Dauer des Aufenthalts nach der 183-Tage-Regelung gemäß Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich

Bei der Berechnung der Dauer des Aufenthalts nach der 183-Tage-Regelung gemäß Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich sind nur solche Tage zu berücksichtigen, an denen sich der Arbeitnehmer tatsächlich ("physisch") im Tätigkeitsstaat aufgehalten hat. Soweit der von der deutschen und der französischen Finanzverwaltung getroffenen Verständigungsvereinbarung vom 16. Februar 2006 (s. BMF-Schreiben vom 3. April 2006, BStBl I 2006, 304) Abweichendes zu entnehmen sein sollte, bindet dies die Rechtsprechung nicht (Anschluss an die ständige Spruchpraxis des Senats).

BFH Urteil vom 12.10.2011, I R 15/11

Begründung:

Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich können Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vorbehaltlich der Vorschriften "der nachstehenden Absätze" nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird. Art. 13 Abs. 4 DBA-Frankreich sieht in der ab dem 1. Januar 1990 geltenden Fassung des Zusatzabkommens vom 28. September 1989 (BGBl II 1990, 771, BStBl I 1990, 414) "ungeachtet des Absatzes 1" eine Besteuerung "nur" im Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers vor, wenn sich der Empfänger im jeweiligen Steuerjahr im Tätigkeitsstaat insgesamt nicht länger als 183 Tage aufgehalten hat (Nr. 1), sein Arbeitgeber nicht im Inland ansässig war (Nr. 2) und die Vergütungen nicht von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung des Arbeitgebers im Tätigkeitsstaat getragen wurden (Nr. 3). Art. 13 Abs. 5 Buchst. a DBA-Frankreich sieht wiederum "abweichend von den Absätzen 1 … und 4" eine Besteuerung sog. Grenzgänger unter bestimmten Voraussetzungen nur im Ansässigkeitsstaat vor.

Es unterliegt ebenfalls keinem Streit der Beteiligten, dass die in Art. 13 Abs. 4 Nr. 2 und 3 DBA-Frankreich angeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Der Arbeitgeber des Klägers war in Frankreich ansässig und unterhielt in Deutschland weder eine Betriebsstätte noch eine feste Einrichtung. Das FG hat darüber hinaus ohne Rechtsfehler angenommen, dass sich der Kläger i.S. des Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich im Tätigkeitsstaat insgesamt nicht länger als 183 Tage während des jeweiligen Steuerjahrs aufgehalten hat. Zur Berechnung der Dauer des inländischen Aufenthalts war insoweit nur auf Tage zurückzugreifen, an denen sich der Kläger tatsächlich in Deutschland aufgehalten hat.

Der Anwendung des Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich steht zunächst nicht entgegen, dass der Kläger nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG arbeitstäglich an seinen Wohnsitz in Frankreich zurückgekehrt ist. Auch wenn ein Aufenthalt in Deutschland arbeitstäglich gesehen nur ein stundenweiser ist, ist dieser von einer solchen Regelung erfasst.

Besteuerungsrecht für Bezüge nach dem sog. Blockmodell im Rahmen der Altersteilzeit

Bezüge, welche ein in Frankreich ansässiger Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber für eine in Deutschland ausgeübte nichtselbständige Arbeit während der Freistellungsphase nach dem sog. Blockmodell im Rahmen der Altersteilzeit erhält, sind keine Ruhegehälter, sondern nachträglicher Arbeitslohn, der als solcher in Deutschland zu versteuern ist.

Freiwillige Zuschüsse zu einer Krankenversicherung, die ein inländischer Arbeitgeber an einen Arbeitnehmer für dessen Versicherung in der französischen gesetzlichen Krankversicherung ("CPAM") leistet, sind nicht nach § 3 Nr. 62 EStG 2002 steuerfrei.

BFH Urteil vom 12.1.2011, I R 49/10

Begründung:

Der Kläger ist hiernach (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbsatz EStG 2002) mit seinen inländischen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, die er für seinen inländischen Arbeitgeber erbracht hat, i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG 2002 unbeschränkt steuerpflichtig. Es handelt sich dabei um Einkünfte aus einer Arbeit (§ 19 EStG 2002), die im Inland ausgeübt wird oder worden ist. Dazu gehören auch diejenigen Beträge, die er im Rahmen der sog. Freistellungsphase nach Maßgabe der aufgrund des Altersteilzeitgesetzes in Anspruch genommenen Altersteilzeit im Streitjahr vereinnahmt hat. Dem Altersteilzeitarbeitnehmer wird zeitversetzt in der Freistellungsphase das ausgezahlt, was er in der Arbeitsphase erarbeitet hat bzw. was er an Arbeitsbezügen aufgrund seiner erbrachten Vollzeittätigkeit hätte beanspruchen können.

Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich bestimmt, dass Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nur in dem Vertragstaate besteuert werden können, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird. Der Kläger war bis zum 31. Oktober 2004 "aktiv" bei einem deutschen Arbeitgeber in Deutschland tätig und hat dort seine Tätigkeit ausgeübt. Die ihm zugeflossenen Vergütungen im Rahmen der vereinbarten Altersteilzeit rühren insgesamt aus dieser Tätigkeit her. Dass sie zeitversetzt zu einem Zeitpunkt ausbezahlt wurden, in dem die persönlich ausgeübte Tätigkeit als solche beendet war, ändert daran nichts. Auch bei nachträglich ausbezahltem Arbeitslohn handelt es sich um entsprechende Einkünfte. Das alles betrifft das Regelarbeitsentgelt ebenso wie den vom Arbeitgeber zusätzlich gezahlten sog. Aufstockungsbetrag.

