Keine steuerliche Begünstigung für von Trägervereinen betriebene Freibäder

Die steuerliche Begünstigung sog. dauerdefizitärer Tätigkeiten einer von der öffentlichen Hand beherrschten Kapitalgesellschaft gemäß § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG setzt voraus, dass die Kapitalgesellschaft das Dauerverlustgeschäft selbst ausübt.
Übt die Kapitalehören z.B. städtische Gewinne aus Energieversorgungsunternehmen. Man spricht bei diesem Verrechnungsmodell üblicherweise vom kommunalen Querverbund. Der BFH hat mit seinem Urteil anerkannt, dass auch der dauerdefizitäre Betrieb eines Freibades dem Grunde nach steuerlich begünstigt ist. Er entnimmt den gesetzlichen Regelungen jedoch die klare Aussage, dass die Begünstigung nur dann gewährt wird, wenn die Gemeinde entweder mit einem eigenen Betrieb (Betrieb gewerblicher Art) die dauerdefizitäre Tätigkeit selbst ausübt oder eine kommunale Eigengesellschaft (Kapitalgesellschaft, deren Anteile sich in der Hand einer Kommune befinden) das Freibad selbst betreibt. Im Streitfall war hingegen die städtische Eigengesellschaft nicht selbst Betreiberin des Freibades. Sie hatte dieses an einen im Vereinsregister eingetragenen Trägerverein gegen Zusage der Verlustübernahme verpachtet. Dieses Verpachtungsmodell ist nicht steuerlich begünstigt. Mit dieser Entscheidung konnte der BFH zugleich die umstrittene Rechtsfrage offenlassen, ob die gesetzliche Regelung der dauerdefizitären Tätigkeiten mit den unionsrechtlichen Beihilfevorschriften zu vereinbaren istgesellschaft das Dauerverlustgeschäft nicht selbst aus, weil sie den verlustbringenden Freibadbetrieb an einen eingetragenen Verein verpachtet hat, ist die Verpachtungstätigkeit nicht begünstigt.
BFH Urteil vom 9.11.2016, I R 56/15
Begründung (BFH):
Betreibt eine städtische Gesellschaft ein verlustbringendes Freibad nicht selbst, sondern verpachtet sie es an einen Trägerverein, liegen die Voraussetzungen für die steuerliche Begünstigung dauerdefizitärer Tätigkeiten der öffentlichen Hand nicht vor. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. November 2016 I R 56/16 sind Verpachtungstätigkeiten nicht begünstigt.
Fast alle größeren Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) unterhalten Freibäder und entsprechen damit typischerweise einer Erwartungshaltung ihrer Bürger. Unter den klimatischen Bedingungen Mitteleuropas rechnen sich allerdings Freibäder für die Gemeinden betriebswirtschaftlich nicht, es sei denn diese würden hohe Eintrittspreise verlangen. Das wiederum ist sozialpolitisch aus Sicht vieler Menschen nicht akzeptabel. Folglich ist der Freibadbetrieb in Deutschland regelmäßig dauerdefizitär und führt fortlaufend zu erheblichen Verlusten für die Gemeinden. Der Gesetzgeber begünstigt solche dauerdefizitären Tätigkeiten der Gemeinden allerdings aus sozialpolitischen Gründen, indem er die Verluste steuerlich anerkennt und damit ihre Verrechnung mit Gewinnen der Gemeinden aus anderen Tätigkeiten ermöglicht (vgl. § 8 Abs. 7 des Körperschaftsteuergesetzes). Hierzu gehören z.B. städtische Gewinne aus Energieversorgungsunternehmen. Man spricht bei diesem Verrechnungsmodell üblicherweise vom kommunalen Querverbund.
Der BFH hat mit seinem Urteil anerkannt, dass auch der dauerdefizitäre Betrieb eines Freibades dem Grunde nach steuerlich begünstigt ist. Er entnimmt den gesetzlichen Regelungen jedoch die klare Aussage, dass die Begünstigung nur dann gewährt wird, wenn die Gemeinde entweder mit einem eigenen Betrieb (Betrieb gewerblicher Art) die dauerdefizitäre Tätigkeit selbst ausübt oder eine kommunale Eigengesellschaft (Kapitalgesellschaft, deren Anteile sich in der Hand einer Kommune befinden) das Freibad selbst betreibt.
Im Streitfall war hingegen die städtische Eigengesellschaft nicht selbst Betreiberin des Freibades. Sie hatte dieses an einen im Vereinsregister eingetragenen Trägerverein gegen Zusage der Verlustübernahme verpachtet. Dieses Verpachtungsmodell ist nicht steuerlich begünstigt. Mit dieser Entscheidung konnte der BFH zugleich die umstrittene Rechtsfrage offenlassen, ob die gesetzliche Regelung der dauerdefizitären Tätigkeiten mit den unionsrechtlichen Beihilfevorschriften zu vereinbaren ist.

Änderung der Steuerbescheide gemäß § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F.

Ein Einkommensteuerbescheid kann gemäß § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. auch dann geändert werden, wenn dem FA die von der zentralen Stelle übermittelten Daten in Bezug auf die als Sonderausgaben abziehbaren Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bereits im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung vorgelegen haben.

  • 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. ist keine Ermessens-, sondern eine Befugnisnorm.

BFH Urteil vom 24.08.2016, X R b34/14

Begründung:

Das FG hat zwar zu Recht erkannt, dass der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 20. April 2011 nicht gemäß § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG geändert werden konnte (unter 1.), es hat aber zu Unrecht eine Änderungsmöglichkeit gemäß § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. i.d.F. des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung verneint (unter 2.). Das FA konnte und musste den Einkommensteuerbescheid der Kläger gemäß § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. ändern, ein Ermessen hatte es nicht.

Nach § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit (1.) Daten nach den Sätzen 4, 6 und 7 vorliegen oder (2.) eine Einwilligung in die Datenübertragung nach Abs. 2 Satz 3 nicht vorliegt und sich hieraus eine Änderung der festgesetzten Steuer ergibt. Aufgrund der Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 24 Satz 5 EStG gilt diese Vorschrift aber für den Veranlagungszeitraum 2010 nur, soweit am 14. Dezember 2011 noch keine Steuer erstmalig festgesetzt war. Da der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid für die Kläger vom 20. April 2011 datiert, kann eine Änderung nicht auf § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG gestützt werden.

Das FA konnte den Einkommensteuerbescheid für 2010 jedoch gemäß § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. i.d.F. des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung ändern. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift (unter a), dem Umkehrschluss zu anderen Änderungsvorschriften (unter b), der Entstehungsgeschichte und den Gesetzesmaterialien (unter c), dem Sinn und Zweck der Vorschrift (unter d), dem Verhältnis zu § 173 Abs. 1 AO (unter e) als auch aus der Gesetzesbegründung des BeitrRLUmsG.

