Rückwirkende Bildung einer Rücklage nach § 6c EStG bei Erhöhung der Gegenleistung aus einer Grundstücksveräußerung

Der Steuerpflichtige kann die Rücklage nach § 6c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 6b Abs. 3 EStG rückwirkend bilden, wenn sich der Veräußerungspreis in einem späteren Veranlagungszeitraum erhöht und dadurch erstmals ein Veräußerungsgewinn entsteht.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 10.3.2016, IV R 41/13

Sachverhalt:

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Landwirt und ermittelt den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft durch Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes.

Im Februar 2007 schloss der Kläger mit der Windpark X GmbH & Co. KG (KG) einen Nutzungsvertrag. Vertragszweck war die Überlassung von Flächen durch den Kläger an die KG zur Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage. Nach § 13 Nr. 2 des Nutzungsvertrages verpflichtete sich der Kläger, bei einem Eigentümerwechsel der belasteten Fläche in den zugrunde liegenden Übertragungsvertrag eine Klausel aufzunehmen, wonach der Erwerber in alle Verpflichtungen eintrete, die sich aus diesem Nutzungsvertrag sowie der im Grundbuch eingetragenen beschränkt persönlichen Dienstbarkeit und Vormerkung gegenüber den Berechtigten, insbesondere dem Anlagenbetreiber und der finanzierenden Bank ergeben. Eine Genehmigung für die Errichtung des Windparks lag zu dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vor.

Mit notariellem Vertrag vom 18. Dezember 2007 (im Folgenden Kaufvertrag) veräußerte der Kläger einen Teil der mit dem Nutzungsrecht belasteten Grundstücksflächen mit einer Gesamtgröße von 161.979 qm für einen “Kaufpreis” in Höhe von 114.000 EUR an den Käufer B. Der Übergang von Nutzungen und Lasten fand mit der Zahlung am 28. Februar 2008 statt. Der Buchwert der veräußerten Flächen betrug 120.779,79 EUR. Nach § 3 Buchst. b des Kaufvertrages wurden alle in dem Nutzungsvertrag vereinbarten Verpflichtungen von dem Käufer übernommen. In § 3 Buchst. a dieses Vertrages wurde für den Fall, dass “die Firma […] den vorgenannten Grundbesitz mit Windenergieanlagen bebauen” sollte, vereinbart, dass der Käufer eine einmalige Entschädigungsprovision in Höhe des mit dem Faktor Elf multiplizierten Jahrespachtpreises als Gesamtentschädigungsbetrag an den Kläger zu leisten habe.

In der Anlage zu der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2007 ermittelte der Kläger aus dem Verkauf des Grund und Bodens einen gemäß § 55 Abs. 6 EStG nichtabzugsfähigen Verlust in Höhe von 6.779,79 EUR (= 114.000 EUR ./. 120.779,79 EUR). Im Zeitraum von Oktober 2009 bis März 2010 wurde der von dem Kläger veräußerte Grundbesitz mit Windenergieanlagen bebaut. Der Käufer zahlte entsprechend der Vereinbarung im Kaufvertrag eine “Entschädigungsprovision” in Höhe von insgesamt 123.780,35 EUR im Jahr 2010 an den Kläger. Mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr legten die Kläger eine Berichtigung der Anlage zu der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2007 vor und behandelten die Zahlung in Höhe von 123.780,35 EUR als nachträgliche Kaufpreiszahlung für den Grund und Boden. Sie beantragten, den dadurch entstandenen Gewinn aus der Veräußerung in Höhe von 117.000,56 EUR –ebenfalls rückwirkend für das Wirtschaftsjahr 2007/2008– in eine Rücklage nach § 6c EStG einzustellen. Von dieser sollten für das Wirtschaftsjahr 2009/2010  17.650 EUR (zuzüglich Zinsen in Höhe von von 2.118 EUR) –und damit hälftig im Streitjahr– gewinnerhöhend aufgelöst werden.

Leitsatz:

Zu Unrecht hat das FG den als “Entschädigungsprovision” bezeichneten Teil des Kaufpreises für den Verkauf des unbebauten Grund und Bodens als Entgelt für ein selbständiges Wirtschaftsgut “Nutzungsrecht” angesehen und die Bildung einer Rücklage gemäß § 6c Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 6b EStG abgelehnt.

