Zivilprozesskosten im Zusammenhang mit einem früheren Mietverhältnis als außergewöhnliche Belastungen

Aufwendungen für zivilgerichtliche Auseinandersetzungen, die infolge von Streitigkeiten über die Beendigung von Mietverhältnissen entstehen, können grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden.  Der Umstand, dass ein Steuerpflichtiger seine Wohnung räumen und herausgeben muss, führt regelmäßig nicht dazu, dass der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt.

BFH Urteil vom 14.04.2016 – VI R 38/15 BFH/NV 2016, 1442

Sachverhalt:

Streitig ist, ob Zivilprozesskosten im Zusammenhang mit einem früheren Mietverhältnis als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde im Streitjahr (2010) einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Er war seit dem Jahr 2001 Mieter einer in A gelegenen Wohnung. Die Vermietung dieser Wohnung widersprach –ohne dass der Kläger hiervon wusste– baurechtlichen Vorschriften, da eine Baugenehmigung lediglich für eine landwirtschaftliche Betriebsleiterwohnung erteilt worden war.

Begründung:

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat die geltend gemachten Zivilprozesskosten zu Unrecht als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 EStG berücksichtigt.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind.

Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit. Derartige Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war. Vielmehr sei es in der Regel der freien Entscheidung der (Vertrags-)Parteien überlassen, ob sie sich zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs einem Prozess(kosten)risiko aussetzten. Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen.

Demgegenüber nahm der Senat in seinem Urteil die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Auffassung hat auch das FG dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.

Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.

Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen allerdings in der Sache selbst entscheiden. Die vom Kläger getragenen Prozesskosten sind nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen.

Im Streitfall lag die wesentliche Ursache, die zu den zivilrechtlichen Auseinandersetzungen führte, in Streitigkeiten über die Wirksamkeit und die Beendigung eines Mietverhältnisses einschließlich ggf. daraus folgender Schadensersatzansprüche. Derartige Auseinandersetzungen sind im Rahmen von Mietverhältnissen indes keineswegs unüblich und insbesondere nicht mit ungewöhnlichen Schadensereignissen vergleichbar. Ebenso wie die gleichfalls nicht unüblichen Baumängel, die nach der ständigen Rechtsprechung des BFH grundsätzlich nicht die Ermäßigung der Einkommensteuer nach § 33 EStG erlauben, oder Kosten, die im Zusammenhang mit mangelhaften Werkleistungen erwachsen, können Aufwendungen für zivilgerichtliche Auseinandersetzungen, die infolge von Streitigkeiten über die Beendigung von Mietverhältnissen entstehen, nicht als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden.

Im Streitfall liegen außergewöhnliche Umstände, die es geböten, abweichend von diesem Grundsatz zu entscheiden, entgegen der Ansicht des Klägers nicht vor. Die Zivilrechtsstreitigkeiten berührten insbesondere weder existenziell wichtige Bereiche noch den Kernbereich menschlichen Lebens.

Zum existenziell notwendigen Bereich kann zwar grundsätzlich das Wohnen gehören. Allerdings führt der Umstand, dass ein Steuerpflichtiger seine Wohnung räumen und herausgeben muss, regelmäßig nicht dazu, dass der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Bei den vom Kläger geführten Rechtsstreitigkeiten ging es nicht einmal darum, das Wohnen als existenzielles Bedürfnis sicherzustellen, sondern um Ansprüche auf Mietzahlungen, Gegenansprüche und Schadensersatz aus einem beendeten Mietverhältnis. Der Ausgang dieser zivilrechtlichen Auseinandersetzungen mag für den Kläger zwar von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung gewesen sein. Der Kläger lief indes nicht Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, hätte er sich nicht auf die Rechtsstreitigkeiten eingelassen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Erklärungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem FG. Denn hier verständigte man sich lediglich darüber, inwieweit die Rechtsverteidigung des Klägers nicht als mutwillig oder aussichtslos anzusehen sei und welcher Anteil der entstandenen Aufwendungen auf eine solche Rechtsverteidigung entfiel. Da es hierauf indes nach den im Streitfall maßgebenden Rechtsgrundsätzen nicht ankommt, ist dies für die Entscheidung des Streitfalls unerheblich.

Der Abweisung der Klage stehen schließlich auch nicht die vom Kläger als außergewöhnliche Belastungen geltend gemachten Krankheitskosten entgegen. Denn sie übersteigen mit 110 EUR angesichts eines Gesamtbetrags der Einkünfte in Höhe von 51.679 EUR nicht die zumutbare Belastung des Klägers im Streitjahr und führen daher nicht zu einer Minderung der durch den Einkommensteuerbescheid für 2010 festgesetzten Steuer.