Einwendungsausschluss gegen den Haftungsbescheid des Geschäftsführers einer GmbH bei unterlassenem Widerspruch gegen die Forderungsanmeldung des FA

Wird eine Steuerforderung gegenüber einer GmbH widerspruchslos zur Insolvenztabelle festgestellt, ist der Geschäftsführer der GmbH im Verfahren wegen Haftung gemäß § 166 AO mit Einwendungen gegen die Höhe der Steuerforderung ausgeschlossen, wenn er der Forderungsanmeldung hätte widersprechen können, dies aber nicht getan hat.

BFH Urteil vom 27.09.2017 – XI R 9/16 BFH/NV 2018, 75

Sachverhalt:

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war seit Gründung der X GmbH (GmbH) im Jahr 2000 deren Geschäftsführerin.
Die GmbH gab für die Jahre 2003 bis 2005 weder Umsatzsteuer-Voranmeldungen noch Umsatzsteuer-Jahreserklärungen oder Körperschaftsteuererklärungen ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) setzte deshalb die Umsatzsteuer, die Körperschaftsteuer und den Solidaritätszuschlag aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen (§ 162 der Abgabenordnung –AO–) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) fest. Hiergegen legte die GmbH, vertreten durch ihren Steuerberater, den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Einsprüche ein.
Am 31. März 2006 beantragte das FA (und am 12. Oktober 2006 die GmbH) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Mit Beschluss vom… November 2006… eröffnete das Amtsgericht Z (AG Z) das Insolvenzverfahren. In dem Beschluss ist der Prüfungstermin genannt.
Im Laufe des Insolvenzverfahrens reichte der Insolvenzverwalter im November 2007 Steuererklärungen der GmbH ein. Das FA berechnete die Steuer jeweils neu, wich teilweise von den Erklärungen ab und meldete die Umsatzsteuer, die Körperschaftsteuer und den Solidaritätszuschlag für die Jahre 2003 bis 2005 sowie Säumniszuschläge, Zinsen und Verspätungszuschläge zur Insolvenztabelle an. Anfangs bestritt der Insolvenzverwalter die Forderungen. Mit Schreiben vom 2. Juli 2008 erklärte der Insolvenzverwalter, er sei bereit, für Zwecke der Forderungsanmeldung die Hinzuschätzung in Höhe von… Mio. EUR bei den Erlösen und damit eine Körperschaftsteuerschuld von ca…. EUR und eine Umsatzsteuerschuld von ca…. EUR zu akzeptieren. Einer Forderungsanmeldung auf Grundlage vorstehender Zahlen werde er, der Insolvenzverwalter, nicht widersprechen. Ein Zugeständnis von Umsätzen sei damit nicht verbunden. Die Anmeldungen wurden anschließend vom FA dementsprechend ermäßigt und in diesem Umfang am 24. September 2008 festgestellt (§§ 174, 175, 178 der Insolvenzordnung –InsO–). Auch die GmbH widersprach den Forderungen nicht. Die Klägerin war während des Insolvenzverfahrens weiterhin Geschäftsführerin der GmbH.

Nach Anhörung der Klägerin (Schreiben vom 20. August 2008) erließ das FA am 2. Dezember 2008 einen an sie gerichteten Haftungsbescheid in Höhe von… EUR. Alle im Haftungsbescheid aufgeführten Steuern und steuerliche Nebenleistungen seien im Insolvenzverfahren ohne Widerspruch zur Insolvenztabelle festgestellt worden. Die Klägerin werde gemäß § 69 AO in Haftung genommen. Zahlungen der GmbH seien aufgrund des Insolvenzverfahrens nicht mehr zu erwarten.

Auf den Einspruch der Klägerin verringerte das FA mit Einspruchsentscheidung vom 14. August 2013 den Haftungsbetrag geringfügig auf… EUR. Es berücksichtigte Zinsen und Säumniszuschläge nicht mehr bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern nur noch bis zur Stellung des Insolvenzantrags (31. März 2006). Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Mit der Klage wandte sich die Klägerin gegen die im Haftungsbescheid angesetzte Höhe der Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer der GmbH.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied, die Einwendungen der Klägerin gegen die Höhe der Steuer und der steuerlichen Nebenleistungen blieben gemäß § 166 AO erfolglos. Die Klägerin könne sich im Haftungsverfahren nicht darauf berufen, dass die Steuerschulden nicht in der vom FA geltend gemachten Höhe bestünden, weil sie insoweit an die in der Insolvenztabelle widerspruchslos festgestellten Forderungen des FA nach § 166 AO gebunden sei. Auch die weiteren Haftungsvoraussetzungen lägen vor. Die Haftungsquote betrage 100 %. Ermessensfehler lägen nicht vor.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 166 AO. Sie macht im Wesentlichen geltend, ihr sei es nicht möglich gewesen, im Rahmen des Insolvenzverfahrens gegen ergangene Bescheide Rechtsbehelfe einzulegen, weil keine Bescheide erlassen worden, sondern lediglich Mitteilungen an den Insolvenzverwalter versandt worden seien. Die von dem Steuerberater der GmbH eingelegten Einsprüche gegen die vor dem Insolvenzverfahren ergangenen Bescheide seien nicht zurückgenommen worden. Der fehlende Widerspruch gegen die angemeldeten Forderungen könne nicht als ihr Einverständnis herangezogen werden, da sie damals die Grundlage für die Höhe der Steuerschuld noch nicht gekannt habe; hiervon habe sie erst im Laufe des Einspruchsverfahrens gegen den Haftungsbescheid erfahren.

