Ansprüche des Arbeitnehmers bei Einbehaltung von Sozialversicherungsbeiträgen

Führt ein Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge, die aus Sicht des Arbeitnehmers zu Unrecht einbehalten wurden, an die Einzugsstelle ab, kann der Arbeitnehmer im Regelfall eine Erstattung nur von dieser, nicht aber vom Arbeitgeber beanspruchen.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 20.4.2016, II R 50/14

Begründung:

Nach dem Urteil des BAG in BAGE 126, 325, das den Einbehalt von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen für die Zinsen auf das Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto einer Lehrerin des Landes betrifft, erfüllt der Arbeitgeber mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen (Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung) an das Finanzamt bzw. die Einzugsstelle im Regelfall seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer. Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Beträge für Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt habe, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge grundsätzlich nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn für den Arbeitgeber aufgrund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar war, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand. Nur insoweit sind die Gerichte für Arbeitssachen befugt, die Berechtigung der Abzüge für Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen. Im Übrigen beschränken sich die Rechte des Arbeitnehmers darauf, dass er die Anmeldung der Lohnsteuer anfechten, die Rückerstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 26 des Sozialgesetzbuchs Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) fordern und diese Forderung ggf. durch Klage beim Sozialgericht (SG) geltend machen kann.

Wie das BAG in dem Urteil weiter ausgeführt hat, haftet der Arbeitgeber allerdings gemäß § 280 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) dem Arbeitnehmer auf Schadensersatz, wenn er bei der Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge schuldhaft Nebenpflichten verletzt, dadurch Schäden des Arbeitnehmers verursacht und dem Arbeitnehmer kein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Dabei hat der Arbeitgeber für die verkehrsübliche Sorgfalt einzustehen (§ 276 BGB). Dies zieht bei unklarer Rechtslage regelmäßig die Notwendigkeit nach sich, eine Anrufungsauskunft beim Betriebsstättenfinanzamt einzuholen (§ 42e des Einkommensteuergesetzes).

Das BAG hat in dem von ihm entschiedenen Fall ausgehend von diesen Grundsätzen der Zahlungsklage der Lehrerin gegen das Land nur stattgegeben, soweit der Einbehalt der Sozialversicherungsbeiträge verspätet erfolgt und deshalb gemäß § 28g Satz 3 SGB IV nicht mehr zulässig gewesen war, nicht aber im Hinblick auf die rechtzeitig einbehaltenen Beiträge und die Lohnsteuer. Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch danach nicht zu.

Studium ist kein Bestandteil einer einheitlichen Erstausbildung

Nimmt ein Kind nach Abschluss einer kaufmännischen Ausbildung ein Studium auf, welches eine Berufstätigkeit voraussetzt, stellt sich das Studium nicht mehr als integrativer Bestandteil einer einheitlichen Erstausbildung dar.

Setzt der zweite Ausbildungsabschnitt eine Berufstätigkeit voraus oder nimmt das Kind vor Beginn der zweiten Ausbildung eine Berufstätigkeit auf, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung dient, liegt regelmäßig mangels notwendigen engen Zusammenhangs keine einheitliche Erstausbildung vor.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 4.2.2016, III R 14/15

Begründung:

Nimmt ein Kind nach Abschluss einer kaufmännischen Ausbildung ein Studium auf, das eine Berufstätigkeit voraussetzt, ist das Studium nicht integrativer Bestandteil einer einheitlichen Erstausbildung. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 4. Februar 2016 III R 14/15 entschieden und damit dem Kläger Kindergeld versagt.

Im Streitfall hatte die Tochter des Klägers nach ihrer Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen als Angestellte in einer Klinik gearbeitet und sich dann für ein berufsbegleitendes Studium an einer Verwaltungsakademie beworben, das eine kaufmännische Berufsausbildung und eine einjährige Berufstätigkeit voraussetzte. Die Tochter strebte eine Tätigkeit im mittleren Management im Gesundheitswesen an. Da sie nach Ansicht der Familienkasse eine Ausbildung abgeschlossen hatte und weiterhin 30 Wochenstunden arbeitete, wurde die Kindergeldfestsetzung aufgehoben.

Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind zwischen 18 und 25 Jahren, das sich in einer zweiten oder weiteren Ausbildung befindet, nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes).

Da aber die Tochter die zulässige Wochenarbeitsgrenze überschritten hatte, kam der Frage, ob es sich bei dem berufsbegleitenden Studium um eine Erst- oder Zweitausbildung handelte, entscheidungserhebliche Bedeutung zu.

Der BFH bestätigte das kindergeldschädliche Vorliegen einer Zweitausbildung. Zwar gilt nach der Rechtsprechung des BFH ein erster berufsqualifizierender Abschluss nicht als Erstausbildung, wenn sich dieser Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt. Das hatte der BFH z.B. zur Prüfung als Steuerfachangestellter im Rahmen eines dualen Bachelorstudiums im Steuerrecht, zur Prüfung als Fachinformatikerin im Rahmen einer dualen Ausbildung zum Bachelor in Wirtschaftsinformatik sowie zum Bachelor-Abschluss im Rahmen eines Masterstudiums entschieden.

Eine solche einheitliche Erstausbildung liegt – so auch im hier vom BFH entschiedenen Streitfall – mangels notwendigen engen Zusammenhangs regelmäßig aber nicht mehr vor, wenn der zweite Ausbildungsabschnitt eine Berufstätigkeit voraussetzt. Ist Bedingung für ein berufsbegleitendes Studium an einer Verwaltungsakademie eine berufspraktische Erfahrung von regelmäßig einem Jahr, handelt es sich um einen die berufliche Erfahrung berücksichtigenden Weiterbildungsstudiengang und damit um eine Zweitausbildung.

Eigene Berufshaftpflichtversicherung einer Rechtsanwalts-GbR kein Arbeitslohn

Die eigene Berufshaftpflichtversicherung einer Rechtsanwalts-GbR führt nicht zu Arbeitslohn bei den angestellten Rechtsanwälten.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 10.3.2016, VI R 58/14

Begründung:

Die Beiträge einer Rechtsanwalts-GbR zu ihrer eigenen Berufshaftpflichtversicherung führen bei den angestellten Rechtsanwälten nicht zu Arbeitslohn. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 10. März 2016 VI R 58/14 entschieden.

Die Klägerin, eine Rechtsanwaltssozietät, die in den Streitjahren in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) tätig war, hatte im eigenen Namen und auf eigene Rechnung eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen. Die bei ihr angestellten Rechtsanwälte unterhielten darüber hinaus eigene Berufshaftpflichtversicherungen. Das Finanzamt sah die Versicherungsbeiträge der Rechtsanwalts-GbR für ihre eigene Berufshaftpflichtversicherung als Arbeitslohn der angestellten Rechtsanwälte an. Dem ist der BFH entgegengetreten. Dies beruht auf der ständigen Rechtsprechung, nach der Vorteile, die sich lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen des Arbeitgebers erweisen, bei den Arbeitnehmern nicht zu Arbeitslohn führen.

Daher hat der BFH die Beiträge der Rechtsanwalts-GbR zu ihrer eigenen Berufshaftpflichtversicherung nicht als Arbeitslohn angesehen. Dies gilt auch, soweit sich der Versicherungsschutz auf Ansprüche gegen die angestellten Rechtsanwälte erstreckt. Denn insoweit handelt es sich um eine bloße Reflexwirkung der eigenbetrieblichen Betätigung der Rechtsanwalts-GbR. Die Erweiterung des Versicherungsschutzes dient dazu, der Rechtsanwalts-GbR einen möglichst umfassenden Schutz für alle bei ihr beschäftigten Rechtsanwälte zu gewähren, weil sie nur so erreichen kann, ihre Haftungsrisiken möglichst umfassend auf den Versicherer abzuwälzen.

 

Das Urteil des BFH bezieht sich allerdings nur auf die eigene Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwalts-GbR. Übernimmt die GbR Beiträge für eine Berufshaftpflichtversicherung, die ein bei ihr angestellter Rechtsanwalt selbst abgeschlossen hat, liegt nach der Rechtsprechung des BFH lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn vor.

Das Urteil gilt nicht nur für Sozietäten in der Rechtsform der GbR, sondern z.B. auch für Einzelkanzleien mit angestellten Rechtsanwälten. Die Entscheidung des BFH kann auch für andere Berufsgruppen wie Steuerberater von Bedeutung sein.