  • 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. lautet: “Ein Steuerbescheid kann geändert werden, soweit Daten nach den Sätzen 4, 6 oder Satz 7 übermittelt wurden.” Dem Wortlaut dieses Satzes ist weder eine zeitliche Einschränkung dergestalt zu entnehmen, dass eine Änderung nur erfolgen darf, wenn die Daten erst nach der Bekanntgabe des Steuerbescheides übermittelt werden, noch dergestalt, dass die Übermittlung der Daten der Anlass der Änderung gewesen sein musste

Zurückweisung einer im EU-Ausland niedergelassenen Steuerberatungsgesellschaft wegen geschäftsmäßiger Hilfeleistung

Eine Zurückweisung nach § 80 Abs. 5 AO ist bei einer unbefugten geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen unabhängig davon gerechtfertigt, ob die hilfeleistende Person oder Vereinigung als Bevollmächtigte oder –wegen fehlender Vollmacht– als Beistand tätig geworden ist.

Steuerberatungsgesellschaften, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU niedergelassen sind, sind nach § 3a StBerG unter den im Einzelnen festgelegten Voraussetzungen zu einer vorübergehenden und gelegentlichen Hilfeleistung in Steuersachen “auf” deutschem Gebiet befugt. § 3a StBerG erfasst nicht grenzüberschreitende Dienstleistungen ohne physischen Grenzübertritt der für die Steuerberatungsgesellschaft handelnden Personen.

Eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige oder niedergelassene Steuerberatungsgesellschaft bedarf zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen einer Befugnis nach den nationalen Vorschriften, wenn sie auch in Deutschland niedergelassen ist. Hierfür reicht es aus, dass sie in stabiler und kontinuierlicher Weise “in” Deutschland tätig wird, indem sie sich von einem hier befindlichen Berufsdomizil aus an inländische Steuerpflichtige wendet.

Ist eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige oder niedergelassene Steuerberatungsgesellschaft nicht in Deutschland niedergelassen, kann sie aufgrund der unionsrechtlich gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen für inländische Steuerpflichtige befugt sein.

BFH Urteil vom 19.10.2016 II R 44/12

Begründung:

Im EU-Ausland niedergelassene Steuerberatungsgesellschaften können unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt sein, für inländische Steuerpflichtige steuerberatend tätig zu werden, wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 19. Oktober 2016 II R 44/12 entschieden hat. Dem liegt ein vom BFH im Wege des Vorabentscheidungsersuchens ergangenes Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zugrunde (EuGH-Urteil vom 17. Dezember 2015 C-342/14, X-Steuerberatungsgesellschaft, EU:C:2015:827).

Im Streitfall hatte das Finanzamt (FA) eine Steuerberatungsgesellschaft mit Sitz in Großbritannien und einer Niederlassung in den Niederlanden als Bevollmächtigte zurückgewiesen, weil sie eine Umsatzsteuererklärung für eine inländische GmbH erstellt und an das FA übermittelt hatte. Die ausländische Gesellschaft ist in Deutschland nicht als Steuerberatungsgesellschaft anerkannt. Die Klage blieb ohne Erfolg.

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das Finanzgericht (FG) zurück. Das FG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Steuerberatungsgesellschaft zum Zeitpunkt der Zurückweisung nach nationalem Recht nicht zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt war.

Nach dem Urteil des BFH kann sich die Steuerberatungsgesellschaft aber unter bestimmten Voraussetzungen auf die unionsrechtlich verbürgte Dienstleistungsfreiheit berufen. Liegt im EU-Ausland keine dem deutschen Steuerberatungsgesetz entsprechende Reglementierung vor, kommt es darauf an, dass zumindest eine nachhaltige Berufsausübung gegeben ist. Letzteres erfordert, dass in den letzten zehn Jahren mindestens zwei Jahre lang eine steuerberatende Tätigkeit im Ausland ausgeübt wurde. Zudem muss ein Berufshaftpflichtschutz vorliegen. Hierzu hat das FG im zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen. Das FG hat dabei auch zu prüfen, ob die Klägerin aufgrund einer im Inland unterhaltenen geschäftlichen Präsenz in den Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit fällt und damit den deutschen Vorschriften zur Berufsausübung unterliegt.

Einholung eines Sachverständigengutachtens

Die Beauftragung eines Sachverständigen steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.

BFH Beschluss vom 02.08.2016 – IX B 46/16

Begründung:

Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) in Gestalt einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) zuzulassen. Denn das Finanzgericht (FG) hat die ihm obliegende Pflicht zur Sachaufklärung nicht dadurch verletzt, dass es den beantragten Sachverständigenbeweis nicht erhoben hat.

Das FG ist verpflichtet, von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und ihn unter allen ernstlich in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Während das FG die von den Verfahrensbeteiligten angebotenen Beweise grundsätzlich erheben muss, steht die Zuziehung eines Sachverständigen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Das dem Tatsachengericht bei der Einholung von Sachverständigengutachten nach § 82 FGO i.V.m. § 404 der Zivilprozessordnung zustehende Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen.

Vor diesem Hintergrund war die Ablehnung eines Sachverständigenbeweises im Streitfall frei von Ermessensfehlern. Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise seine Begründung darauf gestützt, dass vor der Vermietung an die Tochter der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) eine Vermietung an fremde Dritte zu marktüblichen Bedingungen stattgefunden hatte. Dieser vom FG herangezogene entscheidungserhebliche Umstand war in der mündlichen Verhandlung in tatsächlicher Hinsicht unstreitig. Nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG, das die Miethöhe des vorangegangenen Mietverhältnisses als Maßstab für die ortsübliche Vergleichsmiete herangezogen hat, war der Verzicht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens daher nicht ermessensfehlerhaft.

Mit ihrem übrigen Vorbringen wenden sich die Kläger nicht gegen eine unvollständige Tatsachenermittlung des FG, sondern gegen dessen Annahme eines verbilligten Mietverhältnisses und somit im Ergebnis gegen die Einzelfallwürdigung eines insoweit unstreitigen Sachverhalts. Insbesondere soweit die Kläger anführen, die vor der Vermietung an ihre Tochter erzielte Miete sei im Hinblick auf die örtliche Mietsituation ein “Ausreißer” gewesen, betrifft ihr Vorbringen allein die tatsächliche Würdigung des FG. Damit kann aber die Zulassung der Revision wegen einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nicht erreicht werden.

Darüber hinaus hat das FG seine Klageabweisung hilfsweise darauf gestützt, dass der Mietvertrag mit der Tochter der Kläger mangels Fremdüblichkeit steuerlich nicht anzuerkennen war. Im Hinblick auf diesen Umstand war das von den Klägern beantragte Sachverständigengutachten auch nicht entscheidungserheblich.

Familienhotel als steuerbegünstigter Zweckbetrieb

Ein von einem gemeinnützigen Verein betriebenes Familienhotel ist keine steuerbegünstigte Einrichtung der Wohlfahrtspflege, wenn nicht nachgewiesen wird, dass die Leistungen zu mindestens zwei Dritteln den in § 53 AO genannten hilfsbedürftigen Personen zugutekommen.

