Ausbildungsdienststelle als regelmäßige Arbeitsstätte

Ist ein Auszubildender im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses, aus dem er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, der Ausbildungsdienststelle zugewiesen und sucht er diese fortdauernd auf, um dort seine für den Ausbildungszweck zentralen Tätigkeiten zu erbringen, so ist die Ausbildungsdienststelle regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG in der bis Ende 2013 geltenden Fassung.

BFH Urteil vom 13.07.2016 – XI R 19/14 BFHNV 2017 S. 30 ff

Begründung.

Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Die Einkünfte und Bezüge des S haben den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.) in Höhe von 7.680 EUR überschritten.

Für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und sich in Ausbildung befindet, bestand im Streitzeitraum nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. ein Anspruch auf Kindergeld nur, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als –im Streitzeitraum– 7.680 EUR im Kalenderjahr hatte. Der Begriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 22. Oktober 2009 III R 101/07, BFH/NV 2010, 200; vom 27. Februar 2014 III R 60/13, BFHE 244, 421, BStBl II 2015, 27; vom 10. April 2014 III R 35/13, BFHE 245, 207, BStBl II 2014, 1011).

Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Aufwendungen, die objektiv durch die berufliche Tätigkeit veranlasst sind und die subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden.

Hierzu können auch Fahrtkosten gehören, die grundsätzlich in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen sind. Fahrtkosten sind jedoch nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. nur nach den Regeln über die Entfernungspauschale abzuziehen, soweit es sich um Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte handelt. In diesem Fall sind pro Entfernungskilometer zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte grundsätzlich 0,30 EUR anzusetzen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 9. Februar 2012 VI R 44/10, BFHE 236, 431, BStBl II 2013, 234, und vom 18. September 2012 VI R 65/11, BFH/NV 2013, 517).

Regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. ist (nur) der (ortsgebundene) Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38). Dies ist im Regelfall der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht; entsprechend kann auch eine Ausbildungsstätte im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei beruflichen Lehrgängen, Ausbildungsverhältnissen, Abordnungen oder Fortbildungsmaßnahmen den Charakter einer regelmäßigen Arbeitsstätte haben, wenn es sich um eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers handelt und der Arbeitnehmer diese dauerhaft, d.h. über einen längeren Zeitraum, aufsucht (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 244, 421, BStBl II 2015, 27, Rz 12; in BFHE 245, 207, BStBl II 2014, 1011, Rz 12).

Nach diesen Maßgaben ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass das FA im betreffenden Zeitraum die regelmäßige Arbeitsstätte des S bildete und dass für die Fahrten des S zwischen Wohnung und dem FA die Entfernungspauschale anzusetzen ist.

Das FA ist eine Einrichtung des Dienstherrn, der S für die gesamte Dauer seiner Ausbildung vom 1. Oktober 2008 bis 30. September 2011 zugewiesen war und in der er fortdauernd und immer wieder seine durch den Ausbildungscharakter geprägte berufliche Leistung zu erbringen hatte; seine Ausbildung fand in einem herkömmlichen Ausbildungsverhältnis statt, in dessen Rahmen er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte. Anders als die Klägerin meint, kann ein Ausbildungsdienstverhältnis nicht allein deshalb als nicht dauerhaft angesehen werden, weil es üblicherweise auf zwei bis vier Jahre –im Streitfall auf drei Jahre– befristet ist (s. zu befristeten Arbeitsverhältnissen allgemein auch BFH-Urteil vom 6. November 2014 VI R 21/14, BFHE 247, 427, BStBl II 2015, 338; BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2015 VI R 6/15, BFH/NV 2016, 399). Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des III. Senats des BFH (vgl. Urteile in BFHE 244, 421, BStBl II 2015, 27, Rz 14; in BFHE 245, 207, BStBl II 2014, 1011, Rz 14) aus den dort genannten Gründen an.

Die Ausbildung im FA bildete auch den Kern des gesamten Ausbildungsdienstverhältnisses, weshalb sich das FA als der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des S darstellte.

Das FG hat hierzu ausgeführt, dass S zwar im FA und in der FH tätig gewesen sei, der Schwerpunkt seiner Tätigkeit jedoch bei der Ausbildung im FA gelegen habe. Dies zeige sich bereits darin, dass er für die gesamte Dauer seiner Ausbildung dem FA zugewiesen gewesen sei, wogegen die theoretischen Abschnitte –im Wege der Abordnung– die Arbeit im FA unterbrochen hätten. Die Auffassung der Klägerin, S habe den Mittelpunkt seiner Tätigkeit in der häuslichen Umgebung gehabt, vermöge nicht zu überzeugen. Zwar sei das Selbststudium Bestandteil der Ausbildung, aber schon zeitlich betrachtet untergeordnet. Die Klägerin verkenne die tatsächliche Bedeutung der Arbeit des S im FA. Die Tätigkeit dort diene keinesfalls nur dazu, die Organisation und büromäßige Erledigungen kennen zu lernen; vielmehr würden auch dort theoretische Kenntnisse vermittelt und insbesondere auch praktisch angewandt und vertieft.

Diese tatsächliche Würdigung des FG ist möglich, verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Sie ist deshalb für den BFH als Revisionsgericht bindend i.S. von § 118 Abs. 2 FGO, auch wenn sie nicht zwingend, sondern lediglich möglich ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Oktober 2015 XI R 17/14, BFH/NV 2016, 190, Rz 23). Mit ihrem Vorbringen, die Ausbildung des S im FA stelle nicht den Kern des Ausbildungsdienstverhältnisses dar, setzt die Klägerin lediglich ihre eigene Würdigung an die Stelle der –wie dargelegt– vertretbaren Würdigung des FG.

Schließlich waren für die Kalendertage, die S im FA tätig war, keine Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen nach § 9 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG a.F. anzusetzen, da S dort –wie ausgeführt– seine regelmäßige Arbeitsstätte innehatte.

Nach der im Streitzeitraum geltenden Rechtslage konnten Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten nur Steuerpflichtige geltend machen, die vorübergehend von ihrer Wohnung und dem Mittelpunkt ihrer dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt beruflich tätig wurden (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG a.F. – Dienstreise) oder die bei ihrer individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten tätig wurden (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG a.F. – Einsatzwechseltätigkeit; vgl. hierzu BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 200, unter II.2.). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall, da es sich beim FA um die regelmäßige Arbeitsstätte des S handelte, nicht erfüllt.