet des Klägers in den X-Häfen stellte –entgegen der Ansicht des FA– auch keine großräumige (regelmäßige) Arbeitsstätte dar. Denn bei den Hafengebieten handelte es sich nach den Feststellungen des FG nicht um eine dauerhafte, betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers des Klägers. Solches behauptet das FA auch selbst nicht. Der Umstand, dass sich im Hafengebiet mit der Inspektion der Wasserschutzpolizei eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers befand, reicht –entgegen der Ansicht des FA– bei dieser Sachlage nicht aus, um das Hafengebiet selbst als eine großräumige regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen.
Der Kläger begründete in der Wasserschutzpolizei-Inspektion auch nicht deshalb eine regelmäßige Arbeitsstätte, weil er diese betriebliche Einrichtung seines Arbeitgebers nachhaltig (arbeitstäglich) aufsuchte. Zwar war es dem Kläger im vorliegenden Fall möglich, sich auf die Wegekosten einzustellen und auf deren Minderung hinzuwirken. Dies vermag den Streitfall aber nicht aus dem Regeltypus einer “Auswärtstätigkeit” (Leistungsort außerhalb des Betriebs oder der Betriebsstätte des Arbeitgebers) herauszulösen. Die Vorhersehbarkeit wechselnder Tätigkeitsstätten und die Möglichkeit, Wegekosten zu mindern, sind keine Tatbestandsmerkmale der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geregelten Entfernungspauschale. Der Umstand, dass sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten etwa durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und gegebenenfalls sogar durch eine entsprechende Wohnsitznahme hinwirken kann, beschreibt lediglich generalisierend und typisierend den Regelfall, nach dem sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip erweist. Individuelle Zufälligkeiten und Besonderheiten in der tatsächlichen Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses bleiben hierbei unberücksichtigt.