BFH Urteil vom 21.09.2016, V R 50/15

Sachverhalt:

Die Beteiligten streiten hinsichtlich der Festsetzung der Körperschaftsteuer für die Jahre 2003 und 2005 (Streitjahre) darüber, ob der als gemeinnützige Körperschaft anerkannte Kläger und Revisionskläger (Kläger) mit seinem “Familienhotel” teilweise einen steuerbegünstigten Zweckbetrieb oder in vollem Umfang einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält.

Begründung:

Das FG hat zu Recht entschieden, dass das vom Kläger betriebene Familienhotel in vollem Umfang einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG i.V.m. §§ 14, 64 AO darstellt und insoweit die Voraussetzungen für einen steuerbegünstigten Zweckbetrieb nach §§ 65 bis 68 AO nicht vorliegen.

Von der Körperschaftsteuer befreit sind nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 AO). Wird ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb unterhalten, ist die Steuerbefreiung insoweit ausgeschlossen (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG). Allerdings sieht § 64 Abs. 1 AO –i.S. einer Gegenausnahme– vor, dass dieser Begünstigungsausschluss nicht zum Tragen kommt und damit die Steuerbefreiung zu gewähren ist, soweit der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb ein Zweckbetrieb i.S. der §§ 65 bis 68 AO ist.

 

Das vom Kläger betriebene Familienhotel ist insgesamt als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb zu beurteilen.

 

Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ist eine selbständige nachhaltige Tätigkeit, durch die Einnahmen oder andere wirtschaftliche Vorteile erzielt werden und die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgeht (§ 14 Satz 1 AO). Die Absicht, Gewinn zu erzielen, ist nicht erforderlich (§ 14 Satz 2 AO). Diese Voraussetzungen erfüllt –wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen– das Hotel des Klägers.

Das Familienhotel ist keine Einrichtung der Wohlfahrtspflege i.S. von § 66 AO. Nach § 66 Abs. 1 AO ist eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege ein Zweckbetrieb, wenn sie in besonderem Maße den in § 53 AO genannten Personen dient. Wohlfahrtspflege ist die planmäßige, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte Sorge für notleidende oder gefährdete Mitmenschen. Die Sorge kann sich auf das gesundheitliche, sittliche, erzieherische oder wirtschaftliche Wohl erstrecken und Vorbeugung oder Abhilfe bezwecken (§ 66 Abs. 2 AO). Eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege dient in besonderem Maße den in § 53 AO genannten Personen, wenn diesen mindestens zwei Drittel der Leistungen zugutekommen.

Zu den in § 53 AO genannten Personen gehören nach § 53 Satz 1 Nr. 1 AO solche, die infolge ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands auf die Hilfe anderer angewiesen sind oder die wegen ihres geringen Einkommens als wirtschaftlich bedürftig i.S. von § 53 Satz 1 Nr. 2 AO gelten.

Der Kläger hat das Erreichen der genannten Zwei-Drittel–Grenze nicht nachgewiesen, so dass er die Voraussetzungen des § 66 AO nicht erfüllt.

Auskunftsgebühr bei doppelter Antragstellung im Organschaftsfall

Beantragen sowohl Organträger als auch Organgesellschaft einer ertragsteuerlichen Organschaft eine verbindliche Auskunft in Bezug auf den gleichen Sachverhalt, fällt bei beiden Antragstellern eine Auskunftsgebühr an.

BFH Urteil vom 09.03.2016 – I R 66/14 BFH/NV 2016, 1194

Begründung:

An der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer Aktiengesellschaft, ist die S-GmbH zu 54,5 v.H. beteiligt. Zwischen beiden besteht aufgrund eines seit dem 16. Dezember 1992 bestehenden Ergebnisabführungsvertrags eine ertragsteuerliche Organschaft mit der S-GmbH als Organträgerin und der Klägerin als Organgesellschaft.

Begründung:

Die Finanzämter und das Bundeszentralamt für Steuern können gemäß § 89 Abs. 2 AO auf Antrag verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht. Gemäß § 89 Abs. 3 Satz 1 AO werden für die Bearbeitung von Anträgen auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft nach Absatz 2 Gebühren nach den Absätzen 4 und 5 erhoben. Die Gebühren werden gemäß § 89 Abs. 4 Satz 1 AO grundsätzlich nach dem Wert berechnet, den die verbindliche Auskunft für den Antragsteller hat (Gegenstandswert), und bestimmen sich dann in entsprechender Anwendung des § 34 des Gerichtskostengesetzes –GKG– (§ 89 Abs. 5 Satz 1 AO).

Die Gebührenpflicht, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht, knüpft danach an die Bearbeitung eines Antrags auf verbindliche Auskunft an und trifft den Antragsteller als Gebührenschuldner. Dabei ist als Antragsteller derjenige anzusehen, in dessen Namen ein Antrag gestellt ist.

Die Voraussetzungen der Gebührenpflicht liegen in der Person der Klägerin vor.

Die Klägerin ist nach den Feststellungen des FG –neben der Organträgerin– Antragstellerin eines vom FA bearbeiteten Antrags auf verbindliche Auskunft. Der Auskunftsantrag vom 20. März 2009 ist ausdrücklich namens beider Gesellschaften gestellt worden. Zudem wurden beide in die Darlegung des steuerlichen Interesses des Antragstellers einbezogen und für beide wurde die Versicherung abgegeben, keinen anderweitigen Antrag über die Frage gestellt zu haben.

Weitere Anforderungen stellt das Gesetz an die Gebührenpflicht nicht. Es ist für § 89 Abs. 3 bis 5 AO insbesondere ohne Bedeutung, ob neben dem einzelnen Antragsteller weitere Antragsteller die Beantwortung der nämlichen Rechtsfrage beantragt haben. Die verbindliche Auskunft ist als Verwaltungsakt ausgestaltet  und mit diesem Charakter korrespondiert die Gebührenpflicht. Die verfahrensrechtliche Selbständigkeit der Besteuerung verschiedener Steuerpflichtiger im Hinblick auf die Steuerfestsetzung und das hieraus für jeden Adressaten einer solchen Festsetzung resultierende Erfordernis, für sich eine Auskunft zu erwirken, um eine Bindungswirkung herbeizuführen, nimmt der Gebührentatbestand auf, indem gegenüber jedem Antragsteller eine Gebühr festzusetzen ist, die sich in erster Linie nach dem Wert der Auskunft für den individuellen Antragsteller bemisst.

Die gesetzliche Regelung bietet keine Handhabe, den gesetzlich festgelegten Gebührenanspruch zu reduzieren oder ganz in Fortfall zu bringen, weil im Einzelfall die Kostenausgleichsfunktion oder die Vorteilsausgleichsfunktion nicht vollständig oder gar nicht zum Tragen kommen. Diese beiden Funktionen sind zwar die verfassungsrechtlich legitimierenden Sachgründe für den gesetzlichen Gebührentatbestand. Ohne derartige Gründe dürfen Gebühren neben Steuern grundsätzlich nicht erhoben werden. Das bedeutet aber nicht, dass die Rechtmäßigkeit der Gebührenerhebung davon abhängig ist, inwieweit im Einzelfall die Funktionen jeweils einschlägig sind und ausgeschöpft werden. Vielmehr hat der Gesetzgeber im Gebührenrecht wie im Steuerrecht einen erheblichen Typisierungsspielraum, von dem er im Hinblick auf die Auskunftsgebühr Gebrauch machen durfte und Gebrauch gemacht hat. Daher ist für die Rechtmäßigkeit der Gebührenerhebung im Streitfall auch ohne Belang, inwiefern die doppelte Antragstellung im Streitfall zur Erreichung der von den Antragstellern erhofften Rechtssicherheit erforderlich gewesen ist oder ob eine einheitliche Entscheidung gegenüber beiden Gesellschaften auch über § 174 AO hätte herbeigeführt werden können.

