Gewährung eines zinslosen Darlehens als freigebige Zuwendung i.S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG

Gegenstand der Zuwendung bei einer zinslosen Darlehensgewährung ist der kapitalisierte Nutzungsvorteil.

Die dem Zuwendungsempfänger gewährte Nutzungsmöglichkeit muss mit dem Verzicht auf die eigene Nutzung des Kapitals seitens des Zuwendenden korrespondieren. Dabei reicht die objektive Möglichkeit, das Kapital auf beliebige Weise anderweitig gewinnbringend anzulegen.

BFH Urteil vom 04.03.2015-II R 19/13, BFH/NV 2015, 993

Sachverhalt:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) schloss mit der im Iran ansässigen X Co. mehrere notariell beurkundete Darlehensverträge. Die Darlehen waren für den Erwerb und die Renovierung von Grundstücken und Gebäuden in … (Deutschland) gedacht. Die Rückzahlungsfrist betrug jeweils 20 Jahre. Die Darlehen waren für die ersten acht Jahre zinslos. Für die restlichen zwölf Jahre der Laufzeit betrug der Zinssatz 2 % über Libor. Hinsichtlich der Darlehensbeträge hat sich die X Co. bei der Y Bank refinanziert.

Die Darlehen wurden dem Kläger im Zeitraum vom 16. Juli 2002 bis zum 17. November 2004 in unterschiedlichen Raten ausgezahlt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) sah in der fehlenden Verzinsung der Darlehensbeträge in den ersten acht Jahren schenkungsteuerpflichtige freigebige Zuwendungen der X Co. an den Kläger und setzte mit 27 Bescheiden vom 30. Juni 2011 gegen den Kläger Schenkungsteuer fest. Das FA ermittelte den Steuerwert jeweils unter Zugrundelegung des Jahreswertes nach § 13 des Bewertungsgesetzes (BewG) in Höhe von 5,5 % und einer Laufzeit von acht Jahren und berücksichtigte bei der Berechnung des steuerpflichtigen Erwerbs die jeweiligen Vorschenkungen. Im ersten Bescheid (Steuernummer …0001) setzte das FA die Steuer wegen der Berücksichtigung des Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 5 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (ErbStG) in Höhe von 5.200 EUR auf 0 EUR fest.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage nahm der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) insoweit zurück, als sie sich gegen den Schenkungsteuerbescheid über 0 EUR richtete (Steuernummer …0001). In Hinblick auf einen weiteren, vom FA ebenfalls der Schenkungsteuer unterworfenen Sachverhalt vom 7. Oktober 2003 erklärten der Kläger und das FA den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, nachdem das FA den entsprechenden Schenkungsteuerbescheid vom 30. Juni 2011 (Steuernummer …0002) im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben hatte.

Das FG gab der Klage insoweit statt, als in den Steuerbescheiden, die die freigebigen Zuwendungen nach dem 7. Oktober 2003 betreffen, jeweils ein Vorerwerb in Höhe von 64.589 EUR aus dem Sachverhalt vom 7. Oktober 2003 enthalten war. Im Übrigen wies das FG die Klage ab. Die Zinslosigkeit des dem Kläger von der X Co. gewährten Darlehens erfülle die Merkmale einer freigebigen Zuwendung. Die Y Bank habe die Darlehen nur refinanziert. Für eine Beteiligung der Y Bank an etwaigen Gewinnen aus dem späteren Verkauf der finanzierten Immobilien fehle es an entsprechenden Vereinbarungen. Zudem seien die Grundstücke tatsächlich nicht veräußert worden.

Begründung:

Die Revision führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur teilweisen Aufhebung der Vorentscheidung, weil sich der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, zum Teil geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). An die Stelle der angefochtenen Schenkungsteuerbescheide vom 30. Juni 2011 (Steuernummern …) sind die Änderungsbescheide vom 5. April 2013 getreten und nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden. Das angefochtene Urteil ist insoweit gegenstandslos und aufzuheben.

Einer Zurückverweisung der Sache an das FG nach § 127 FGO bedarf es jedoch nicht, da sich aufgrund der Änderungsbescheide an den zwischen den Beteiligten streitigen Punkten nichts geändert hat. Das FG hat zu Recht angenommen, dass die Zinslosigkeit des dem Kläger gewährten Darlehens den Tatbestand einer freigebigen Zuwendung i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfüllt.

Soweit der Kläger vorbringt, er habe die Darlehen tatsächlich von der Y Bank erhalten und die X Co. habe nur als Zahlstelle gedient, macht er keine zulässigen Verfahrensrügen geltend. Das FG hat festgestellt, dass die Y Bank die Darlehen gegenüber der X Co. refinanziert hat und keine unmittelbaren Geschäftsbeziehungen zwischen dem Kläger und der Y Bank bestanden. Dagegen sprechende substantiierte Einwendungen, denen das FG hätte nachgehen müssen, hatte der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren nicht erhoben. Der BFH ist daher auch insoweit an die tatsächlichen Feststellungen des FG gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).