Lehrgänge eines Leutnants keine Berufsausbildung

Die Lehrgänge, die ein Angehöriger der Bundeswehr nach seiner Ernennung zum Leutnant im Rahmen einer militärfachlichen Ausbildung absolviert, gehören nicht mehr zur „erstmaligen Berufsausbildung” i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.

BFH Beschluss vom 09.03.2016 – III B 146/15

Sachverhalt:

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist die Mutter eines im März 1990 geborenen Sohnes (S). Dieser leistete ab Januar 2009 den Wehrdienst. Mit Wirkung vom 1. Oktober 2009 wurde er als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes im Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit (14 Jahre) übernommen. Von Oktober 2010 bis Anfang September 2013 studierte er Betriebswirtschaftslehre (Bachelor). In dieser Zeit wurde er mit Wirkung vom 1. Oktober 2012 zum Leutnant ernannt, nachdem er die entsprechende Offiziersprüfung abgelegt hatte. Nach Abschluss des Studiums wurde er zu einer Nachschubtransportstaffel zum Zweck der „Ausbildung zum Offizier Truppendienst nach Studium” versetzt. Anfang Januar 2014 nahm er an einem zweimonatigen Lehrgang „Führungstraining Luftwaffe” teil. Die militärfachliche Ausbildung zum „Transportoffizier Streitkräfte” dauerte von Anfang April 2014 bis Dezember 2014. Nach dem Absolvieren verschiedener Prüfungen erhielt S hierüber im Dezember 2014 ein Zeugnis.

Die Antragstellerin bezog für S Kindergeld. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2014 hob die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes zunächst ab Januar 2015 auf. Nachdem sie von der Antragstellerin verschiedene Nachweise und Unterlagen erhalten hatte, hob sie durch einen weiteren Bescheid vom 21. Januar 2015 die Festsetzung von Oktober 2013 bis Dezember 2014 auf und forderte Kindergeld von 2.760 EUR zurück. Die Familienkasse war der Ansicht, S habe das Studium und die militärische Ausbildung beendet und befinde sich nicht mehr in Ausbildung.

Begründung:

Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) besteht Anspruch auf Kindergeld für Kinder, die das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, wobei eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch unschädlich sind (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG).

Ob die Ausbildungsmaßnahmen, an denen S nach dem Ende des Studiums teilnahm, als Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG anzusehen sind, ist nicht entscheidungserheblich. Denn in diesem Fall läge eine weitere Ausbildung nach Abschluss der Erstausbildung vor, die im Streitfall nicht zu einem Anspruch auf Kindergeld führen könnte, weil S mehr als 20 Wochenstunden erwerbstätig war (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).

Der Senat hat zur Ausbildung eines Bundeswehrsoldaten zum Feldwebel entschieden, dass dieser seine erstmalige Berufsausbildung mit Bestehen der Feldwebelprüfung abgeschlossen hat. Verwendungslehrgänge, die der Prüfung zeitlich nachfolgen, sind nicht mehr Bestandteil der Erstausbildung.

Diese Grundsätze sind im Streitfall entsprechend anzuwenden. S hat nach dem Bestehen der Offiziersprüfung und Ernennung zum Leutnant zum 1. Oktober 2012 die Ausbildung zum Offizier gemäß § 24 Abs. 3 SLV abgeschlossen. Ob das Kindergeld für die nachfolgende Zeit bis zum Abschluss des Studiums im September 2013 zu Recht festgesetzt wurde, braucht der Senat nicht zu prüfen, da dieser Zeitraum nicht im Streit ist. Die Lehrgänge, an welchen S im Streitzeitraum (Oktober 2013 bis Dezember 2014) teilnahm, sind bei summarischer Prüfung nicht anders zu beurteilen als die Lehrgänge, welche in dem vom Senat entschiedenen Fall auf die Feldwebelprüfung folgten.

Anhaltspunkte dafür, dass S wegen eines Ausbildungsdienstverhältnisses i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG kindergeldrechtlich zu berücksichtigen sein könnte, ergeben sich weder aus dem Vorbringen der Antragstellerin noch aus den vorliegenden Akten.