Die in AEAO Nr. 4.1.3 zu § 89 niedergelegte Auffassung der Finanzverwaltung, es handele sich jeweils nur um einen Antrag, soweit sich die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts auf einen Steuerpflichtigen beziehe, lässt sich für die streitgegenständliche Konstellation nicht dienstbar machen. Denn Organträger und Organgesellschaft sind selbständige, voneinander verschiedene Steuersubjekte.

Der Gebührenpflicht der Klägerin als Organgesellschaft kann auch nicht § 1 Abs. 2 StAuskV entgegenhalten werden. Danach kann die verbindliche Auskunft nur von allen Beteiligten gemeinsam beantragt werden, wenn sie sich auf einen Sachverhalt bezieht, der mehreren Personen steuerlich zuzurechnen ist (§ 179 Abs. 2 Satz 2 AO). Weder betrifft die Vorschrift inhaltlich eine Aussage zur Gebührenpflicht noch wäre Derartiges von ihrer Ermächtigungsgrundlage (§ 89 Abs. 2 Satz 4 AO) gedeckt. Darüber hinaus zeichnet sich die in § 1 Abs. 2 StAuskV mit dem Verweis auf § 179 Abs. 2 Satz 2 AO bezeichnete Konstellation einer gesonderten und einheitlichen Feststellung dadurch aus, dass der Auskunftsantrag für nur einen Bescheid von Bedeutung ist, der –verfahrensrechtlich verselbständigt– gegenüber mehreren Beteiligten einheitlich zu erlassen ist (vgl. auch § 183, § 352 AO, § 48 FGO). Die Verfahren über die Körperschaftsteuer bzw. den Gewerbesteuermessbetrag der Klägerin und ihrer Organträgerin stehen demgegenüber verfahrensrechtlich grundsätzlich unverbunden nebeneinander und zwar ungeachtet dessen, dass die der Auskunft zugrunde liegende Rechtsfrage betreffend die ertragsteuerliche Organschaft identisch ist.

Die Sonderregelung des § 178a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 AO lässt sich für die verbindliche Auskunft nach § 89 AO nicht fruchtbar machen (so aber wohl Roser in Beermann/Gosch, AO § 89 Rz 81). Dort ist zur Gebührenpflicht von Anträgen auf Durchführung eines sog. Vorabverständigungsverfahrens i.S. des § 178a Abs. 1 Satz 1 AO angeordnet, dass für jeden Antrag eine (Grund-)Gebühr entsteht, aber der Antrag eines Organträgers i.S. des § 14 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), der Geschäfte seiner Organgesellschaften mit umfasst, als ein Antrag gilt. Eine Übertragung des Gedankens dieser Vorschrift auf die verbindliche Auskunft ist schon deshalb nicht möglich, weil die Regelung gleichzeitig mit der Gebührenpflicht der verbindlichen Auskunft eingeführt worden ist. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die unterschiedliche Ausgestaltung der Gebührentatbestände in beiden Regelungsbereichen auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers beruht, eine zu einer Gesetzesanalogie berechtigende Regelungslücke mithin nicht vorliegt.

Die Festsetzung der Gebühr auf 5.056 EUR entspricht § 89 Abs. 5 Satz 1 AO i.V.m. § 34 GKG. Der ihr zugrunde gelegte Gegenstandswert in Höhe von 1.176.000 EUR ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der für die Gebührenfestsetzung maßgebende Gegenstandswert ist gemäß § 89 Abs. 4 Satz 1 AO der Wert, den die Auskunft für den Antragsteller hat. Dieser Wert richtet sich nach dem gestellten Antrag und den sich daraus ergebenden steuerlichen Auswirkungen, die sich aus der Gegenüberstellung des Steuerbetrags, der bei Anwendung der von dem Antragsteller vorgetragenen Rechtsauffassung entstehen würde, zu dem Steuerbetrag ergeben, der entstehen würde, wenn die Finanzbehörde eine entgegengesetzte Rechtsauffassung vertreten würde. Der Gesetzgeber hat sich insofern für eine typisierende und pauschalierende Regelung entschieden, die sich an dem bereits bestehenden System zur Bemessung des Gegenstandswerts im Gerichtskostenrecht nach § 52 Abs. 1 GKG orientiert, sodass der Betrag zahlenmäßig nach den Grundsätzen für die gerichtliche Streitwertermittlung bestimmt wird. Gemäß § 89 Abs. 4 Satz 3 AO soll die Behörde der Gebührenfestsetzung den vom Antragsteller erklärten Gegenstandswert zugrunde legen, soweit dies nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt. Dem Antragsteller wird dabei eine Einschätzungsprärogative für die Bemessung des Gegenstandswerts eingeräumt, wodurch Auseinandersetzungen über die zutreffende Höhe der Gebühr vermieden werden sollen.

Im Streitfall ist danach maßgebend, dass sich das Auskunftsbegehren der Klägerin auf die Annahme eines Organschaftsverhältnisses richtet, in dessen Konsequenz ihr Einkommen gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG der S-GmbH zuzurechnen wäre und sie gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) gewerbesteuerrechtlich als Betriebsstätte der S-GmbH anzusehen wäre. Der sich hieraus ergebenden Gegenüberstellung der steuerlichen Auswirkungen entspricht der im Auskunftsantrag mitgeteilte Wert von 1.176.000 EUR als überschlägige ertragsteuerliche Belastung des durchschnittlichen Gewinns der Klägerin. Der Senat sieht keine Veranlassung, diesen Wert als solchen in Frage zu stellen, zumal die Klägerin gegen die Wertermittlung –jenseits der “doppelten” Gebührenfestsetzung– keine Einwände erhoben hat.

Gegen die Bestimmung des Gebührenwerts vorgebrachte Einwände greifen nicht durch. Zwar wird zum gerichtlichen Gebührenstreitwert angenommen, dass im Fall einer Streitgenossenschaft (§ 59 FGO) eine Addition der Streitwerte unterbleibt, wenn und soweit es sich um “wirtschaftlich identische” Klagebegehren handelt (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vor § 135 FGO Rz 104, m.w.N.). Im Auskunftsverfahren fehlt es indessen bereits im Ausgangspunkt an der Möglichkeit einer kostenrechtlichen Verbindung verschiedener Anträge. Durch die Bezugnahme auf den individuellen Gegenstandswert ist gerade kein für mehrere Antragsteller einheitlich zu bestimmender “Gesamtgegenstandswert” zu bilden, in dessen Rahmen diese Grundsätze berücksichtigt werden könnten.

