Einschränkung der Pflicht zur Vorfinanzierung

Soweit ein der Sollbesteuerung unterliegender Unternehmer seinen Entgeltanspruch aufgrund eines vertraglichen Einbehalts zur Absicherung von Gewährleistungsansprüchen über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren nicht verwirklichen kann, ist er bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung zur Steuerberichtigung berechtigt.

 BFH Urteil vom 24.10.2013, V R 31/12

 Begründung (BFH):

 Mit Urteil vom 24. Oktober 2013 V R 31/12 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass Unternehmer nicht verpflichtet sind, Umsatzsteuer über mehrere Jahre vorzufinanzieren.

 Umsatzsteuerrechtlich müssen Unternehmer im Rahmen der sog. Sollbesteuerung ihre Leistungen bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung versteuern. Dies gilt unabhängig davon, ob der Unternehmer zu diesem Zeitpunkt die ihm zustehende Vergütung – bestehend aus Entgelt und Steuerbetrag – bereits vereinnahmt hat. Die Vorfinanzierung der Umsatzsteuer entfällt nach § 17 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) erst dann, wenn der Unternehmer seinen Entgeltanspruch nicht durchsetzen kann. Anders ist es bei der sog. Istbesteuerung. Dort werden solche Liquiditätsnachteile von vornherein dadurch vermieden, dass der Steueranspruch erst für den Voranmeldungszeitraum der Entgeltvereinnahmung entsteht. Zur Istbesteuerung sind allerdings nur kleinere Unternehmen und nicht bilanzierende Freiberufler berechtigt.

Der Streitfall betraf einen Bauunternehmer, für dessen Leistungen Gewährleistungsfristen von zwei bis fünf Jahre bestanden. Die Kunden waren vertraglich bis zum Ablauf der Gewährleistungsfrist zu einem Sicherungseinbehalt von 5 bis 10 % der Vergütung berechtigt. Der Kläger hätte den Einbehalt nur durch Bankbürgschaft abwenden können, war aber nicht in der Lage, entsprechende Bürgschaften beizubringen. Das Finanzamt und das Finanzgericht sahen den Kläger im Rahmen der Sollbesteuerung als verpflichtet an, seine Leistung auch im Umfang des Sicherungseinbehalts zu versteuern. Eine Uneinbringlichkeit liege entsprechend bisheriger Rechtsprechung nicht vor, da die Kunden keine Mängelansprüche geltend gemacht hätten.

Dem folgt der BFH nicht. Der Unternehmer soll mit der Umsatzsteuer als indirekter Steuer nicht belastet werden. Mit diesem Charakter der Umsatzsteuer ist eine Vorfinanzierung für einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht zu vereinbaren. Darüber hinaus sieht es der BFH als erforderlich an, im Verhältnis von Soll- und Istbesteuerung den Gleichbehandlungsgrundsatz zu wahren. Daher ist von einer Steuerberichtigung nach § 17 UStG bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung auszugehen.

 

Zeitliche Einschränkung eines Kindergeldantrags

Auch wenn ein Kindergeldantrag keine Angaben zu den Zeiträumen enthält, für die Kindergeld begehrt wird, kann er dennoch aufgrund seines objektiven Erklärungsinhalts dahin auszulegen sein, dass die Festsetzung ab dem Monat beantragt wird, in dem erstmals die für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer erforderlichen ausländerrechtlichen Voraussetzungen vorliegen.

BFH Urteil vom 9.2.2012, III R 45/10

Begründung:

Das Kindergeld wird nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt. Auf Steuervergütungen sind nach § 155 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) die Vorschriften über die Steuerfestsetzung (§§ 155 bis 177 AO) sinngemäß anzuwenden, somit auch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung nach §§ 169 bis 171 AO.

Die Familienkassen haben grundsätzlich die Pflicht, einen Antrag auf Kindergeld, der keine zeitliche Einschränkung enthält, umfassend und damit auch für die Vergangenheit zu prüfen. In den von den Familienkassen verwendeten Vordrucken sind keine Eintragungen für eine zeitliche Konkretisierung vorgesehen, obwohl dies aus Gründen der Rechtsklarheit wünschenswert wäre. Ein zeitlich nicht beschränkter Antrag ist nach seinem objektiven Inhalt in der Regel dahin zu verstehen, dass die Festsetzung von Kindergeld für den längstmöglichen Zeitraum und somit auch für die Zeit vor der Antragstellung begehrt wird. Ein Bescheid, durch den ein zeitlich nicht eingeschränkter Antrag auf Kindergeld bestandskräftig abgelehnt wird, erfasst demnach nicht nur den Monat der Antragstellung und die darauffolgende Zeit bis zum Monat der Bekanntgabe der Ablehnungsentscheidung oder ggf. der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung.