Das FG hat die ihm gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO obliegende Sachaufklärungspflicht nicht verletzt, indem es dem in der mündlichen Verhandlung unter Beweis gestellten Vorbringen des Klägers, die X Co. sei durch die Darlehensgewährung nicht entreichert worden, nicht durch Erhebung der angebotenen Beweise nachgegangen ist. Die Beurteilung der Frage, ob bei der Gewährung eines zinslosen Darlehens der Darlehensnehmer i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auf Kosten des Darlehensgebers bereichert wird, erfordert eine materiell-rechtliche Würdigung, die dem Beweis nicht zugänglich ist. Nach der für die Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, maßgebenden materiell-rechtlichen Auffassung des FG genügt es, dass die zur Nutzung überlassene Geldsumme nach den allgemeinen Verhältnissen dem Zuwendenden die Möglichkeit geboten hätte, das Kapital fruchtbringend anzulegen. Daher kommt es nach der Ansicht des FG nicht darauf an, ob und in welchem Umfang die X Co. das Kapital konkret anderweitig unternehmerisch hätte nutzen können. Das FG war somit verfahrensrechtlich nicht verpflichtet, der aus seiner Sicht nicht entscheidungserheblichen Frage nach konkreten Nutzungsmöglichkeiten nachzugehen.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird, der Schenkungsteuer. In der zinslosen Gewährung eines Darlehens bei Fehlen einer sonstigen Gegenleistung liegt eine freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Der Empfänger eines zinslosen Darlehens erfährt durch die Gewährung des Rechts, das als Darlehen überlassene Kapital unentgeltlich zu nutzen, eine Vermögensmehrung, die der Schenkungsteuer unterliegt. Die Minderung des Vermögens des Zuwendenden besteht dabei darin, dass er auf einen Ertrag verzichtet, den er bei verkehrsüblichem Verhalten gezogen hätte. Der Verzicht auf die zum Vermögen des Darlehensgebers gehörende Nutzungsmöglichkeit ist eine Vermögensminderung. Dabei ist es unerheblich, dass zivilrechtlich in der bloßen vorübergehenden Gebrauchsüberlassung einer Sache in der Regel keine das Vermögen mindernde Zuwendung liegt, wie sie für eine Schenkung gemäß § 516 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erforderlich ist.

Gegenstand der Zuwendung bei einer zinslosen Darlehensgewährung ist der kapitalisierte Nutzungsvorteil). Der Jahreswert des Nutzungsvorteils beträgt nach § 15 Abs. 1 BewG 5,5 %, wenn kein anderer Wert feststeht.

Die dem Zuwendungsempfänger gewährte Nutzungsmöglichkeit muss mit dem Verzicht auf die eigene Nutzung des Kapitals seitens des Zuwendenden korrespondieren. Für den korrespondierenden Verzicht auf die Nutzung des Kapitals ist es nicht erforderlich, dass der Zuwendende dieses gegen Zinsen darlehensweise weitergeben könnte. Es reicht vielmehr die objektive Möglichkeit, das Kapital auf beliebige Weise anderweitig gewinnbringend anzulegen. Daher ist es unerheblich, ob dem Darlehensgeber die Vereinbarung und Annahme eines Zinses nach islamischem Recht oder aus anderen religiösen Gründen verboten ist, denn er könnte mit dem Kapital auch auf andere Weise, etwa durch unternehmerische Betätigung, einen Ertrag erzielen (FG Münster, Urteil vom 7. November 1991 3 K 7354/90 Erb, EFG 1992, 468; Hessisches FG, Urteil vom 22. Januar 2007 1 K 4906/03, Erbfolgebesteuerung 2007, 179). Das islamische Recht erlaubt ausdrücklich die Finanzierung von Unternehmen, soweit der Kapitalgeber sowohl am Gewinn als auch am Verlust beteiligt.

Der subjektive Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist erfüllt, wenn sich der Zuwendende der Unentgeltlichkeit seiner Leistung bewusst ist. Ein auf die Bereicherung des Empfängers gerichteter Wille im Sinne einer Bereicherungsabsicht ist nicht. Unerheblich ist auch, welche konkreten Motive für den Zuwendenden im Vordergrund standen.

Im Streitfall ist der Kläger durch die Gewährung des zinslosen Darlehens in den ersten acht Jahren der Laufzeit des Darlehens auf Kosten der X Co. i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bereichert worden. Nach den vom FG getroffenen und für den BFH bindenden Feststellungen erfolgte die Gewährung des Darlehens ohne entsprechende Gegenleistung. Die Zinslosigkeit des gewährten Darlehens korrespondiert mit dem Verzicht der X Co., das Kapital anderweitig zu nutzen. Der Jahreswert des Nutzungsvorteils ist nach § 15 Abs. 1 BewG zutreffend mit 5,5 % anzunehmen. Ein anderer Wert ist weder vorgetragen noch vom FG festgestellt.