Keine Tarifbegünstigung bei Teilzahlung

Erfolgt die Auszahlung einer Gesamtabfindung in mehreren Veranlagungszeiträumen in etwa drei gleich großen Teilbeträgen, kommt eine Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 1 EStG nicht in Betracht. Dies gilt unabhängig davon, dass die Ratenzahlung durch die Insolvenz der Arbeitgeberin verursacht ist.

BFH Urtei vom 14.04.2015 – IX R 29/14

Sachverhalt:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bei der A-OHG nichtselbständig beschäftigt. Mit Aufhebungsvertrag vom 22. August 2006 wurde das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2006 wegen dringender betrieblicher Gründe aufgelöst und eine Ende Januar 2007 fällige Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes in Höhe von 158.500 EUR vereinbart. Nachdem vor Auszahlung der Abfindung über das Vermögen der A-OHG im Januar 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, meldete der Kläger diese Forderung neben weiteren Ansprüchen gegenüber seiner früheren Arbeitgeberin zur Tabelle an. Die Abfindungsforderung wurde vom Insolvenzverwalter in vollem Umfang anerkannt. Am 15. April 2009 erhielt der Kläger einen Teilbetrag von 55.474 EUR (34.272,80 EUR netto). Ein weiterer Teilbetrag von 50.264,24 EUR wurde in 2011 ausbezahlt.

Begründung:

Zu Recht hat das FG entschieden, dass die dem Kläger im Streitjahr zugeflossene Teilabfindung nicht nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG ermäßigt zu besteuern ist. Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach § 34 Abs. 1 EStG die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen in Betracht, die gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden.

Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG werden in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur bejaht, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Keine Zusammenballung in diesem Sinne liegt typischerweise vor, wenn eine Entschädigung in zwei oder mehreren Veranlagungszeiträumen gezahlt wird, auch wenn die Zahlungen jeweils mit anderen laufenden Einkünften zusammentreffen und sich ein Progressionsnachteil ergibt.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hält der BFH in solchen Fällen für geboten, in denen –neben der Hauptentschädigungsleistung– in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden. Soziale Fürsorge ist dabei allgemein im Sinne der Fürsorge des Arbeitgebers für seinen früheren Arbeitnehmer zu verstehen. Ob der Arbeitgeber zu der Fürsorge arbeitsrechtlich verpflichtet ist, ist unerheblich. Derartige ergänzende Zusatzleistungen, die Teil der einheitlichen Entschädigung sind, sind unschädlich für die Beurteilung der Hauptleistung als einer zusammengeballten Entschädigung. Diese Auslegung leitet der BFH aus einer zweckentsprechenden Auslegung des § 34 EStG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ab.

Der Zufluss in einem Veranlagungszeitraum ist nach dem Wortlaut von § 34 EStG kein gesetzliches Tatbestandsmerkmal. Nach seinem Zweck ist § 34 Abs. 1 EStG trotz Zuflusses in zwei Veranlagungszeiträumen auch dann anwendbar, wenn der Steuerpflichtige nur eine geringfügige Teilleistung erhalten hat und die ganz überwiegende Hauptentschädigungsleistung in einem Betrag ausgezahlt wird. Wollte man in derartigen Fällen an einem ausnahmslosen Erfordernis eines zusammengeballten Zuflusses der außerordentlichen Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum festhalten, so würden über den Gesetzeswortlaut des § 34 Abs. 1 EStG hinaus die Voraussetzungen der Tarifermäßigung ohne sachlichen Grund verschärft und die ratio legis verfehlt.

Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall von einer einheitlichen, nicht gemäß § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuernden Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes des Klägers auszugehen. Zweck der Tarifbegünstigung des § 34 EStG ist es, eine für den Steuerpflichtigen außergewöhnliche Progressionsbelastung auszugleichen. Schon an einer solchen fehlt es im Streitfall. Es geht hier nicht darum, veranlagungszeitraumübergreifend eine gleichmäßige progressive Steuerbelastung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu verwirklichen.

Die Tarifbegünstigung des § 34 EStG knüpft an die Progressionsbelastung durch zugeflossene Einnahmen an, nicht etwa an einen geplanten oder vereinbarten Zufluss. Bei einem Zufluss in mehreren Veranlagungszeiträumen entgegen einer eindeutigen Vereinbarung kommt im Rahmen von § 163 AO eine Rückbeziehung der späteren Teilleistung in den Veranlagungszeitraum in Betracht, in dem die –grundsätzlich begünstigte– Hauptentschädigungsleistung zugeflossen ist (so das BMF, a.a.O.). Typischer Fall hierfür ist die Korrektur einer versehentlich zu niedrigen Auszahlung durch Nachzahlung in einem späteren Veranlagungszeitraum. Demgegenüber fehlt es im Streitfall schon an der Hauptleistung, da zwei (ggf. drei) in etwa gleich hohe Teilzahlungen vorliegen.

 

Die Insolvenz der Arbeitgeberin ist zwar ursächlich dafür, dass der Kläger seine Abfindung nicht in einem Betrag erhalten hat. Dies hat aber gleichzeitig dazu geführt, dass es einer Progressionsentlastung nicht bedarf. Dass der Insolvenzverwalter, sobald es ihm möglich war, sozial motiviert, die erste Teilzahlung geleistet hat, macht den Streitfall nicht den Fallgestaltungen von aus sozialer Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit gewährter Entschädigungszusatzleistungen vergleichbar. Denn es geht im Streitfall nicht um ergänzende Zusatzleistungen zur Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern um eine –wenn auch sozial motivierte– Aufteilung dieser Entschädigung.