Bewertung nicht börsennotierter Aktien vor dem Börsengang

Der gemeine Wert nicht börsennotierter Aktien lässt sich nicht i.S. des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG aus Verkäufen ableiten, wenn nach den Veräußerungen aber noch vor dem Bewertungsstichtag weitere objektive Umstände hinzutreten, die dafür sprechen, das diese Verkäufe nicht mehr den gemeinsamen Wert der Aktien repräsentieren, und es an objektiven Maßstäben für Zu- und Abschläge fehlt, um von den festgestellten Verkaufspreisen der Aktien auf deren gemeinen Wert zum Bewertungsstichtag schließen zu können.

Auch dann, wenn ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber im Rahmen einer Kapitalerhöhung verbilligt Aktien erhält, fließt der Vorteil erst zu, wenn der Arbeitnehmer die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die neuen Aktien erlangt. Das ist nach aktienrechtlichen Grundsätzen frühestens im Zeitpunkt der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung der Fall.

BFH 29.07.2010 – VI R 53/08 BFHNV 2010 S. 18

Begründung:

Maßgebend ist der gemeine Wert der Aktien im Zeitpunkt des Zuflusses. Zuflusszeitpunkt ist der Tag der Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über die Aktien. Das ist regelmäßig der Zeitpunkt der Einbuchung der Aktien in das Depot des Arbeitnehmers. Liegt der Vorteil darin, dass ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber im Rahmen einer Kapitalerhöhung verbilligt Aktien erhält, gelten die vorgenannten Grundsätze in gleicher Weise. Auch dann fließt der Vorteil erst zu, wenn der Arbeitnehmer die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die neuen Aktien erlangt. Das ist nach aktienrechtlichen Grundsätzen frühestens im Zeitpunkt der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung der Fall. Erst zu diesem Zeitpunkt waren die neuen Mitgliedsrechte kraft Gesetzes entstanden und erst dann wurde die Klägerin kraft Gesetzes Aktionärin der Gesellschaft, ohne dass es dazu noch eines weiteren besonderen Rechtsaktes bedurfte.

Sollte sich dabei ergeben, dass zu diesem Zeitpunkt die Aktien bereits an einer deutschen Börse zum amtlichen Handel zugelassen waren, sind sie nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BewG mit dem niedrigsten am Stichtag für sie im amtlichen Handel notierten Kurs anzusetzen. Liegt am Stichtag eine Notierung nicht vor, so ist nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BewG der letzte innerhalb von 30 Tagen vor dem Stichtag im amtlichen Handel notierte Kurs maßgebend. Entsprechendes gilt nach § 11 Abs. 1 Satz 3 BewG, wenn die Aktien zum geregelten Markt zugelassen oder in den Freiverkehr einbezogen sind.

Sollten die Feststellungen ergeben, dass die Aktien im Zeitpunkt des Zuflusses noch nicht börsennotiert waren, wird deren gemeiner Wert gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 2. Alternative BewG in der im Streitjahr (1998) geltenden Fassung unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen sein. Grundsätzlich ist der gemeine Wert mithin vorrangig aus der Wertbestätigung am Markt abzuleiten, also von dem Preis, der bei einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr tatsächlich erzielt wurde.

Liegen indessen –wie im Streitfall– besondere Umstände vor, die es ausschließen, den gemeinen Wert der Aktien aus weniger als ein Jahr zurückliegenden Verkäufen abzuleiten, kann trotz Verkäufen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr der dort erzielte Kaufpreis nicht mehr heranzuziehen sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn nach diesen Verkäufen besondere, näher zum Bewertungsstichtag liegende objektive Umstände hinzutreten, die dafür sprechen, dass die zu den davor liegenden Verkäufen ehemals vereinbarten Verkaufspreise den gemeinen Wert nicht mehr zutreffend wiedergeben, und es an objektiven Maßstäben für Zu- und Abschläge fehlt, um entsprechend dem Grundsatz des § 11 Abs. 2 Satz 2 1. Alternative BewG von den festgestellten Verkaufspreisen auf den gemeinen Wert als Ausdruck der Wertbestätigung am Markt schließen zu können. Der gemeine Wert der Anteile ist dann nach § 11 Abs. 2 Satz 2 2. Alternative BewG unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen.

Im Streitfall sind die besonderen Umstände dadurch begründet, dass nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des FG schon zwei Tage nach dem Beschluss über die Kapitalerhöhung für Zwecke der Mitarbeiterbeteiligung am 14. Oktober 1998 eine weitere Kapitalerhöhung und zugleich der Börsengang beschlossen wurde und dafür die Konsortialführerin in einem Wertgutachten vom 2. November 1998 den fairen Marktpreis der Aktie mit 58 DM ermittelt und diesen Wert auch Dritten, insbesondere künftigen Anlegern am Kapitalmarkt, präsentiert hatte. Wenn mithin nicht nur der Arbeitgeber der Klägerin, sondern auch die Konsortialführerin als gegenüber den Arbeitsvertragsparteien unabhängige Dritte in einem Gutachten von einem Wert der Aktien ausgegangen war, der mehr als 300 % der zuvor erzielten Verkaufspreise beträgt, liegen darin objektive Umstände, die es nicht gestatten, den gemeinen Wert der Aktien aus den zuvor innerhalb der Jahresfrist erfolgten Verkäufen abzuleiten.