Steuerpflichtige, die Grund und Boden veräußern, können nach § 6b Abs. 1 EStG und bei Vorliegen der in § 6b Abs. 4 EStG genannten, im Streitfall nicht streitigen Voraussetzungen im Wirtschaftsjahr der Veräußerung einen Betrag bis zur Höhe des bei der Veräußerung entstandenen Gewinns von Anschaffungs- und Herstellungskosten bestimmter anderer Wirtschaftsgüter abziehen. Soweit dieser Abzug nicht vorgenommen wird, kann im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den Gewinn mindernde Rücklage gebildet werden (§ 6b Abs. 3 Satz 1 EStG). Ermittelt der Steuerpflichtige –wie im Streitfall der Kläger– seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG, ist § 6b EStG mit Ausnahme des § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG entsprechend anzuwenden. Soweit nach § 6b Abs. 3 EStG eine Rücklage gebildet werden kann, ist ihre Bildung als Betriebsausgabe (Abzug) und ihre Auflösung als Betriebseinnahme (Zuschlag) zu behandeln; der Zeitraum zwischen Abzug und Zuschlag gilt als Zeitraum, in dem die Rücklage bestanden hat (§ 6c Abs. 1 Satz 2 EStG). Soweit eine nach § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG gebildete Rücklage gewinnerhöhend aufgelöst wird, ohne dass ein entsprechender Betrag nach Abs. 3 abgezogen wird, ist nach § 6b Abs. 7 EStG der Gewinn des Wirtschaftsjahres, in dem die Rücklage aufgelöst wird, für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6 % des aufgelösten Rücklagenbetrags zu erhöhen.

  • 6b Abs. 1 EStG begünstigt nur die Veräußerung des “nackten” Grund und Bodens. Der Begriff “Grund und Boden” wird daher enger gefasst als der Begriff “Grundstück” nach bürgerlichem Recht (§ 94 des Bürgerlichen Gesetzbuchs –BGB–). Ein Grundstück im bürgerlich-rechtlichen Sinne kann einkommensteuerrechtlich aus mehreren Wirtschaftsgütern bestehen, nämlich einerseits aus dem Grund und Boden und andererseits beispielsweise aus dem aufstehenden Gebäude, Anlagen auf oder im Grund und Boden, aber auch einem im Grund und Boden ruhenden, aber bereits entdeckten und in den wirtschaftlichen Verkehr gebrachten Bodenschatz (BFH-Urteil vom 24. August 1989 IV R 38/88, BFHE 158, 250, BStBl II 1989, 1016, m.w.N.). Bei der Veräußerung eines Grundstücks, welches einkommensteuerrechtlich aus zwei oder mehr selbständigen Wirtschaftsgütern besteht, muss dann der auf den Grund und Boden entfallende Anteil am Veräußerungsgewinn ggf. gesondert ermittelt werden, da z.B. die nach § 6b Abs. 1 Satz 1 EStG bestehenden Übertragungsmöglichkeiten bei den einzelnen veräußerten Wirtschaftsgütern unterschiedlich sind oder, wie bei der Veräußerung eines Bodenschatzes, gar keine Übertragungsmöglichkeit besteht.

Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, dass der Kläger neben dem “nackten” Grund und Boden noch ein selbständiges Wirtschaftsgut “Nutzungsrecht” veräußert hat und mithin der Veräußerungserlös in Höhe von 114.000 EUR auf den Grund und Boden einerseits und in Höhe von 123.780,35 EUR auf das Nutzungsrecht andererseits aufzuteilen ist. Vielmehr betrug der Gesamtkaufpreis für den veräußerten Grundbesitz 237.780,35 EUR, weil die Möglichkeit, auf der streitbefangenen Landwirtschaftsfläche eine Windenergieanlage zu betreiben, lediglich einen wertbildenden Faktor darstellt. Der Begriff des Wirtschaftsguts ist weit gespannt. Nach der Rechtsprechung gehören dazu Sachen, Rechte oder tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten oder Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten lässt, die einer selbständigen Bewertung zugänglich sind, in der Regel eine Nutzung für mehrere Wirtschaftsjahre erbringen und zumindest mit dem Betrieb übertragen werden. Von den selbständigen Wirtschaftsgütern abzugrenzen sind die unselbständigen Teile, die wertbildenden Faktoren, wie z.B. geschäftswertbildende Rechtsreflexe oder Nutzungsvorteile eines Wirtschaftsguts.

 

Ausgehend von dieser Definition hat der BFH etwa in dem durch die Milch-Garantiemengen-Verordnung geschaffenen Milchanlieferungsrecht, das dem Berechtigten Vorteile gewährt, weil er für weiter gehende Anlieferungen Abgaben zu zahlen hat, ein eigenständiges, vom Grund und Boden abgespaltenes, immaterielles Wirtschaftsgut gesehen. Ebenso hat der erkennende Senat entschieden, dass das betriebsgebundene Zuckerrübenlieferrecht ein selbständiges immaterielles Wirtschaftsgut und nicht Bestandteil des Grund und Bodens ist. Auch Bodenschätze wie Salz-, Kies-, Stein- und Sandvorkommen werden danach, sobald sie zur nachhaltigen Nutzung in den Verkehr gebracht werden, als selbständige, neben dem Grund und Boden bestehende Wirtschaftsgüter bewertet. Die gleiche Beurteilung als gesondertes Wirtschaftsgut gilt auch für die durch die Aussolung eines Salzstockes entstehenden Hohlräume, wenn sie in einem anderen Nutzungs- und Funktionszusammenhang stehen als die Oberfläche des Grund und Bodens.

 

In Abgrenzung dazu hat der Senat ein vom Grund und Boden verselbständigtes Wirtschaftsgut “Auffüllrecht für die Verbringung von Klärschlamm auf ein Grundstück” verneint. Das Auffüllrecht am Grundstück sei als Nutzungsberechtigung von der erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines Klärschlammzwischenlagers erfasst. Die Möglichkeit, ein Grundstück unter Beachtung der öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften für ein konkretes Bauvorhaben zu nutzen, sei untrennbar mit dem Grund und Boden verbunden und habe nicht zur Folge, dass diese Nutzungsmöglichkeit als besonderes Wirtschaftsgut neben dem Grund und Boden anzusehen sei. Erst die Errichtung der von der Baugenehmigung erfassten baulichen Anlage führe zur Entstehung eines weiteren, gegenüber dem Grund und Boden selbständigen Wirtschaftsguts “bauliche Anlage”. Eine Verselbständigung des Auffüllrechts komme auch nicht deshalb in Betracht, weil die Kaufvertragsparteien dem Auffüllrecht bei der Kaufpreisgestaltung einen eigenen Wert beigemessen hätten. Die bloße Möglichkeit der Nutzung des Grundstücks für die konkreten betrieblichen Zwecke des Käufers stelle für diesen lediglich einen wertbildenden Faktor des Grundstücks dar, dem allein für die grundsätzliche Kaufentscheidung und für die Kaufpreisgestaltung Bedeutung zukomme.

 

Unter Heranziehung dieser Rechtsprechung ist die Möglichkeit, auf der streitbefangenen Landwirtschaftsfläche eine Windenergieanlage zu betreiben, nicht als selbständiges immaterielles Wirtschaftsgut, sondern als wertbildender Faktor anzusehen. Die Möglichkeit des Grundstückskäufers B, Erträge, hier in Form von Nutzungsentgelten, mit dem Grundbesitz zu erzielen, lässt noch kein selbständiges Wirtschaftsgut “Nutzungsrecht” entstehen, das einer selbständigen Bewertung zugänglich ist. Der Möglichkeit, auf der Landwirtschaftsfläche eine Windenergieanlage zu errichten, zu unterhalten und zu betreiben sowie die Zuwegungen zu errichten und zu benutzen und Anschlüsse an das öffentliche Stromleitungsnetz zu verlegen, kann keine andere Bedeutung beigemessen werden als der Bebauungsmöglichkeit einer Landwirtschaftsfläche. Zwar weist ein bisher etwa als Ackerfläche genutztes Grundstück, welches aufgrund der öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften bebaut werden kann, gegenüber einer nicht bebaubaren Ackerfläche einen erheblich höheren Verkehrswert auf. Gleichwohl folgt aus der baurechtlichen Genehmigungsfähigkeit eines grundstücksbezogenen Bauvorhabens nicht, dass im Fall des Grundstücksverkaufs der Kaufpreis auf den Grund und Boden und die Bebauungsberechtigung aufgespalten werden könnte. Die baurechtliche Nutzungsmöglichkeit ist vielmehr lediglich eine dem Grundstück anhaftende wertbildende Eigenschaft, die regelmäßig in die Kaufpreisfindung einfließen wird. Nichts anderes kann für die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsfähigkeit der Errichtung und des Betriebs eines Windparks gelten, da auch sie nur an eine bestimmte Nutzungsmöglichkeit für das Grundstück anknüpft. Die Möglichkeit, ein Grundstück unter Beachtung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften für die Errichtung und den Betrieb einer konkreten Anlage zu nutzen, ist untrennbar mit dem Grund und Boden verbunden und hat nicht zur Folge, dass diese Nutzungsmöglichkeit als besonderes Wirtschaftsgut neben dem Grund und Boden anzusehen wäre. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Windpark-Gesamtvorhabens ist ein vorhaben- oder anlagenbezogener und standortbezogener Verwaltungsakt, der in seinem Umfang auch andere die Anlage betreffende Genehmigungen, insbesondere eine Baugenehmigung, einschließt. Von der Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb des Windparks ist damit gleichzeitig die Nutzung des betreffenden Grund und Bodens als Standort der einzelnen Windenergieanlage im Rahmen des Gesamtvorhabens umfasst. Die Nutzung hängt daher untrennbar mit dem Recht auf Errichtung und Betrieb der Anlage zusammen und ist keiner isolierten rechtlichen Betrachtung und Bewertung zugänglich. Erst die Errichtung der von der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung erfassten Windenergieanlage und der Zuwegung führt zur Entstehung von weiteren, gegenüber Grund und Boden selbständigen Wirtschaftsgütern.