Vorschriftswidrig verbrachte Waren aus einem Drittland

Werden Waren, die aus einem Drittland in einen Mitgliedstaat der Gemeinschaft vorschriftswidrig verbracht wurden, in die Bundesrepublik Deutschland weitertransportiert und hier entdeckt, gilt unter den Voraussetzungen des Art. 215 Abs. 4 ZK nicht nur die Zollschuld, sondern auch die Einfuhrumsatzsteuerschuld als in der Bundesrepublik Deutschland entstanden.

BFH Urteil vom 6. Mai 2008 VII R 30/07

Sachverhalt:
Bei einer polizeilichen Kontrolle im Mai 2005 wurden in einem PKW mehrere Stangen unverzollte und unversteuerte Zigaretten gefunden. Der Beifahrer gab an, die Zigaretten zusammen mit zwei polnischen Staatsangehörigen –darunter der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger)–, die sich in einem anderen PKW auf einem Parkplatz aufhielten, von Polen nach Deutschland geschmuggelt zu haben. Bei der anschließenden polizeilichen Durchsuchung auch dieses PKW wurden weitere unverzollte und unversteuerte Zigaretten gefunden.

Begründung:
Der Einfuhrumsatzsteuer unterliegt nach §1 Abs. 1 Nr. 4 UStG die Einfuhr von Gegenständen in das Inland. Daraus folgt für den Streitfall dass die Zigaretten nicht aus einem Drittland nach Deutschland eingeführt worden sind. Das FG ist zur Feststellung gelangt ist, dass die Zigaretten aus einem Drittland nach Polen vorschriftswidrig verbracht worden sind. Danach sind die Zigaretten nach den Feststellungen im Ermittlungsverfahren von Polen aus nach Deutschland verbracht worden, weshalb alles dafür spricht, dass der Grenzübertritt der Zigaretten aus einem Drittland in das Zollgebiet der Gemeinschaft jedenfalls nicht nach Deutschland erfolgt ist.

Nach Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 2 RL77/388/EWG treten der Steuertatbestand und der Steueranspruch bei Gegenständen, die Zöllen oder anderen gemeinschaftlichen Abgaben unterliegen, zu dem Zeitpunkt ein, zu dem der Tatbestand und der Anspruch dieser gemeinschaftlichen Abgaben entstehen. Da die Einfuhrzollschuld im Fall des vorschriftswidrigen Verbringens in dem Zeitpunkt entsteht, in dem die Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird, entsteht in diesem Zeitpunkt auch die Umsatzsteuer bei der Einfuhr. Aus den genannten Regelungen folgt jedoch entgegen der Ansicht des FG nicht, dass die wegen des vorschriftswidrigen Verbringens aus einem Drittland in einen zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehörenden Mitgliedstaat entstandene Umsatzsteuer bei der Einfuhr nur von den Zollbehörden dieses Mitgliedstaats erhoben werden darf. Vielmehr folgt die Befugnis zur Erhebung der Steuer grundsätzlich der Befugnis zur Zollerhebung.

Steuerbefreiung bei Ausfuhren in ein Drittland im Billigkeitsweg

Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stehen die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen über die Steuerbefreiung bei Ausfuhren in ein Drittland einer Gewährung der Steuerbefreiung im Billigkeitswege durch den Mitgliedstaat entgegen, wenn zwar die Voraussetzungen der Befreiung nicht vorliegen, der Steuerpflichtige deren Fehlen, aber auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nicht erkennen konnte?

BUNDESFINANZHOF Entscheidung vom 2.3.2006, V R 7/03

Eine Ausfuhrlieferung liegt gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1993 vor, wenn bei einer Lieferung der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3 UStG 1993, befördert oder versendet hat und ein ausländischer Abnehmer ist.

Gemäß § 6 Abs. 4 UStG 1993 müssen die Voraussetzungen u.a. des Abs. 1 vom Unternehmer nachgewiesen werden. Das BMF kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer die Nachweise zu führen hat. Das BMF hat von der Ermächtigung des § 6 Abs. 4 UStG 1993 in § 8 Abs. 1 UStDV Gebrauch gemacht. Danach muss bei Ausfuhrlieferungen der Unternehmer im Geltungsbereich dieser Verordnung durch Belege nachweisen, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet befördert oder versendet hat (Ausfuhrnachweis). Die Voraussetzung muss sich aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben.

Für die innergemeinschaftliche Lieferung sieht § 6a Abs. 4 UStG 1993 eine Vertrauensschutzregelung vor, die wie folgt lautet: “Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach Absatz 1 nicht vorliegen, so ist die Lieferung gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. In diesem Fall schuldet der Abnehmer die entgangene Steuer.”

Eine entsprechende Vertrauensschutzregelung sieht das nationale Recht bei der Ausfuhrlieferung in Drittländer nicht vor. Nur § 227 AO sieht folgende Regelung vor: “Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.”

Wenn –wie hier– die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 und Abs. 4 UStG 1993 nicht erfüllt sind, weil der liefernde Unternehmer vom Abnehmer gefälschte Ausfuhrbelege erhalten hatte, lehnte es die bisherige deutsche Praxis regelmäßig ab, im Erlassverfahren die Steuerbefreiung dem Liefernden zuzuerkennen.

Der Senat entschied noch im Beschluss vom 6. Mai 2004 V B 101/03 (BFHE 205, 416, BStBl II 2004, 748), dass der deutsche Gesetzgeber die Einführung der Vertrauensschutzregelung in § 6a Abs. 4 UStG 1993 für die innergemeinschaftliche Lieferung nicht als Anlass zu einer entsprechenden Ergänzung der Regelungen über die Befreiung für Ausfuhrlieferungen in Drittstaaten (§ 6 UStG 1993) genommen habe und dass eine entsprechende Anwendung der Vertrauensschutzregelung für die Ausfuhrlieferung also ersichtlich nicht vorgesehen sei. Er lehnte daher eine Revisionszulassung zur Klärung der Frage ab. Die Verwaltung und das überwiegende Schrifttum verfahren entsprechend. Darauf hat die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung hingewiesen.

Der Senat hält es aber im Hinblick auf den auch im Steuerrecht allgemein geltenden Grundsatz des Vertrauensschutzes für zweifelhaft, ob die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung auch dann regelmäßig versagt werden darf, wenn der liefernde Unternehmer die Fälschung des Ausfuhrnachweises, den der Abnehmer ihm vorlegt, auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hat erkennen können.