Auch der vom (früheren) Arbeitgeber gezahlte Zuschuss zur Krankenversicherung ist als Arbeitslohn i.S. von § 19 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG 2002 (z.B. Bundesfinanzhof –BFH–, Urteil vom 28. Mai 2009 VI R 27/06, BFHE 225, 377, BStBl II 2009, 857) beschränkt steuerpflichtig; er ist nicht gemäß § 3 Nr. 62 EStG 2002 steuerbefreit. Danach sind Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers steuerfrei, soweit der Arbeitgeber hierzu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften verpflichtet ist. Zur Zukunftssicherung gehört auch die Absicherung gegen Krankheit. Eine derartige gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zu Zahlungen an die Sozialversicherung bestand nach den von der Revision nicht.

Grenzgänger auf Dienstreisen unter Beachtung des DBA Frankreich

Bei einer Beschäftigung in der Grenzzone während des ganzen Kalenderjahres geht die Grenzgängereigenschaft nach Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich nur dann verloren, wenn der Arbeitnehmer an mehr als 45 Arbeitstagen (Nichtrückkehrtagen) entweder nicht zum Wohnsitz zurückkehrt oder ganztägig außerhalb der Grenzzone für seinen Arbeitgeber tätig ist.

Eintägige Dienstreisen außerhalb der Grenzzone führen zu Nichtrückkehrtagen, wenn der Arbeitnehmer an diesen Tagen nicht zugleich innerhalb der Grenzzone gearbeitet hat; bloße Transferreisen innerhalb der Grenzzone sind insoweit unbeachtlich. Dies gilt in gleicher Weise für Rückreisetage bei mehrtägigen Dienstreisen außerhalb der Grenzzone.

Hinreisetage bei mehrtägigen Dienstreisen außerhalb der Grenzzone zählen nur dann zu den Nichtrückkehrtagen, wenn der Arbeitnehmer nicht vor der Abreise zwischen seinem Wohnsitz und dem Arbeitsort in der Grenzzone gependelt ist.

Entfällt eine mehrtägige Dienstreise außerhalb der Grenzzone auf Wochenenden oder Feiertage, so liegen keine Nichtrückkehrtage vor, wenn die Arbeit an diesen Tagen weder vertraglich vereinbart ist noch vom Arbeitnehmer tatsächlich ausgeübt wird die Reisetätigkeit ist insoweit nicht als Arbeitstätigkeit anzusehen.

Krankheitstage während einer mehrtägigen Dienstreise führen nicht zu Nichtrückkehrtagen. Ein Nichtrückkehrtag liegt dagegen vor, wenn der Arbeitnehmer während der Dienstreise infolge höherer Gewalt (hier: "Taifunwarnung") daran gehindert ist, seine vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen.

BFH Urteil vom 11. November 2009 I R 84/08 und (IR 83/08) und (IR 15/09)

Erläuterungen:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit drei Entscheidungen zu Streitfragen bei der Besteuerung sog. Grenzgänger nach den Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) mit  Frankreich Stellung genommen.

Sog. Grenzgänger sind Steuerpflichtige, die regelmäßig zwischen ihrem Wohnsitz in einem Vertragsstaat und dem Arbeitsort im anderen Vertragsstaat hin und zurück pendeln. Das Besteuerungsrecht für Grenzgänger steht nach den DBA dem Wohnsitzstaat zu. Das Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates entfällt jedoch bei einer berufsbedingten Nichtrückkehr an den Wohnsitz an mehr als 45 Tagen (DBA-Frankreich).

Für das DBA-Frankreich – und konkret einen in Frankreich wohnenden, in Deutschland mit seinen Arbeitseinkünften beschränkt Steuerpflichtigen – hat der BFH dagegen im Streitfall I R 84/08 angenommen, dass Dienstreisetage auch bei einer Rückkehr an den Wohnsitz in diese Berechnung einzubeziehen sind, wenn der Steuerpflichtige ganztägig außerhalb der im Abkommen festgelegten Grenzzone gearbeitet hat. Keine Nichtrückkehrtage sind auch Krankheitstage während einer mehrtägigen Dienstreise. Dienstreisetage, die auf Wochenenden oder Feiertage entfallen, gehören demgegenüber nach beiden DBA regelmäßig nicht zu den Nichtrückkehrtagen. Um einen Nichtrückkehrtag handelt es sich auch, wenn der Arbeitnehmer während der Dienstreise infolge höherer Gewalt daran gehindert ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen; im Streitfall I R 84/08 war dies eine „Taifunwarnung“.

Die Entscheidungen in den genannten Revisionsverfahren weichen zu einem Gutteil von der einschlägigen Praxis der Finanzverwaltung ab und sind als Präzedenzfälle von Bedeutung für eine Vielzahl weiterer Parallelverfahren, die derzeit noch beim BFH, aber auch den Finanzgerichten und den Finanzämtern, insbesondere in Baden-Württemberg, anhängig sind.