Im Übrigen sei die Anmeldung zur Insolvenztabelle nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht als unanfechtbare Steuerfestsetzung anzusehen, weil sie nicht der Regelung über die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden (§§ 172 ff. AO), sondern den Regelungen über die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte (§ 130 AO) unterliege. Der Widerspruch erfordere nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ein Feststellungsinteresse, dessen Voraussetzungen nur die Gesellschafter der GmbH schaffen könnten (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung –GmbHG–). Es sei mit Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes unvereinbar, den Rechtsschutz des Geschäftsführers der GmbH vom Willen der Gesellschafter der GmbH abhängig zu machen. Außerdem könne der Geschäftsführer durch den Widerspruch zur Insolvenztabelle nicht die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung sachlich prüfen lassen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Begründung:

Die Revision ist unbegründet; sie ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin aufgrund von § 166 AO gehindert ist, Einwendungen gegen die Höhe der Steuer und steuerlichen Nebenleistungen, für die sie haftet, zu erheben. Zu Recht gehen beide Beteiligte mit dem FG davon aus, dass das FA die Klägerin durch Haftungsbescheid in Haftung nehmen durfte.
Nach § 191 Abs. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach § 69 i.V.m. § 34 AO haften die Geschäftsführer einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.

Als Geschäftsführerin der GmbH war die Klägerin deren gesetzliche Vertreterin (vgl. § 35 Abs. 1 GmbHG) und hat als solche ihre gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AO bestehende Pflicht, rechtzeitig Steuererklärungen abzugeben (§ 149 AO, § 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes –UStG–) und die fälligen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO, § 18 Abs. 4 Satz 2 UStG) zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO), verletzt. Diese objektive Pflichtwidrigkeit indiziert den gegenüber der Klägerin zu erhebenden Schuldvorwurf; dies wird mit der Revision auch nicht mehr in Abrede gestellt.
Das FG hat zutreffend angenommen, dass die Klägerin die widerspruchslose Feststellung zur Insolvenztabelle gegen sich gelten lassen muss; sie ist aufgrund von § 166 AO gehindert, Einwendungen gegen die Höhe der zur Insolvenztabelle festgestellten Steuern zu erheben, die dem Haftungsbescheid zugrunde liegen.
Ist die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt, so hat dies nach § 166 AO neben einem Gesamtrechtsnachfolger auch gegen sich gelten zu lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten.
Soweit § 166 AO eingreift, soll das Haftungsverfahren von Fragen der materiellen Richtigkeit der Steuerfestsetzungen befreit werden; die Vorschrift soll in dem in von § 166 AO erfassten Umfang verhindern, dass im Haftungsverfahren das Besteuerungsverfahren nochmals aufgerollt und dadurch das Haftungsverfahren unnötig verzögert wird, wenn der Haftungsschuldner als Vertreter des Steuerpflichtigen bereits zur Anfechtung der Steuerfestsetzung befugt war oder diese bereits erfolglos angefochten hat. Der Gesetzgeber verlangt von den in § 166 AO genannten Personengruppen, dass sie von einer ihnen eingeräumten uneingeschränkten Rechtsmittelbefugnis Gebrauch machen, wenn sie dies beabsichtigen, und selbst dafür sorgen, wie sie diese Rechtsmittelbefugnis sicherstellen wollen.

Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass die widerspruchslose Feststellung einer Steuerforderung im Insolvenzverfahren als unanfechtbare Steuerfestsetzung i.S. des § 166 AO anzusehen. Im Bereich des Steuerrechts wirkt die widerspruchslose Eintragung in die Insolvenztabelle wie die bestandskräftige Festsetzung der Forderung. Die Feststellung der Forderung in der Insolvenztabelle stellt das insolvenzrechtliche Äquivalent zur Steuerfestsetzung durch Verwaltungsakt dar Die unwidersprochene Feststellung tritt auch für die Berechnung der Haftungsschuld an die Stelle der –von der GmbH mit dem Einspruch angefochtenen– Steuerbescheide, die dadurch i.S. des § 124 Abs. 2 AO auf andere Weise erledigt sind
) Eine Forderung gilt nach § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO als festgestellt, soweit gegen sie im Prüfungstermin (§ 176 InsO) oder im schriftlichen Verfahren (§ 177 InsO) ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird oder soweit ein erhobener Widerspruch beseitigt ist; ein Widerspruch des Schuldners steht der Feststellung der Forderung nicht entgegen (§ 178 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das Insolvenzgericht trägt für jede angemeldete Forderung in die Insolvenztabelle ein, inwieweit die Forderung ihrem Betrag und ihrem Rang nach festgestellt ist oder wer der Feststellung widersprochen hat; auch ein Widerspruch des Schuldners ist einzutragen (§ 178 Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO).
Die widerspruchslose Eintragung in die Insolvenztabelle wirkt gemäß § 178 Abs. 3 InsO für die festgestellten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil zwar (nur) gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern. Die widerspruchslose Feststellung zur Insolvenztabelle hat aber Rechtswirkungen nicht nur gegenüber dem Insolvenzverwalter und den Insolvenzgläubigern, sondern auch gegenüber der GmbH als Insolvenzschuldnerin.

