Ableitung des Werts eines GmbH-Anteils aus einem Verkauf nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG 2002

Der in § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG verwendete Begriff "Verkäufe" stellt auf den Abschluss der schuldrechtlichen Verträge i.S. des § 433 BGB ab.

 Für die Wertableitung sind grundsätzlich nur die Verkäufe von GmbH-Anteilen zu berücksichtigen, bei denen der Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses weniger als ein Jahr vor dem Bewertungsstichtag liegt. Eine Ausnahme gilt jedoch für die Sachverhalte, bei denen der Vertragsabschluss kurze Zeit (d.h. innerhalb einer nach Wochen zu bemessenden Zeitspanne) vor dem nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG maßgeblichen Zeitraum stattgefunden hat und die Vertragsbeteiligten im Kaufvertrag den Kaufpreis für die nicht notierten Anteile an einer Kapitalgesellschaft nach einem Zeitpunkt bemessen haben, der innerhalb des Zeitraums des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG liegt.

Ob ein für die Ableitung des gemeinen Werts nicht geeigneter Verkauf eines Zwerganteils vorliegt, lässt sich nicht allein anhand der prozentualen Höhe des verkauften Anteils, sondern nur anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilen.

BFH Urteil vom 15.05.2013 – II R 4/11 BFH  NV 2013 S. 1223

Begründung:

 Bei einem Erwerb von Todes wegen ist der Wert des gesamten Vermögensanfalls nach § 12 ErbStG zu ermitteln (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Zum Betriebsvermögen gehörende Anteile an Kapitalgesellschaften sind gemäß § 12 Abs. 5 Satz 3 ErbStG vorbehaltlich des § 12 Abs. 2 ErbStG mit dem nach § 11 BewG ermittelten Wert anzusetzen. Maßgebend sind die Verhältnisse zur Zeit der Entstehung der Steuer (§ 12 Abs. 5 Satz 1 ErbStG), also bei einem Erwerb von Todes wegen zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Für Zwecke der Besteuerung nach dem ErbStG richtet sich der Umfang des Betriebsvermögens weitgehend danach, was ertragsteuerrechtlich dem Betriebsvermögen zugerechnet wird.

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG sind Anteile an Kapitalgesellschaften, für die ein Börsenkurs nicht besteht, mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Lässt sich der gemeine Wert nicht aus Verkäufen ableiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, so ist er unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertrags-aussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Die Ermittlung des gemeinen Werts aufgrund von Verkäufen hat Vorrang vor der Schätzung. Der Sinn und Zweck des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG besteht darin, dieses Rangverhältnis der beiden Methoden der Ermittlung des gemeinen Werts im Sinne des Vorrangs der Ableitung des gemeinen Werts aus der Wertbestätigung am Markt zu regeln.

Die Wertableitung aus Verkäufen setzt nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG voraus, dass Verkäufe vorliegen, die weniger als ein Jahr vor dem Bewertungsstichtag erfolgt sind. nach § 108 der Abgabenordnung i.V.m. §§ 187 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) rückwärts zu berechnen.

Der in der Vorschrift verwendete Begriff "Verkäufe" stellt auf den Abschluss der schuldrechtlichen Verträge, also auf den jeweiligen Kaufvertrag i.S. des § 433 BGB ab. Dementsprechend sind auch für die Wertableitung grundsätzlich nur die Verkäufe zu berücksichtigen, bei denen der Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses weniger als ein Jahr vor dem Bewertungsstichtag liegt.

Eine Ausnahme gilt jedoch für die Sachverhalte, bei denen der Vertragsabschluss kurze Zeit (d.h. innerhalb einer nach Wochen zu bemessenden Zeitspanne) vor dem nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG maßgeblichen Zeitraum stattgefunden hat und die Vertragsbeteiligten im Kaufvertrag den Kaufpreis für die nicht notierten Anteile an einer Kapitalgesellschaft nach einem Zeitpunkt bemessen haben, der innerhalb des Zeitraums des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG liegt.  