Auch ordnet das Gesetz nicht an, dass mehrere Antragsteller für die Gebühr eines gleichlautenden Antrags auf verbindliche Auskunft gesamtschuldnerisch in Höhe nur eines Gegenstandswerts aufzukommen haben. Insbesondere existieren keine den §§ 31 f. GKG entsprechenden Vorschriften. Aus der Anlehnung des Gegenstandswerts an den gerichtlichen Streitwert lässt sich dies nicht herleiten. Soweit die Gesetzesbegründung zum JStG 2007 (BTDrucks 16/3368, S. 24) auf § 52 Abs. 1 GKG Bezug nimmt, dem zufolge der gerichtliche Gebührenstreitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung nach Ermessen zu bestimmen ist, beschränkt sich die Bezugnahme auf die Ermittlung des Gegenstandswerts als solchem.

Und schließlich trägt auch der Einwand nicht, dass sich durch die zweifache Antragstellung im Ergebnis kein doppelter steuerlicher Vorteil einstelle, weil nur eine alternative steuerliche Erfassung entweder bei der Organträgerin oder bei der Organgesellschaft in Betracht komme (in diesem Sinne aber Horst, Die verbindliche Auskunft nach § 89 Abgabenordnung, 2010, S. 196 f.). Die verwaltungsaktbezogene gesetzliche Gebührenregelung bietet keinen Raum für derartige Erwägungen. Überdies tritt die bloß alternative steuerliche Erfassung nur im Fall einer einheitlichen materiell-rechtlichen Beurteilung ein; eine solche in den verfahrensrechtlich selbständigen Festsetzungen zu erreichen, ist aber gerade die Intention einer doppelten Antragstellung.

Bindungswirkung der Feststellungen im Grundlagenbescheid

Enthält ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen keine Feststellungen zur Anwendbarkeit des Halbeinkünfteverfahrens, entfaltet er insoweit auch keine Bindungswirkung für die Einkommensteuerfestsetzung.

Die Entscheidung über die Anwendung oder Nichtanwendung des Halbeinkünfteverfahrens im Folgebescheid setzt eine rechtliche Würdigung voraus, die eine Berichtigung nach § 129 AO wegen einer offenbaren Unrichtigkeit ausschließt.

BFH  Urteil vom 10.05.2016 – IX R 4/15  BFH/NV 2016, 1425

Sachverhalt:

Streitig ist, ob hinsichtlich gesondert und einheitlich festgestellter Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geändert oder nach § 129 AO berichtigt werden kann.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 2007 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrer am 27. Februar 2009 eingereichten Einkommensteuererklärung erklärten die Kläger in Bezug auf die übrigen Einkünfte des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften auf insgesamt drei Seiten umfassenden “Ergänzungsliste zur Anlage SO” .. Dabei wurden detaillierte Angaben zu den einzelnen Beträgen, die “dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen” und die “nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen” gemacht.

Mit Einkommensteuerbescheid 2007 vom 4. September 2009 wurde vom FA die Einkommensteuer auf 0 EUR festgesetzt. Die Einkünfte des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften wurden mit 1.047.934 EUR angesetzt. Ursache für diesen –unstreitig fehlerhaften– Ansatz war der Umstand, dass der in Kennziffer 55.134 eingetragene Betrag von 2.095.500 EUR durch den Bearbeiter irrtümlich auch unter der Kennziffer 55.136 (“In Zeile 59 enthaltene Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt”) erfasst wurde. Die Einkommensteuerveranlagung der Kläger war dabei nicht nur vom zuständigen Sachbearbeiter, sondern auch von der Qualitätssicherungsstelle des FA überprüft worden.

Am 28. Dezember 2009 und am 9. September 2010 wurde der Einkommensteuerbescheid aus nicht streitigen Gründen geändert. Die Berücksichtigung der streitigen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften mit dem Halbeinkünfteverfahren blieb bestehen.

Das FA hält die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und nach § 129 Satz 1 AO für erfüllt. Der Fehler im Einkommensteuerbescheid beruhe auf einer unrichtigen Umsetzung der Verfügung des Feststellungsbescheids und nicht auf einer fehlerhaften rechtlichen Würdigung im Einkommensteuerbescheid selbst. Es werde im Feststellungsbescheid konkludent negativ festgestellt, dass die Einkünfte aus § 23 EStG im Streitfall nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen. Die Feststellung “Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG” habe von allen Beteiligten bei zutreffender Auslegung nur so verstanden werden können, dass damit Einkünfte gemeint seien, die nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterfielen.

Begründung:

Entgegen der Auffassung des FG konnte der Einkommensteuerbescheid vom 16. März 2011 weder nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert (dazu unter 1.) noch nach § 129 Satz 1 AO (dazu unter 2.) berichtigt werden.

  1. Die Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 16. März 2011 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO war nicht möglich.

Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10 AO, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, geändert wird. Zu den Grundlagenbescheiden zählen gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1, § 179 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 AO auch die Feststellungsbescheide nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO. Die Bindungswirkung gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO verpflichtet das für den Erlass eines Folgebescheids zuständige Finanzamt, den Grundlagenbescheid umzusetzen. Denn Zweck des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist es, die Festsetzung der zutreffenden Steuer im Folgebescheid sicherzustellen, wobei der materiellen Richtigkeit des Folgebescheids der Vorrang vor der Bestandskraft eines bereits früher ergangenen Folgebescheids eingeräumt wird.

Voraussetzung für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist, dass ein Grundlagenbescheid mit Bindungswirkung für den Folgebescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Im Umfang der in § 182 Abs. 1 AO festgelegten Bindungswirkung muss es entweder zu einer erstmaligen Regelung oder zu einer inhaltlichen Veränderung des bisherigen Regelungszustandes kommen. Die Bindung an den Feststellungsbescheid schließt es aus, über einen Sachverhalt, über den im Feststellungsverfahren entschieden worden ist, im Folgeverfahren in einem damit unvereinbaren Sinne anders zu entscheiden.

Enthält ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung keine Feststellungen, so entfaltet der Bescheid auch keine Bindungswirkung für den oder die Folgebescheide. Die Bindungswirkung eines Feststellungsbescheids bestimmt sich nach seinen Verfügungssätzen. Maßgeblich ist, in welchem Umfang und mit welchem Inhalt die Behörde Besteuerungsgrundlagen in den Tenor der Verwaltungsakte aufgenommen.

Für die hiernach erforderliche Abgrenzung zwischen den bindenden Verfügungssätzen und deren (bloßer) Begründung bedarf es der Auslegung des Feststellungsbescheids. Hierbei ist entsprechend § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs darauf abzustellen, wie ein verständiger Empfänger nach den ihm bekannten Umständen den Bescheid unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste. Zur Auslegung des Verwaltungsakts ist auch das Revisionsgericht befugt, wenn die tatsächlichen Feststellungen des FG ausreichen.

Nach diesen Auslegungsmaßstäben konnte den Feststellungsbescheiden vom 22. Januar 2009 und vom 12. April 2010 nach den tatsächlichen Feststellungen des FG lediglich der Inhalt entnommen werden, dass der dort genannte Betrag sich auf die Einkünfte des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften vor Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens bezogen hat. Denn in den streitigen Feststellungsbescheiden werden lediglich “Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG” festgestellt. Ob und in welchem Umfang die festgestellten Einkünfte auf § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG und damit dem Halbeinkünfteverfahren unterfallen, lässt sich den Feststellungsbescheiden nicht entnehmen und ist damit von der Bindungswirkung nicht umfasst. Hat das FA daher –wie hier– in einem bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid gegenüber den Klägern zu Unrecht das Halbeinkünfteverfahren angewandt, so kann dieser Fehler nicht im Wege der (Folge-)Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO berichtigt werden.

Das FA hatte die festgestellten Einkünfte zunächst zutreffend in der Kennziffer 55.134 im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung mit Einkommensteuerbescheid vom 4. September 2009 erfasst. Anschließend hat das FA mit der weiteren Erfassung der Einkünfte unter der Kennziffer 55.136 das Halbeinkünfteverfahren angewandt. Dadurch hat das FA eine rechtliche Wertung im Folgebescheid getroffen, die von der Bindungswirkung der beiden Feststellungsbescheide vom 22. Januar 2009 und vom 12. April 2010 nicht umfasst wird.

Die Auslegung der beiden Feststellungsbescheide vom 22. Januar 2009 und vom 12. April 2010 auf der Grundlage der Feststellungen des FG ergibt, dass das FA im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung lediglich verpflichtet war, auf der Grundlage der Bindungswirkung der Feststellungsbescheide unter der Kennziffer 55.134 “Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG” und damit einen Betrag in Höhe von 2.091.793 EUR zu übernehmen. Dieser Verpflichtung war das FA aber bereits mit der Übernahme des Werts von 2.095.500 EUR in die Veranlagung im Einkommensteuerbescheid vom 4. September 2009 (größtenteils) nachgekommen. Weder aus den beiden Feststellungsbescheiden noch den dazu ergangenen Mitteilungen konnte das Festsetzungsfinanzamt den Schluss ziehen, das Feststellungsfinanzamt habe zur Frage der Anwendung oder Nichtanwendung des Halbeinkünfteverfahrens eine (verbindliche) Regelung getroffen. Eine Verpflichtung zur Erfassung oder Nichterfassung eines Betrags unter der Kennziffer 55.136 war in den beiden Feststellungsbescheiden daher nicht enthalten. Der –unstreitig fehlerhafte– Ansatz der Einkünfte im Rahmen der Kennziffer 55.136 und der darauffolgende Ansatz der Einkünfte nur zur Hälfte stellt somit allein eine rechtliche Würdigung im Folgebescheid dar, die mit dem Inhalt der Grundlagenbescheide nicht in Widerspruch steht und daher auch nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden kann. Die Änderung im angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 16. März 2011 beruht daher nicht –wie es für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO erforderlich wäre– auf einer unrichtigen oder unterlassenen Umsetzung einer von der Behandlung im Einkommensteuerbescheid abweichenden Regelung zum Halbeinkünfteverfahren, sondern auf einer fehlerhaften rechtlichen Würdigung im Einkommensteuerbescheid selbst.

Der Senat lässt offen, ob auf der Grundlage des Wortlauts des § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. a bis j EStG in der im Streitjahr 2007 geltenden Fassung die hälftige Steuerbefreiung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auch bereits im Rahmen der Einkünfteermittlung und damit auf Ebene des Feststellungsbescheids berücksichtigt werden kann und dann auch für den Folgebescheid Bindungswirkung entfaltet (“Netto-Feststellung”, vgl. Engel, Der Betrieb 2003, 1811, 1815; Intemann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 3 Nr. 40 EStG Rz 48, m.w.N.; a.A. Blümich/Erhard, § 3 Nr. 40 EStG Rz 5; Scholten/Griemla/Kinalzik, Finanz-Rundschau –FR– 2010, 259, 264; Griemla, FR 2005, 719, 729; Ministerium für Finanzen und Bundesangelegenheiten des Saarlandes, Verfügung vom 28. Juni 2005 B/2-3-108/2005-S 2120, juris; offen Söhn in HHSp, § 180 AO Rz 229a). Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des FG waren im Feststellungsverfahren nur “Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG” festgestellt und damit keinerlei Angaben zur Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens gemacht worden. Daher kann im hier anhängigen Verfahren auch keine Aussage dazu getroffen werden, ob derartige Feststellungen dort zu Recht erfolgt (oder ggf. in einem Ergänzungsbescheid nach § 179 Abs. 3 AO nachzuholen wären) und für den Folgebescheid bindend sind. Der Senat setzt sich daher auch nicht in Widerspruch zu der Entscheidung des BFH. Denn diese betraf den Fall, dass im Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen bindende Angaben zu den dem Halbeinkünfteverfahren unterfallenden Einkünften vorhanden waren. Dies ist nach den Feststellungen des FG hier aber nicht der Fall.

Das FG ist weiter zu Unrecht davon ausgegangen, dass der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 4. September 2009 nach § 129 AO berichtigt werden konnte.

Nach § 129 AO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. An einer offenbaren Unrichtigkeit fehlt es daher u.a. dann, wenn Gesetzesnormen nicht oder falsch angewendet worden sind.

Nach den Feststellungen des FG ist die Erfassung der streitigen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften unter der Kennziffer 55.136 (“In Zeile 59 enthaltene Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt”) auf alleinige Veranlassung des Sachbearbeiters des FA erfolgt. Anhaltspunkte für einen Eingabefehler in Gestalt eines Schreib- oder Rechenfehlers hat das FG nicht festgestellt. Auch Anhaltspunkte für ein Versehen der Kläger, das vom FA ohne weitere Prüfung in den Steuerbescheid übernommen worden ist, sind nach den Feststellungen des FG nicht ersichtlich. Denn hiernach ergaben sich Anhaltspunkte für eine Erfassung auf der Grundlage des Halbeinkünfteverfahrens weder aus den eingereichten Einkommensteuerformularen der Kläger noch aus den von den Klägern beigefügten Anlagen zur Einkommensteuererklärung. Der Entscheidung, die streitigen Einkünfte nicht nur unter der Kennziffer 55.134, sondern auch unter der Kennziffer 55.136 zu erfassen, liegt vielmehr allein eine willentliche Entscheidung des Sachbearbeiters des FA hinsichtlich der Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens und damit zwingend eine rechtliche Würdigung zugrunde. Ohne die Annahme der Anwendbarkeit des Halbeinkünfteverfahrens seitens des Bearbeiters lässt sich nicht erklären, dass  der Bearbeiter unter dieser Kennziffer einen ergänzenden Eintrag vorgenommen hat.

Die Sache ist spruchreif. Das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 2011 sind aufzuheben. Die Einkommensteuer 2007 wird unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids des FA vom 24. August 2012 auf den Betrag festgesetzt, der sich bei einer Berücksichtigung eines Ansatzes der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 2.091.793 EUR sowohl unter der Kennziffer 55.134 als auch der Kennziffer 55.136 und damit bei einer Berücksichtigung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften aus Grundstücken in Höhe von 1.045.896 EUR ergibt. Die Berechnung der Einkommensteuer wird dem FA übertragen.

