Vergeblicher Aufwand im Hinblick auf eine angestrebte Vorstandsposition sowie zum Erwerb einer Beteiligung am künftigen Arbeitgeber

Erwerbsaufwand ist den Einkünften zuzurechnen, zu denen der engere und wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang besteht.
Aufwendungen eines Arbeitnehmers zum Erwerb einer Beteiligung an seinem (ggf. künftigen) Arbeitgeber sind regelmäßig auch dann nicht als (vorab entstandene) Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abzugsfähig, wenn die Zahlung Voraussetzung für den Abschluss des Anstellungsvertrags ist. Derartige Aufwendungen sind abzugrenzen von solchen im Zusammenhang mit einer Bürgschaftsübernahme oder Darlehensgewährung eines Arbeitnehmers zugunsten seines Arbeitgebers.

BFH Urteil vom 17.05.2017 – VI R 1/16 BFH/NV 2017, 1496

Sachverhalt:

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr (2002) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wobei sein Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2002 endete. Im Jahr 2003 erzielte der Kläger u.a. Betriebseinnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit als Rechtsanwalt in Höhe von insgesamt 9.240,94 EUR netto, die mit 4.577,59 EUR auf “X” und mit 4.663,35 EUR auf “Y” entfielen.
Am 13. Dezember 2002 unterzeichnete der Kläger folgende Absichtserklärung:

“Hiermit erkläre ich, [Name des Klägers], geb. am [Geburtsdatum des Klägers], verbindlich, dass ich spätestens zum 1. April 2003 als Angestellter in die A-UNTERNEHMENSGRUPPE eintreten werde. Meine Tätigkeit als Angestellter wird die Übernahme einer Vorstandsposition in der noch zu gründenden A HOLDING AG sein. Die Gründung ist bis spätestens 31. März 2003 vorgesehen, sollte dies nicht der Fall sein, habe ich die Möglichkeit aufgrund noch zu vereinbarenden vertraglichen Regelungen aus dem noch zu schließenden Anstellungsvertrag regressfrei auszusteigen.”
Nach der Absichtserklärung war zudem Voraussetzung für den Abschluss des Anstellungsvertrags die Hinterlegung einer Summe in Höhe von 70.000 EUR bis spätestens zum 31. Dezember 2002 durch den Kläger auf ein noch zu benennendes Konto der A-UNTERNEHMENSGRUPPE (A-Gruppe). Vereinbart war, dass die zu hinterlegende Summe dem Erwerb von 7 000 Aktien aus einer nach Gründung der A HOLDING AG (AG) durchzuführenden Kapitalerhöhung dienen sollte.

Die Herren M und K hatten als Mehrheitsgesellschafter der A-Gruppe bereits am 13. November 2002 folgende Erklärung unterzeichnet:
“Hiermit erklären die unterzeichnenden Mehrheitsgesellschafter der A-Gruppe verbindlich, die vorstehende Absichtserklärung des [Name des Klägers] anzunehmen und mit [Name des Klägers] nach Hinterlegung der vereinbarten EUR 70.000,00 einen Anstellungsvertrag mit den vorgenannten Grundbedingungen abzuschließen. Voraussetzung ist, dass der Anstellungsvertrag beinhaltet, dass mit [Name des Klägers] eine jährliche Bruttovergütung in Höhe von EUR 90.000,00… vereinbart wird und die jährliche Bruttovergütung in 12 monatlichen Raten zur Auszahlung gelangt.
Die Unterzeichnenden erklären weiterhin verbindlich, bis zum 31. März 2003 die AG zu gründen und die einzelnen Gesellschaften der A-Gruppe mit den von ihnen vertretenen Gesellschaftsanteilen in die AG einzubringen. Weiter erklären die Unterzeichner verbindlich, dass sie aufgrund ihrer Mehrheiten dafür Sorge tragen werden, dass [Name des Klägers] als Vorstand der noch zu gründenden AG durch den noch einzusetzenden Aufsichtsrat der AG bestellt wird. Der Bestellungszeitraum wird 5 Jahre umfassen.”

Begründung:

Die Revision ist zulässig. Insbesondere entspricht die Revisionsbegründung den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Revision des FA ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Entgegen der Ansicht des FG kann der Kläger den Betrag von 75.000 EUR nicht als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 EStG) bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) abziehen. Der Kapitalverlust ist im Streitjahr auch nicht aus anderen Gründen steuerlich zu berücksichtigen.
Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i.S. von § 19 Abs. 1 EStG sind dies Aufwendungen, die durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlasst sind. Eine solche Veranlassung liegt vor, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und wenn die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden

Aufwendungen, die anfallen, bevor Einnahmen erzielt werden, können als vorab entstandene Werbungskosten abgezogen werden, sofern ein ausreichend bestimmter wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Einkunftsart besteht, in deren Rahmen der Abzug begehrt wird. Ein solcher Abzug ist von dem Zeitpunkt an gegeben, zu dem sich anhand objektiver Umstände feststellen lässt, dass der Entschluss, Einkünfte einer bestimmten Einkunftsart zu erzielen, endgültig gefasst worden ist. Die (vorab entstandenen) Aufwendungen können –als vergeblicher Aufwand– selbst dann zu berücksichtigen sein, wenn es entgegen den Planungen des Steuerpflichtigen nicht zu Einnahmen kommt, sofern nur eine erkennbare Beziehung zu den angestrebten Einkünften.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG sind Werbungskosten bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind. Stehen die Aufwendungen zu mehreren Einkunftsarten in einem wirtschaftlichen Zusammenhang, entscheidet nach ständiger Rechtsprechung der engere und wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang. Danach sind Aufwendungen der Einkunftsart zuzuordnen, die im Vordergrund steht und die die Beziehungen zu den anderen Einkünften.

Diese Rechtsgrundsätze hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung in Bezug auf die Frage, ob Bürgschaftsverluste –oder auch Darlehensverluste– durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sind, konkretisiert.

Hiervon abzugrenzen sind jedoch solche Aufwendungen des Arbeitnehmers, die den Erwerb einer Beteiligung an dem Arbeitgeber betreffen. Derartige Aufwendungen sind nach der Rechtsprechung des BFH jedenfalls “nicht ohne weiteres” den Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zuzurechnen, weil sie “im allgemeinen” nicht unmittelbar mit diesen Einkünften, sondern mit solchen aus Kapitalvermögen im Zusammenhang stehen, selbst wenn damit auch die Arbeitnehmertätigkeit gefördert wird. Vielmehr spricht eine Vermutung dafür, dass der Arbeitnehmer mit dem Erwerb einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft nicht nur die Sicherung seines Arbeitsplatzes beabsichtigt, sondern auch die mit der Stellung als Gesellschafter verbundenen Rechte erstrebt. Dies gilt auch dann, wenn der Erwerb der Beteiligung (arbeitsvertragliche) Voraussetzung für die Erlangung der angestrebten Position ist oder wenn der Steuerpflichtige sich beteiligt, um durch die Zuführung von Kapital den Fortbestand der Gesellschaft und damit gleichzeitig seinen eigenen Arbeitsplatz zu erhalten Insoweit besteht nach der Rechtsprechung des BFH ein vorrangiger Zusammenhang mit den Einkünften aus Kapitalvermögen.

Die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Vermögensverlusten in Form eines Darlehens oder einer Bürgschaftsinanspruchnahme einerseits und einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft andererseits hat der erkennende Senat insbesondere deshalb als gerechtfertigt angesehen, weil der Arbeitnehmer bei der Darlehens- oder Bürgschaftsgewährung ausschließlich das einseitige Risiko eines wirtschaftlichen Verlustes des Darlehens oder der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft auf sich. Demgegenüber besteht bei der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft nicht nur die Gefahr eines Wertverlustes, sondern das übernommene Risiko enthält umgekehrt auch die Chance einer Wertsteigerung. Ein hieraus resultierender Gewinn wäre im Falle der Veräußerung entweder nach § 17 EStG oder § 23 EStG, nicht aber nach § 19 EStG zu versteuern.

Nur ausnahmsweise kann auf dieser Grundlage die Annahme in Betracht kommen, dass der Arbeitnehmer mit dem Erwerb einer Beteiligung nicht die mit der Stellung als Gesellschafter verbundenen Rechte, sondern nahezu ausschließlich die Sicherung seines bestehenden oder die Erlangung eines höherwertigen Arbeitsplatzes erstrebt. Das kann insbesondere bei negativer Überschussprognose und damit erkennbar fehlender Absicht zur Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen aus einer solchen Beteiligung der Fall sein.
Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Denn es hat die Frage, zu welcher Einkunftsart der engere und wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang besteht, anhand der vom Senat zu Bürgschafts- oder Darlehensverlusten konkretisierten Rechtsgrundsätze beantwortet und dabei insbesondere auf die erstrebte Beteiligungshöhe abgestellt. Seine Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Aufgrund der getroffenen Feststellungen kann der Senat in der Sache selbst entscheiden.
Der streitgegenständliche Betrag in Höhe von 75.000 EUR wurde vom Kläger am 18. Dezember 2002 auf einem Konto der A-Gruppe hinterlegt, um damit 7 500 Aktien an der AG im Rahmen ihrer beabsichtigten Gründung im Folgejahr zu erwerben. Aus diesen Aktien hätte der Kläger in Zukunft Gewinnanteile in Form von Dividenden und damit Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt.
Zwar bestand daneben offenkundig auch ein Zusammenhang mit den ab dem Jahr 2003 beabsichtigten Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit, weil die Hinterlegung des Betrags von 75.000 EUR und die damit beabsichtigte Beteiligung an der noch zu gründenden AG ausweislich der Absichtserklärung Voraussetzung für den Abschluss eines Anstellungsvertrags entsprechend den in der Absichtserklärung niedergelegten Vereinbarungen war. Diese Beziehung wird im Streitfall indes durch den mit dem hinterlegten Geld verfolgten Zweck in Form des Anteilserwerbs an der AG überlagert. Denn unabhängig davon, ob und inwieweit der beabsichtigte Aktienerwerb auch durch das beabsichtigte Arbeitsverhältnis mit der AG motiviert war, bezweckte der Betrag die Finanzierung des beabsichtigten Beteiligungserwerbs als eigenständige Einkunftsquelle. Dagegen wird der nähere Zusammenhang zu einer Einkunftsart nicht allein durch eine Bedingung (wie im Streitfall der Verpflichtung zur Hinterlegung des Geldbetrags als Voraussetzung für den Abschluss des Anstellungsvertrags) im Sinne einer naturwissenschaftlichen Kausalkette begründet.
Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise anderweitige Beurteilung (Zuordnung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit) sind weder aus den vom FG getroffenen Feststellungen noch sonst ersichtlich.

Eine steuerliche Berücksichtigung des Verlustes des hinterlegten Betrags von 75.000 EUR nach § 17 EStG ist im Streitjahr ebenfalls nicht möglich. Abgesehen davon, dass zweifelhaft ist, ob der Verlust insoweit bereits im Streitjahr zu berücksichtigen wäre, scheitert der Ansatz insgesamt daran, dass § 17 Abs. 1 und Abs. 4 EStG nicht auf Verluste anwendbar sind, die dem Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit einem geplanten, aber fehlgeschlagenen Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einer tatsächlich nicht gegründeten Kapitalgesellschaft entstehen.