Denn die Insolvenzgläubiger können gemäß § 201 Abs. 1 InsO nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre restlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen. Die Insolvenzgläubiger, deren Forderungen festgestellt und nicht vom Schuldner im Prüfungstermin bestritten worden sind, können aus der Eintragung in die Insolvenztabelle wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben (§ 201 Abs. 2 Satz 1 InsO). Der Tabelleneintrag hat die Wirkung eines vollstreckbaren Titels
Dem Insolvenzschuldner stehen deshalb im Insolvenzverfahren Rechte zu. Er darf am Prüfungstermin (§ 176 InsO) teilnehmen und die Forderungen bestreiten. Der Prüfungstermin dient dem Insolvenzverwalter, den Insolvenzgläubigern sowie dem Schuldner dazu, ihre Vorbehalte gegen eine Forderung kundzutun und dokumentieren zu lassen. Dem Schuldner ist außerdem zur Gewährung rechtlichen Gehörs ggf. nach § 186 InsO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die Säumnisfolge, dass die Feststellung wie eine rechtskräftige Verurteilung wirkt, eine ungerechtfertigte Härte wäre, wenn der Schuldner durch unabwendbare Ereignisse am Erscheinen gehindert worden ist.

Bleibt eine angemeldete Forderung im Prüfungstermin (§ 176 InsO) unbestritten, ist ein vom Insolvenzschuldner eingeleitetes Einspruchsverfahren durch die widerspruchslose Feststellung zur Insolvenztabelle in der Hauptsache erledigt. Für die Befriedigung des Steueranspruchs ist die Feststellung in der Insolvenztabelle maßgebend, so dass sich die Fortsetzung eines bei Verfahrenseröffnung anhängigen Steuerrechtsstreits erübrigt. Dies gilt wegen § 201 Abs. 2 InsO auch gegenüber dem Insolvenzschuldner. Die Feststellung zur Insolvenztabelle, die als Steuerfestsetzung wirkt, ist dadurch unanfechtbar i.S. des § 166 AO; sie ist mit einem förmlichen Rechtsbehelf.

Widerspricht hingegen der Insolvenzschuldner der Forderungsanmeldung des FA (§ 174 InsO) gemäß § 178, § 184 InsO, musste nach der im Streitfall maßgeblichen Rechtslage gemäß § 184 Satz 2 InsO a.F. (vgl. Art. 103c Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung) das FA das unterbrochene Einspruchsverfahren gegenüber dem Insolvenzschuldner aufnehmen, um dessen Widerspruch zu beseitigen. Im laufenden Einspruchsverfahren des Insolvenzschuldners wird dann die materielle Rechtmäßigkeit der angemeldeten Steuerforderungen geklärt und der Insolvenzschuldner kann seine
Das –für eine Feststellung nach § 184 InsO a.F. erforderliche– Feststellungsinteresse des FA liegt –entgegen der Auffassung der Klägerin. Die von Kahlert und der Klägerin zitierte Rechtsprechung des BGH zu (dem im Streitfall noch nicht einschlägigen) § 184 Abs. 2 Satz 1 InsO n.F. betont im Übrigen auch zum neuen Recht, dass das Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden kann, solange nicht feststeht, dass eine Vollstreckung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht mehr möglich ist. Besteht Unsicherheit darüber, ob eine Vollstreckung nach § 201 Abs. 2 InsO möglich sein wird, ist das Rechtsschutzbedürfnis auch nach neuem Recht zu bejahen. Ausgehend davon ist die Klägerin nunmehr im Haftungsverfahren gehindert, Einwendungen gegen die Höhe der seinerzeit angemeldeten und widerspruchslos festgestellten Forderungen zu erheben.

Sie hatte durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Befugnis, für die GmbH zu handeln, nicht verloren. Als gesetzliche Vertreterin der GmbH (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) hat sie der Anmeldung nicht namens der GmbH widersprochen und damit das FA nicht gezwungen, das Einspruchsverfahren gegenüber der GmbH als widersprechender Insolvenzschuldnerin aufzunehmen; dadurch hat sie es zugelassen, dass sich der Einspruch der GmbH in der Hauptsache erledigte. Die Forderung wurde widerspruchslos in die Insolvenztabelle eingetragen und darum i.S. des § 166 AO unanfechtbar festgesetzt. Die materielle Rechtmäßigkeit der Steuerforderungen wurde aufgrund des unterlassenen Widerspruchs namens der GmbH nicht im zuvor laufenden Einspruchsverfahren der GmbH geklärt. Dass –wie die Klägerin geltend macht– ein Widerspruch im eigenen Namen nicht möglich war bzw. keinen Erfolg versprochen hätte, ist unerheblich.
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf ihre Unkenntnis hinsichtlich der Höhe der Steuerschulden der GmbH berufen, weil sie bereits im August 2008 –und damit vor der Feststellung der Forderungen am 24. September 2008– vom FA im Haftungsverfahren angehört worden war.

Der Einwand der Klägerin, dass die Forderungsanmeldung nicht den Änderungsvorschriften der §§ 172 ff. AO unterliege, führt zu keiner anderen Beurteilung. Dass eine widerspruchslose Eintragung zur Insolvenztabelle gemäß § 130 AO ganz oder teilweise zurückgenommen werden kann –und nicht den für die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden geltenden Vorschriften (§§ 172 ff. AO) unterliegt– hat für die hier zu entscheidende Frage des Anwendungsbereichs von § 166 AO keine Bedeutung.
Da die Klägerin die Möglichkeit hatte, mit ihren Einwendungen gegen ihre Haftung vor Gericht gehört zu werden, ist ihre Haftung verfassungsgemäß. Sonstige Rechtsfehler der angefochtenen Vorentscheidung oder des Haftungsbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.

