Abzugsfähigkeit von Rechtsanwalts- und Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen für den Veranlagungszeitraum 2009
FG Münster Urteil vom 18.06.2014, 10 K 3686/11 E
Sachverhalt:
Streitig ist der Abzug von Rechtsanwalts- und Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen.
Begründung:
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird die Einkommensteuer nach § 33 Abs. 1 EStG auf Antrag in bestimmtem Umfang ermäßigt. Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
Kosten eines Zivilprozesses erwachsen den Parteien nach der neuen Rechtsprechung des VI. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) unabhängig vom Gegenstand des Zivilrechtsstreits aus rechtlichen Gründen zwangsläufig (vgl. BFH-Urteil vom 12.05.2011 VI R 42/10, BStBl II 2011, 1015; offengelassen: BFH-Urteil vom 19.3.2013 IX R 41/12, BStBl II 2013, 536). Für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten ist nicht – wie nach der bisherigen Rechtsprechung – auf die Unausweichlichkeit des der streitgegenständlichen Zahlungsverpflichtung oder des dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen. Denn der Steuerpflichtige muss, um sein Recht durchzusetzen, im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten. Dieser Unausweichlichkeit steht nicht entgegen, dass mit den Kosten eines Zivilprozesses in der Regel nur die unterliegende Partei (§ 91 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung –ZPO-) belastet ist. Denn der Einwand, der Unterliegende hätte bei gehöriger Prüfung seiner Rechte und Pflichten erkennen können, der Prozess werde keinen Erfolg haben, wird der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Vorherzusagen wie ein Gericht entscheiden wird, ist “riskant”. Denn nur selten findet sich der zu entscheidende Sachverhalt so deutlich im Gesetz wieder, dass der Richter seine Entscheidung mit arithmetischer Gewissheit aus dem Gesetzestext ablesen kann. Nicht zuletzt deshalb bietet die Rechtsordnung ihren Bürgern ein sorgfältig ausgebautes und mehrstufiges Gerichtssystem an.
Als außergewöhnliche Belastungen sind Zivilprozesskosten jedoch auch nach der neuen Rechtsprechung des BFH nur dann zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat. Er muss diesen vielmehr unter verständiger Würdigung des Für und Wider – auch des Kostenrisikos – eingegangen sein. Demgemäß sind Zivilprozesskosten des Klägers wie des Beklagten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot. Das Gericht hat die Gesamtumstände des Einzelfalls – ex ante – dahingehend zu würdigen, ob der Prozess, den der Kläger angestrengt hat, hinreichende Aussicht auf Erfolg bot und nicht mutwillig geführt worden ist. Eine nur entfernte, gewisse Erfolgsaussicht reicht nicht aus. Der Erfolg muss mindestens ebenso wahrscheinlich sein wie ein Misserfolg. Dies hat das Finanzgericht im Wege einer summarischen Prüfung zu untersuchen (BFH-Urteil vom 12.05.2011 VI R 42/10 a.a.O.).
Zu den unter Berücksichtigung der neuen BFH-Rechtsprechung abziehbaren Prozesskosten rechnen zudem nur die Zivilprozesskosten im engeren Sinne. Denn angesichts des Umstandes, dass die Berücksichtigung von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen gerade mit Blick auf das staatliche Gewaltmonopol gerechtfertigt wird, erscheint es sachgerecht, auch nur die unmittelbar durch die Inanspruchnahme dieses Gewaltmonopols entstehenden Aufwendungen zum Abzug zuzulassen. Hiernach sind als außergewöhnliche Belastungen lediglich die unmittelbar durch den Zivilprozess verursachten Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen, etwa für die Entschädigung von Zeugen oder für die Einholung eines vom Gericht beauftragten Sachverständigen, etc.), Vergütungsansprüche des eigenen Prozessbevollmächtigten und ggf. Kostenerstattungsansprüche des Prozessgegners zu berücksichtigen. Nicht hierzu gehören dagegen solche Aufwendungen, die zur bloßen Vorbereitung oder im Rahmen des Prozesses freiwillig, d.h. aus eigenem Antrieb und ohne Veranlassung durch das Gericht getragen werden, auch wenn sie dem Prozess förderlich sein sollten (ebenso: Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 2.7.2013 13 K 985/13, EFG 2013, 1844). Den Umständen nach notwendig und angemessen sind Vergütungsansprüche des eigenen Prozessbevollmächtigten lediglich in Höhe der nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ermittelten Höhe.
Der Abzugszeitpunkt richtet sich gem. § 11 Abs. 2 EStG nach dem Zeitpunkt der Verausgabung, sodass nur die bereits im Streitjahr 2009 bezahlten Kosten eines Zivilverfahrens zu berücksichtigen sind.