Zur doppelten Haushaltsführung berufstätiger Ehegatten, die gemeinsam am beiderseitigen Beschäftigungsort wohnen

Bei einem verheirateten Arbeitnehmer liegt der Lebensmittelpunkt grundsätzlich an dem Ort, an dem auch der Ehepartner wohnt. Allein das Zusammenleben berufstätiger Ehegatten am Beschäftigungsort führt für sich genommen noch nicht zu einer Verlagerung des Lebensmittelpunkts.

FG Münster

Begründung:

Der Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 18.1.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8.9.2011 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung, FGO), soweit der Beklagte den Werbungskostenabzug für Kontoführungsgebühren, die Unterkunftspauschale, die anteilige Festplatte, den Schlüsseldienst und die (anteiligen) Bewerbungskosten nicht anerkannt hat. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig.

Der Beklagte hat die geltend gemachten Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung in P  zu Recht nicht als Werbungskosten anerkannt. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr 2009 gültigen Fassung (EStG) liegt eine doppelte Haushaltsführung nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.

Die Wohnung in P  stellte für beide Kläger im Streitjahr 2009 eine Wohnung am Beschäftigungsort dar. Entgegen der ursprünglich vom Beklagten vertretenen Auffassung gilt dies auch für die Klägerin, obwohl sie zu ihrer Arbeitsstätte in K   eine Entfernung von 49 km zurückzulegen hatte, was eine Fahrzeit von ca. 40 Minuten in Anspruch nahm. Maßgeblich für das Vorliegen einer Wohnung am Beschäftigungsort ist ungeachtet der Gemeinde- und Landesgrenzen, dass der Arbeitnehmer täglich seine Arbeitsstätte erreichen kann. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dies im Urteil vom 19.4.2012 (VI R 59/11, BStBl II 2012, 833) sogar für eine Entfernung von 141 km und eine Zugfahrt von einer Stunde angenommen. Entfernung und Fahrzeit der Klägerin liegen im Streitfall deutlich darunter.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung geht das Gericht auch davon aus, dass die Kläger einen eigenen Hausstand in der Dachgeschosswohnung in T   unterhalten haben. Aus dem Protokoll der Ortsbesichtigung vom 15.12.2010 durch Mitarbeiter des Beklagten geht hervor, dass sich zu diesem Zeitpunkt bereits „renovierte Räume“ und eine „abgebaute Küche“ im Dachgeschoss befunden hätten. Dies lässt nur den Schluss zu, dass zuvor bereits mehrere Räume vorhanden gewesen sein müssen und nicht nur ein einziger Raum. Dies entspricht auch dem von den Klägern eingereichten Schreiben des Planungsbüros M , das das Vorhandensein einer kompletten Wohnung bereits im Jahr 2007 bestätigt. Diese Wohnung war angesichts ihrer Größe und Ausstattung für eine eigene Haushaltsführung der Kläger geeignet. Die Zahlung von Miete oder die Übernahme (anteiliger) Hauskosten ist hierfür nicht erforderlich. Nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist auch davon auszugehen, dass mit dem Aufbau von Dachgauben erst im Jahr 2010 begonnen wurde, so dass die Wohnung während des gesamten Streitjahres 2009 noch bewohnbar war.

Die Kläger hatten jedoch ihren Lebensmittelpunkt spätestens ab dem Einzug in die Eigentumswohnung in P nicht mehr in T. Ob eine außerhalb des Beschäftigungsortes liegende Wohnung als Mittelpunkt der Lebensinteressen anzusehen ist, erfordert eine Abwägung und Bewertung aller Umstände des Einzelfalls. Indizien können sich aus einem Vergleich von Größe und Ausstattung der Wohnungen sowie aus Dauer und Häufigkeit der Aufenthalte in den Wohnungen ergeben. Bei einem verheirateten Arbeitnehmer liegt der Lebensmittelpunkt grundsätzlich an dem Ort, an dem auch der Ehepartner wohnt. Allein das Zusammenleben berufstätiger Ehegatten am Beschäftigungsort führt für sich genommen noch nicht zu einer Verlagerung des Lebensmittelpunkts (BFH-Beschluss vom 9.7.2008 VI B 4/08, BFH/NV 2008, 2000).

In der Regel verlagert sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen aber an den Beschäftigungsort, wenn der Arbeitnehmer dort mit seinem Ehepartner in eine familiengerechte Wohnung einzieht, auch wenn die frühere Familienwohnung zeitweise noch genutzt wird.

