Einkommensbesteuerung Alleinerziehender, wenn der andere Elternteil keinen Barunterhalt leistet

Daraus, dass der andere Elternteil seiner Barunterhaltsverpflichtung nicht nachkommt, kann kein Anspruch auf einen höheren Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG) abgeleitet werden.

Eine mehrfache Freistellung des Existenzminimums eines Kindes ist nicht geboten (Anschluss an BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2010 2 BvR 2122/09 BFH/NV 2010, 1994).

Ein Alleinerziehender kann weder wegen der Unterhaltsleistungen an seine Kinder noch wegen seiner besonderen Belastungssituation als Alleinerziehender außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG geltend machen.

Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass eigenes Einkommen eines Alleinerziehenden auch insoweit steuerpflichtig ist, als es für den Unterhalt der Kinder eingesetzt wird.

BFH Urteil vom 17.09.2015-III R 36/14 BFH/NV 2016, 545

Sachverhalt:

Streitig ist die Einkommensbesteuerung Alleinerziehender. Die alleinstehende Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Mutter zweier in den Jahren 2001 und 2002 geborener Kinder, die in ihrem Haushalt leben. Der Kindsvater leistet keinen Unterhalt. Die ihm für die Kinder zustehenden Freibeträge gemäß § 32 Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr 2011 geltenden Fassung (EStG) wurden auf die Klägerin übertragen. Die Klägerin erzielt Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Durch Einkommensteuerbescheid vom 12. November 2013 wurde sie vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) für das Streitjahr zur Einkommensteuer veranlagt. Die Steuer wurde unter Anwendung des Grundtarifs und unter Gewährung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende festgesetzt.

Begründung;

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf einen höheren Entlastungsbetrag für Alleinerziehende.  Das FA hat den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG) zutreffend angesetzt. Im Streitjahr 2011 sah § 24b Abs. 1 Satz 1 EStG einen Betrag in Höhe von 1.308 EUR vor. Dieser wurde der Klägerin in vollem Umfang gewährt, wie sich aus der Einspruchsentscheidung vom 10. April 2014 ergibt.

Die Höhe des Entlastungsbetrags begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Zweifeln. Nach der Rechtsprechung des Senats ist § 24b EStG eine verfassungsrechtlich nicht gebotene Begünstigung und damit eine Sozialzwecknorm.Das BVerfG hat diese Rechtsprechung nicht beanstandet. Es hat offen gelassen, ob § 24b EStG einer tatsächlichen Mehrbelastung Rechnung trägt oder allein der sozialen Förderung dient. Selbst für den Fall, dass eine solche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mindernde Mehrbelastung tatsächlich bestehen sollte, räumt es dem Gesetzgeber bei der Festlegung der Höhe dieses Entlastungsbetrags einen Einschätzungsspielraum ein.

Ein Anspruch auf einen höheren Entlastungsbetrag kann insbesondere nicht daraus abgeleitet werden, dass der andere Elternteil seiner Barunterhaltsverpflichtung nicht nachkommt. Die Grundkonzeption für die steuerliche Berücksichtigung der dem Steuerpflichtigen durch seine Kinder entstehenden finanziellen Belastung ergibt sich aus § 31 Satz 1 EStG. Danach wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch Kindergeld nach Abschnitt X des EStG bewirkt. Soweit das Kindergeld dafür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG). Das Gesetz unterscheidet dabei nicht danach, ob die Eltern des Kindes in einem gemeinsamen Haushalt leben.

Berücksichtigt hat der Gesetzgeber dabei auch die Fallkonstellation, dass bei Elternpaaren, welche die Voraussetzungen für die Wahl der Zusammenveranlagung (§ 26 Abs. 1 Satz 1 EStG) nicht erfüllen, einer der Elternteile seiner Unterhaltspflicht nicht im Wesentlichen nachkommt. Insoweit sieht § 32 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 EStG vor, dass auf entsprechenden Antrag der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag auf den Elternteil übertragen wird, der seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachkommt. Unabhängig von der Erfüllung der Unterhaltspflicht kann zudem bei minderjährigen Kindern der dem anderen Elternteil zustehende Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf auf den alleinerziehenden Elternteil übertragen werden (§ 32 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 EStG).