Verlust aus der Veräußerung von Aktien

Eine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ist weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig (entgegen BMF-Schreiben vom 18. Januar 2016 IV C 1-S 2252/08/10004, BStBl I 2016, 85, Rz 59).
Es steht grundsätzlich im Belieben des Steuerpflichtigen, ob, wann und mit welchem Ertrag er Wertpapiere erwirbt und wieder veräußert (vgl. BFH-Urteil vom 25. August 2009 IX R 55/07, BFH/NV 2010, 387, Rz 13). Dadurch macht der Steuerpflichtige lediglich von gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch, missbraucht diese aber nicht.
BFH Urteil vom 12.6.2018, VIII R 32/16

Begründung:
Die steuerliche Berücksichtigung eines Verlusts aus der Veräußerung von Aktien hängt nicht von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten ab. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Juni 2018 VIII R 32/16 gilt dies unabhängig von der Höhe der Gegenleistung und der anfallenden Veräußerungskosten. Damit wendet sich der BFH gegen die Auffassung der Finanzverwaltung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 18. Januar 2016 IV C 1-S 2252/08/10004, BStBl I 2016, 85).

Im Streitfall hatte der Kläger in den Jahren 2009 und 2010 Aktien zum Preis von 5.759,78 € erworben und diese im Jahr 2013 zu einem Gesamtverkaufspreis von 14 € an eine Sparkasse wieder veräußert, die Transaktionskosten in dieser Höhe einbehielt. In seiner Einkommensteuererklärung 2013 machte der Kläger den Verlust in Höhe von 5.759,78 € bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend und stellte u.a. den Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts gemäß § 32d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das Finanzamt berücksichtigte die Verluste nicht. Den Einspruch des Klägers wies es als unbegründet zurück. Der dagegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht statt.
Dem folgte der BFH. Er entschied, dass jede entgeltliche Übertragung des – zumindest wirtschaftlichen – Eigentums auf einen Dritten eine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG darstellt. Weitere Tatbestandsmerkmale nennt das Gesetz nicht. Die Erfüllung des Tatbestands der Veräußerung ist entgegen der Sichtweise der Finanzverwaltung weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig.
Auch einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 der Abgabenordnung verneinte der BFH. Der Kläger hat nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Es steht grundsätzlich im Belieben des Steuerpflichtigen, ob, wann und mit welchem erzielbaren Ertrag er Wertpapiere erwirbt und wieder veräußert.

Dass der Kläger keine Steuerbescheinigung der Sparkasse über den entstandenen Verlust vorlegen konnte (vgl. § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG), stand der Verlustverrechnung nach der bereits gefestigten Rechtsprechung des Senats nicht entgegen. Die Bescheinigung ist entbehrlich, wenn – wie vorliegend – keine Gefahr der Doppelberücksichtigung des Verlusts besteht.
Der BFH hat damit weitere Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge geklärt. Wie die bloße Ausbuchung von wertlos gewordenen Aktien aus dem Wertpapierdepot des Steuerpflichtigen steuerrechtlich zu beurteilen ist, hat der BFH mangels Entscheidungserheblichkeit im vorliegenden Urteil dagegen (noch) offengelassen.

EuGH-Vorlage zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung einer teilweise durch EU-Beihilfen subventionierten Lieferung

1. NV: Ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen eine Erzeugerorganisation im Sinne des Art. 11 Abs. 1, Art. 15 der VO Nr. 2200/96 an die ihr angeschlossenen Erzeuger Gegenstände liefert und hierfür von den Erzeugern eine nicht den Einkaufspreis deckende Zahlung erhält,
a) NV: vom Vorliegen eines Tauschs mit Baraufgabe auszugehen, weil sich die Erzeuger im Gegenzug für den Umsatz gegenüber der Erzeugerorganisation vertraglich verpflichtet haben, die Erzeugerorganisation für die Dauer der Zweckbindungsfrist mit Obst und Gemüse zu beliefern, so dass Besteuerungsgrundlage des Umsatzes der von der Erzeugerorganisation an die Vorlieferanten gezahlte Einkaufspreis für die Investitionsgüter ist?
b) NV: der Betrag, den tatsächlich der Betriebsfonds für den Umsatz an die Erzeugerorganisation zahlt, in voller Höhe eine “unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängende Subvention” im Sinne des Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG, so dass die Besteuerungsgrundlage auch die finanzielle Beihilfe im Sinne des Art. 15 der VO Nr. 2200/96 umfasst, die dem Betriebsfonds aufgrund eines operationellen Programms gewährt worden ist?
2. NV: Falls nach der Antwort auf Frage 1 als Besteuerungsgrundlage nur die von den Erzeugern geleisteten Zahlungen, nicht aber die Lieferverpflichtung und die finanzielle Beihilfe anzusetzen sind: Steht unter den in Frage 1 genannten Umständen Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG einer auf Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG gestützten nationalen Sondermaßnahme wie § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG entgegen, nach der die Besteuerungsgrundlage der Umsätze an die Erzeuger der von der Erzeugerorganisation an die Vorlieferanten gezahlte Einkaufspreis für die Investitionsgüter ist, weil die Erzeuger nahestehende Personen sind?
3. NV: Falls die Frage 2 verneint wird: Gilt dies auch dann, wenn die Erzeuger zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind, weil die Investitionsgüter der Berichtigung der Vorsteuerabzüge (Art. 20 der Richtlinie 77/388/EWG) unterliegen?
BFH Beschluss (EuGH-Vorlage) vom 13.6.2018, XI R 6/17

Begründung (BFH):
Der Bundesfinanzhof (BFH) ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um Klärung, ob Subventionen der Europäischen Union (EU) mit Umsatzsteuer belastet werden dürfen. Die beiden Vorlagebeschlüsse vom 13. Juni 2018 XI R 5/17 und XI R 6/17 betreffen finanzielle Beihilfe im Rahmen der Gemeinsamen Marktorganisation für Obst und Gemüse.