In diesen Fällen ist die Verlagerung des Lebensmittelpunkts an den Beschäftigungsort naheliegend (BFH-Beschlüsse vom 5.10.2011 VI B 58/11, BFH/NV 2012, 233 und vom 1.2.2012 VI B 88/11, BFH/NV 2012, 945). Wenn beide Ehegatten während der Woche gemeinsam in einer Wohnung zusammenleben und an den Wochenenden und im Urlaub eine andere Wohnung nutzen, ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in der Wohnung ist, von der aus beide regelmäßig ihre Arbeitsstätte aufsuchen. Insoweit ist der Grundsatz, nach dem ein alleinstehender Arbeitnehmer im Allgemeinen seinen Lebensmittelpunkt an dem Ort hat, von dem aus er seine Arbeitsstätte aufsucht, auf Ehegatten übertragbar (BFH-Beschluss vom 4.5.2011 VI B 152/10 BFH/NV 2011, 1347).

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung stellt im Streitfall der Umstand, dass beide Kläger in P  eine Wohnung erworben und bezogen haben, von der aus sie regelmäßig ihre Arbeitsstätten aufgesucht haben, ein gewichtiges Indiz gegen die Beibehaltung des Lebensmittelpunkts in T  dar. Dies gilt selbst dann, wenn sich die Kläger tatsächlich – wie vorgetragen – an jedem Wochenende und im Urlaub in T   aufgehalten haben. Auch der Verwurzelung der Kläger in T   und den dort weiterhin unterhaltenen sozialen Kontakten (z.B. Freunde, Familie, Ärzte) kommt gegenüber der gemeinsam am beiderseitigen Beschäftigungsort genutzten Wohnung nicht das entscheidende Gewicht zu. Dies folgt daraus, dass Beziehungen von Eheleuten untereinander erheblich höher zu gewichten sind als Beziehungen zu anderen Personen oder Orten. Dort, wo Eheleute hauptsächlich ihre Ehe leben, ist grundsätzlich auch ihr Haupthausstand (FG München, Urteil vom 31.3.2011 5 K 2018/10, Juris, nachgehend BFH-Beschluss vom 1.2.2012 VI B 88/11, BFH/NV 2012, 945).

Die Wohnung in P  ist auch als familiengerecht anzusehen, da sie drei Zimmer, eine Küche und ein Bad umfasste und eine Größe von fast 82 m2 aufwies. Das Gericht geht auch davon aus, dass die Klägerin zwischen dem 1.4.2009 und dem 30.11.2009 nahezu arbeitstäglich von dort aus ihre Arbeitsstätte aufgesucht hat. Dies ist angesichts der kürzeren Entfernung zwischen K  und P  (49 km) im Vergleich zur Entfernung zwischen K   und T   (96 km) nicht nur lebensnah, sondern entspricht auch den Angaben zu den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte der Klägerin in der im August 2010 erstellten Einkommensteuererklärung. Dort ist angegeben, dass sie an 22 Arbeitstagen eine Entfernung von 96 km und an 153 Arbeitstagen eine Entfernung von 49 km zurückgelegt habe. Dies entspricht einer Anfahrt von T   aus im Monat März (vor Einzug in die Eigentumswohnung) und im Übrigen von P   aus. Wäre die Klägerin häufig an Wochentagen von der Arbeit aus nach T   gefahren, hätte es nahe gelegen, für diese Fahrten in der Steuererklärung eine höhere Anzahl von Arbeitstagen anzugeben. Darüber hinaus haben die Kläger auch in der Klagebegründung (Seite 2 des Schreibens des Prozessvertreters vom 24.1.2012, Bl. 31 der Gerichtsakte) ausdrücklich vorgetragen, dass die Klägerin die Wohnung in P   vom 1.4. bis zum 30.11.2009 von montags bis freitags genutzt habe. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin in nennenswertem Umfang häufigere Fahrten unter der Woche nach T  unternommen hat. Nachweise für diese Behauptung haben die Kläger nicht erbracht.

Auch der Vergleich der Größe und der Ausstattung der beiden Wohnungen spricht für eine Verlagerung des Lebensmittelpunkts nach T  . Die Wohnung in P   verfügt über eine um mindestens 20 m2 größere Wohnfläche als die Wohnung in T   sowie über einen Balkon.