Keine Aufteilung der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer

Der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers setzt voraus, dass der jeweilige Raum ausschließlich oder nahezu ausschließlich für betriebliche/berufliche Zwecke genutzt wird.

BFH Urteil vom 16.02.2016 – IX R 23/12

Sachverhalt:

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bewohnte im Streitjahr 2006 mit seiner Ehefrau ein beiden Ehegatten gehörendes Einfamilienhaus. Er erklärte für das Streitjahr aus der Vermietung mehrerer Objekte Mieteinnahmen in Höhe von insgesamt 94.047 EUR und Werbungskosten in Höhe von insgesamt 99.852 EUR.

Mit seinem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2006 machte der Kläger erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in dem Einfamilienhaus in Höhe von 804 EUR bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend, weil das Zimmer den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen Tätigkeit –der Vermietung von Immobilienobjekten– bilde. Dabei verwies der Kläger auf einen „Tätigkeitsbericht” über die Arbeiten, die er in diesem Raum verrichtet habe, sowie auf Fotos u.a. eines Schreibtisches, diverser Büroschränke und Regale sowie diverser Leitzordner. Im Arbeitszimmer steht ein Computer.

Begründung:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung sind Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig. Das gilt nicht, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 % der gesamten betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG). In diesem Fall wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 EUR begrenzt; die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 EStG). Dies gilt gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG entsprechend für den Werbungskostenabzug.

Häusliches Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG ist ein Raum, der seiner Ausstattung nach der Erzielung von Einnahmen dient und ausschließlich oder nahezu ausschließlich zur Erzielung von Einkünften genutzt wird. Auf die dortigen Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

Nach diesen Grundsätzen sind im Streitfall die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer nicht –auch nicht anteilig– als Werbungskosten abziehbar. Unstreitig liegt zwar ein seiner Ausstattung nach der Einkünfteerzielung dienender Raum vor. Auch stand dem Kläger jedenfalls kein anderer Arbeitsplatz für seine Tätigkeit im Rahmen der Vermietung und Verpachtung zur Verfügung. Jedoch nutzte der Kläger den streitbefangenen Raum nicht (nahezu) ausschließlich für Vermietungszwecke, sondern auch zu 40 % zu privaten Zwecken.

Doppelte Haushaltsführung

Es ist in der Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer außerhalb seines Beschäftigungsortes einen eigenen Hausstand unterhält.

Hiernach ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob die außerhalb des Beschäftigungsortes belegene Wohnung des Arbeitnehmers als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen ist und deshalb seinen Hausstand darstellt. Das gilt auch dann, wenn beiderseits berufstätige Ehegatten während der Woche am Beschäftigungsort zusammenleben.

BFH Beschluss vom 20.01.2016 – VI B 61/15 BFH/NV 2016, 747

Begründung:

Die Kläger halten die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob ein Hausstand i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr (2011) geltenden Fassung nur vorliegt, „wenn das Leben am Wochenende hauptsächlich in der Wohnung stattfindet und dabei ordentlich elektrische Energie verbraucht wird”. Grundsätzlich bedeutsam sei auch die Frage, „ob die Pflege von Sozialkontakten außer Haus nur als Erholungsaktivitäten abgetan werden kann”.

Denn es ist durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hinreichend geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer außerhalb seines Beschäftigungsortes einen eigenen Hausstand unterhält. Hiernach ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob die außerhalb des Beschäftigungsortes belegene Wohnung des Arbeitnehmers als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen ist und deshalb seinen Hausstand darstellt. Das gilt auch dann, wenn beiderseits berufstätige Ehegatten während der Woche am Beschäftigungsort zusammenleben. Dieser Umstand allein rechtfertigt es nicht, dort den Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen und seiner (Haupt-)Bezugsperson zu verorten. In der Regel verlagert sich indes der Mittelpunkt der Lebensinteressen eines Arbeitnehmers an den Beschäftigungsort, wenn er dort mit seinem Ehegatten in eine familiengerechte Wohnung einzieht, auch wenn die frühere Wohnung beibehalten und zeitweise noch genutzt wird

Das Finanzgericht (FG) ist von den vorgenannten Grundsätzen ausgegangen. Es hat nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung eine Einzelfallwürdigung vorgenommen. Dabei ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Klägerin im Streitjahr nicht in Y, sondern in X, ihrem Beschäftigungsort, befunden habe.