Die Gewährung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende steht demgegenüber nicht im Zusammenhang mit der Erfüllung von Unterhaltspflichten, sondern soll eine Kompensation dafür schaffen, dass Alleinerziehende keine Synergieeffekte aus der gemeinsamen Haushaltsführung mit einer anderen erwachsenen Person erzielen können. Im Streitfall wurden bei der Besteuerung der Klägerin sowohl die auf sie entfallenden Kinderfreibeträge und Freibeträge für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf als auch die vom Kindsvater übertragenen Kinderfreibeträge und Freibeträge für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf berücksichtigt. Der Grundfreibetrag für die Klägerin und die Freibeträge für die Kinder sind zusammen höher als die Einkünfte der Klägerin. Dadurch wäre das Einkommen der Klägerin vollumfänglich von Einkommensteuer freigestellt, also insbesondere auch, soweit es der Deckung ihres eigenen Existenzminimums und des von ihr bestrittenen Existenzminimums ihrer Kinder diente.

Einkommensteuer entstand im Streitfall nur, weil die Zahlung von Kindergeld für die Klägerin günstiger war als der Ansatz der für die Berücksichtigung der Kinder vorgesehenen Freibeträge (vgl. § 31 Sätze 2 und 4 EStG). Die Klägerin hat insofern mehr und nicht weniger als das verfassungsrechtlich gebotene Minimum an einkommensteuerrechtlicher Entlastung erhalten. Die Zahlung von Kindergeld bei gleichzeitigem Ansatz von Freibeträgen für das gleiche Kind kann nicht verlangt werden. Eine mehrfache Freistellung des Existenzminimums ist nicht geboten (BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2010, 1994, unter II.1.).

Die Unterhaltsleistungen der Klägerin an ihre Kinder können nicht als außergewöhnliche Belastungen nach § 33a EStG abgezogen werden. Nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG können zwar Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person bis zu einer bestimmten Höhe vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Voraussetzung hierfür ist aber unter anderem, dass weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder auf Kindergeld für die unterhaltene Person hat (§ 33a Abs. 1 Satz 4 EStG). Aufwendungen für den Unterhalt eines Kindes des Steuerpflichtigen sind daher insbesondere dann nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG abzugsfähig, wenn das Kind wegen Überschreitens der Altersgrenze nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht mehr für einen Kinderfreibetrag oder für das Kindergeld berücksichtigt wird, sich aber weiterhin in Ausbildung befindet.

Im Streitfall wurde der Abzug demnach zu Recht versagt, da die Klägerin Anspruch auf Kindergeld für ihre Kinder hatte. Dies ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da eine mehrfache Freistellung des Existenzminimums nicht geboten ist (BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2010, 1994, unter II.1.) und verfassungsrechtlich keine Verpflichtung besteht, Unterhaltsleistungen über das Existenzminimum hinaus steuerrechtlich in voller Höhe zu berücksichtigen. Ein zusätzlicher Ausbildungsfreibetrag nach § 33a Abs. 2 EStG scheidet bereits mangels Volljährigkeit und mangels auswärtiger Unterbringung der Kinder aus.

Die Klägerin hat auch weder im Hinblick auf die Unterhaltsleistungen an ihre Kinder noch im Hinblick auf ihre Stellung als Alleinerziehende Anspruch auf einen Abzug außergewöhnlicher Belastungen nach § 33 EStG. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird nach § 33 Abs. 1 Satz 1 EStG auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.

Die Vorschrift will Fällen Rechnung tragen, in denen das Existenzminimum höher liegt als im Normalfall. Aufwendungen im Sinne der Vorschrift sind bewusste und gewollte Vermögensverwendungen. Die Aufwendungen sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die typischen Aufwendungen der Lebensführung sind dagegen ungeachtet ihrer Höhe im Einzelfall aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen. Sie werden durch den Grundfreibetrag (§ 32a EStG) berücksichtigt. Familienbedingte Aufwendungen sind ab 1996 durch die Regelungen des Familienleistungsausgleichs (Kinderfreibetrag oder Kindergeld) abgegolten.

Danach kann die Klägerin weder wegen der Unterhaltsleistungen an ihre Kinder noch wegen ihrer besonderen Belastungssituation als Alleinerziehende einen Anspruch auf Abzug außergewöhnlicher Belastungen nach § 33 EStG herleiten. Bei den Unterhaltsleistungen handelt es sich schon nicht um außergewöhnliche Aufwendungen, zudem sind sie bereits durch das der Klägerin gewährte Kindergeld berücksichtigt. Die besondere Belastungssituation Alleinerziehender wird durch den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG) abgegolten.