Fahrtkosten im Zusammenhang mit einer therapeutischen Behandlung als außergewöhnliche Belastung

Besucht der Steuerpflichtige im Rahmen einer therapeutischen Behandlung nahe Angehörige, können Aufwendungen hierfür als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sein, wenn die Besuche medizinisch angezeigt sind.

Nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung wird von der Heilanzeige erfasst. Medizinisch indiziert (angezeigt) ist vielmehr jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) ist.

BFH Urteil vom 05.10.2011 – VI R 20/11 BFHNV 2012 S. 38 f.

Begründung:

Denn das FG hat den Abzug der geltend gemachten Fahrtkosten zu Unrecht allein deshalb versagt, weil die Klägerin die medizinische Notwendigkeit der Gespräche mit ihrem Vater nicht durch ein zuvor erstelltes amtsärztliches Attest nachgewiesen hat.

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind.

 

Für die mitunter schwierige Trennung von echten Krankheitskosten einerseits und lediglich gesundheitsfördernden Vorbeuge- oder Folgekosten andererseits forderte der BFH bislang regelmäßig die Vorlage eines zeitlich vor der Leistung von Aufwendungen erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens bzw. eines Attestes eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Behandlung zweifelsfrei entnehmen lässt. Auch bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, wie regelmäßig auch bei Kurmaßnahmen formalisierten Nachweis. An dem Erfordernis einer vorherigen amts- oder vertrauensärztlichen Begutachtung (oder einem vergleichbaren Zeugnis) zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Maßnahme, die auch zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) gehören könnte, hält der erkennende Senat jedoch nicht länger fest.

Das FG wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob die Fahrten der Klägerin zu ihrem Vater und die dort geführten Gespräche auch ohne therapeutische Aufsicht im Streitjahr medizinisch angezeigt waren. Dabei ist zu beachten, dass nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung von der Heilanzeige erfasst wird. Medizinisch indiziert (angezeigt) ist vielmehr jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) ist (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., Indikation). Dieser medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen, es sei denn, es liegt ein für jedermann erkennbares offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen und dem tatsächlichen Aufwand vor.

Nur ein Mittelpunkt der Lebensinteressen bei mehreren Wohnungen

Ein Steuerpflichtiger hat auch dann nur einen einzigen Mittelpunkt der Lebensinteressen, wenn er mehrere Wohnungen innehat.

Wohnen beide Ehegatten während der Woche zusammen in einer Wohnung und nutzen eine weitere gemeinsam am Wochenende sowie im Urlaub, ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ihr Mittelpunkt der Lebensinteressen in der Wohnung ist, von der beide regelmäßig ihre Arbeitsstätte aufsuchen.

BFH Beschluss vom 04.05.2011 VI B 152/10 BFHNV 2011 S. 1347 f

Begründung:

Die Kläger messen sinngemäß der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung bei, ob es unter bestimmten Umständen und unter besonderer Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) einen weiteren Mittelpunkt der Lebensinteressen geben könnte. Diese Frage ist jedoch nicht klärungsbedürftig, denn sie ist nicht anders zu beantworten, als es das FG konkludent getan hat. Das FG ist davon ausgegangen, dass es nur einen Mittelpunkt der Lebensinteressen geben kann. Dafür spricht bereits der Wortsinn des Begriffs "Mittelpunkt".

Auch der BFH ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass ein Steuerpflichtiger nur einen Lebensmittelpunkt haben kann, selbst wenn er mehrere Wohnungen inne hat. Die Kläger haben nicht dargelegt, inwiefern diese Auffassung des BFH in der steuerrechtlichen Literatur oder in der Verwaltung Kritik erfahren haben soll. Die Beschwerdeschrift lässt eine Auseinandersetzung mit der einhelligen Auffassung im Schrifttum vermissen.

Auch der Hinweis der Kläger auf den besonderen Schutz der Ehe führt nicht zu einer Klärungsbedürftigkeit. Denn es ist bereits durch den BFH entschieden, dass die familiäre Situation in den Abwägungsprozess der Gesamtwürdigung über den Mittelpunkt der Lebensinteressen als ein Umstand mit einzubeziehen ist. Der Schutz des Art. 6 GG wird jedoch vor allem dann relevant, wenn die Ehegatten unter der Woche in verschiedenen Wohnungen leben. Art. 6 GG soll Benachteiligungen der ehelichen Gemeinschaft verhindern. Wohnen aber beide Ehegatten während der Woche zusammen in einer Wohnung in der Nähe beider Arbeitsstätten, ist der Fall vergleichbar mit einem ledigen Steuerpflichtigen, der zwei Wohnungen innehat. Bei diesem ist aber im Allgemeinen davon auszugehen, dass sein Lebensmittelpunkt in der Wohnung ist, von der er regelmäßig seine Arbeit aufsucht. Die Übertragung dieser Grundsätze auf Ehegatten, die zwar zwei Wohnungen haben, aber zu jeder Zeit gemeinsam in einer der beiden wohnen, verstößt nicht gegen Art. 6 GG.

Fahrtkosten bei vorübergehender Auswärtstätigkeit

Eine vorübergehend aufgesuchte Ausbildungseinrichtung ist keine zweite regelmäßige Arbeitsstätte eines sich in Ausbildung befindlichen Arbeitnehmers.

Aus dem BFH-Urteil vom 18.12.2008 VI R 39/07 lassen sich keine Folgerungen für die Beantwortung der Frage herleiten, ob für die Beurteilung zweier Tätigkeitsstätten als regelmäßige Arbeitsstätten die Entfernung zueinander von Bedeutung ist.

BFH Beschluss vom 02.03.2011 – III B 106/10 BFH NV 2011 S. 793 f.

Begründung:

Das Urteil des FG entspricht den Grundsätzen des Senatsurteils vom 22. Oktober 2009 III R 101/07 (BFH/NV 2010, 200), in dem entschieden wurde, dass eine vorübergehend aufgesuchte Ausbildungseinrichtung (Fachhochschule) nicht als zweite regelmäßige Arbeitsstätte eines sich in Ausbildung befindlichen Arbeitnehmers anzusehen ist. Im Übrigen geht auch die Finanzverwaltung seit dem Jahr 2008 davon aus, dass bei einer vorübergehenden Auswärtstätigkeit an einer anderen betrieblichen Einrichtung diese nicht zur regelmäßigen Arbeitsstätte wird (R 9.4 Abs. 3 Satz 5 der Lohnsteuer-Richtlinien 2008).

 

 

Fahrtkosten behinderter Menschen als außergewöhnliche Belastungen

Steuerpflichtige, die so gehbehindert sind, dass sie sich außerhalb des Hauses nur mit Hilfe eines Kraftfahrzeugs bewegen können, können zwar grundsätzlich alle Kraftfahrzeug-Kosten als außergewöhnliche Belastungen geltend machen. Angemessen sind jedoch nur Aufwendungen für Fahrten bis zu 15.000 km im Jahr und nur bis zur Höhe der Kilometerpauschbeträge, die in den Einkommensteuer-Richtlinien und Lohnsteuer-Richtlinien als Werbungskosten oder Betriebsausgaben festgelegt sind.

BFH Beschluss vom 26.10.2010 – VI B 52/10 BFHNV 2011 S. 253

Begründung:

 Die Entscheidung des FG entspricht vielmehr der ständigen Rechtsprechung des BFH. Danach können Steuerpflichtige, die so gehbehindert sind, dass sie sich außerhalb des Hauses nur mit Hilfe eines Kraftfahrzeugs bewegen können, zwar grundsätzlich alle Kraftfahrzeug-Kosten, soweit sie nicht Werbungskosten oder Betriebsausgaben sind, neben den Pauschbeträgen für behinderte Menschen (§ 33b EStG) als außergewöhnliche Belastung geltend machen. Angemessen sind jedoch nur Aufwendungen für Fahrten bis zu 15.000 km im Jahr und nur bis zur Höhe der Kilometerpauschbeträge, die in den Einkommensteuer-Richtlinien und Lohnsteuer-Richtlinien für den Abzug von Kraftfahrzeug-Kosten als Werbungskosten oder Betriebsausgaben festgelegt sind.

Zimmer im Haus der Eltern als eigene Wohnung

Eigene Wohnung i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG kann auch ein Zimmer im Haus der Eltern sein.

Ob die Wohnung den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Kindes bildet und nicht nur gelegentlich aufgesucht wird, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen.

BFH Urteil vom 22.10.2009 – III R 48/09

Begründung:

Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG sind Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Hat ein Arbeitnehmer mehrere Wohnungen, so sind die Wege von einer Wohnung, die nicht der Arbeitsstätte am nächsten liegt, nur zu berücksichtigen, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bildet und nicht nur gelegentlich aufgesucht wird.