Zur inhaltlichen Bestimmtheit eines Steuerbescheids im Erbfall

Ein Steuerbescheid, mit dem das Finanzamt einen Miterben für die Steuerschuld des vor Durchführung der Einkommensteuerveranlagung verstorbenen Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt, muss den Erfordernissen des § 157 AO genügen. Die Bezeichnung des Miterben als „Rechtsnachfolger” des Erblassers in diesem Kontext kann unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zur Bestimmung des Steuerschuldners genügen.

BFH Urteil vom 27.10.2015 – VIII R 59/13 BFH/NV 2016, 726

Sachverhalt:

Streitig ist, ob die gegenüber dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erfolgte Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2005 nichtig ist. Der Kläger ist Steuerberater und Erbe des am 6. April 2006 verstorbenen J.H. Ausweislich des Erbscheins vom 21. März 2007 wurde J.H. von G.P., B.S. und N.P. zu jeweils 1/9 sowie von F.T. und dem Kläger zu jeweils 1/3 beerbt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) erließ am 27. März 2007 einen auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhenden, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid 2005, den er an „Herrn RA C. … als Nachlasspfleger für Herrn J.H.” bekannt gab. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

Begründung:

Der Einkommensteueränderungsbescheid vom 1. Februar 2010 war nicht wegen mangelnder Bestimmtheit des Inhaltsadressaten nichtig. Ein Steuerbescheid muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 119 Abs. 1 der Abgabenordnung –AO–). Dazu muss er angeben, wer die Steuer schuldet (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO). Lässt ein Bescheid den Schuldner nicht erkennen oder bezeichnet er ihn so ungenau, dass Verwechslungen nicht ausgeschlossen sind, kann er wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nicht befolgt werden und ist unwirksam.

Auch ein Steuerbescheid, mit dem ein Erbe als Gesamtrechtsnachfolger für die Steuerschuld des vor Durchführung der Einkommensteuerveranlagung verstorbenen Steuerpflichtigen in Anspruch genommen werden soll, muss angeben, wer die Steuer schuldet. Steuerschuldner in diesem Sinne ist in solchen Fällen der Gesamtrechtsnachfolger. Dieser ist (noch) hinreichend bezeichnet, wenn der Bescheid als Adressaten der Steuerfestsetzung den Rechtsvorgänger zu Händen des Rechtsnachfolgers als Erben ausweist.

Wurde der Erblasser von mehreren Personen beerbt und sind diese deshalb Gesamtschuldner, so steht es dem FA frei, ob es sämtliche Miterben in einem nach § 155 Abs. 3 AO zusammengefassten Bescheid heranziehen will. Gibt das FA einen Steuerbescheid im Wege der Einzelbekanntgabe bekannt, so ist nur der betreffende Erbe in der geschilderten Weise als Steuerschuldner zu bezeichnen. Denn nur ihm gegenüber dient dieser Bescheid als Grundlage der Steuererhebung (§ 218 Abs. 1 AO). Ein Hinweis auf die Inanspruchnahme anderer Gesamtschuldner ist nicht erforderlich.

Welchen Regelungsgehalt ein Verwaltungsakt hat, ist über den bloßen Wortlaut hinaus im Wege der Auslegung zu ermitteln). Maßgebend für die Auslegung eines Verwaltungsakts ist der objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Empfänger nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Es kommt grundsätzlich nicht darauf an, was die Finanzbehörde erklären wollte oder wie ein außenstehender Dritter den Verwaltungsakt auffassen konnte. Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus deren Sphäre nicht benachteiligt werden.

Nach diesen Grundsätzen ist der Einkommensteueränderungsbescheid vom 1. Februar 2010 –entgegen der Auffassung des FG– nicht nichtig, denn wer Inhaltsadressat und Schuldner der Steuer ist, ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit.Die in dem Bescheid vom 1. Februar 2010 verwendete Bezeichnung des Klägers als „Rechtsnachfolger des verstorbenen J.H.” ist nicht –wie das FG meint– eindeutig falsch, sondern zutreffend. Der Kläger ist Rechtsnachfolger des verstorbenen J.H. Dass er als Erbe Gesamtrechtsnachfolger des J.H. geworden ist (vgl. § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), ändert an der Richtigkeit der Bezeichnung „Rechtsnachfolger” nichts. Als Oberbegriff ist diese Bezeichnung möglicherweise weniger präzise als die Bezeichnung „Gesamtrechtsnachfolger”, sie ist jedoch nicht falsch, und zwar auch nicht unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger einer von mehreren Gesamtrechtsnachfolgern nach dem verstorbenen J.H. war.

Der Kläger konnte aus der Bezeichnung „Rechtsnachfolger” nach dem verstorbenen J.H. mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass er als Erbe für die Steuerverbindlichkeiten des J.H. herangezogen werden sollte (vgl. § 45 AO). Ein Hinweis auf die Inanspruchnahme der weiteren Erben –d.h. anderer Gesamtschuldner– war nicht erforderlich. Der an den Kläger gerichtete Bescheid vom 1. Februar 2010 ist auch nicht deshalb unbestimmt, weil die übrigen Miterben nicht namentlich benannt waren. Denn ungeachtet dieses Umstandes ergab sich für den Kläger –wie dargelegt– seine Steuerschuldnerschaft als Rechtsnachfolger des J.H. mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Inhalt des Bescheides.

Auch der Umstand, dass das FA am 1. Februar 2010 gegenüber den Miterben einen inhaltsgleichen Bescheid erlassen hat, ohne dessen Verhältnis zu dem an den Kläger gerichteten Bescheid klarzustellen, führt nicht zur Nichtigkeit. Es liegen nicht zwei verschiedene Versionen einer Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr vor, deren Verhältnis zueinander unklar oder widersprüchlich ist. Vielmehr existiert eine Steuerfestsetzung vom 1. Februar 2010, die im Wege der Einzelbekanntgabe einerseits an den Kläger und andererseits an die übrigen Miterben übermittelt worden ist.

Umsatzsteuerfreie Betreuungsleistungen

Betreuungsleistungen einer juristischen Person sind unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL steuerfrei, wenn ihr die Erlaubnis zum Betrieb einer Einrichtung zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen nach § 45 SGB VIII erteilt wurde und die Kosten für diese Leistungen über einen Träger der freien Jugendhilfe abgerechnet und damit mittelbar von öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe gezahlt werden.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 6.4.2016, V R 55/14

Sachverhalt:

Streitig ist, ob die von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im Streitjahr (2007) erbrachten Betreuungsleistungen gegenüber Kindern und Jugendlichen steuerfrei sind. Die Klägerin ist eine juristische Person in der Rechtsform einer GmbH, die nach ihrem Gesellschaftszweck ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt. Diese Zwecke bestehen u.a. in der Förderung der Jugend in Bildung und Erziehung sowie der Jugendhilfe nach §§ 27 ff. des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG).

Begründung:

Entgegen der Auffassung des FG ist die Klägerin jedoch als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt, sodass die von ihr erbrachten Betreuungsleistungen nach Unionsrecht steuerfrei sind. Eine Steuerfreiheit der von der Klägerin erbrachten Leistungen ergibt sich nicht aus dem nationalen Recht. Nach § 4 Nr. 25 UStG sind bestimmte, unter a) bis c) bezeichnete Leistungen der “Träger der öffentlichen Jugendhilfe und der förderungswürdigen Träger der freien Jugendhilfe” steuerfrei.

Im Streitfall wurde nicht die Klägerin, sondern die GbR als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt. Ob die Klägerin die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt, kann vorliegend offen bleiben. Denn die Betreuungsleistungen der Klägerin fallen weder unter die in Buchstabe a bezeichneten Tätigkeiten (Durchführung von Lehrgängen, Freizeiten, Zeltlagern, Fahrten und Treffen sowie von Veranstaltungen, die dem Sport oder der Erholung dienen) noch unter die in Buchstabe b bezeichneten Leistungen (Beherbergung, Beköstigung und übliche Naturalleistungen, die den Jugendlichen und Mitarbeitern gewährt werden) des § 4 Nr. 25 UStG. Es geht auch nicht um die Durchführung von kulturellen und sportlichen Veranstaltungen im Rahmen der Jugendhilfe (§ 4 Nr. 25 Buchst. c UStG).