In den Streitfällen förderte die EU im Rahmen von sog. „Operationellen Programmen“ (u.a. z.B. zur Sicherstellung einer nachfragegerechten Erzeugung, zur Senkung von Produktionskosten oder zur Förderung umweltgerechter Wirtschaftsweisen) Investitionen in Einzelbetrieben von Mitgliedern der Klägerinnen, beide Erzeugerorganisationen für Obst und Gemüse. Es handelte sich um eine finanzielle Beihilfe i.S. des Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 2200/96 des Rates vom 28. Oktober 1996 über die gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse.
Plante ein Erzeuger, der Mitglied einer Erzeugerorganisation war, den Erwerb eines förderfähigen Investitionsguts, bestellte es die Erzeugerorganisation und übertrug dem Erzeuger daran zunächst nur das hälftige Miteigentum. Erst nach Ablauf der Zweckbindungsfrist (von 5 oder 12 Jahren) wurde der Erzeuger Alleineigentümer.

Die Erzeugerorganisation stellte dem Erzeuger für das Investitionsgut lediglich 50 % ihrer Nettoanschaffungskosten zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung. Die restlichen 50 % wurden von einem Betriebsfonds gezahlt, der je zur Hälfte aus Beiträgen der in der Erzeugerorganisation zusammengeschlossenen Erzeuger und der finanziellen Beihilfe gespeist wurde. Der Erzeuger verpflichtete sich daneben, die Erzeugerorganisation während der Zweckbindungsfrist mit Obst und Gemüse zu beliefern.
Finanzamt und das Finanzgericht gingen mit unterschiedlicher Begründung davon aus, dass der volle Einkaufspreis der Erzeugerorganisation Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer sei.
Diese Ansicht hat der BFH in seinem Vorlagebeschluss geteilt und außerdem die Ansicht vertreten, die Lieferverpflichtung der Erzeuger könne in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sein. Er hält es allerdings unionsrechtlich für zweifelshaft, ob all dies dazu führen dürfe, dass im Ergebnis die finanzielle Beihilfe der EU die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer erhöht und daher mit Umsatzsteuer belastet wird.

Verwendungsbezogene Zuschüsse des Arbeitgebers für eine private Zusatzkrankenversicherung seiner Arbeitnehmer als Barlohn

Leitsätze
Ein vom Arbeitgeber an einen Arbeitnehmer gezahlter Zuschuss für dessen private Zusatzkrankenversicherung wird angesichts des durch die Förderung des zusätzlichen Versicherungsschutzes für den Arbeitnehmer sich ergebenden eigenen Vorteils nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers erbracht.
Zahlt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer einen Zuschuss unter der Bedingung, dass dieser mit einem vom Arbeitgeber benannten Unternehmen einen Vertrag schließt, wendet er Geld und nicht eine Sache zu. Ein Sachbezug liegt in einem solchen Fall nur vor, wenn damit ein arbeitsrechtliches Versprechen erfüllt wird, das auf Gewährung von Sachlohn gerichtet ist.
BFH Urteil vom 4.7.2018, VI R 16/17

Begründung:
In der Sache VI R 16/17 informierte die Klägerin in einem „Mitarbeiteraushang“ ihre Arbeitnehmer darüber, ihnen zukünftig eine Zusatzkrankenversicherung über eine private Krankenversicherungsgesellschaft anbieten zu können. Mitarbeiter nahmen das Angebot an und schlossen unmittelbar mit der Versicherungsgesellschaft private Zusatzkrankenversicherungsverträge ab. Die Versicherungsbeiträge wurden von den Mitarbeitern direkt an die Versicherungsgesellschaft überwiesen. Hierfür erhielten sie monatliche Zuschüsse von der Klägerin auf ihr Gehaltskonto ausgezahlt, die regelmäßig unter der Freigrenze des § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG blieben. Nach dem Urteil des BFH handelt es sich um Barlohn. Ein Sachbezug liege nur vor, wenn auch ein arbeitsrechtliches Versprechen erfüllt wird, das auf Gewährung von Sachlohn gerichtet ist. Die Klägerin hatte ihren Arbeitnehmern letztlich nur den Kontakt zu dem Versicherungsunternehmen vermittelt und bei Vertragsschluss einen Geldzuschuss versprochen. Damit hatte sie ihren Arbeitnehmern keinen Versicherungsschutz zugesagt.

Kindergeld bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG

Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG besteht nur für die Monate, in denen der Steuerpflichtige inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt.
Aufgrund der kindergeldspezifischen monatsbezogenen Betrachtungsweise ist bei Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit gemäß § 15 EStG eines nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagten Kindergeldberechtigten auf die ausgeübte inländische Tätigkeit abzustellen.
BFH Urteil vom 14.3.2018, III R 5/17

Begründung:
Bei Gewerbetreibenden, die ohne Wohnsitz und ohne gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nur monatsweise tätig sind und antragsgemäß als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden, besteht der Anspruch auf Kindergeld für die Monate, in denen sie ihre inländische Tätigkeit ausüben. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 14. März 2018 III R 5/17 klargestellt hat, kommt es bei Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit für die gebotene monatsweise Betrachtung nicht auf den Zufluss von Einnahmen an.

Im Streitfall lebte der polnische Kläger mit seiner Familie in Polen. In Deutschland war er monatsweise selbständig im Baugewerbe tätig. Für das Jahr 2012 beanspruchte der Kläger u.a. für den Monat Mai Kindergeld. In dieser Zeit arbeitete er auf einer Baustelle und erzielte gewerbliche Einkünfte. Das Entgelt erhielt er hierfür erst im August 2012. Aus diesem Grund war die Familienkasse der Ansicht, dass das Kindergeld nur für diesen Monat zu berücksichtigen sei. Allerdings hatte die Familienkasse das Kindergeld für den August bereits aus anderen Gründen gewährt. Der Kläger wandte sich dagegen und erstritt vor dem Finanzgericht das Kindergeld auch für den Monat Mai. Die Revision der Familienkasse hatte keinen Erfolg.
Der Kindergeldanspruch setzt in Fällen dieser Art u.a. die antragsgemäße Behandlung des Ausländers als fiktiv unbeschränkt steuerpflichtig und den Aufenthalt der Kinder im Inland oder im EU-Ausland voraus. Auch wenn der Ausländer regelmäßig für das ganze Jahr nach § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als fiktiv unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wird und sich aus dem entsprechenden Einkommensteuerbescheid nicht ergibt, in welcher Zeit er inländische Einkünfte erzielt hat, ist für den Kindergeldanspruch allein das in § 66 Abs. 2 EStG verankerte Monatsprinzip entscheidend.

Der BFH hatte bisher hierzu nur entschieden, dass es bei zeitweise nichtselbständig tätigen Steuerpflichtigen wie z.B. Saisonarbeitern für den Kindergeldanspruch auf den Zufluss des Lohnes ankommt.
Demgegenüber stellt der BFH in dem jetzt veröffentlichten Urteil bei einem zeitweise selbständig Tätigen auf die inländische Tätigkeit und nicht auf den Zufluss des Entgelts ab. Damit wird sichergestellt, dass der Kindergeldanspruch nicht von Zufälligkeiten oder selbst gewählten Gestaltungsformen abhängt. Ob hieraus folgt, dass an der bisherigen zuflussorientierten Beurteilung bei Saisonarbeitnehmern nicht mehr festzuhalten ist, ließ der BFH ausdrücklich offen.

Beiträge des Arbeitgebers für eine private Zusatzkrankenversicherung seiner Arbeitnehmer als Sachbezug

Die Gewährung von Krankenversicherungsschutz ist in Höhe der geleisteten Beiträge Sachlohn, wenn der Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrags von seinem Arbeitgeber ausschließlich Versicherungsschutz und nicht auch eine Geldzahlung verlangen kann (Bestätigung des BFH-Urteils vom 14. April 2011 VI R 24/10, BFHE 233, 246, BStBl II 2011, 767).
Die Verschaffung von Krankenversicherungsschutz unterliegt als Sachbezug der Freigrenze i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG.
BFH Urteil vom 7.6.2018, VI R 13/16

Begründung:
Die Gewährung von Krankenversicherungsschutz ist in Höhe der Arbeitgeberbeiträge Sachlohn, wenn der Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrags ausschließlich Versicherungsschutz, nicht aber eine Geldzahlung verlangen kann. Demgegenüber wendet der Arbeitgeber Geld und keine Sache zu, wenn er einen Zuschuss unter der Bedingung zahlt, dass der Arbeitnehmer mit einem vom ihm benannten Unternehmen einen Versicherungsvertrag schließt. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteilen vom 7. Juni 2018 VI R 13/16 und vom 4. Juli 2018 VI R 16/17 entschieden.
Die Frage, ob Bar- oder Sachlohn vorliegt, ist für die Freigrenze des § 8 Abs. 2 Satz 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erheblich. Danach sind Sachbezüge bis 44 € im Kalendermonat steuerfrei. Für die Abgrenzung von Bar- und Sachlohn ist der auf Grundlage der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zu ermittelnde Rechtsgrund des Zuflusses entscheidend.
Im Fall VI R 13/16 schloss der Arbeitgeber des Klägers als Versicherungsnehmer für die Mitarbeiter des Unternehmens bei zwei Versicherungen (Gruppen-)Zusatzkrankenversicherungen für Vorsorgeuntersuchungen, stationäre Zusatzleistungen sowie Zahnersatz ab. Die für den Versicherungsschutz des Klägers vom Arbeitgeber gezahlten monatlichen Beträge blieben unter der Freigrenze i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 11 EStG. Der BFH bestätigte das Vorliegen von Sachlohn.

Die differenzierende Betrachtung des BFH verdeutlicht die für die Arbeitgeber bestehende Gestaltungsfreiheit. Entscheidet sich der Arbeitgeber dafür, seinen Arbeitnehmern –wie im ersten Fall– unmittelbar Versicherungsschutz zu gewähren, liegt zwar einerseits begünstigter Sachlohn vor, andererseits ist das Potential für weitere Sachbezüge angesichts der monatlichen Freigrenze von höchstens 44 € erheblich eingeschränkt. Denn jegliche Überschreitung der Freigrenze führt zum vollständigen Entfallen der Steuerfreiheit. Diesem Risiko kann der Arbeitgeber dadurch begegnen, dass er seinen Arbeitnehmern lediglich einen (von vornherein steuerpflichtigen) Zuschuss unter der Bedingung zahlt, dass diese eine eigene private Zusatzkrankenversicherung abschließen.

Prämienzahlungen der gesetzlichen Krankenkassen aufgrund von § 53 Abs. 1 SGB V mindern Sonderausgabenabzug

Prämienzahlungen, die eine gesetzliche Krankenkasse ihren Mitgliedern gemäß § 53 Abs. 1 SGB V gewährt, stellen Beitragsrückerstattungen dar, die die wirtschaftliche Belastung der Mitglieder und damit auch ihre Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG reduzieren.
BFH Urteil vom 6.6.2018, X R 41/17

Begründung:
Erhält ein Steuerpflichtiger von seiner gesetzlichen Krankenkasse eine Prämie, die auf einem Wahltarif gemäß § 53 Abs. 1 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) beruht, mindern sich die als Sonderausgaben abziehbaren Krankenversicherungsbeiträge. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 6. Juni 2018 X R 41/17 entschieden.
Seit April 2007 haben die gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit, ihren Versicherten sog. Wahltarife, d.h. Selbstbehaltungstarife in begrenzter Höhe oder Kostenerstattungstarife anzubieten. Im Streitfall hatte der Kläger einen Wahltarif mit Selbstbehalten gewählt, aufgrund dessen er eine Prämie je Kalenderjahr bis zur Höhe von 450 € erhalten konnte. Die von ihm im Gegenzug zu tragenden Selbstbehalte waren auf 550 € begrenzt, so dass er seiner Krankenkasse in dem für ihn ungünstigsten Fall weitere 100 € zu zahlen hatte. Im Streitjahr 2014 erhielt der Kläger eine Prämie von 450 €, die er bei den von ihm geltend gemachten Krankenversicherungsbeiträgen nicht berücksichtigte. Das Finanzamt sah in der Prämienzahlung eine Beitragsrückerstattung und setzte dementsprechend geringere Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a Satz 2 des Einkommensteuergesetzes an. Einspruch und Klage des Klägers blieben ohne Erfolg.
Der BFH bestätigte das finanzgerichtliche Urteil. Danach ist die Prämienzahlung nach § 53 Abs. 1 SGB V eine Beitragsrückerstattung, die die Vorsorgeaufwendungen des Steuerpflichtigen mindert. Der BFH begründet dies damit, dass sich die wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen reduziere. Diese sei wesentliche Voraussetzung für den Sonderausgabenabzug.

Die Prämie ist damit anders zu behandeln als Bonusleistungen, die gesetzliche Krankenkassen ihren Mitgliedern zur Förderung gesundheitsbewussten Verhaltens gemäß § 65a SGB V gewähren. Diese mindern die als Sonderausgaben abziehbaren Krankenversicherungsbeiträge nicht (BFH-Urteil vom 1. Juni 2016 X R 17/15, BFHE 254, 111, BStBl II 2016, 989). Den Unterschied sieht der BFH darin, dass der Bonus eine Erstattung der vom Versicherten selbst getragenen gesundheitsbezogenen Aufwendungen ist und damit nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den Beiträgen zur Erlangung des Basiskrankenversicherungsschutzes steht. Demgegenüber beruhe die Prämie auf der Übernahme des Risikos, der Krankenkasse ggf. weitere, jedoch der Höhe nach begrenzte Beitragszahlungen leisten zu müssen.
Die Beurteilung der Prämie entspricht damit der einer Beitragsrückerstattung einer privaten Krankenversicherung. In beiden Fällen erhält der Versicherte eine Zahlung von seiner Krankenkasse, da diese von ihm nicht oder in einem geringeren Umfang in Anspruch genommen wurde. Dadurch werden im Ergebnis seine Beitragszahlungen reduziert. Im Falle der Beitragserstattungen erkauft der Versicherte dies mit selbst getragenen Krankheitskosten; im streitgegenständlichen Wahltarif ist der Preis des Klägers das Risiko, weitere Zahlungen in Höhe von maximal 100 € erbringen zu müssen.

Änderung der Rechtsprechung zu den Rechnungsanforderungen in § 14 Abs. 4 UStG

Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung setzt nicht voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist (Änderung der Rechtsprechung).
Es reicht jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.
BFH Urteil vom 21.6.2018, V R 25/15

Begründung:
Eine Rechnung muss für den Vorsteuerabzug eine Anschrift des leistenden Unternehmers enthalten, unter der er postalisch erreichbar ist. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung mit Urteilen vom 21. Juni 2018 V R 25/15 und V R 28/16 entschieden hat, ist es nicht mehr erforderlich, dass die Rechnung weitergehend einen Ort angibt, an dem der leistende Unternehmer seine Tätigkeit ausübt.

Bei der Umsatzsteuer setzt der Vorsteuerabzug aus Leistungsbezügen anderer Unternehmer eine Rechnung voraus, die –neben anderen Erfordernissen– die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers angibt (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes).
Im ersten Fall (V R 25/15) erwarb der Kläger, ein Autohändler, Kraftfahrzeuge von einem Einzelunternehmer, der “im Onlinehandel” tätig war, ohne dabei ein “Autohaus” zu betreiben. Er erteilte dem Kläger Rechnungen, in denen er als seine Anschrift einen Ort angab, an dem er postalisch erreichbar war.

Der BFH bejahte in dem Fall den Vorsteuerabzug mit ordnungsgemäßen Rechnungen. Für die Angabe der “vollständigen Anschrift” des leistenden Unternehmers reiche die Angabe eines Ortes mit “postalischer Erreichbarkeit” aus. Die Rechtsprechungsänderung beruht auf dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Geissel und Butin vom 15. November 2017 C 374/16 und C 375/16, EU:C:2017:867, das auf Vorlage durch den BFH ergangen ist.
Die Rechtsprechungsänderung ist für Unternehmer, die nach ihrer Geschäftstätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, von großer Bedeutung. Die Frage, ob bei der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs ordnungsgemäße Rechnungen vorliegen, ist bei ihnen regelmäßig Streitpunkt in Außenprüfungen. Die neuen Urteile des BFH erleichtern die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs.

