Erzwingungsverbot und strafbefreiende Selbstanzeige

Das Erzwingungsverbot des § 393 Abs. 1 Satz 2 AO verbietet die Anwendung von Zwangsmitteln nicht nur im Strafverfahren, sondern bereits im Besteuerungsverfahren, wenn der Steuerpflichtige dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten. Zur Selbstbezichtigung könnte die geforderte Mitwirkung nur dann werden, wenn der Kläger nicht den Weg der strafbefreienden Selbstanzeige wählte. Diese Möglichkeit steht ihm offen, solange die Steuerfahndung noch keinen konkreten Tatverdacht gegen den Kläger hat, so dass keiner der die Straffreiheit ausschließenden Fälle des § 371 Abs. 2 AO vorliegt.

Die Beantwortung der Rechtsfrage, ob ein Steuerpflichtiger durch Zwangsmittel zur Beschaffung ihm nicht vorliegender Unterlagen verpflichtet werden könne, obwohl das FA berechtigt gewesen wäre, wegen der Nichtvorlage der Bescheinigung die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, hängt von den konkreten Umständen ab. Dient die Anforderung der Unterlagen zunächst der Ermittlung, ob überhaupt ein steuerbarer Sachverhalt vorliegt, ist die Steuerschätzung keine Alternative zur Mitwirkung des Steuerpflichtigen.

BFH Beschluss vom 01.02.2012 – VII B 234/11 (NV)

Begründung:

Das FG hat im Streitfall die Voraussetzungen des Erzwingungsverbots des § 393 Abs. 1 Satz 2 AO zu Recht verneint. Die Regelung verbietet die Anwendung von Zwangsmitteln nicht nur im Strafverfahren, sondern bereits im Besteuerungsverfahren, wenn der Steuerpflichtige dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten. Unbeschadet dessen, ob die Vorschrift im Rahmen der sog. Vorfeldermittlungen i.S. des § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO, um die es sich im Streitfall nach den insoweit den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) handelt, überhaupt anwendbar ist, würde die Beschaffung der geforderten Unterlagen noch zu keiner Selbstbezichtigung des Klägers geführt haben. Denn selbst wenn aus den Unterlagen hervorginge, dass der Kläger im Inland steuerpflichtiges Einkommen auf Schweizer Konten transferiert hat, so hätte es –wie das FG zutreffend ausgeführt hat– in seiner Hand gelegen, die Strafverfolgung zu verhindern. Zur Selbstbezichtigung hätte die geforderte Mitwirkung nur dann werden können, wenn der Kläger –falls er eine Steuerstraftat begangen oder versucht haben sollte– nicht den Weg der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO wählte. Diese Möglichkeit stand und steht ihm nach den mit der Beschwerde nicht angefochtenen Feststellungen des FG offen, da die Steuerfahndung die Mitwirkung des Klägers zu einem Zeitpunkt forderte, in dem sie noch keinen konkreten Tatverdacht gegen den Kläger hatte, so dass keiner der die Straffreiheit ausschließenden Fälle des § 371 Abs. 2 AO vorlag.