Aufwendungen für ein Schlichtungsverfahren wegen Bergschäden als außergewöhnliche Belastungen

Die Kosten eines Schlichtungsverfahrens vor der Schlichtungsstelle Bergschaden NRW können außergewöhnliche Belastungen sein, wenn der Steuerpflichtige aufgrund des Bergschadens Gefahr läuft, sein Wohnhaus nicht mehr zu Wohnzwecken nutzen zu können.

BFH Urteil vom 20.01.2016 VI R 62/13 BFH/NV 2016, 1436

Sachverhalt:

Streitig ist die Berücksichtigung von Kosten für ein Schlichtungsverfahren als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden im Streitjahr (2010) als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) lehnte den Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung im Einkommensteuerbescheid vom 10. August 2011 ab, weil es sich nicht um zwangsläufige Aufwendungen handele. Die Klage hatte nach erfolglosem Einspruchsverfahren aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 199 veröffentlichten Gründen Erfolg.

Begründung:

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Der Senat kann auf Grundlage der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht beurteilen, ob und ggf. in welchem Umfang die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind.

Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit. Derartige Kosten wurden nur als zwangsläufig angesehen, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war Zivilprozess Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr in dem üblichen Rahmen befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen.

Demgegenüber nahm der Senat in seiner Entscheidung die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Auffassung hat auch das FG dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Ein Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen kommt demnach nur insoweit in Betracht, als existenziell wichtige Bereiche oder der Kernbereich menschlichen Lebens betroffen ist. Liefe der Steuerpflichtige Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann er auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, eine rechtliche Auseinandersetzung zu führen, sodass die hieraus entstandenen

Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben.

Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen des FG kann der Senat allerdings nicht in der Sache selbst entscheiden. Denn auf Grundlage der bisherigen Feststellungen kann insbesondere nicht entschieden werden, ob der Kläger ohne die Verfolgung der geltend gemachten Ansprüche wegen Bergschadens Gefahr gelaufen wäre, seine Existenzgrundlage zu verlieren oder seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Das wäre insbesondere der Fall, wenn der Kläger aufgrund eines Bergschadens Gefahr liefe, sein selbstgenutztes Wohnhaus nicht mehr weiter zu Wohnzwecken nutzen zu können.

Das Wohnen betrifft grundsätzlich einen existenziell wichtigen Lebensbereich und gehört zum verfassungsrechtlich geschützten. Auch wenn der Erwerb eines Eigenheims typischerweise nicht das Existenzminimum berührt und das elementare private Wohnbedürfnis nicht durch das Wohnen im eigenen Haus befriedigt werden muss, sind Aufwendungen zur Sicherung oder Wiederherstellung der Bewohnbarkeit eines selbstgenutzten Wohnhauses nach Eintritt eines außergewöhnlichen Schadensereignisses nicht grundsätzlich von der Anwendung des § 33 EStG ausgeschlossen. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung des privaten Wohnens und eine damit einhergehende existenzielle Betroffenheit ist allerdings nicht schon bei jedem Schaden an dem zu eigenen Wohnzwecken genutzten Haus des Steuerpflichtigen gegeben. Eine solche existenzielle Betroffenheit liegt vielmehr nur dann vor, wenn die Nutzung des Wohnhauses zu eigenen Wohnzwecken ernsthaft in Frage gestellt ist.

Das FG hat bisher keine ausreichenden Feststellungen zum Umfang der eingetretenen oder drohenden Beeinträchtigung durch den Bergschaden getroffen, für den der Kläger in dem Schlichtungsverfahren, auf das die im Streitfall als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Kosten entfielen, Schadensersatz verlangte. Auch aus dem in der Vorentscheidung in Bezug genommenen Schreiben der X vom 9. Oktober 2009 ergibt sich nicht, ob diese Beeinträchtigungen eine derartige Intensität aufweisen, dass sie das Wohnen des Klägers im Haus ernsthaft gefährdeten.

Sollten die im zweiten Rechtsgang nachzuholenden Feststellungen eine solche das Wohnen ernsthaft gefährdende Beeinträchtigung ergeben, ist ein existenziell wichtiger Bereich i.S. der angeführten Rechtsprechungsgrundsätze berührt, sodass der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG gezwungen sein kann, sich auf eine rechtliche Auseinandersetzung einzulassen.

Dem Abzug der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen stünde dann auch nicht entgegen, dass der Kläger die Schlichtungsstelle Bergschaden NRW angerufen hat, um den Streit beizulegen. Mit der Schlichtungsstelle Bergschaden wird Bergschadensbetroffenen eine sachgerechte Hilfe in Bergschadensfällen angeboten, mit der u.U. eine gerichtliche Auseinandersetzung zur Klärung etwaiger Ersatzansprüche vermieden werden kann. Da es sich um ein anerkanntes Verfahren zur Schlichtung von Bergschäden handelt, stand es bei Vorliegen der angeführten weiteren Voraussetzungen der Zwangsläufigkeit der angefallenen Aufwendungen i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht entgegen.

Schließlich ist weitere Voraussetzung für die Abziehbarkeit der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen, dass der Kläger diese auch getragen hat. Dies ist insbesondere nicht der Fall, wenn sie ihm ersetzt wurden (vgl. auch Senatsurteil vom 20. Januar 2016 VI R 14/13). Ausweislich des in der Vorentscheidung in Bezug genommenen Vergleichs vom 15. Februar 2011 wurden die Aufwendungen für die Beauftragung von Sachverständigen in die Vergleichssumme einbezogen. Eine Berücksichtigung der von dieser Vereinbarung umfassten Gutachterkosten kommt damit nicht in Betracht.