Verluste aus der Veräußerung einer fondsgebundenen Lebensversicherung

Die mit der Abgeltungsteuer als Schedule eingeführten Besonderheiten der Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) bedingen eine tatsächliche Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht. Sie gilt auch hinsichtlich von Verlusten aus der Veräußerung einer Lebensversicherung.

BFH Urteil vom 14.03.2017 – VIII R 38/15 BFH/NV 2017, 1366

Sachverhalt:

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr (2009) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war Versicherungsnehmer einer vom 1. September 1999 bis zum 1. September 2011 laufenden fondsgebundenen Lebensversicherung. Versicherte Person war seine Ehefrau, die Klägerin. Die Versicherungssumme im Todesfall betrug 320.250 DM (163.741,22 EUR). Im Erlebensfall sollte das Deckungskapital, d.h. der Wert der gutgeschriebenen Fondsanteile, fällig werden. Am 1. März 2009 verkaufte der Kläger seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an die Klägerin. Der am 2. Juni 2009 fällige Kaufpreis betrug 67.517,92 EUR und entsprach dem Wert des Deckungskapitals zum 28. Februar 2009. Mit Vertrag vom 5. Juni 2009 gewährte der Kläger seiner Ehefrau ein zinsloses Darlehen in Höhe des Kaufpreises. Dieses Darlehen war am 31. Dezember 2011 in einer Summe zurückzuzahlen.
Da der Kläger zum Zeitpunkt des Verkaufs die auf 60 Monate beschränkten Beiträge in Höhe von insgesamt 222.396 DM (113.709,27 EUR) vollständig gezahlt hatte, ergab sich für ihn ein Veräußerungsverlust in Höhe von 46.198 EUR. Diesen Verlust machte er in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) erkannte den Verlust aus der Veräußerung der Lebensversicherung wegen Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 der Abgabenordnung) nicht an. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) urteilte, eine Berücksichtigung des Veräußerungsverlusts bei den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG scheitere zwar nicht an den Grundsätzen zur Anerkennung von Vereinbarungen zwischen nahen Angehörigen, aber an der fehlenden Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers. Unter Berücksichtigung der Gesetzeshistorie des § 20 EStG und des zum 1. Januar 2009 eingetretenen Systemwechsels bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften habe der Kläger weder zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrags im Jahr 1999 noch zum Zeitpunkt der Veräußerung der Versicherungsansprüche im Streitjahr die Absicht gehabt, steuerpflichtige Einkünfte zu erzielen. Für den Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrags werde dies bereits durch die tatsächlich gewählte Vertragsgestaltung indiziert, da die Laufzeit des Vertrags (zwölf Jahre) und die Dauer der Beitragszahlung (fünf Jahre) unter Berücksichtigung von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung (EStG a.F.) gerade auf die Vermeidung steuerlich relevanter Einkünfte aus Kapitalvermögen ausgerichtet gewesen sei. Seit dem 1. Januar 2009 würden gemäß § 20 Abs. 2 EStG zwar auch Veräußerungsvorgänge und damit die Vermögenssphäre in die Besteuerung einbezogen, so dass unter weiterer Berücksichtigung des beschränkten und pauschalisierten Werbungskostenabzugs gemäß § 20 Abs. 9 EStG von einer typisierten Einkünfteerzielungsabsicht auszugehen sei. Dies könne aber frühestens ab dem Zeitpunkt der Gesetzesänderung in die Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht einbezogen werden. Außerdem könne die typisierte Einkünfteerzielungsabsicht nicht für vor dem 1. Januar 2009 geschlossene Versicherungsverträge gelten. Vielmehr sei im Streitfall zu berücksichtigen, dass der Kläger lediglich seinen Verlust habe begrenzen wollen. Ein steuerlich relevanter Überschuss sei –auch theoretisch– nicht mehr möglich gewesen. Insofern könne der Rechtsgedanke herangezogen werden, der für die Zuordnung eines Wirtschaftsguts zum gewillkürten Betriebsvermögen entwickelt worden sei und eine solche Zuordnung ausschließe, wenn zum Zeitpunkt der Einlage die Entstehung eines Verlusts feststehe. Die Gründe sind in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 377 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision machen die Kläger geltend, dass es für die Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht) allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankomme. Dabei seien auch nicht steuerbare Einnahmen einzubeziehen, so dass die Einkünfteerzielungsabsicht im Streitfall gegeben sei. Auch wenn der Senat dieser Auffassung nicht folgen sollte, könne daraus für den Streitfall kein Fehlen der Einkünfteerzielungsabsicht abgeleitet werden. Im Streitfall entfalle die Steuerpflicht erst nach Ablauf von zwölf Jahren. Dies könne mit der Spekulationsfrist für private Veräußerungsgeschäfte i.S. des § 23 Abs. 1 EStG verglichen werden, bei denen typisierend von einer Einkünfteerzielungsabsicht auszugehen sei. Zudem werde der überwiegende Teil der Kapitallebensversicherungen vorzeitig gekündigt. Schließlich hätte ein Veräußerungsgewinn aufgrund der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2009 der Besteuerung unterlegen. Dem entsprechend müssten aber auch Verluste als negative Einkünfte berücksichtigt werden. Anderenfalls käme es zu einem Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip. Aus der Begründung des Finanzausschusses zur Anwendungsregelung des § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG (BTDrucks 16/5491, S. 21) folge, dass der Veräußerungsgewinn –und damit auch der Veräußerungsverlust– aus der vollen Differenz zwischen dem Veräußerungserlös und den bis zum Zeitpunkt der Veräußerung entrichteten Beiträgen zu ermitteln sei.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Mai 2013 dahin zu ändern, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen des Klägers ein Verlust aus der Veräußerung der Lebensversicherung in Höhe von 46.198 EUR anerkannt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es folgt der Begründung des FG und weist ergänzend darauf hin, dass der Verlust des eingesetzten Kapitals nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage der privaten Vermögensebene zuzurechnen gewesen sei, da sich die Besteuerung grundsätzlich auf die rechnungsmäßigen und außerrechnungsmäßigen Zinsen aus den Sparanteilen beschränkt habe (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG a.F.). Die Veräußerung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an die Klägerin innerhalb von zwölf Jahren nach Vertragsschluss könne auch unter Berücksichtigung des § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG nicht zu einer Verlagerung von Veräußerungsverlusten in die steuerlich relevante Ertragsebene führen. Vielmehr müsse die Formulierung “sofern” in § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG im Sinne von “soweit” ausgelegt werden, um einen Gleichlauf mit dem Rückkauf zu erreichen.

Begründng:

Die Revision der Kläger ist begründet. Die Vorentscheidung des FG wird aufgehoben und der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Mai 2013 dahin geändert, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen des Klägers ein Verlust aus der Veräußerung der Lebensversicherung in Höhe von 46.198 EUR anerkannt wird (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

Die Vorentscheidung widerspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Die Nichtberücksichtigung des Verlusts des Klägers aus der Veräußerung der Ansprüche aus der fondsgebundenen Lebensversicherung wegen fehlender Einkünfteerzielungsabsicht verstößt gegen § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG; sie ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.
Das FG geht zutreffend davon aus, dass für die Veräußerung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag gemäß § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG (mittlerweile § 52 Abs. 28 Satz 14 EStG n.F.) im Streitfall § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 (UntStRefG 2008) vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912) anwendbar ist. Denn der zweite Halbsatz des § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG dehnt die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG auch auf die Veräußerung der Ansprüche aus vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossenen Alt-Verträgen aus, “sofern bei einem Rückkauf zum Veräußerungszeitpunkt die Erträge nach § 20 Absatz 1 Nummer 6 in der am 31. Dezember 2004 geltenden Fassung steuerpflichtig wären”.

Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Ein Rückkauf der fondsgebundenen Lebensversicherung des Klägers zum Veräußerungszeitpunkt im Jahr 2009 wäre nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage steuerpflichtig gewesen. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG a.F., der über Satz 5 der Vorschrift auch für fondsgebundene Lebensversicherungen galt, sah grundsätzlich eine Steuerpflicht für rechnungsmäßige und außerrechnungsmäßige Zinsen aus den Sparanteilen vor. Zwar machte Satz 2 hiervon eine Ausnahme. Die Voraussetzungen dieser Steuerbefreiung wären im Streitfall jedoch nicht erfüllt, da der Verkauf im Jahr 2009 und damit vor Ablauf der Mindestlaufzeit von zwölf Jahren nach Vertragsschluss stattfand.
Die Formulierung “sofern” in § 52a Abs. 10 Satz 5 Halbsatz 2 EStG kann nicht einschränkend im Sinne von “soweit” ausgelegt werden.