Diese Ausnahme ist im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG die Ermittlung des Werts nicht notierter Anteile vorrangig an der Wertbestätigung am Markt ausrichtet. Wird dem Verkauf ein Preis zugrunde gelegt, der für einen Zeitpunkt innerhalb des Zeitraums des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG bestimmt wird, kann aus diesem Preis auch der Wert für den späteren Stichtag abgeleitet werden. Ein für den Zeitraum des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG festgelegter Kaufpreis spiegelt den gemeinen Wert der Anteile weit besser wider als der nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelte Wert. Insoweit ist die Rechtslage vergleichbar mit Verkäufen "nach" dem Stichtag, die nach ständiger Rechtsprechung ebenfalls ausnahmsweise zur Ableitung des Werts nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften heranzuziehen sind, wenn die Einigung über den Kaufpreis bereits vorher herbeigeführt war.

Maßgebend für die Bestimmung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist der Preis, der bei einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr (§ 9 Abs. 2 Satz 1 BewG) tatsächlich erzielt wurde. Gewöhnlicher Geschäftsverkehr i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG ist der Handel, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln in der Lage ist.

Für die Ableitung des gemeinen Werts nicht notierter Anteile genügt auch der Verkauf eines einzigen Anteils, wenn Gegenstand dieses Verkaufs nicht nur ein Zwerganteil ist, dessen Verkaufspreis für den gemeinen Wert der übrigen Anteile nur einen begrenzten Aussagewert hat. Ob ein derartiger für die Ableitung des gemeinen Werts nicht geeigneter Verkauf eines Zwerganteils vorliegt, lässt sich nicht allein anhand der prozentualen Höhe des verkauften Anteils, sondern nur anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilen. Entscheidend ist, ob die rechtlichen Vereinbarungen und die tatsächlichen Gegebenheiten den Schluss zulassen, dass der Anteil im Hinblick auf die geringe Höhe zu einem Preis verkauft wurde, der nicht dem gemeinen Wert der restlichen Anteile entspricht.

Von einem Zwerganteil ist die Rechtsprechung bisher in Fällen ausgegangen, in denen ein nur unbedeutender Teil eines Geschäftsanteils an einer GmbH bzw. –vor einer Einlage von ca. 169 Mio. DM– ein Anteil im Nennwert von 50.000 DM  verkauft wurde. Dagegen wurde beim Verkauf einer Beteiligung von 25 %, die eine Sperrminorität vermittelt hat, das Vorliegen eines Zwerganteils verneint.

In der Literatur wird zwar befürwortet, den Zwerganteil nach festen prozentualen Grenzen. Eine prozentuale Grenze ist aber für sich allein genommen kein geeignetes Kriterium dafür, dass aus einem Anteilsverkauf, der diese Grenze unterschreitet, der gemeine Wert der übrigen Anteile nicht abgeleitet werden kann. So wäre es im Falle der Festlegung einer bestimmten prozentualen Grenze beispielsweise bei Gesellschaften mit großem Kapital möglich, dass ein Anteilskauf unterhalb dieser Grenze nicht für die Ableitung des gemeinen Werts verwertet werden könnte, obwohl der Verkauf bereits allein wegen seines absoluten Umfangs aussagekräftig wäre. Verkauft ein Gesellschafter nicht seine gesamten Geschäftsanteile, sondern nur Anteile hiervon, die im Verhältnis zum gesamten Stammkapital geringfügig sind, kann dieser Verkauf dennoch zur Ableitung des gemeinen Werts der restlichen Anteile geeignet sein.

Der für einen Anteilsverkauf vereinbarte Kaufpreis hängt regelmäßig von mehreren Faktoren (z.B. Ertragsaussichten und Vermögen des Unternehmens, Anzahl der Kaufinteressenten, Beteiligungsverhältnisse bei der Kapitalgesellschaft, Interessen der Vertragsbeteiligten) und nicht nur von der prozentualen Höhe des verkauften Anteils ab. Aus diesen Gründen ist die prozentuale Höhe des verkauften Anteils lediglich ein Umstand, der im Rahmen der Gesamtabwägung, ob aus dem Verkauf der Wert der anderen Anteile abgeleitet werden kann, zu berücksichtigen ist.