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist eine Wohnung i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG aber grundsätzlich nur eine eigene Wohnung des Steuerpflichtigen. Aufwendungen für Fahrten von einer anderen Stelle zur Arbeitsstätte sind nur in Ausnahmefällen zu berücksichtigen. Das ist der Fall, wenn die eigene Wohnung des Steuerpflichtigen aus objektiven Gründen überhaupt nicht benutzbar ist, so z.B. beim Übernachten in der Wohnung des Freundes, weil die eigene Wohnung renoviert wird, oder wenn die eigene Wohnung speziell zur Erreichung der Arbeitsstätte nicht geeignet ist, so z.B. bei Übernachtung im Hotel, weil die Wohnung vom Arbeitsort zu weit entfernt liegt und der Arbeitnehmer eine Zweitwohnung am Arbeitsort noch nicht gefunden hat. Eigene Wohnung i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG kann auch ein Zimmer im Haus der Eltern sein.

 

Fahrten zu ständig wechselnden Tätigkeitsstätten

Für die Wege eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und ständig wechselnden Tätigkeitsstätten ist keine Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusetzen.

Die Fahrtkosten sind unabhängig von der Entfernung (ab dem ersten Kilometer) in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten zu berücksichtigen.

Die frühere Rechtsprechung zur Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG bei Fahrten zu ständig wechselnden Tätigkeitsstätten im Einzugsbereich (sog. 30-km-Grenze) ist aufgrund geänderter Rechtsprechung des BFH überholt.

BFH Urteil vom 18. Dezember 2008 VI R 39/07

Erläuterungen:
Mit Urteil vom 18. Dezember 2008 VI R 39/07 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass die Kosten eines Arbeitnehmers für die Fahrten zwischen Wohnung und ständig wechselnden Tätigkeitsstätten unabhängig von der Entfernung (ab dem ersten km) in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Der Ansatz einer Entfernungspauschale, die für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte anzusetzen ist, scheidet daher aus.
Im Streitfall hatte das Finanzamt (FA) bei Fahrten des Klägers zu wechselnden Tätigkeitsstätten, die weniger als 30 km von seinem Wohnort entfernt lagen, nur die Entfernungspauschale i.H.v. 0,30 € je Entfernungskilometer berücksichtigt. Hierbei berief sich das FA auf ältere Rechtsprechung des BFH, wonach die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Entfernungspauschale auch auf Fahrten zu ständig wechselnden Tätigkeitsstätten im Einzugsbereich (sog. 30-km-Grenze) anzuwenden war.
Der BFH stellte klar, dass diese Rechtsprechung aufgrund geänderter Rechtslage überholt ist. Er verdeutlichte nochmals, dass die abzugsbeschränkende Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (Entfernungspauschale) nicht auf Fahrten des Arbeitnehmers zu ständig wechselnden Tätigkeitsstätten angewendet werden kann. Denn solche Einsatzstellen sind -anders als eine regelmäßige Arbeitsstätte- nicht auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegt. Der Arbeitnehmer kann sich folglich nicht auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken.

Fahrtkosten behinderter Menschen als außergewöhnliche Belastung

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können Steuerpflichtige, die so gehbehindert sind, dass sie sich außerhalb des Hauses nur mit Hilfe eines Kfz bewegen können, grundsätzlich alle Kfz-Kosten, soweit sie nicht Werbungskosten oder Betriebsausgaben sind, neben den Pauschbeträgen für behinderte Menschen (§ 33b EStG) als außergewöhnliche Belastung geltend machen, also nicht nur die Kosten für Fahrten zu Ärzten (Krankheitskosten) oder für unvermeidbare Fahrten zur Erledigung privater Angelegenheiten, sondern in angemessenem Umfang auch für Erholungs-, Freizeit- und Besuchsfahrten. Angemessen sind nur Aufwendungen für Fahrten bis zu 15 000 km im Jahr und nur bis zur Höhe der Kilometerpauschbeträge, die in den Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) und Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) für den Abzug von Kfz-Kosten als Werbungskosten oder Betriebsausgaben festgelegt sind

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 21.2.2008, III R 105/06
Eine Anerkennung der Fahrtkosten über den Kilometerpauschalen, durch tatsächlich höhere Kfz Kosten durch Umbau ist nicht möglich.