Die Klägerin ist, wie unter II.1.a ausgeführt wurde, kein Träger der Jugendhilfe, sie gehört aber zu den anderen Einrichtungen mit sozialem Charakter. Denn sie unterhält ein Wohnheim, in dem Kinder und Jugendliche mit psychischer Behinderung untergebracht sind. Für den Betrieb dieser Einrichtung ist eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII erforderlich. Diese ist der Klägerin durch den Verband (Landesjugendamt) mit den Bescheiden vom 18. Februar 2002 und 2. März 2007 erteilt worden. Eine Steuerbefreiung der erbrachten Leistungen scheidet im Streitfall jedoch aus, weil die Neufassung des § 4 Nr. 25 UStG gemäß § 27 Abs. 1 UStG i.V.m. Art. 28 Abs. 4 JStG 2008 erst für Umsätze gilt, die ab dem 1. Januar 2008 ausgeführt werden.

Die Klägerin kann sich für die Steuerfreiheit ihrer Leistungen aber auf das Unionsrecht berufen. Steuerfrei sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL (bis 31. Dezember 2006: Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG –Richtlinie 77/388/EWG–) “eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen”.

Diese Bestimmung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen handeln und der leistende Unternehmer muss als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt sein. Die Leistungen der Klägerin sind eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbunden. Sie betreibt ein Wohnheim, in dem psychisch und seelisch kranke Kinder und Jugendliche untergebracht sind und behandelt werden. Damit wird sie gegenüber dem Jugendamt im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe (§§ 27 bis 41 SGB VIII) tätig.

Die Klägerin ist –entgegen dem Urteil des FG– auch als Einrichtung i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL “anerkannt”.Nach dem zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Zimmermann vom 15. November 2012 C-174/11 (EU:C:2012:716, Rz 26) legt die Richtlinie die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung nicht fest. Vielmehr ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaates, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann. Dabei haben die nationalen Behörden im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte die für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu diesen gehören das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit.

Der Steuerpflichtige kann sich auf die in Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL vorgesehene Steuerfreiheit berufen, um sich einer Regelung zu widersetzen, die mit dieser Bestimmung unvereinbar ist. Es ist Sache der nationalen Gerichte, anhand aller maßgeblichen Umstände zu bestimmen, ob der Steuerpflichtige eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung i.S. dieser Bestimmung ist. Dabei haben die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die zuständigen Behörden die Grenzen des ihnen eingeräumten Ermessens unter Beachtung der Grundsätze des Unionsrechts eingehalten haben, zu denen insbesondere der Grundsatz der Gleichbehandlung gehört, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt. Im Streitfall folgt die Anerkennung der Klägerin aus spezifischen Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit, ihrer Tätigkeit im Gemeinwohlinteresse sowie der (mittelbaren) Kostenübernahme.

 

EuGH-Vorlage zur Minderung des Entgelts bei Rabattgewährung durch Reisebüros, die als Vermittler tätig sind

Kommt es nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils vom 24. Oktober 1996 C-317/94, Elida Gibbs (Slg. 1996, I-5339) auch dann zu einer Minderung der Besteuerungsgrundlage im Rahmen einer Vertriebskette, wenn ein Vermittler (hier: Reisebüro) dem Empfänger (hier: Reisekunde) des von ihm vermittelten Umsatzes (hier: Leistung des Reiseveranstalters an den Reisekunden) einen Teil des Preises für den vermittelten Umsatz vergütet?

Falls die erste Frage zu bejahen ist: Sind die Grundsätze des EuGH-Urteils Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339 auch dann anzuwenden, wenn nur der vermittelte Umsatz des Reiseveranstalters, nicht aber auch die Vermittlungsleistung des Reisebüros der Sonderregelung nach Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG unterliegt?

Falls auch die zweite Frage zu bejahen ist: Ist ein Mitgliedstaat, der Art. 11 Teil C Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG zutreffend umgesetzt hat, im Fall der Steuerfreiheit der vermittelten Leistung nur dann berechtigt, eine Minderung der Besteuerungsgrundlage zu versagen, wenn er in Ausübung der in dieser Bestimmung enthaltenen Ermächtigung zusätzliche Bedingungen zur Versagung der Minderung geschaffen hat?

BUNDESFINANZHOF Beschluss (EuGH-Vorlage) vom 26.4.2012, V R 18/11

Begründung:

Mit Beschluss vom 26. April 2012 V R 18/11 hat der Bundesfinanzhof (BFH) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob ein Reisebüro, das als Vermittler für einen Reiseveranstalter tätig ist und einem Reisekunden einen selbst finanzierten Preisnachlass gewährt, zu einer Minderung seiner Umsatzsteuerschuld berechtigt ist. Der BFH hat dies in der Vergangenheit bejaht, hat aber Zweifel, ob seine bisherige Auslegung mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Der dem EuGH vorgelegten Rechtsfrage kommt erhebliche Bedeutung zu, da sie nicht nur die Reisebranche in Deutschland betrifft, sondern sich ebenso auf andere Bereiche auswirken kann, in denen Waren wie z.B. Pkws oder Dienstleistungen über Vermittler verkauft werden. Das Urteil des EuGH dürfte zu einer unionsweiten Vereinheitlichung führen.

Umsatzsteuerrechtlich ist zu beachten, dass das Reisebüro eine steuerpflichtige Vermittlungsleistung gegenüber dem Reiseveranstalter erbringt. Gewährt das Reisebüro aus der von ihm verdienten Vermittlungsprovision einen Preisnachlass an den Reisekunden, stellt sich die Frage, ob die Zahlung an den Reisekunden das Entgelt für die an den Reiseveranstalter erbrachte Vermittlungsleistung mindert. Für eine derartige Minderung spricht, dass sich die Aufwendungen des Reisekunden für die Reise durch den Preisnachlass mindern. Gegen eine Minderung kann angeführt werden, dass die Vermittlungsleistung des Reisebüros an den Reiseveranstalter und die Reiseleistung des Reiseveranstalters an den Reisekunden nicht gleichartig sind.

Umsatzsteuerfreie Postdienstleistung erfordert Zustellung an allen Werktagen

Universaldienstleistungen i.S. von § 4 Nr. 11b UStG verlangen eine Post-Zustellung an sechs Arbeitstagen pro Woche.

Stellt ein Unternehmer an fünf Arbeitstagen pro Woche Post zu, erbringt er keine Universaldienstleistungen und hat keinen Anspruch gegen das BZSt auf Erteilung einer für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung erforderlichen Bescheinigung.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 2.3.2016, V R 20/15

Begründung:

Postdienstleistungen sind nur umsatzsteuerfrei, wenn sich der Unternehmer verpflichtet, Postsendungen an allen Werktagen und damit im Regelfall sechsmal wöchentlich zuzustellen, wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 2. März 2016 V R 20/15 entschieden hat.

Die Umsatzsteuerfreiheit von Postdienstleistungen (sog. Post-Universaldienstleistungen) setzt voraus, dass sich der Unternehmer gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) verpflichtet, diese Leistungen flächendeckend anzubieten. Das BZSt muss dies zudem becheinigen (§ 4 Nr. 11b des Umsatzsteuergesetzes).

Im Streitfall beantragte die Klägerin die für die Steuerfreiheit erforderliche Bescheinigung beim BZSt. Das BZSt versagte die Erteilung, da die Klägerin Zustellungen nur an fünf Werktagen (Dienstag bis Samstag) in der Woche erbringen wollte.

Die Klage zum Finanzgericht und die Revision zum BFH waren ohne Erfolg. Nach dem Urteil des BFH setzt die Erteilung –der für die Steuerfreiheit erforderlichen– Bescheinigung voraus, dass der Unternehmer Postsendungen an allen Werktagen unter Einschluss des Montags zustellt. Der BFH leitet dies aus der Post-Universaldienstleistungsverordnung ab, die auch umsatzsteuerrechtlich zu beachten sei.

 

Die Rechtslage nach nationalem Recht steht nach der Entscheidung des BFH nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen des durch das Recht der Europäischen Union harmonisierten Mehrwertsteuerrechts.