Verzinsung bei beantragter Aussetzung der Vollziehung

Die für eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erforderliche Überzeugung des Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen (§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) liegt für den Verzinsungszeitraum 11. November 2004 bis 21. März 2011 nicht vor.

BFH Urteil vom 1.7.2014, IX R 31/13

Begründung (BFH):

Der IX. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hält den gesetzlichen Zinssatz von 0,5 % pro Monat (6 % pro Jahr) für Zeiträume bis März 2011 nicht für verfassungswidrig (Urteil vom 1. Juli 2014 IX R 31/13). Er hat deshalb davon abgesehen, dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Regelung gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zur konkreten Normenkontrolle vorzulegen.

Die Kläger hatten im Jahre 2004 erwirkt, dass ihr Einkommensteuerbescheid für 2002 teilweise von der Vollziehung ausgesetzt wurde. Streitig war, ob der Gewinn aus der Veräußerung einer Eigentumswohnung teilweise steuerfrei war. Nachdem das BVerfG am 7. Juli 2010 (Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76) entschieden hatte, die Verlängerung der sog. Spekulationsfrist von zwei auf zehn Jahre sei teilweise verfassungswidrig und nichtig, behandelte das Finanzamt (FA) nur noch einen Teil des Veräußerungsgewinns als steuerpflichtig und setzte die Einkommensteuer entsprechend niedriger fest. Die Aussetzung der Vollziehung (AdV) wurde aufgehoben. Für den Zeitraum der AdV vom 11. November 2004 bis zum 21. März 2011 (76 Monate) setzte das FA entsprechend der gesetzlichen Regelung Zinsen in Höhe von 6.023 € fest. Die Kläger hielten dies für verfassungswidrig, hatten mit ihrer Auffassung aber vor dem Finanzgericht keinen Erfolg.

Der BFH hat die Voraussetzungen für eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG hinsichtlich der gesetzlich festgelegten Zinshöhe (0,5 % pro Monat) verneint. Er war nicht davon überzeugt, dass der Gesetzgeber im Zeitraum bis zum März 2011 von Verfassungs wegen (schon) dazu verpflichtet gewesen sei, die Höhe des gesetzlichen Zinses an das niedrige Marktzinsniveau für Geldanlagen anzupassen. Zum einen sei der gesetzliche Zinssatz nicht nur mit den am Markt erzielbaren Anlagezinsen zu vergleichen (Verwendung von Kapital), sondern auch mit den für die Inanspruchnahme von Darlehen zu zahlenden Zinsen (Finanzierung von Steuernachzahlungen). Zum andern hätte sich erst nach dem Zeitraum, der im Streitfall zur Beurteilung stand, die Zinsen dauerhaft auf niedrigem Niveau stabilisiert. Deshalb bedurfte es noch keiner Entscheidung des BFH, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Folgezeit so einschneidend geändert haben, dass die Grundlage der gesetzgeberischen Entscheidung durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt worden sind.

Aufhebung der Vollziehung eines dinglichen Arrests ohne Sicherheitsleistung

Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Anordnung des dinglichen Arrests i.S. des § 324 Abs. 1 AO, kann das Gericht die Vollziehung im Einzelfall, insbesondere wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist, auch ohne Sicherheitsleistung aufheben.

BFH  Beschluss vom 6.2.2013, XI B 125/12

Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 6. Februar 2013 XI B 125/12 entschieden, dass das Gericht eine Anordnung des dinglichen Arrestes des Finanzamtes im Einzelfall auch ohne Sicherheitsleistung aufheben kann, wenn an der Rechtmäßigkeit ernstliche Zweifel bestehen.

Die für die Steuerfestsetzung zuständige Finanzbehörde kann zur Sicherung der Vollstreckung von Geldforderungen den Arrest in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen anordnen, wenn zu befürchten ist, dass sonst die Beitreibung vereitelt oder wesentlich erschwert wird (§ 324 Abs. 1 AO). Dadurch soll verhindert werden, dass der Steuerpflichtige einen bestehenden Zustand verändert, und die zukünftige Zwangsvollstreckung eines noch zu erlassenden Steuerbescheides gefährdet wird. Durch die Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe der Arrestanordnung kann die Vollziehung des Arrestes gehemmt und die Aufhebung bereits durchgeführter Vollziehungsmaßnahmen erreicht werden.

Nach der Rechtsprechung war bisher ungeklärt, ob die Aussetzung der Vollziehung der Anordnung auch ohne Sicherheitsleistung gewährt werden könne. Die Vorinstanz hatte den entsprechenden Antrag des Klägers als unzulässig abgewiesen, weil eine Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung wegen der Dringlichkeit der Maßnahme nicht in Betracht komme.

Dem ist der BFH als Beschwerdegericht nicht gefolgt. Der Antrag auf Aussetzung ohne Sicherheitsleistung sei zulässig. Wenn es das Sicherungsinteresse des Steuergläubigers nach dem Willen des Gesetzgebers zulasse, dass die Vollziehung eines Steuerbescheides ggf. auch ohne Sicherungsleistung ausgesetzt bzw. aufgehoben wird, so müsse dies erst recht gelten, wenn der Steueranspruch noch nicht in Steuerbescheiden festgesetzt worden ist und es somit nur um die Sicherung einer künftigen Forderung gehe.

Der BFH gab dem Antragsteller darüber hinaus auch in der Sache Recht und hob die Vollziehung der Arrestanordnung ohne Sicherheitsleistung auf. Denn in dem konkreten Fall – es ging um die beabsichtigte Inhaftungsnahme eines OHG-Gesellschafters für USt-Schulden der OHG – genügten die in der Arrestanordnung angegeben Tatsachen bei summarischer Prüfung nicht, um den vom Finanzamt geltend gemachten Arrestgrund zu belegen, noch seien solche Tatsachen sonst ersichtlich.

 

Antrag auf Prüfungsaufschub

Es ist geklärt, dass derjenige, der durch Anfechtung und Aussetzung der Vollziehung der Prüfungsanordnung oder der Festlegung des Prüfungsbeginns bewirkt, dass die Prüfung nicht zu dem vorgesehenen Zeitpunkt beginnt, demjenigen gleichzustellen ist, der die Verschiebung der Prüfung beantragt.

Es ist ferner geklärt, dass der Aussetzungsantrag das Begehren einschließt, den Beginn der Außenprüfung hinauszuschieben, bis über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts entschieden ist.

Anträge auf Prüfungsaufschub können formlos gestellt werden.

Es ist geklärt, dass die Finanzbehörde angemessene Zeit nach dem Wegfall der Verschiebungsgründe tätig werden und Prüfungsmaßnahmen ergreifen muss, um zu vermeiden, dass die durch den Verschiebungsantrag ausgelöste Ablaufhemmung rückwirkend entfällt.

BFH Beschluss vom 11.05.2011 VIII B 70/10

Begründung:

Nach der Rechtsprechung des BFH ist derjenige, der durch Anfechtung und AdV der Prüfungsanordnung oder der Festlegung des Prüfungsbeginns bewirkt, dass die Prüfung nicht zu dem vorgesehenen Zeitpunkt beginnt, demjenigen gleichzustellen, der die Verschiebung der Prüfung beantragt; zudem schließt der Aussetzungsantrag das Begehren ein, den Beginn der Außenprüfung hinauszuschieben, bis über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte entschieden ist. Im Streitfall hat der Kläger nicht nur Anträge auf AdV der Prüfungsanordnung gestellt, sondern zudem einen weiteren formlosen Antrag auf Prüfungsaufschub. Dass derartige Anträge formlos gestellt werden können, ist in Rechtsprechung und Schrifttum geklärt. Weshalb das Begehren des Klägers, dem als Rechtsanwalt die Konsequenzen der von ihm gestellten Anträge bewusst sein müssen.

 Zwar ist bislang nicht konkret entschieden, welcher Zeitraum der Finanzverwaltung insoweit zur Verfügung steht. Der BFH hat aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in Fällen, in denen der Beginn einer Außenprüfung  auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wird, die Finanzbehörde zunächst aus von ihr nicht zu vertretenden Gründen an der abschließenden Klärung des Steuerfalles gehindert sei, und dass der spätere Beginn einer Außenprüfung regelmäßig weiteren organisatorischen Aufwand der Behörde verlange, was es rechtfertige, der Finanzbehörde ausreichend Zeit für den späteren Beginn einer Außenprüfung einzuräumen. Es liegt daher nahe, dass die "Angemessenheit" danach eine Frage der Umstände des Einzelfalls ist, wobei der BFH in diesem Zusammenhang sogar eine Frist von zwei Jahren nennt.

 

Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines diesem zugrunde liegenden Gesetzes (hier: ErbStG)

Ein mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift begründeter Antrag auf AdV ist abzulehnen, wenn nach den Umständen des Einzelfalles dem Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt, ohne dass es einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit bedarf.

BFH Beschluss vom 1. April 2010 II B 168/09

Erläuterungen:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte zu entscheiden, ob die Vollziehung eines Steuerbescheids, durch den das Finanzamt Schenkungsteuer für die nach Inkrafttreten der Änderungen des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) durch das Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008 ausgeführte Schenkung eines Geldbetrags festgesetzt hat, wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Neuregelung auszusetzen ist.

Der BFH lehnte die Aussetzung der Vollziehung (AdV) ebenso wie bereits in erster Instanz das Finanzgericht München ab.

Zur Begründung führte der BFH aus, eine auf ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift gestützte AdV setze jedenfalls unter den besonderen Umständen des Streitfalls ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes voraus. Bei der Prüfung, ob ein solches Aussetzungsinteresse bestehe, sei dieses mit den gegen die Gewährung von AdV sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Im Streitfall komme dem öffentlichen Interesse am Vollzug des ErbStG der Vorrang zu, weil die vom Steuerpflichtigen angeführten verfassungsrechtlichen Bedenken im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung des ganzen Gesetzes führen würden und die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen seien. Da sich die festgesetzte Steuer auf lediglich knapp 20 % des dem Steuerpflichtigen zugewendeten Geldbetrags belaufe, sei ihm die (vorläufige) Entrichtung der Steuer ohne weiteres zumutbar. Auf die Frage, ob das ErbStG in der gegenwärtig geltenden Fassung verfassungsgemäß ist, brauchte der BFH danach nicht einzugehen.

Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft







Wandelt sich das von einer Kapitalgesellschaft betriebene und wegen Insolvenzeröffnung zunächst unterbrochene Klageverfahren betreffend Körperschaftsteuer durch Aufnahme des Rechtsstreits durch das Finanzamt in ein Insolvenz-Feststellungsverfahren und einigen sich die Beteiligten jenes Verfahrens über eine Verminderung der ursprünglich angesetzten verdeckten Gewinnausschüttung mit der Folge, dass das Finanzamt seine Anmeldungen zur Insolvenztabelle entsprechend vermindert und der Rechtsstreit in der Körperschaftsteuersache in der Hauptsache für erledigt erklärt wird, so ist bei summarischer Betrachtung in sinngemäßer Anwendung des § 32a Abs. 1 KStG die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides des Gesellschafters dementsprechend auszusetzen.

 BFH Beschluss vom 20. März 2009 VIII B 170/08

 

Untätigkeitsklage, Aussetzung des Verfahrens

Auch eine nach Ablauf der Regel-Sperrfrist von sechs Monaten erhobene Untätigkeitsklage ist nicht ohne weiteres zulässig; sie kann jedoch in die Zulässigkeit hineinwachsen.

Bei einer verfrüht erhobenen Untätigkeitsklage hat das Finanzgericht eine befristete Aussetzung des Klageverfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen. Angesichts der in § 46 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO aufgeführten unbestimmten Rechtsbegriffe wird eine Aussetzung regelmäßig geboten sein.

Weist das Finanzgericht die Untätigkeitsklage gleichwohl als unzulässig ab, so hat es in der Urteilsbegründung seine leitenden Ermessenserwägungen hinsichtlich der versagten Aussetzung des Klageverfahrens offen zu legen. Geschieht dies nicht, kann ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegen.

BUNDESFINANZHOF Beschluß vom 7.3.2006, VI B 78/04

Nach § 46 Abs. 1 FGO ist eine Klage –abweichend von § 44 FGO– ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden worden ist. Die Klage kann grundsätzlich nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FGO). Nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO kann das Verfahren bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist, die verlängert werden kann, ausgesetzt werden.

Nach der gesetzlichen Intention steht dem FA regelmäßig eine Bearbeitungszeit für den Einspruch von sechs Monaten zu. Indessen verliert die Tatbestandsvoraussetzung “in angemessener Zeit” durch diese (Regel-)Sperrfrist auch nach Ablauf von sechs Monaten nicht ihre Bedeutung.
Das FG ist deshalb im Grundsatz zu Recht davon ausgegangen, dass eine sog. Untätigkeitsklage auch nach Ablauf von sechs Monaten nicht zwangsläufig zulässig ist. Vielmehr ist nach den gesamten Umständen des Falles zu beurteilen, ob eine Bearbeitungszeit, die über sechs Monate hinausreicht, noch “angemessen” ist. Dabei sind auf der einen Seite der Umfang und die rechtlichen Schwierigkeiten des Falles und auf der anderen Seite das Interesse des Rechtsbehelfsführers an baldiger Entscheidung gegeneinander abzuwägen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) handelt es sich bei den in § 46 Abs. 1 FGO angeführten Tatbestandsvoraussetzungen nicht um Zugangsvoraussetzungen mit der Folge, dass bei ihrem Nichtvorliegen von einer unheilbar unzulässigen Klage auszugehen ist; vielmehr handelt es sich hierbei um Sachentscheidungsvoraussetzungen, die erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erfüllt sein müssen. Demzufolge hat der BFH in ständiger Rechtsprechung angenommen, auch eine Untätigkeitsklage könne in die Zulässigkeit hineinwachsen. Nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO kann das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aussetzen. Diese Aussetzung kommt nicht nur bei einer zulässigen Untätigkeitsklage, die die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 FGO erfüllt, sondern auch bei einer unzulässigen (verfrüht erhobenen) Untätigkeitsklage in Betracht. Denn auch diese kann während der Aussetzung in die Zulässigkeit hineinwachsen.

Weist das FG gleichwohl eine –verfrüht erhobene– Untätigkeitsklage als unzulässig ab, so hat es in der Urteilsbegründung seine leitenden Ermessenserwägungen nach Maßgabe der vorgenannten Ausführungen offen zu legen. Das Rechtsmittelgericht muss erkennen können, warum das FG von der Möglichkeit, das Verfahren befristet auszusetzen, keinen Gebrauch gemacht hat.