Die Begleitumstände des Wohnungserwerbs lassen ebenfalls auf eine Verlagerung des Lebensmittelpunkts schließen. Der Ankauf erfolgte etwa zeitgleich mit dem Arbeitsantritt der Klägerin in K  , die zuvor in der Nähe von T   beschäftigt gewesen war. Die Kläger haben damit eine Wohnung erworben, von der aus nunmehr beide ihre Arbeitsstätten mit angemessenem Aufwand erreichen konnten. Der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Arbeitsantritt der Klägerin (1.3.2009) und dem Abschluss des Kaufvertrages (20.3.2009) spricht dafür, dass gezielt eine Wohnung gesucht und auch tatsächlich bezogen wurde, die den Anforderungen beider Kläger genügte.

Auch der Umstand, dass die Wohnung umfassend nach eigenen Vorstellungen renoviert wurde (z.B. Entfernung einer halben Wand, neue Bodenbeläge), spricht dafür, dass man sich dort einen gemeinsamen Haupthausstand einrichten wollte. In die Anschaffung und in die Renovierung dieser Wohnung wurde viel Zeit und Eigenkapital investiert, während die bereits seit 2007 bestehenden Pläne für den Umbau der Dachgeschosswohnung in T  zunächst nicht umgesetzt wurden. Dies ist zwar dadurch erklärbar, dass das Haus in T  nicht im Eigentum der Kläger, sondern im Eigentum der Eltern der Klägerin stand und das Scheitern der ursprünglichen Planung an deren fehlenden finanziellen Mitteln gescheitert war. Gerade dieses Scheitern der ursprünglichen Pläne spricht aber indiziell dafür, dass die Kläger sich einen anderen Lebensmittelpunkt suchen wollten. Dabei haben sie sich nunmehr nach der Arbeitsstätte des Klägers ausgerichtet, dort ein Eigenheim angeschafft und die Klägerin hat ebenfalls eine Arbeitsstelle in der Umgebung gesucht. Der Erwerb und die Renovierung der Wohnung in P   sind demnach in erster Linie durch die tatsächliche Selbstnutzung veranlasst und nicht – wie die Kläger behaupten – vorrangig durch eine beabsichtigte spätere Vermietung.

Der Umstand, dass die Klägerin ab dem Eintritt in den Mutterschutz Ende 2010 nach eigenen Angaben nicht mehr in P, sondern in T   gewohnt hat, führt nicht dazu, dass bereits im Streitjahr 2009 der Lebensmittelpunkt in T   lag. Vielmehr sprechen die Umstände dafür, dass die durch das erwartete Kind eingetretene neue Lebenssituation zu einer Zurückverlagerung des Lebensmittelpunktes führte. Erst im September 2010 wurde nach Angaben der Kläger mit dem bereits drei Jahre zuvor entworfenem Umbau der Dachgeschosswohnung begonnen. Zwischen dem Beginn der Renovierung und der Schwangerschaft bestand daher ein enger zeitlicher Zusammenhang. Entgegen der ursprünglichen Planungen wurden die Umbaumaßnahmen nunmehr auf eigene Kosten der Kläger durchgeführt. Hätte bereits 2009 der Lebensmittelpunkt hier verbleiben sollen, hätte es nahe gelegen, diese Planung von vornherein so umzusetzen und sich nicht woanders eine Eigentumswohnung anzuschaffen.

Dass die Arbeitsverhältnisse beider Kläger nur befristet waren, kann zwar als Indiz gegen die Verlagerung des Lebensmittelpunkts angesehen werden, fällt aber nach Auffassung des Gerichts im Streitfall nicht so stark ins Gewicht, dass dadurch die anderen Indizien in den Hintergrund treten. Hierbei ist nämlich zu berücksichtigen, dass sich die Befristung für die Stelle des Klägers als Zeitsoldat unmittelbar vor Anschaffung der Wohnung (Anfang 2009) um weitere vier Jahre bis Januar 2013 verlängert hat. Über diesen Zeitraum war damit eine mittelfristige Planung möglich. Die Stelle der Klägerin in K   war zwar nur bis Ende November 2009 befristet und ist auch tatsächlich zu diesem Zeitpunkt ausgelaufen. Jedoch hat sie nur kurze Zeit später (im Februar 2010) erneut eine Stelle in H   und damit in der näheren Umgebung von P   angetreten.

Dass die Klägerin sich nach eigenen Angaben im Dezember des Streitjahres 2009 nahezu ausschließlich in T   aufgehalten haben will, führt nicht dazu, dass sie ihren Lebensmittelpunkt wieder nach dort zurückverlegt hat. Dadurch, dass sie bereits im Februar 2010 wieder eine neue Arbeitsstelle in der Umgebung von P   angetreten hat, hat sie ihren dortigen Lebensmittelpunkt auch in der Zwischenzeit beibehalten.