 

Keine Berichtigung nach § 129 AO bei Übernahme fehlerhafter Lohnsteuerdaten durch das Finanzamt

Geht das Finanzamt einem Bearbeitungshinweis aufgrund einer Divergenz zwischen dem Elster- und dem Elster Lohn 1-Daten nicht nach, kommt eine Berichtigung der fehlerhaften Steuerfestsetzung nach § 109  AO nicht in Betracht.

Finanzgericht Niedersachsen, Beschluss vom 28.7.2014 – 3 V 226/14

Begründung:

Begründung:

Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler oder ähnliche Offenbarunrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes gelaufen sind, jederzeit berichtigen. Voraussetzung für die Berichtigung ist zunächst grundsätzlich das der Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassen Finanzbehörde entstanden ist. Eine Unrichtigkeit ist dabei offenbar, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhaltes für jeden unvoreingenommenen dritten klar und deutlich als Offenbarungsunrichtigkeit erkennbar ist. Eine Offenbarungsunrichtigkeit kann zwar auch dann vorliegen wenn das Finanzamt eine in der Steuererklärung enthaltene Offenbarung für das Finanzamt erkennbar Unrichtigkeit als eigen übernimmt. Im Streitfall handelt es sich bei der Übernahme der fehlerhaft übertragene Lohnsteuerdaten weder um einen Schreibfehler, Rechenfehler noch um eine ähnliche offenbarer Fehler.

Der Steuerpflichtige hatte den Arbeitslohn vollständig unrichtig im Rahmen seiner Elstersteuererklärung an das Finanzamt übermittelt. Ebenfalls wohl dem Finanzamt die unzutreffende Lohndaten von dem Arbeitgeber übermittelt. Im Rahmen des elektronischen Abgleiches durch die Finanzverwaltung erfolgt ein Bearbeitungs Hinweis. Bei der Steuerfestsetzung legt die Software regelmäßig die Daten des Arbeitgebers zu Grunde. Hier hätte im vorliegenden Fall der Bearbeiter des Finanzamtes die fehlende Stimmigkeit ihr Daten überprüfen müssen. In diesem Fall keine Auffassung des Finanzgerichts eine Änderung wegen offenbarer Unrichtigkeit aus.

Ablaufhemmung wegen Fahndungsprüfung

Die Rechtsfrage, für welche Dauer der Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 5 AO eingreift, ist durch die Rechtsprechung des BFH geklärt.

Eine zeitliche Grenze für den Erlass von Änderungsbescheiden im Anschluss an Fahndungsmaßnahmen wird nur durch den Eintritt der Verwirkung gezogen.

BFH Beschluss vom 16.03.2016 – V B 89/15 (NV) BFH/NV 2016, 993

Begründung:

Die Rechtsfrage, „für welche Dauer der Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 5 AO eingreift”, ist nach diesen Grundsätzen nicht klärungsbedürftig. Denn durch die Rechtsprechung des BFH ist bereits geklärt, dass die nach § 171 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) gehemmte Festsetzungsfrist nicht abläuft, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide „unanfechtbar” geworden sind. Nach dem Wortlaut der Norm ist die Dauer der Ablaufhemmung mit der Unanfechtbarkeit der aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Bescheide verknüpft. Dies hat zur Folge, dass der Erlass eines Änderungsbescheids im Anschluss an eine Fahndungsprüfung grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung zulässig ist. Es kommt somit nicht darauf an, dass diese Bescheide innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Abschluss der Ermittlungen ergehen oder ihre Umsetzung über einen längeren Zeitraum unterbleibt.

Eine zeitliche Grenze für den Erlass von Änderungsbescheiden im Anschluss an Fahndungsmaßnahmen wird nur durch den Eintritt der Verwirkung gezogen. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang eine Klärung der Frage erstrebt, „welche Voraussetzungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, damit eine Verwirkung angenommen werden kann”, ergeben sich diese Voraussetzungen bereits aus dem bezeichneten BFH-Urteil und der darin zitierten ständigen BFH-Rechtsprechung. Eine Verwirkung setzt danach über den Zeitablauf hinausgehende Umstände voraus, die die verspätete Rechtsausübung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen).

Gleichfalls durch die Rechtsprechung geklärt ist die weitere Rechtsfrage, „unter welchen Voraussetzungen eine Tatsache als ‚neu’ einzustufen ist”. Eine Tatsache ist „neu”, wenn sie i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nachträglich bekannt geworden ist. Das ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann der Fall, wenn deren Kenntnis nach dem Zeitpunkt erlangt wird, in dem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen ist. Grundsätzlich kommt es dabei auf den Wissensstand der zur Bearbeitung des Steuerfalls berufenen Dienststelle an, wobei aktenkundige Tatsachen stets als bekannt.

Soweit der Kläger schließlich die Rechtsfrage nach der Reichweite der in § 173 Abs. 2 AO vorgesehenen Einschränkung des Erlasses von Steuerbescheiden nach Durchführung einer Außenprüfung aufwirft, hat er deren grundsätzliche Bedeutung nicht i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO „dargelegt”. Abgesehen davon, dass insoweit Ausführungen dazu fehlen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen diese Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist, hat er sich nicht einmal ansatzweise mit der Rechtsprechung des BFH zu dieser Frage auseinandergesetzt. Danach verlangt der Wortlaut der genannten Vorschrift lediglich, dass eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung „vorliegt”. Das ist dann der Fall, wenn die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung erfüllt sind.

 

Kein Lohnsteuer-Haftungsbescheid gegen den Arbeitgeber bei Festsetzungsverjährung der Lohnsteuerschuld gegenüber dem Arbeitnehmer

Ein Haftungsbescheid darf nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO nicht mehr ergehen, soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der (steuerlichen) Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann.

Durch den Beginn der Lohnsteuer-Außenprüfung beim Haftungsschuldner wird der Ablauf der Steuerfestsetzungsfrist gegenüber den Arbeitnehmern als Steuerschuldner (bis zur Einführung des § 171 Abs. 15 AO durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz) nicht gehemmt.

Den Gleichlauf der Festsetzungsfristen beim Steuerschuldner und dem Steuerentrichtungspflichtigen kennt die Abgabenordnung erst seit der Einführung des § 171 Abs. 15 AO durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz.

BFH Beschluss vom 17.03.2016 – VI R 3/15 BFH/NV 2016, 994

Begründung:

Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin für die nicht angemeldete und abgeführte Lohnsteuer des Jahres 2006 nicht mehr mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. Dezember 2012 als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen werden konnte. Denn die entsprechende Lohnsteuerschuld der Arbeitnehmer war zu diesem Zeitpunkt bereits festsetzungsverjährt.

Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat.