Gleichwohl kann im Einzelfall die Auslegung eines Kindergeldantrags hinsichtlich des Zeitraums, für den Kindergeld begehrt wird, erforderlich sein. Ein Kindergeldantrag ist als außerprozessuale empfangsbedürftige Verfahrenserklärung entsprechend §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches auszulegen, sofern er auslegungsbedürftig ist. Hiernach ist entscheidend, wie die Familienkasse als Erklärungsempfängerin einen Antrag nach seinem objektiven Erklärungswert verstehen musste. Dabei kann ggf. auch auf Umstände zurückgegriffen werden, die außerhalb der auszulegenden Erklärung liegen und einen Rückschluss auf den vom Antragsteller erklärten Willen erlauben.

Der Kindergeldantrag konnte nach seinem eindeutigen Erklärungsinhalt nur dahin verstanden werden, dass der Kläger die Festsetzung ab dem Monat begehrte, in dem er erstmals die ausländerrechtlichen Voraussetzungen erfüllte, die nach der im Jahr 1997 geltenden Fassung des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG vorliegen mussten. Hiernach hatte ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer nur dann einen Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis war. Der Kläger hatte seinem Kindergeldantrag eine Kopie der erst kurz zuvor erteilten Aufenthaltserlaubnis beigefügt. Damit wollte er offensichtlich gegenüber der Familienkasse zum Ausdruck bringen, dass nunmehr die ausländerrechtlichen Voraussetzungen für eine Kindergeldberechtigung erfüllt waren. Die Familienkasse hatte keinen Anhaltspunkt dafür, den Kindergeldantrag, auch wenn er keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthielt, dahin auszulegen, dass auch für die Zeit vor November 1997 Kindergeld begehrt werden sollte.

Einschränkung des Schuldzinsenabzugs nach § 4 Abs. 4a EStG aufgrund von Überentnahmen nur in den Vorjahren

Eine Hinzurechnung nicht abziehbarer Schuldzinsen aufgrund von Überentnahmen nach § 4 Abs. 4a EStG ist auch dann vorzunehmen, wenn im Veranlagungszeitraum keine Überentnahme vorliegt, sich aber ein Saldo aufgrund von Überentnahmen aus den Vorjahren ergibt.

BFH Urteil vom 17.8.2010, VIII R 42/07

Begründung:

Schuldzinsen sind nach § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG 1999 nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. Eine Überentnahme ist in Satz 2 des § 4 Abs. 4a EStG 1999 definiert als der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden nach Satz 4 typisiert mit 6 v.H. der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen der vorangegangenen Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt. Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 4.000 DM (jetzt: 2.050 EUR) verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen (sog. Sockelbetrag oder Mindestabzug), ist dem Gewinn hinzuzurechnen (Satz 5; jetzt: Satz 4). Der Abzug von Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens bleibt nach Satz 6 (jetzt: Satz 5) unberührt.

Nach Ansicht des Klägers ist der Begriff der Überentnahme abschließend durch Satz 2 der Vorschrift definiert. Dieser sei auf das Wirtschaftsjahr bezogen. Falls im laufenden Wirtschaftsjahr keine Überentnahme getätigt worden sei, sei auch der gesetzliche Tatbestand des § 4 Abs. 4a EStG 1999 nicht erfüllt. Eine Gewinnerhöhung komme danach nicht in Betracht, wenn im Wirtschaftsjahr eine sog. Unterentnahme vorliege.

Gegen diese Ansicht spricht jedoch der Wortlaut des Satzes 1, der den Regelungskern der Vorschrift bildet und durch die nachfolgenden Sätze lediglich ergänzt wird. § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG 1999 spricht in der Mehrzahl von "Überentnahmen", enthält aber keine zeitliche Zuordnung der Überentnahmen zu bestimmten Wirtschaftsjahren. Satz 4 der Vorschrift (jetzt: Satz 3) lässt indes erkennen, dass die Regelung periodenübergreifend angelegt ist und Schuldzinsen für Überentnahmen so lange nicht abziehbar bleiben sollen, bis der Überhang an Überentnahmen durch Gewinne und Einlagen wieder ausgeglichen ist. Diese periodenübergreifende Regelung greift auch dann ein, wenn im Streitjahr selbst keine Überentnahmen gegeben sind.