Fahrtkosten im Zusammenhang mit einer therapeutischen Behandlung als außergewöhnliche Belastung

Fahrtkosten im Zusammenhang mit einer therapeutischen Behandlung sind als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 5.10.2011, VI R 20/11

Begründung:

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind.

Für die mitunter schwierige Trennung von echten Krankheitskosten einerseits und lediglich gesundheitsfördernden Vorbeuge- oder Folgekosten andererseits forderte der BFH bislang regelmäßig die Vorlage eines zeitlich vor der Leistung von Aufwendungen erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens bzw. eines Attestes eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Behandlung zweifelsfrei entnehmen lässt. Auch bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangte der BFH diesen oder einen vergleichbaren ) formalisierten Nachweis. An dem Erfordernis einer vorherigen amts- oder vertrauensärztlichen Begutachtung (oder einem vergleichbaren Zeugnis) zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Maßnahme, die auch zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) gehören könnte, hält der erkennende Senat jedoch seit dem Senatsurteil vom 11. November 2010 VI R 17/09 (BFHE 232, 40) nicht länger fest.

Das FG wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob die Fahrten der Klägerin zu ihrem Vater und die dort geführten Gespräche –auch ohne therapeutische Aufsicht– im Streitjahr medizinisch angezeigt waren. Dabei ist zu beachten, dass nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung von der Heilanzeige erfasst wird. Medizinisch indiziert (angezeigt) ist vielmehr jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) ist (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., Indikation). Dieser medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen.