Anlaufhemmung bei Abgabe einer nicht wirksam unterzeichneten Steuererklärung

Eine nicht vom Steuerpflichtigen selbst oder einem organschaftlichen Vertreter einer Gesellschaft unterzeichnete Steuererklärung i.S.d. § 150 Abs. 3 Satz 1 AO setzt den Fristenlauf nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht in Gang, wenn das Finanzamt die fehlende Originalunterschrift des Steuerpflichtigen oder des gesetzlichen Vertreters nicht erkannt hat bzw. nicht erkennen musste. Eine solche Steuererklärung beendet die Anlaufhemmung nicht.

BFH Beschluss vom 09.07.2012-IB 11/12 BFHNV 2012 S. 1576 f

Begründung:

Der Rechtsprechung des BFH lässt sich mit ausreichender Klarheit entnehmen, dass das Ende der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO vor dem gesetzlich fixierten spätesten Zeitpunkt nur dann eintritt, wenn eine formell rechtswirksame Steuererklärung eingereicht wird. In diesem Zusammenhang hat der BFH hervorgehoben, dass mit dem gesetzlichen Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift (des Steuerpflichtigen) bezweckt wird, dass der Steuerpflichtige selbst die Verantwortung für seine tatsächlichen Angaben in der Erklärung übernimmt. Durch die auf dem Erklärungsvordruck geleistete Unterschrift soll sichergestellt werden, dass er sich über die Lückenlosigkeit und die Richtigkeit der ggf. von einer dritten Person, insbesondere einem steuerlichen Berater, vorgenommenen Eintragungen und den Umfang der im Vordruck vorgesehenen Angaben vergewissern konnte und dass ihm zugleich die Bedeutung seiner Steuererklärung als Wissenserklärung bewusst werden konnte.

Wenn der ehemalige Vermögensverwalter und jetzige Testamentsvollstrecker eines Erblassers die für die Erben als Gesamtrechtsnachfolger erstellte Steuererklärung unterzeichnet ,  ist dieser Entscheidung zufolge nach dem Zweck des § 145 Abs. 2 Nr. 1 RAO ein Hinausschieben der Verjährung um drei Jahre nicht erforderlich, wenn das FA durch das Einreichen einer Steuererklärung in die Lage versetzt wird, die Veranlagung gegenüber dem Steuerschuldner durchzuführen. Eine von einem Dritten eingereichte Steuererklärung erfüllt nach dem genannten Urteil diese Voraussetzungen jedenfalls dann, wenn das FA aus der Steuererklärung die richtigen Schlüsse auf den Steuerschuldner und die zu veranlagende Steuer ziehen könne und in Kenntnis des Umstandes, dass die Steuererklärung von einem Dritten stamme, diese Steuererklärung zur Grundlage der Veranlagung mache; in einem solchen Falle bestehe kein schutzwürdiges Interesse des FA an einem weiteren Hinausschieben des Beginns der Verjährung.

Mit dieser Entscheidung hat der BFH die Rechtswirksamkeit der von einem Dritten geleisteten Unterschrift jedoch nicht uneingeschränkt anerkannt. Insbesondere kann aus dieser Entscheidung nicht hergeleitet werden, dass auf jedwede Versicherung der wahrheitsgemäßen Erstellung einer Erklärung (durch den Steuerpflichtigen bzw. ein zur Vertretung berechtigtes Organ) ohne Weiteres verzichtet werden könnte, wenn das FA in einer Steuerveranlagung den Angaben in einer solchen –nicht wirksam unterzeichneten– Steuererklärung gefolgt ist. Denn tragend für die Entscheidung war ersichtlich, dass die Behörde in einer solchen Konstellation das (durch die Unterschrift des Testamentsvollstreckers offenbarte) Fehlen einer ordnungsgemäßen Wahrheitsversicherung im Rahmen seiner Veranlagungstätigkeit würdigen und Unsicherheiten entweder durch die Nachforderung der ordnungsgemäßen Unterschrift (im Streitfall im Hinblick auf die Gesamtrechtsnachfolger ohne praktische Relevanz) oder durch Schätzung der Besteuerungsgrundlagen abhelfen konnte. Hat die Behörde hingegen keine Kenntnis davon, dass es an einer Wahrheitsversicherung einer dazu befugten Person fehlt, kann sie einer Fehleinschätzung unterliegen, ob die Angaben in der Steuererklärung auf der Grundlage der Versicherung einer dazu befugten Person vollständig und richtig sind. Insoweit kann sich an die Abgabe einer solchen Steuererklärung kein ordnungsmäßiges Veranlagungsverfahren anschließen. Auf die Frage, ob ein Veranlagungssachbearbeiter Unterschriften überprüfen muss und inwieweit das gerade bei der Besteuerung von Kapitalgesellschaften auf der Grundlage der Handelsregisterauszüge möglich ist, kommt es nicht an.