Als Anhalt für das Vorliegen eines Anteils, dessen Verkauf eine Wertableitung nicht zulässt, kann auch nicht die Höhe der Anteile dienen, die nach dem Gesellschaftsrecht einen Minderheitenschutz genießen. Nach § 50 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind für Gesellschafter, deren Geschäftsanteile zusammen mindestens dem zehnten Teil des Stammkapitals entsprechen, bestimmte Minderheitsrechte (z.B. auf Berufung der Versammlung) vorgesehen. Ein Gesellschafter mit einem Geschäftsanteil von weniger als 10 % des Stammkapitals kann zwar die Minderheitsrechte nicht alleine, sondern nur zusammen mit weiteren Gesellschaftern beanspruchen. Bei einem Verkauf seines Anteils kann aber der Minderheitsgesellschafter trotz der geringen Größe des Anteils einen Verkaufspreis erzielen, der auch den gemeinen Wert der übrigen Geschäftsanteile an der GmbH widerspiegelt. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Gesellschafter den Anteil an einen anderen Gesellschafter verkauft.

Ist der verkaufende Gesellschafter zugleich Geschäftsführer der GmbH, kann dies ein Indiz dafür sein, dass auch der Verkauf eines nur geringen Anteils zu einem marktgerechten Preis erfolgt ist und damit zugleich eine Wertableitung erlaubt. Die Stellung als Geschäftsführer verstärkt die Stellung des Gesellschafters, so dass davon ausgegangen werden kann, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer seine Geschäftsanteile üblicherweise nicht unter Wert verkauft, auch wenn er nur zu einem geringen Anteil am Stammkapital der GmbH beteiligt ist und anlässlich des Verkaufs die Geschäftsführerstellung nicht auf den Käufer übergeht.

Nach diesen Grundsätzen ist das FG im Streitfall zu Recht davon ausgegangen, dass aus dem Verkauf der GmbH-Geschäftsanteile des X an M vom 27. November 2001 der gemeine Wert der Geschäftsanteile zum Zeitpunkt des Erbfalls am 28. Dezember 2002 abgeleitet werden konnte. Der Kaufvertrag vom 27. November 2001 wurde zwar bereits mehr als ein Jahr vor dem Erbfall wirksam abgeschlossen. Der Vertragsabschluss liegt jedoch nur wenige Wochen vor dem für die Berücksichtigung von Verkäufen maßgeblichen Zeitraum von weniger als einem Jahr vor dem Bewertungsstichtag.

Das FG hat zudem aufgrund der Zeugenvernehmung des X festgestellt, dass die Vertragsparteien den Kaufpreis der Geschäftsanteile nicht für den Tag des Vertragsabschlusses bestimmt, sondern in der Kaufvertragsurkunde den Kaufpreis der Geschäftsanteile zum 31. Dezember 2001, dem Tag der Abtretung der Geschäftsanteile vereinbart und festgelegt haben.

Da der Abschluss des Kaufvertrags über die Geschäftsanteile an der GmbH nur wenige Wochen außerhalb des maßgeblichen Zeitraums liegt, aber der Kaufpreis für einen Zeitpunkt von weniger als einem Jahr vor dem Erbfall bestimmt wurde, sind in zeitlicher Hinsicht die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG für eine Wertableitung aus dem Verkauf erfüllt.

Das FG hat auch zutreffend entschieden, dass die Höhe der verkauften Beteiligung von 6 % der Geschäftsanteile der GmbH der Maßgeblichkeit des Verkaufs für die Wertableitung nicht entgegensteht. Es hat den Sachverhalt dahin gewürdigt, dass die Vertragsparteien, also X und M, den Geschäftswert für die GmbH insgesamt und damit zugleich den anteiligen Preis für die mit Vertrag vom 27. November 2001 verkauften Geschäftsanteile ohne Rücksicht auf die Höhe der Beteiligung des X ermittelt haben. Der Geschäftswert aller Anteile an der GmbH sei in der notariellen Urkunde mit 12,5 Mio. DM beziffert worden. Bei den von X verkauften Geschäftsanteilen handele es sich unter Berücksichtigung des Werts und der Ertragsbeteiligung um nicht unbedeutende Anteile. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ausgehend von dem gemeinen Wert für alle Anteile von 12,5 Mio. DM, den die Vertragsbeteiligten selbst festgelegt haben, ergab sich der von X und M für 6 % der Geschäftsanteile der GmbH vereinbarte Kaufpreis von 750.000 DM (= 12,5 Mio. DM x 6 %). Daraus ist ersichtlich, dass die Vertragsbeteiligten den Marktwert der Anteile als Kaufpreis angesetzt haben. Der Kaufpreis hat damit Aussagewert für den gemeinen Wert der übrigen Anteile.