Nach der Stellungnahme des Bundesrats vom 11. Mai 2007 (BRDrucks 220/07, S. 17, zurückgehend auf die Empfehlungen der Ausschüsse vom 30. April 2007, BRDrucks 220/1/07, S. 25 f.) ist der zweite Halbsatz des § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG eingefügt worden, um sicherzustellen, dass die Erträge aus vor dem 1. Januar 2005 geschlossenen Alt-Verträgen, “die nach derzeitigem Recht steuerpflichtig wären, auch nach dem 01.01.2009 zu steuerpflichtigen Einkünften führen”, d.h. die streitige Anwendungsregelung zielte primär auf die Zinsen aus den Sparanteilen, die bereits nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG a.F. steuerpflichtig waren. Darüber hinaus verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, zur Vermeidung einer Besteuerungslücke eine Gleichbehandlung des Veräußerungsfalls mit dem Erlebensfall und dem Rückkauf zu erreichen (vgl. hierzu BTDrucks 16/5491, S. 21), für die § 52 Abs. 36 Satz 5 EStG (mittlerweile § 52 Abs. 28 Satz 5 EStG n.F.) weiterhin die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG a.F. und damit abweichend zu § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 4 EStG lediglich die Besteuerung der Zinsen aus den Sparanteilen vorsieht (vgl. auch Rengier, Der Betrieb 2007, 1771, 1775).
Daraus kann aber nicht auf eine einschränkende Auslegung des § 52a Abs. 10 Satz 5 Halbsatz 2 EStG geschlossen werden. Denn diese Zielvorstellungen des Gesetzgebers haben keinen Ausdruck im Gesetz gefunden. Vielmehr regelt der eindeutige Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 5 Halbsatz 2 EStG die uneingeschränkte Anwendbarkeit des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG, sofern –wie im Streitfall– der Rückkauf im Veräußerungszeitpunkt nach dem EStG a.F. steuerpflichtig gewesen wäre. Auf den Umfang dieser Steuerpflicht kommt es nicht an. Dies entspricht auch der Begründung des Finanzausschusses zur endgültigen Fassung des § 52a Abs. 10 Satz 5 EStG, in der von einer Besteuerung des vollen Veräußerungsgewinns “in Höhe des Unterschieds zwischen dem Veräußerungserlös und den bis zum Zeitpunkt der Veräußerung entrichteten Beiträgen” (BTDrucks 16/5491, S. 21) ausgegangen wird, d.h. keine Beschränkung auf die im Fall des Rückkaufs steuerpflichtigen Bestandteile erfolgt.
Der Kläger hat durch die Veräußerung der Ansprüche aus der fondsgebundenen Lebensversicherung die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG erfüllt. Gemäß § 20 Abs. 4 EStG ergibt sich daraus ein Verlust in Höhe von 46.198 EUR.

Das FG durfte die steuerliche Anerkennung dieses Verlusts nicht wegen fehlender Einkünfteerzielungsabsicht versagen.
Das Vorliegen einer Einkünfteerzielungsabsicht ist auch bei Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 EStG grundsätzlich zu prüfen und für jede einzelne Kapitalanlage getrennt zu beurteilen. Das Erfordernis der Einkünfteerzielungsabsicht gilt grundsätzlich für alle Einkunftsarten, allerdings unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Besonderheiten hinsichtlich der Einkünfteermittlung.
Die durch das UntStRefG 2008 mit der Abgeltungsteuer als Schedule eingeführten Besonderheiten der Einkünfte aus Kapitalvermögen bedingen eine tatsächliche (widerlegbare) Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht. So sollten mit der Abgeltungsteuer in § 20 EStG umfassend alle in Betracht kommenden Kapitalanlagen erfasst werden, insbesondere auch realisierte Wertsteigerungen des Kapitalstamms (§ 20 Abs. 2 EStG). Hinzu kommen die Einschränkungen des objektiven Nettoprinzips durch das Werbungskostenabzugsverbot gemäß § 20 Abs. 9 EStG und die Verlustabzugsbeschränkungen gemäß § 20 Abs. 6 EStG. Zudem entscheiden Währungspolitik und Aktienkurs über den Ertrag aus Zinsen und Dividenden.

Im Streitfall fehlen relevante Anhaltspunkte für eine Widerlegung der Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich um den Verkauf eines Alt-Vertrages handelt, bei dem die Zwölf-Jahresfrist nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG a.F. vor Einführung des Alterseinkünftegesetzes vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427) noch nicht abgelaufen war und deshalb ein Rückkauf zu steuerpflichtigen Zinsen aus den Sparanteilen geführt hätte. Ein Verkauf war dagegen erst nach dem 31. Dezember 2008 mit Einführung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG durch das UntStRefG 2008 in Form des Unterschiedsbetrags zwischen Einnahmen und Anschaffungskosten/entrichteten Beiträgen steuerbar.

Mit dieser –den relevanten Steuertatbestand erst verwirklichenden– Veräußerung hat der Kläger seine ursprüngliche Investitionsplanung geändert. Dass er damit seinen Verlust minimieren wollte, rechtfertigt ebenso wenig die Widerlegung der Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht wie das bloße Vorliegen eines Verlusts. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 EStG regelt auch den Verlustfall. Dabei liegt es gerade in der wirtschaftlichen Typik der Einkünfte aus Kapitalvermögen, dass der Anleger auf eine negative Entwicklung einer Anlage nur dadurch reagieren kann, dass er sie durch eine andere austauscht, d.h. sich von ihr trennt. Unter welchen Umständen ggf. das Festhalten an einer Anlage, die keinerlei positive Entwicklung mehr nehmen kann, die Widerlegung der Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht rechtfertigen könnte, kann vorliegend dahinstehen. Die Veräußerung im Streitfall jedenfalls erfolgte nicht unter Umständen, die eine Widerlegung rechtfertigen könnten.
Hinsichtlich der Grundsätze über die Anerkennung von Verträgen zwischen nahen Angehörigen ist der Senat an die tatsächliche Würdigung des FG gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).