Rechnungsanforderungen in § 14 Abs. 4 UStG keine wirtschaftliche Tätigkeit bei der Anschrift

Leitsätze
Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung setzt nicht voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist (Änderung der Rechtsprechung).

Es reicht jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.
Sind die materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt, ist es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, einen Steuerpflichtigen, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde, durch die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug zu sanktionieren.

BFH Urteil vom 21.6.2018, V R 28/16

Begründung:

Im zweiten Fall (V R 28/16) bezog die Klägerin als Unternehmer in neun Einzellieferungen 200 Tonnen Stahlschrott von einer GmbH. In den Rechnungen war der Sitz der GmbH entsprechend der Handelsregistereintragung als Anschrift angegeben. Tatsächlich befanden sich dort die Räumlichkeiten einer Anwaltskanzlei. Die von der GmbH für die Korrespondenz genutzte Festnetz- und Faxnummer gehörten der Kanzlei, die als Domiziladresse für etwa 15 bis 20 Firmen diente. Ein Schreibtisch in der Kanzlei wurde gelegentlich von einem Mitarbeiter der GmbH genutzt.

Der BFH bejahte in dem Fall den Vorsteuerabzug mit ordnungsgemäßen Rechnungen. Für die Angabe der “vollständigen Anschrift” des leistenden Unternehmers reiche die Angabe eines Ortes mit “postalischer Erreichbarkeit” aus. Die Rechtsprechungsänderung beruht auf dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Geissel und Butin vom 15. November 2017 C 374/16 und C 375/16, EU:C:2017:867, das auf Vorlage durch den BFH ergangen ist.
Die Rechtsprechungsänderung ist für Unternehmer, die nach ihrer Geschäftstätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, von großer Bedeutung. Die Frage, ob bei der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs ordnungsgemäße Rechnungen vorliegen, ist bei ihnen regelmäßig Streitpunkt in Außenprüfungen. Die neuen Urteile des BFH erleichtern die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs.

EuGH-Vorlage zur Umsatzbesteuerung von Vereinen

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
ommt Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL, nach dem “bestimmte, in engem Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung stehende Dienstleistungen, die Einrichtungen ohne Gewinnstreben an Personen erbringen, die Sport oder Körperertüchtigung ausüben”, unmittelbare Wirkung zu, so dass sich Einrichtungen ohne Gewinnstreben bei fehlender Umsetzung unmittelbar auf diese Bestimmung berufen können?

Bei Bejahung der ersten Frage: Handelt es sich bei der “Einrichtung ohne Gewinnstreben” i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL um
– einen autonom unionsrechtlich auszulegenden Begriff oder
– sind die Mitgliedstaaten befugt, das Vorliegen einer derartigen Einrichtung von Bedingungen wie § 52 i.V.m. § 55 AO (oder den §§ 51 ff. AO in ihrer Gesamtheit) abhängig zu machen?
Falls es sich um einen autonom unionsrechtlich auszulegenden Begriff handelt: Muss eine Einrichtung ohne Gewinnstreben i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL über Regelungen für den Fall ihrer Auflösung verfügen, nach denen sie ihr dann vorhandenes Vermögen auf eine andere Einrichtung ohne Gewinnstreben zur Förderung von Sport und Körperertüchtigung zu übertragen hat?
BFH Beschluss (EuGH-Vorlage) vom 21.6.2018, V R 20/17

Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) zweifelt an der Umsatzsteuerfreiheit von Leistungen, die Sportvereine gegen gesondertes Entgelt erbringen. Mit Beschluss vom 21. Juni 2018 V R 20/17 hat er daher ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet.
Im Streitfall erbrachte der Kläger, ein Golfverein, verschiedene Leistungen gegen gesondert vereinbartes Entgelt. Dabei handelte es sich insbesondere um die Berechtigung zur Nutzung des Golfspielplatzes (Greenfee), um die leihweise Überlassung von Golfbällen für das Abschlagstraining mittels eines Ballautomaten und um die Durchführung von Golfturnieren, bei denen der Kläger Startgelder für die Teilnahme vereinnahmte. Das beklagte Finanzamt sah diese Leistungen als umsatzsteuerpflichtig an. Demgegenüber bejahte das Finanzgericht eine Steuerfreiheit, die sich zwar nicht aus dem nationalem Recht, aber aus dem Unionsrecht und dabei aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) ergebe.

Hieran zweifelt der BFH. Aus der Rechtsprechung des EuGH (EuGH-Urteil British Film Institute vom 15. Februar 2017 C-592/15, EU:C:2017:117) könne abgeleitet werden, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL keine unmittelbare Wirkung zukomme, so dass sich Steuerpflichtige auf diese Bestimmung nicht berufen können, um sich gegen eine Steuerpflicht nach nationalem Recht zu wehren.
Sollte der EuGH eine unmittelbare Wirkung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL verneinen, würde dies zu einer Rechtsprechungsänderung führen. Denn der BFH hat in der Vergangenheit eine unmittelbare Wirkung und Berufbarkeit bejaht. Dies führte insbesondere zu einer aus dem Unionsrecht abgeleiteten Steuerfreiheit für die Berechtigung zur Nutzung des Golfspielplatzes (Greenfee) und für die leihweise Überlassung von Golfbällen.
Nicht streitig ist in der nunmehr beim EuGH anhängigen Rechtssache, ob Golfvereine, die von ihren Mitgliedern Vereinsbeiträge erheben, auch insoweit steuerpflichtige Leistungen erbringen.