Da die Klägerin unstreitig keine Lohnsteuer auf die den Arbeitnehmern gewährten geldwerten Vorteile (Incentivereisen und -veranstaltungen, Privatanteile bei gemischt veranlassten Veranstaltungen wie Geschäftsführertreffen und Tagungen, Eintrittskarten für VIP-Logen, Belohnungsessen und sonstige Geschenke) einbehalten und abgeführt hat, ist der Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG hinsichtlich dieser im Dienstverhältnis gründenden Zuwendungen der Klägerin an ihre Arbeitnehmer erfüllt.

Gleichwohl durfte die Klägerin vorliegend nicht für die sich aus der haftungsbegründenden Pflichtverletzung ergebende Lohnsteuer der Arbeitnehmer mit Bescheid vom 27. Dezember 2012 als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen werden.

W  er kraft Gesetzes für eine Steuerschuld haftet, kann zwar durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden (§ 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung –AO–). Ein solcher darf nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO allerdings nicht mehr ergehen, soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der (steuerlichen) Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann.

Bei der Berechnung der steuerlichen Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ist auf die Steuer abzustellen, für die der Arbeitgeber in Haftung genommen wird, und damit im Streitfall die pflichtwidrig nicht erhobene und abgeführte Lohnsteuer des Jahres 2006. Werden Lohnsteuer-Anmeldungen entsprechend § 41a Abs. 1 Satz 1 EStG am zehnten Tag des Folgemonats abgegeben, beginnt hinsichtlich der Lohnsteuer die Festsetzungsfrist für Lohnzuflüsse der Monate Januar bis November mit Ablauf des Zuflussjahres und für Dezember mit Ablauf des Folgejahres. Insoweit deckt sich dann der Beginn der Festsetzungsfrist für die Steuer mit dem Beginn der Festsetzungsfrist für die Haftungsschuld. In diesem Fall gilt –wie grundsätzlich für den Haftungsbescheid (§ 191 Abs. 3 Satz 2 AO)– eine steuerliche Festsetzungsfrist von vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO).

Durch den Beginn der Lohnsteuer-Außenprüfung beim Haftungsschuldner wird der Ablauf der Steuerfestsetzungsfrist gegenüber den Arbeitnehmern als Steuerschuldner (bis zur Einführung des § 171 Abs. 15 AO durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz –AmtshilfeRLUmsG–) nicht gehemmt.

Die Außenprüfung richtet sich unmittelbar und allein gegen den Arbeitgeber. Nur ihm gegenüber ergeht die Prüfungsanordnung (§§ 196 ff. AO), die neben den tatsächlichen Prüfungshandlungen den sachlichen Umfang der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO bestimmt. Die Lohnsteuer-Außenprüfung erstreckt sich auf die zutreffende Einbehaltung oder Übernahme und die richtige Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber (§ 42f Abs. 1 EStG). Sie dient der Überwachung der dem Arbeitgeber im Rahmen der Lohnbesteuerung gesetzlich auferlegten Pflichten. Werden bei einer solchen Prüfung –ihrer Natur nach zwangsläufig– auch die steuerlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer (mit) überprüft, so geschieht dies nur insoweit, als die Entrichtungs-, Einbehaltungs- und Abführungspflicht des Arbeitgebers reicht. Das Verfahren der Lohnsteuer-Außenprüfung beim Arbeitgeber und das Einkommensteuerveranlagungs- ebenso wie das Lohnsteuernachforderungsverfahren beim Steuerschuldner verfolgen unterschiedliche Ziele und betreffen jeweils andere Steuerrechtsverhältnisse. Ebenso wie das Veranlagungsverfahren hat auch das Lohnsteuer-Nachforderungsverfahren gegenüber dem Arbeitnehmer grundsätzlich von der materiell zutreffenden Steuer auszugehen. So kann der Arbeitnehmer gegen die Nachforderung einwenden, die Steuerschuld bestehe nicht oder nicht in der vom FA angenommenen Höhe. Er kann dazu alle bisher nicht berücksichtigten Ermäßigungsgründe, insbesondere Verluste aus anderen Einkunftsquellen, geltend machen

Demgegenüber erstreckt sich die Lohnsteuer-Außenprüfung nur auf die zutreffende Einbehaltung oder Übernahme und richtige Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber (§ 42f Abs. 1 EStG). Hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer entsprechend den Lohnsteuerabzugsmerkmalen und nach den für das Streitjahr gültigen Lohnsteuertabellen zutreffend berechnet, hat er seinen steuerlichen Pflichten genügt und die Lohnsteuer vorschriftsmäßig einbehalten. Umstände, die die individuelle Steuerschuld des einzelnen Arbeitnehmers beeinflussen, hat er unberücksichtigt zu lassen, soweit diese auf der Lohnsteuerkarte oder bei der maschinellen Eingabe der Lohnsteuerabzugsmerkmale nicht erfasst worden sind. Dies gilt sowohl für Umstände, die zu Gunsten, wie für solche, die zu Lasten des Arbeitnehmers wirken. Aus den unterschiedlichen Zielen und verschiedenen Steuerrechtsverhältnissen des Lohnsteueranmeldungs- und Lohnsteuernachforderungsverfahrens folgt, dass die allein das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Finanzamt betreffende Lohnsteuer-Außenprüfung nur die Verjährung der aus diesem Rechtsverhältnis begründeten Haftungsansprüche gegen den Arbeitgeber hemmt, nicht hingegen die Verjährung des individuellen (Lohn)Steueranspruchs gegen den Arbeitnehmer.

Den von der Revision geforderten Gleichlauf der Festsetzungsfristen beim Steuerschuldner und dem Steuerentrichtungspflichtigen kennt die AO erst seit der Einführung des § 171 Abs. 15 AO durch das AmtshilfeRLUmsG. Die Vorschrift ist die rechtsprechungsbrechende Antwort des Gesetzgebers auf die (bis dahin unumstrittene) Rechtslage, dass der Ablauf der Steuerfestsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner nicht durch den Beginn einer Außenprüfung beim Entrichtungspflichtigen gehemmt wird. Danach führen nunmehr auch Außenprüfungen beim Arbeitgeber zu einer Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist beim Steuerschuldner. Die Neuregelung geht auf einen Vorschlag des Finanzausschusses zum Jahressteuergesetz 2013 (BTDrucks 17/11190, 3) zurück. Sie gilt gemäß Art. 97 § 10 Abs. 11 des Einführungsgesetzes zur AO für alle am 30. Juni 2013 noch nicht abgelaufenen Festsetzungsfristen.

Nach diesen Maßstäben hat das FG zu Recht entschieden, dass die Klägerin gemäß § 191 Abs. 5 AO nicht mehr mit Bescheid vom 27. Dezember 2012 für Lohnsteuer des Jahres 2006 als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen werden konnte. Im Streitfall hat die Klägerin die Lohnsteuer-Anmeldungen für das Jahr 2006 –wenn auch ohne die geldwerten Vorteile für die Arbeitnehmer zu erfassen– fristgerecht am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums abgegeben. Die Festsetzungsfrist für die Lohnsteuer begann daher gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO für die Monate Januar bis November 2006 am 31. Dezember 2006 und für den Monat Dezember 2006 am 31. Dezember 2007 zu laufen. Sie endete nach Ablauf von vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) und damit am 31. Dezember 2010 bzw. 2011.