Änderung eines Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4, Abs. 3 AO

Hat das FA auf Antrag des Steuerpflichtigen die Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der AfA eines vermieteten Gebäudes nachträglich um zuvor unzutreffend von den Herstellungskosten abgezogenen, als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung zu wertende leistungsfreie Darlehensmittel wieder erhöht und die Bescheide für die Jahre nach Auszahlung der Fördermittel entsprechend geändert, darf es die bestandskräftige Steuerfestsetzung des Zuflussjahres nach § 174 Abs. 4 AO ändern und die erhaltenen Fördermittel als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung ansetzen.

§ 174 Abs. 3 Satz 1 AO rechtfertigt Änderungen auch bei einem negativen Widerstreit zwischen (irrtümlich vorgenommenem) periodisch gestrecktem statt punktuellem Ansatz.

BFH Urteil vom 16.04.2013 – IX R 22/11 BFH/NV 2013, 1287

Begründung:

 Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung). Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass das FA den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 28. Mai 2002 nach § 174 Abs. 4 AO ändern konnte. Der angegriffene Einkommensteuerbescheid vom 1. Dezember 2006 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

Ist auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten geändert worden ist, können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Änderung eines (weiteren) Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden.

Die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ist "irrig", wenn sie sich nachträglich als unrichtig erweist. Der Begriff des bestimmten Sachverhalts ist dabei nicht auf eine einzelne steuererhebliche Tatsache oder ein einzelnes Merkmal beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für diese Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex. Unerheblich ist, ob der für die rechtsirrige Beurteilung ursächliche Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen gelegen hat. Der Steuerpflichtige soll im Falle seines Obsiegens mit einem gewissen Rechtsstandpunkt an seiner Auffassung festgehalten werden, soweit derselbe Sachverhalt zu beurteilen ist. Er muss daher auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen.

Diese Voraussetzungen liegen vor: Das FA hat auf die Einsprüche der Kläger die Minderung der AfA in den Jahren 1996 und 1997 zurückgenommen, weil die von den Klägern vereinnahmten Mittel nach dem sog. Dritten Förderungsweg nicht die Herstellungskosten mindern. Es durfte durch die Änderung des Steuerbescheids für das Streitjahr die richtigen steuerlichen Folgen ziehen und die Mittel als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung erfassen. Dass der angefochtene Änderungsbescheid zeitgleich mit den (davor) widerstreitenden Änderungsbescheiden für die Jahre 1996 und 1997 erging, ist unbeachtlich.

Der angefochtene Änderungsbescheid konnte auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergehen. Der Fristablauf ist nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. War die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der später geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, gilt dies gemäß § 174 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AO nur, wenn der Sachverhalt in dem (nunmehr zu ändernden) Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt wurde, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt. Auch diese Voraussetzungen liegen vor.

Die Festsetzungsfrist für das Streitjahr begann nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wurde –hier 1997–, betrug nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre und endete mithin zum Ende des Jahres 2001, also bevor der nunmehr geänderte Bescheid vom 28. Mai 2002 für das Streitjahr erlassen wurde.

In diesem Bescheid hat das FA die erhaltenen Fördermittel im Wege der AfA-Minderung um (31.240 DM ./. 19.738 DM =) 11.502 DM bereits berücksichtigt. Damit hat es umgekehrt Einnahmen in Höhe von (230.000 DM ./. 11.502 DM =) 218.498 DM in der Annahme nicht erfasst, dass diese in anderen Steuerbescheiden –nämlich in denen für die Folgejahre– im Wege der AfA-Minderung pro rata temporis zu berücksichtigen seien. Aus dem Schreiben vom 3. November 1999, auf das das FA in seinen Erläuterungen ausdrücklich verwies, war diese ursprüngliche Rechtsansicht für die Kläger auch erkennbar.

Ist der "bestimmte Sachverhalt", um den es im Streitfall geht, der Vorgang des Zuflusses der Fördermittel aufgrund des leistungsfreien Darlehens, so verlangt § 174 Abs. 3 Satz 1 AO entgegen der Auffassung der Kläger indessen nicht, dass dieser Sachverhaltskomplex im geänderten Bescheid überhaupt nicht berücksichtigt sein dürfte. Der Steuerbescheid ist vielmehr auch dann zu ändern, wenn der bestimmte Sachverhalt dort erkennbar nicht   abschließend   geregelt wurde. Denn das Gesetz stellt dem (tatsächlich) nicht berücksichtigten Sachverhalt den in anderen Steuerbescheiden (erkennbar) zu berücksichtigenden gegenüber. Der damit formulierte negative Widerstreit umfasst auch das (irrtümlich) periodisch gestreckte Berücksichtigen in mehreren Kalenderjahren statt eines (richtigen) punktuellen Ansatzes in einem Veranlagungszeitraum und umgekehrt.

Deshalb liegt in der AfA-Minderung für das Streitjahr keine abschließende Berücksichtigung desselben Sachverhalts, die einer Änderung nach § 174 Abs. 3 Satz 1 AO entgegenstünde. Vielmehr wurde –bezogen auf die Konstellation des Streitfalls– der Zufluss der Fördermittel im Streitjahr erkennbar in der Annahme nicht als Einnahme aus Vermietung und Verpachtung angesetzt, dass er sich   insoweit   in anderen Steuerbescheiden (auch dem des Streitjahres) durch Aufwandsminderung (geringere AfA wegen der um den Zufluss verminderten Herstellungskosten) auswirke. Vertrauensschutzprobleme stellen sich nicht. Ganz abgesehen davon, dass der hier nicht einschlägige § 176 AO den Vertrauensschutz speziell regelt, muss nach § 174 Abs. 3 Satz 1 AO der bestimmte Sachverhalt "erkennbar" nicht berücksichtigt worden sein, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen ist. Damit ist dem Vertrauensschutz hinreichend genügt

 

Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung im Wege einer Änderung nach § 129 AO

Eine Unrichtigkeit ist "offenbar", wenn der Fehler bei Offenlegung des aktenkundigen Sachverhalts für einen unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar war. In den objektivierten Erkenntnishorizont dieses Dritten sind neben dem Akteninhalt regelmäßig auch im konkreten Fall einschlägige interne Arbeits- und Dienstanweisungen einzubeziehen.

Ist die Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung versehentlich unterblieben und liegen insoweit die Voraussetzungen des § 129 Satz 1 AO vor, kann das FA den Bescheid unmittelbar nach § 164 Abs. 2 AO ändern.

BFH Urteil vom 01.07.2010 – IV R 56/07 BFH NV 2010 S. 2010 s. 2004 ff

Begründung:

Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.

"Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" sind einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche mechanische Versehen. Sie können beispielsweise bei Eingabe- oder Übertragungsfehlern vorliegen. So können Fehler bei Eintragungen in Eingabewertbögen für die automatische Datenverarbeitung als rein mechanische Versehen ähnliche offenbare Unrichtigkeiten sein, etwa bei einem unbeabsichtigten, unrichtigen Ausfüllen des Eingabebogens oder bei Irrtümern über den tatsächlichen Ablauf des maschinellen Verfahrens bzw. bei der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisung, bei Verwendung falscher Schlüsselzahlen oder beim Übersehen notwendiger Eintragungen.

Auch das versehentliche Unterbleiben eines Vorbehaltsvermerks –etwa in Folge der Unterlassung der Übernahme dieses Vermerks aus der Aktenverfügung in den Bescheid oder der Nichterfassung der erforderlichen Kennziffer– stellt eine gemäß § 129 AO jederzeit zu berichtigende offenbare Unrichtigkeit dar.

Ist in einem Steuerbescheid die Anordnung des Vorbehalts der Nachprüfung versehentlich unterblieben und liegen insoweit die Voraussetzungen des § 129 Satz 1 AO vor, so muss das FA den Bescheid nicht zunächst nach § 129 AO berichtigen, um ihn anschließend nach § 164 Abs. 2 AO ändern zu können. Vielmehr kann der Bescheid in diesem Fall unmittelbar nach § 164 Abs. 2 AO geändert werden; diese Änderung schließt dann die Wahrnehmung der Berichtigungsmöglichkeit ein.

Änderung eines Steuerbescheides bei Zusammenveranlagung

Allein die Änderung eines Einkommensteuerbescheides wegen eines den Vorwegabzug betreffenden rückwirkenden Ereignisses, das die Verhältnisse nur eines Ehegatten berührt, berechtigt nicht zur Korrektur eines Fehlers, der die steuerlichen Verhältnisse des anderen Ehegatten berührt.

Eine Änderung wegen einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache kommt nicht in Betracht, wenn sich die nachträglich bekannt gewordene Tatsache zunächst wegen Zusammenveranlagung nicht ausgewirkt hatte.

BFH Urteil vom 14. Oktober 2009 X R 14/08

Änderung eines Steuerbescheides nach § 174 Abs. 4 AO

Ein Steuerbescheid kann auch dann nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden, wenn die Änderungsmöglichkeit vor Erlass des erstmaligen Steuerbescheids eingetreten ist.

BFH Urteil vom 28. Januar 2009 X R 27/07

Begründung:

Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Durch § 174 AO soll die Finanzbehörde die Möglichkeit erhalten, in bestimmten Fällen der materiellen Richtigkeit Vorrang einzuräumen, indem vermieden wird, dass Steuerfestsetzungen bestehen bleiben, die inhaltlich zueinander im Widerspruch stehen Die Regelung bezweckt den Ausgleich einer zugunsten des Steuerpflichtigen eingetretenen Änderung; derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, muss auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen