Aufwendungen für zivilgerichtliche Auseinandersetzungen wegen Streitigkeiten über die Beendigung von Mietverhältnissen

Hat ein Arbeitnehmer eine Wohnung seines Arbeitgebers angemietet, und hat der Arbeitgeber die Wohnung an einen Dritten veräußert, obwohl er dem Arbeitnehmer ein Vorkaufsrecht eingeräumt hatte, sind die Aufwendungen des Arbeitnehmers für zivilgerichtliche Auseinandersetzungen über das Bestehen des Vorkaufsrechts an der Mietwohnung und die Beendigung des Mietverhältnisses im Anschluss an die Veräußerung der Wohnung einschließlich daraus folgender Schadensersatzansprüche nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

Auch Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Prozessvertretung einer nach der StPO zulässigen Nebenklage sind keine außergewöhnliche Belastungen.

BFH Urteil vom 14.04.2016 – VI R 5/13 (NV) BFH/NV 2016, 1015

Begründung:

Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Denn auch die weiteren mit der Revision geltend gemachten Aufwendungen, die die Klägerin für das Berufungsverfahren und die Nebenklage geleistet hat, sind nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind.

Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit. Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war. Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen.

Dagegen nahm der Senat in seiner Entscheidung die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Diese Auffassung hat das FG dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt. Der Senat hält an seiner ertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des BFH zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück

Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Rechtsanwalts- und Gerichtskosten als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.

Im Streitfall lag die wesentliche Ursache, die zu der zivilrechtlichen Auseinandersetzung mit Y führte, in Streitigkeiten über das Bestehen eines Vorkaufsrechts an der Mietwohnung der Klägerin und über die Beendigung ihres Mietverhältnisses im Anschluss an die Veräußerung der Wohnung einschließlich –nach Auffassung der Klägerin– daraus folgender Schadensersatzansprüche. Derartige Auseinandersetzungen sind im Rahmen von Mietverhältnissen –unabhängig von der Art der Wohnungskündigung– indes keineswegs unüblich und insbesondere nicht mit ungewöhnlichen Schadensereignissen vergleichbar. Ebenso wie die gleichfalls nicht unüblichen Baumängel, die nach der ständigen Rechtsprechung des BFH grundsätzlich nicht die Ermäßigung der Einkommensteuer nach § 33 EStG erlauben, können Aufwendungen für zivilgerichtliche Auseinandersetzungen, die ihren Auslöser in Streitigkeiten über die Beendigung von Mietverhältnissen haben, nicht als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden

Im Streitfall liegen außergewöhnliche Umstände, die es geböten, abweichend von diesem Grundsatz zu entscheiden, entgegen der Ansicht der Klägerin nicht vor. Der von ihr geführte Schadensersatzprozess berührte insbesondere weder existenziell wichtige Bereiche noch den Kernbereich menschlichen Lebens.

Zum existenziell notwendigen Bereich kann zwar grundsätzlich das Wohnen gehören. Zu den existenziellen Wohnbedürfnissen gehört es aber schon nicht, eine bisher mietweise genutzte Wohnung auch erwerben zu können. Ein Steuerpflichtiger läuft nicht aufgrund des Umstands, dass er die bisher von ihm mietweise genutzte Wohnung nicht hat kaufen können, Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren. Auch der Umstand, dass ein Steuerpflichtiger seine Wohnung räumen und herausgeben muss, führt regelmäßig nicht dazu, dass der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Vorliegend ging es zudem (nur) noch um die (angeblichen) Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen Y infolge des Verkaufs der ursprünglich von ihr gemieteten Wohnung an einen Dritten, der sodann von diesem erfolgten Eigenbedarfskündigung und der Räumung der Wohnung.

Dementsprechend sind weder die vom FG anerkannten anteiligen Kosten des Berufungsverfahrens in Höhe von 13.824 EUR noch die von der Klägerin im Revisionsverfahren darüber hinaus weiterhin begehrten übrigen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 6.000 EUR als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigungsfähig.

Auch die Aufwendungen für die Prozessvertretung ihrer Nebenklage in Höhe von 740 EUR sind der Klägerin –wie insoweit vom FG zu Recht entschieden– nicht zwangsläufig entstanden. Statt der bloßen Zeugenrolle als “Objekt” des Strafverfahrens sollen Verletzte schwerwiegender Straftaten durch eine Nebenklage die Möglichkeit erhalten, sich umfassend am Verfahren zu beteiligen und durch Erklärungen, Fragen, Anträge und gegebenenfalls Rechtsmittel aktiv auf dessen Ergebnis einzuwirken.

Da die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes die staatlichen Organe nicht nur zur Aufklärung von Straftaten und zur Feststellung von Schuld oder Unschuld der Beschuldigten in fairen und rechtsstaatlichen Verfahren verpflichtet, sondern auch, sich schützend vor die Opfer von Straftaten zu stellen und deren Belange zu achten, erwartet die Allgemeinheit jedoch von einem Steuerpflichtigen nicht, dass er in den Fällen, in denen nach den Vorschriften der Strafprozessordnung eine Nebenklage zulässig ist (vgl. § 395 StPO), auch von seinem diesbezüglichen Recht tatsächlich Gebrauch macht.